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Wladimir I. Lenin 19151120 Ganz auf den Hund gekommen

Wladimir I. Lenin: Ganz auf den Hund gekommen

[Sozialdemokrat Nr. 48, 20. November 1915. Nach Sämtliche Werke, Band 18, Wien-Berlin 1929, S. 423 f.]

Die Verwandlung einzelner Personen aus radikalen Sozialdemokraten und revolutionären Marxisten in Sozialchauvinisten ist eine Erscheinung, die allen kriegführenden Ländern eigen ist. Die Flut des Chauvinismus ist so reißend, so stürmisch und so mächtig, dass sie überall eine ganze Reihe von ehemals linken Sozialdemokraten – sei es, dass es ihnen an Charakter gefehlt hatte, sei es, dass sie sich selbst zu überleben vermocht hatten – mit sich fortriss. Parvus, der sich schon einmal in einer russischen Revolution als Abenteurer entpuppt hat, ist nunmehr in dem von ihm herausgegebenen Blättchen „Die Glocke“ ganz … auf den Hund gekommen. Er verteidigt die deutschen Opportunisten mit unglaublich dreister und selbstzufriedener Miene. Er hat alles verbrannt, was er einst verehrte; er hat den Kampf zwischen der revolutionären und der opportunistischen Richtung und die Geschichte dieser Richtungen in der internationalen Sozialdemokratie „vergessen“. Mit der Unverfrorenheit eines Feuilletonisten, der des Lobes der Bourgeoisie sicher ist, klopft er jetzt Marx auf die Schulter und „korrigiert“ ihn ohne auch nur einen Schatten von gewissenhafter und aufmerksamer Kritik. Einen Engels aber traktiert er geradezu mit Verachtung. Er nimmt die Pazifisten und Internationalisten in England, die Nationalisten und Hurrapatrioten in Deutschland in Schutz. Die englischen Sozialpatrioten schimpft er Chauvinisten und Schleppenträger der Bourgeoisie, indes er die deutschen als – revolutionäre Sozialdemokraten preist und Lensch, Haenisch und Grunwald zärtlich in seine Arme schließt. Er leckt Hindenburg den Stiefel, indem er den Lesern versichert, „der deutsche Generalstab“ sei „für die Revolution in Russland eingetreten“, und indem er knechtselige Lobeshymnen auf diese „Verkörperung der deutschen Volksseele“ veröffentlicht und auf das „starke revolutionäre Empfinden“, das dieser „Verkörperung“ innewohne. Er verheißt Deutschland den schmerzlosen Übergang zum Sozialismus vermittelst eines Bündnisses zwischen den Konservativen und einem Teil der Sozialisten und vermittelst des „Brotkarten“-Systems. Armseliger Feigling, der er ist, spendet er mit der Miene der Herablassung der Zimmerwalder Konferenz halb und halb seinen Segen und macht dabei ein Gesicht, als hätte er im Zimmerwalder Manifest die Stellen gar nicht bemerkt, die gegen sämtliche Schattierungen des Sozialchauvinismus, von der Parvusschen und Plechanowschen bis zur Kolbschen und Kautskyschen, gerichtet sind.

In den sechs Nummern seines Blättchens findet sich kein einziger ehrlicher Gedanke, kein einziges ernsthaftes Argument, kein einziger aufrichtiger Artikel. Rundum eine Kloake des deutschen Chauvinismus, verdeckt durch ein Reklameschild mit der hin geschmierten Aufschrift: Im Namen der Interessen der russischen Revolution! Ganz natürlich, dass die Opportunisten, nämlich Kolb und die „Chemnitzer Volksstimme, diese Kloake anpreisen.

Herr Parvus geht sogar so weit, dass er mit eiserner Stirn es der Öffentlichkeit als seine „Mission“ verkündet, „als geistiges Mittelglied zwischen dem bewaffneten deutschen Proletariat und dem revolutionären russischen Proletariat zu dienen“. Diese Possenreißer-Phrase genügt es dem Hohn der russischen Arbeiter preiszugeben. Wenn der „Prisyw“ der Herren Plechanow, Brunakow und Co. in Russland die Billigung der Chauvinisten und des Herrn Chwostow vollkommen verdient hat, so ist die „Glocke“ des Herrn Parvus in Deutschland Organ des Renegatentums und des schmutzigen Lakaientums.

In diesem Zusammenhang muss auf noch eine nützliche Seite des gegenwärtigen Kriegs hingewiesen werden. Nicht nur, dass er „per Schnellfeuergeschütz“ den Opportunismus und den Anarchismus erledigt, er entlarvt auch ausgezeichnet die Abenteurer und Chamäleons des Sozialismus. Es kann dem Proletariat nur den allergrößten Nutzen bringen, dass die Geschichte mit dieser ersten und anfänglichen Säuberung der proletarischen Bewegung schon am Vorabend der sozialistischen Revolution begonnen hat, und nicht erst während ihres Verlaufs.

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