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Wladimir I. Lenin 19170808 Den Verleumdern

Wladimir I. Lenin: Den Verleumdern

Die Antwort N. Lenins

[Nach Bote der Russischen Revolution. Organ der ausländischen Vertretung des Zentralkomitees der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (Bolschewiki) Nr. 1, 15. Sept. 1917, S. 12-15 und Nr. 2, 22. September 1917, S. 11-15]

I.

In den Zeitungen v. 4. August erschien eine Mitteilung des Staatsanwaltes des Petrograder Gerichtshofes über die Voruntersuchung der Ereignisse v. 16.-18. Juli und über die Anklage wegen Hochverrat und Organisierung eines bewaffneten Aufstandes gegen mich und eine ganze Reihe anderer Bolschewiki.

Die Regierung war genötigt die Mitteilung zu veröffentlichen, denn diese ganze schmutzige Affäre war für jeden, der lesen kann, zu skandalös, zu offensichtlich, mit Hilfe des Verleumders Alexinski, auf Wunsch und Geheiß der konterrevolutionären Kadettenpartei gefälscht.

Aber durch Veröffentlichung dieser Mitteilung muss die Regierung der Zeretelli & Co sich unerhört kompromittieren, denn die Unverfrorenheit der Fälschung sticht jetzt zu sehr in die Augen.

Ich ging aus Petrograd den 12. Juli weg, da ich krank war und kehrte zurück den 16. Juli früh morgens. Aber selbstverständlich nehme ich die volle und bedingungslose Verantwortung für alle Schritte des Zentralkomitees der Partei, überhaupt der Partei im Ganzen auf mich. Auf meine Abwesenheit muss ich deswegen aufmerksam machen, um die mangelhafte Kenntnis der Einzelheiten und meine Bezugnahme hauptsächlich auf Dokumente, die in der Presse veröffentlicht sind, zu erklären,

Es ist klar, dass eben solche Dokumente, besonders wenn sie in der den Bolschewiki feindlicher Presse veröffentlicht wurden, von dem Staatsanwalt in erster Reihe gesammelt, zusammengestellt und analysiert werden müssten. Aber der „republikanische" Staatsanwalt, der die Politik des „sozialistischen" Ministers Zeretelli, durchführt, – hat diese erste elementare Pflicht nicht erfüllt.

In der ministeriellen Zeitung „Djelo Naroda" wurde kurz nach dem 17. Juli als unbestrittene Tatsache zugegeben, dass die Bolschewiki am 15. Juli in dem Grenadierregiment gegen die Demonstration auftraten und agitierten.

Hat denn der Staatsanwalt das Recht gehabt die Aussage eines solchen Zeugen als nicht bestehend zu behandeln?

Und diese Aussage stellt die enorm wichtige Tatsache fest, dass die Bewegung ganz spontan wuchs, und dass die Bolschewiki sich bemühten die Bewegung nicht zu beschleunigen, sondern umgekehrt zurückzudrängen.

Weiter. Dieselbe Zeitung hat eine noch wichtigeres Dokument veröffentlicht: den Text des Aufrufes des Zentralkomitees unserer Partei, der in der Nacht v. 16. auf 17. Juli zusammengestellt wurde. Dieser Aufruf wurde geschrieben und gesetzt, schon nachdem, als es sich herausstellte, dass die Bewegung, gegen unsere Bemühungen, sie zu regeln, doch aus den Ufern trat, d. h. nachdem die Demonstration zur Tatsache geworden ist.

Die ganze grenzenlose Niederträchtigkeit und Gemeinheit, der vollkommene Mangel des guten Willens des Staatsanwalts des Herrn Zeretelli kommt besonders krass zu Tage in seiner Bemühung, die Frage zu umgehen, wann eben, am welchem Tage und Stunde, vor dem bolschewistischen Aufruf, oder nachher die Demonstration anfing.

Dieser Aufruf spricht ausdrücklich davon, dass man sich bemühen muss der Demonstration einen organisierten und friedlichen Charakter zu verleihen. Kann man sich eine lächerlichere Beschuldigung, wegen einer „Organisierung eines bewaffneten Aufstandes" vorstellen, als die, die man gegen eine Partei erhebt, die in der Nacht, v. 16. auf 17. Juli d. h. in der Nacht vor dem entscheidenden Tage einen Aufruf zur „friedlichen und organisierten Demonstration" veröffentlicht? Und die zweite Frage: wodurch unterscheidet 'sich der Staatsanwalt in den Dreyfus- und Beilisaffären von dem „republikanischen" Staatsanwalt des „sozialistischen", „republikanischen" Minister Zeretelli, ein Staatsanwalt der diesen Aufruf vollständig verschweigt?

Weiter. Der Staatsanwalt verschweigt die Tatsache, dass in der Nacht des 17. Juli das Zentralkomitee unserer Partei einen Aufruf zur Beendigung der Demonstrationen geschrieben und in der „Prawda", die eben in dieser Nacht von einer Abteilung konterrevolutionären Soldaten verwüstet wurde, veröffentlicht hat!

Weiter. Der Staatsanwalt verschweigt, dass Trotzki und Sinowjew in einer ganzen Reihe von Reden die Arbeiter und Soldaten, die zum Taurischen Palast am 17. Juli kamen, mahnten, auseinander zu gehen, nachdem sie ihren Willen vordemonstriert haben.

Diese Reden haben Hunderte und Tausende von Menschen gehört. Jeder ehrliche Bürger, der nicht zulassen will, dass man sein Vaterland durch „Beilisprozesse" schändet, jeder von diesen Zuhörern, soll von seiner Parteizugehörigkeit absehen und dem Staatsanwalt eine schriftliche Erklärung (er soll die Abschrift behalten) abgeben, ob Sinowjew und Trotzki zum Auseinandergehen nicht aufgefordert haben.

Ein anständiger Staatsanwalt hätte selbst einen solchen Aufruf an die Bevölkerung gerichtet, aber wie konnte man auch nur annehmen, dass es anständige Staatsanwälte in den Ministerien Kerenskis, Jefremow, Zeretelli & Co. gibt. Und ist es nicht die höchste Zeit, dass die Bürger Russlands selbst die Mühe auf auf sich nehmen, die „Beilisprozesse" in ihren Lande unmöglich zu machen?

Nebenbei gesagt. Ich selbst, habe nur eine einzige Rede gehalten, am 17. Juli vom Balkon des Palastes Krzesinska. Der Staatsanwalt nimmt Bezug auf sie und versucht ihren Inhalt wiederzugeben, aber auch in diesem Falle führt er nicht nur keinen Zeugen an, sondern er verschweigt die Aussagen der Zeugen, die in der Presse veröffentlicht sind. Ich bin bei Weitem nicht imstande, komplett aller Zeitungen zu haben und doch sah ich zwei solche Aussagen in der Presse: 1) in der bolschewistischen „Proletarische Djelo" (Kronstadt) und 2) in der menschewistischen Ministerzeitung „Rabotschaja Gazeta". Weswegen konnte man nicht mit Hilfe dieser Dokumente und eines Aufrufes an die Bevölkerung den Inhalt meiner Rede feststellen? Der Inhalt meiner Rede war folgend: 1) eine Entschuldigung, dass ich nur paar Worte sagen werde, da ich krank bin; 2) eine Bewillkommung der Kronstädter Matrosen im Namen der Petrograder Arbeiter; 3) ich gab Ausdruck meiner Überzeugung, dass unsere Losung „die ganze Macht in die Hände des Sowjets"! siegen muss und siegen wird, unbeachtet aller Zickzacks des historischen Weges; 4) eine Aufforderung zur Ausdauer, Festigkeit und Wachsamkeit.

Ich verweile bei diesen Einzelheiten, um dieses einzige wirklich tatsächliche Material, das der Staatsanwalt so vorübergehend, unordentlich, verworren streift, kaum streift, nicht unbeachtet zu lassen.

Selbstverständlich sind die Einzelheiten nicht das Wichtigste, sondern das allgemeine Bild, der allgemeine Sinn der Ereignisse des 17. Juli. Auch nur nachzudenken darüber, war der Staatsanwalt nicht imstande.

Zu dieser Frage haben wir wertvolle Aussagen eines wutschnaubenden Gegners des Bolschewismus, der uns mit einem Strom von Schimpfworten und Hassbezeugungen überschüttet: des Korrespondenten der Ministerzeitung „Rabotschaja Gazeta". Dieser Korrespondent erzählt seine Beobachtungen kurz nach dem 17. Juli. Auf Grund der von ihm festgestellten Tatsachen, teilt der Verfasser seine Beobachtungen und Erlebnisse in zwei scharf getrennte Hälften, die der Verfasser mit dem Satze, dass die Sachlage „eine für uns günstige Wendung" angenommen hat, scharf gegenüberstellt.

Die erste Hälfte der Erlebnisse besteht darin, dass der Verfasser sich bemüht, die Minister vor den Massen zu verteidigen. Er wird beschimpft, geschlagen und endlich verhaftet. Er hört Rufe und Losungen, die bis aufs Äußerste erregt sind, von denen er besonders den Ruf: „Tod dem Kerenski" (dafür, dass er zur Offensive überging, die 40 Tausend Menschenleben kostete) usw. behielt.

Die zweite Hälfte seiner Erlebnisse, die, wie er sich ausdrückt, durch die „günstige Wendung" charakterisiert wird, fängt an vom Moment, als die wogende Volksmasse ihn „zum Gericht" in das Haus Krzesinska führt, wo er auf der Stelle befreit wird.

Das sind die Tatsachen, die den Verfasser veranlassen die Bolschewiki mit den letzten Worten zu beschimpfen. Beschimpfungen seitens eines politischen Gegners sind eine ganz natürliche Sache, besonders wenn dieser Gegner ein Menschewik ist, der fühlt, dass die Masse von dem Kapital und dem imperialistischen Krieg bedrückt, nicht hinter ihm, sondern gegen ihn ist. Aber die Beschimpfungen und Schmähungen können die Tatsachen nicht ändern: in der Erzählung dieses wutschnaubenden Gegners der Bolschewiki wird es klar und unzweideutig bezeugt, dass die Volksmasse in höchster Erregung war, dass sie bis zur Losung „Tod dem Kerenski" ging, dass es aber der Organisation der Bolschewiki gelang, die Bewegung im Großen und Ganzen unter der Losung „die ganze Macht in die Hände des Sowjets" zu sammeln, und dass nur die bolschewistische Partei einzig und allein eine moralische Autorität vor den Massen besaß und sie doch dazu brachte von den Gewalttaten abzusehen.

So sehen die Tatsachen aus. Die freiwilligen und unfreiwilligen Lakaien der Bourgeoisie sollen nur schreien und schimpfen über uns und die Bolschewiki „der Nachgiebigkeit dem Elemente" beschuldigen

Wir, als die Vertreter der Partei des revolutionären Proletariats wollen Euch eins sagen: unsere Partei war immer und wird immer zusammen mit den Massen sein, wenn sie, ihre tausendmal durch die Teuerung, die Untätigkeit und Verrat der „Sozialisten-Minister", durch den imperialistischen Krieg und seine Verlängerung, berechtigte Entrüstung kundgibt. Unsere Partei hat ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit getan, als sie mit den ganz berechtigt entrüsteten Massen, am 17. Juli ging und sich bemühte, dieser Bewegung einen organisierten und friedlichen Charakter zu verleihen. Denn am 17. Juli war noch die Möglichkeit eines friedlichen Übergangs der Regierungsmacht in die Händen der Sowjets vorhanden, es existierte noch ein friedlicher Ausweg für die weitere Entwicklung der russischen Revolution.

Wie bodenlos dumm das Märchen des Staatsanwalts von dem „organisierten Aufstand" ist, wird aus folgendem klar. Niemand bestreitet, dass die Mehrheit der bewaffneten Soldaten und Matrosen, die auf den Straßen Petrograds demonstrierte, auf der Seite unserer Partei stand. Sie hatte die volle Möglichkeit zu Verhaftungen und Absetzungen von Hunderten Beamten, zur Besetzung von Dutzenden öffentlichen und Regierungsgebäuden, zu schreiten u.s.w.

Es wurde nichts ähnliches getan. Nur Menschen, die sich so verwickelt haben, dass sie alle Schaudermären der konterrevolutionären Kadettenpresse wiederholen, nur sie sehen die ganze Lächerlichkeit und Sinnlosigkeit der Behauptung, dass am 16.-17. Juli eine „Organisation eines bewaffneten Aufstanden" stattfand, nicht

(Schluss folgt.)

II.

Die erste Frage, die sich die Untersuchung stellen musste, wenn sie nur von Weitem einer Untersuchung ähnlich sein wollte, wäre die Frage, wer die Schießerei, eröffnete und dann die Frage: wie viel Tote und Verwundete gab es auf jeder Seite und unter welchen Umständen jeder Fall des Todes und Verwundung vorgekommen ist.

Wenn die Untersuchung noch irgendwie als Untersuchung (und nicht wie ein stänkerischer Artikel in den Organen der Herren Dan, oder Alexinski und anderer) aussehen wollte, so war es die erste Pflicht des Staatsanwaltes ein öffentliches, für jedermann freies Verhör der Zeugen über diese Angelegenheit vorzunehmen und eine unverzügliche Veröffentlichung der Protokolle der Untersuchung zu veranstalten.

In eben dieser Weise arbeiteten die Untersuchungskommissionen in England, als England noch ein freies Land war. In dieser Richtung sah sich genötigt die Exekutive der Sowjets Schritte vorzunehmen in dem ersten Moment, als die Angst vor den Kadetten ihr noch nicht vollständig das Gewissen verdunkelt hat. Bekanntlich versprach der Ausführende Ausschuss aller Arbeiter und Soldatenräte zweimal täglich ein Bulletin über die Arbeiten seiner Untersuchungskommission herauszugeben. Der Ausführende Ausschuss (d. h. die Sozialisten-Revolutionäre u. die Menschewiki) haben das Volk betrogen, als sie dieses Versprechens gaben u. es nicht verwirklichten. Aber der Text dieses Versprechens wird vor der Geschichte als Beweis dessen stehen, was zu tun jeder Staatsanwalt, wenn er noch irgendwie ehrlich ist, sich verpflichtet gefühlt hätte. Sehr lehrreich ist der Bericht, den – als erste von der Meute, der uns hassenden bürgerlichen Presse – die „Birschewija Wjedomosti" – über die Schießerei am 17. Juli veröffentlicht. Aus diesem Bericht folgt es klipp und klar, dass die erste Schüsse nicht auf der Seite der Demonstranten, sondern gegen die Demonstranten fielen!! Selbstverständlich verschweigt der „republikanische" Staatsanwalt eines „sozialistischen" Ministeriums diese Zeugenaussage der „Birschewija Wjedomosti"!! Und dabei rollt diese Aussage der „Birschewija Wjedomosti", einer den Bolschewiki mehr als feindlichen Zeitung, ein Bild, das vollkommen der Vorstellung unserer Partei von den Ereignissen entspricht. Wären diese Ereignisse ein bewaffneter Aufstand, so hätten die Demonstranten nicht auf die Konterdemonstranten geschossen, sondern sie hätten gewisse Kasernen, öffentliche Gebäude umzingelt, sie hätten versucht, gewisse Teile der Armee zu vernichten usw. Im Gegenteil, wenn die Ereignisse eine einfache Demonstration gegen die Regierung waren, und die Verteidiger der Regierung als Konterdemontration auftraten, so war es natürlich, und selbstverständlich, dass die Konterrevolutionäre die ersten Schüsse abfeuerten, teils aus Wut über die Größe der Demonstration, teils mit provokatorischen Zielen und ebenso natürlich ist es. das die Demonstranten auf die Schüsse mit Schüssen geantwortet haben.

Die Listen der Toten – obwohl, wahrscheinlich, nicht vollständig – waren doch in einigen Zeitungen veröffentlicht (z. B. in der Rjetsch und Djelo Naroda). Es war die erste Pflicht der Untersuchung, die Listen durchzusehen, zu vervollkommnen und offiziell zu veröffentlichen. Das zu unterlassen, heißt Beweise zu verheimlichen, dass die Schießerei die Konterrevolutionäre eröffnet haben. Und in Wirklichkeit ergibt selbst die ganz oberflächliche Untersuchung der Listen dass die beiden wichtigsten und entscheidenden Gruppen, die der Kosaken und die der Matrosen, ungefähr dieselbe Zahl der Toten aufweisen. Wäre denn dies möglich, wenn die Zehntausend bewaffnete Matrosen, die am 17. Juli nach Gewehre hatten, vereinigten, zum Zwecke eines bewaffneten Aufstandes nach Petrograd gekommen wären?

Es ist klar, dass dann die Zahl der Toten auf Seite der Kosaken und anderer Gegner 10 mal so groß wäre, denn niemand bestreitet, dass die übergroße Mehrheit der Bewaffneten auf den Straßen Petrograds am 17. Juli auf der Seite der Bolschewiki war. Darüber wurde in der Presse eine Reihe von Aussagen unserer Gegner veröffentlicht..

Wenn die Zahl der Toten ungefähr dieselbe auf den beiden Seiten ist, so spricht das nur dafür, dass die Konterrevolutionäre zu schießen angefangen haben und die Demonstranten nur geantwortet haben. Anders kann man sich die Gleichheit der Zahl der Getöteten gar nicht erklären.

Und endlich besonders wichtig ist die folgende Nachricht, die in der Presse veröffentlicht wurde: die Tötung der Kosaken kommt nur am 17. vor, als die Schießerei zwischen den Konterrevolutionären und den Demonstranten stattfand. Solche Schießereien kommen auch in nicht revolutionären Zeiten vor bei gewisser Erregung der Volksmassen z. B. sind sie nicht selten in romanischen Ländern, in Süden. Die Tötung der Bolschewiki aber kamen auch nach dem 17. Juli, als keine Zusammenstöße zwischen den Manifestanten und Kontermanifestanten stattfanden, vor, als also die Tötung von Unbewaffneten durch Bewaffnete eine direkte Henkersarbeit war So die Ermordung des Bolschewik Woinow auf der Schpalernastraße am 17. Juli.

Was ist denn das für eine Untersuchung, die nicht einmal das volle Material über die Zahlen der Getöteten auf beiden Seiten und über die Zeit und Umstände, unter welchen die Tötung stattfand, sammelt und siebt?

Es ist klar, dass bei diesem Charakter der „Untersuchung" von ihr nicht einmal ein Versuch einer historischen Beurteilung der Ereignisse vom 17. Juli zu erwarten ist. Und diese Beurteilung ist unumgänglich für jeden, der über Politik nachdenkt.

Wer eine historische Würdigung der Ereignisse von 17.-18. Juli geben will, der kann die Augen nicht zumachen auf die frappierende Ähnlichkeit der beiden Bewegungen, der vom 3.-4. Mai und der vom 16.-17. Juli. In beiden Fällen eine spontane, elementare Explosion der Massen. In beiden Fällen gehen die Massen bewaffnet auf die Straßen. In beiden Fällen ist es eine Demonstration spezieller Art (die Besonderheiten sind oben genannt), eine Demonstration gegen die Regierung, in Folge einer tiefen und andauernden Krise, in der Regierung.

In beiden Fällen eine Verschärfung des Kampfes zwischen den revolutionären Massen und konterrevolutionären Elementen der Bourgeoisie, dabei verschwinden die Zwischenelemente, die zum Kompromiss neigen, vollkommen. Der Unterschied ist nur der dass die zweite Bewegung viel schärfer, als die erste ist und dass die Parteien, die der Sozialisten-Revolutionäre und die der Menschewiki die neutral während der Ereignisse des 4.-5. Mai waren, seither vollkommen in eine Abhängigkeit von den konterrevolutionären Kadetten (durch das Koalitionsministerium und die Politik der Offensive) geraten und sich deswegen während der Ereignisse vom 16.-17. Juli auf die Seite der Konterrevolution schlugen.

Die konterrevolutionäre Partei der Kadetten hat nach den Ereignissen des 4.-5. Mai eben so unverschämt gelogen und gezetert „auf dem Newski Prospekt haben die Leninisten geschossen" und mit Komödiantengesten forderten sie eine Untersuchung. Die Kadetten und ihre Freunde hatten die Mehrheit in der Regierung, die Untersuchung war also vollkommen in ihren Händen. Und siehe da, die Untersuchung wurde angefangen und dann hat man von ihr gelassen und nichts veröffentlicht.

Weswegen? Selbstverständlich deswegen, weil die Tatsachen nicht das besagten, was die Kadetten zu finden wünschten. Mit anderen Worten: die Untersuchung über die Ereignisse des 4.-5, Mai wurde „vertuscht", denn die Untersuchung zeigte, dass es die konterrevolutionären Kadetten und ihre Freunde waren, die geschossen haben. Das ist klar.

Genau dasselbe war auch am 16.-17. Juli und deswegen ist die Fälschung des Herren Staatsanwalt, der, um ein Vergnügen den Herren Zeretelli und Co. zu bereiten, jede Bedingung einer ehrlichen Untersuchung verletzt: grob und läppisch.

Die Bewegung vom 16.-17. Juli war der letzte Versuch, auf dem Wege einer Manifestation die Sowjets zu veranlassen, die Regierungsmacht in ihre Hände zu nehmen. Von diesen Augenblick an haben die Sowjets, d. h. die in ihnen herrschenden Menschewiki und Sozialisten-Revolutionäre faktisch die Macht in die Hände der Konterrevolution d. h. Kadetten, die von diesen Soz-Rev. und Menschewiki unterstützt sind, ausgeliefert. Jetzt ist die friedliche Entwicklung der Revolution in Russland nicht mehr möglich und die Geschichte hat eine neue Frage aufgeworfen: entweder der vollkommene Sieg der Konterrevolution, oder eine neue Revolution.

III.

Die. Anklage wegen Spionage und Verbindung mit Deutschlands ist ein reiner „Beilisprozess" und ich werde die Sache nur kurz fassen. Hier wiederholt die „Untersuchung" einfach die Verleumdung des bekannten Verleumders Alexinski und fälscht besonders grob die Tatsachen.

Es ist falsch, dass man in Österreich. 1914 mich und Sinowjew verhaftet hat. Verhaftet wurde nur ich.

Es ist nicht wahr, dass ich als russischer Staatsangehöriger verhaftet wurde, Ich wurde als. der Spionage verdächtig festgenommen: der dortige Gendarm hielt die Diagramme der agrarischen Statistik in meinen Haften für „Pläne". Der österreichische Gendarm und Herr Alexinski und die Gruppe „Einheit" stehen, wie sie sehen, auf demselben Niveau. Ich habe allerdings den Rekord in den Verfolgungen der Internationalisten geschlagen, den ich wurde von beiden Koalitionsgruppen als Spion verfolgt; in Österreich vom Gendarmen und in Russland vom Alexinski, Kadetten und Co.

Es ist falsch, dass in meiner Befreiung Hanecki eine Rolle gespielt hat. Die Rolle spielte Viktor Adler, der die österreichische Behörden beschämte. Eine Rolle spielten die Polen, die sich schämten, dass in ihren Lande eine niederträchtige Verhaftung eines russischen Revolutionärs möglich war.

Eine niederträchtige Lüge ist es, das ich in irgend welcher Verbindung mit Parvus stand, dass ich in die Gefangenenlager reiste usw. Nicht ähnliches fand statt und konnte auch nicht stattfinden. Parvus wurde in unser Zeitung „Sozialdemokrat" gleich nach dem Erscheinen der paar ersten Nummer seiner „Glocke" als Renegat, als ein deutscher Plechanow, charakterisiert. Parvus ist genau so ein Sozialpatriot auf Seiten Deutschlands, wie Plechanow ein Sozialpatriot auf Seiten Russlands ist. Als revolutionäre Internationalisten haben wir nichts gemeinsames weder mit den deutschen, noch mit den russischen noch mit den ukrainischen (Bund der Befreiung der Ukraine) Sozialpatrioten und konnten auch nichts haben.

Steinberg1 ist ein Mitglied des Emigrantenkomitees in Stockholm und als solcher kam er ungefähr am 3. Mai nach Petrograd und bemühte sich, wenn ich mich recht erinnere, um ein Subsidium für dieses Komitee. Das konnte der Staatsanwalt ohne Mühe feststellen, wenn er es nur feststellen irgendwie wollte.

Der Staatsanwalt baut sein Spiel folgender Weise auf: Parvus stand in Verbindung mit Hanecki, Hanecki aber ist aber mit Lenin verbunden. Das sind aber direkt spitzbübische Methoden, denn jeder weiß, dass Hanecki mit Parvus in Geschäftsverbindungen stand, wir aber standen in keinen Geschäftsverbindungen mit Hanecki.

Hanecki hatte als Kaufmann eine Stelle bei Parvus gehabt, sie führten zusammen Handel. Aber eine ganze Reihe russischer Emigranten, die ihre Namen in der Presse angegeben haben, erklärten dass sie in den wissenschaftlichen und Handelsunternehmen von Parvus Ämter bekleideten.

Der Staatsanwalt baut sein Spiel darauf, dass die Handelskorrespondenz einer Spionagekorrespondenz als Deckmantel dienen konnte. Es wäre doch interessant zu untersuchen wie viel Mitglieder der Parteien der Kadetten, der Menschewiki und der Sozialisten-Revolutionäre auf dieses Rezept hin für eine Handelskorrespondenz verhaftet sein müssten. Wenn aber der Staatsanwalt in seinen Händen die Telegramme zwischen Hanecki und Sumenson2 hat (diese Telegramme sind teilweise veröffentlicht) wenn der Staatsanwalt weiß, in welcher Bank, wann und wie viel Geld (und der Staatsanwalt hat ein paar Ziffer angegeben) Sumenson gehabt hat, weswegen konnte denn der Staatsanwalt zur Untersuchung nicht 2, 3 Bankbeamte zuziehen, die ihm in 2 Tagen einen vollen Auszug aus den Bank und Handelsbüchern verfertigt hätten?

Kaum deckt eine andere Tatsache den „Beilisprozess"-Charakter dieser Affäre so krass auf, wie eben dieses Publizieren vereinzelter Positionen und Ziffern. „Sumenson hatte während einen Jahre auf ihrem Konto 750.000 gehabt es sind ihr 180.000 geblieben". Wenn man Ziffern angibt, weswegen konnte man nicht voll veröffentlichen: wann und was für Waren in die Hände Sumensons kamen.

Was war leichter und einfacher als diese Ziffern zusammenzustellen? Das konnte man und das sollte man in 2–5 Tagen tun. Das hätte auf einen Schlag den ganzen Kreislauf der Handelsgeschäfte Hanecki-Sumenson entdeckt! Das hatte doch kein Platz für dunkle und schmutzige Verdächtigungen gelassen, mit denen der Heer Staatsanwalt arbeitet.

Die schmutzige, niederträchtige Verleumdung eines Alexinski, präpariert als „Staatsdokument" von den Beamten des Ministeriums Zeretelli und Co, – so niedrig sind die Sozialisten-Revolutionäre und die Menschewiki gefallen!

IV.

Es wäre die größte Naivität, die „Prozesse", die Minister Kerenski, Zeretelli und Co. anstrengen, als wirklich existierende zu betrachten. Das wäre eine konstitutionelle Illusion, die einfach nicht zu entschuldigen wäre.

Indem die Sozialisten-Revolutionäre und die Menschewiki eine Koalition mit den konterrevolutionären Kadetten am 19. Mai geschlossen und die Politik der Offensive, d. h. der Weiterführung und Verlängerung des imperialistischen Kriege geführt haben, wurden sie naturgemäß zu Gefangenen der Kadetten..

Als Gefangene müssten sie die schmutzigsten Affären der Kadetten, alle ihre niederträchtige, verleumderische Hetzkampagnen mitmachen.

Die „Affäre" Tschernow zeigt schon, wohin der Wind weht. Und öffnet die Augen den Zurückgebliebenen, d. h. bestätigt die Richtigkeit unseres Standpunktes. Und nach der Affäre Tschernow kommt Zeretelli an die Reihe, die Rjetsch führt gegen ihn eine Kampagne als gegen einen „Heuchler" und „Zimmerwaldisten".

Jetzt endlich werden auch die Blinden sehen und die Steine werden sprechen:

Die Konterrevolution sammelt ihre Kräfte.

Die Kadetten, das ist die Wirbelsäule dieser Konterrevolution. Der Stab und die Kriegskommandeure und Kerenski sind in ihren Händen, die reaktionäre Presse in ihren Diensten – das sind die Helfershelfer der bürgerlichen Konterrevolution. Die niederträchtige Verleumdung der politischen Gegner werden dem Proletariat helfen, klar zu erblicken, wo die Konterrevolution steckt und sie im Namen der Freiheit, des Friedens, des Brots für die Hungernden, des Grund und Bodens für die Bauern wegzufegen.

1 Im Anklageakt wird ein Telegramm Haneckis an Lenin zitiert, in dem vor der Taktlosigkeit Steinbergs gewarnt wird, der sich um Subsidien in Petrograd bewerbe.

Red. Bote.

2 Frau Sumenson hat nichts mit der bolschewistischen Partei zu schaffen. Sie ist Prokurentin einer Firma.

Red. Bote.

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