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Wladimir I. Lenin 19170929 Die russische Revolution und der Bürgerkrieg

Wladimir I. Lenin: Die russische Revolution und der Bürgerkrieg

Man schreckt mit dem Bürgerkrieg

[„Rabotschij Putj", Nr. 12, 29. (16.) September 1917 Gezeichnet: N. Lenin. Nach Sämtliche Werke, Band 21, Wien-Berlin 1931, S. 253-268]

Die Bourgeoisie, erschreckt darüber, dass die Menschewiki und Sozialrevolutionäre die Koalition mit den Kadetten abgelehnt haben,1 dass die Demokratie am Ende sehr gut auch ohne sie eine Regierung bilden und Russland gegen sie regieren könnte, versucht mit allen Kräften, die Demokratie einzuschüchtern.

Schreckt nur möglichst eifrig! – das ist die Losung der ganzen bürgerlichen Presse. Schreckt aus allen Kräften! Lügt, verleumdet, aber schreckt!

Die „Birschowka" schreckt mit erfundenen Nachrichten über bolschewistische Aktionen. Man schreckt mit Gerüchten über den Rücktritt Alexejews und über die Gefahr eines deutschen Durchbruchs nach Petrograd. Als ob die Tatsachen nicht bewiesen hätten, dass gerade die Kornilowgenerale (zu denen unbedingt auch Alexejew gehört) fähig sind, die Front den Deutschen in Galizien wie auch bei Riga und bei Petrograd zu öffnen, dass gerade die Kornilowgenerale den Hass der Armee gegen das Hauptquartier am meisten nähren.2

Diese Methode der Einschüchterung der Demokratie versucht man durch den Hinweis auf die Gefahr eines „Bürgerkriegs" „solider" und überzeugender zu gestalten. Von allen Arten der Einschüchterung ist wohl das Schrecken mit dem Bürgerkrieg die meist verbreitete. Das Rostower Komitee der Partei der Volksfreiheit hat in einer Resolution vom 1. September diesen landläufigen, in Spießerkreisen sehr beliebten Gedanken auf folgende Art formuliert (Nr. 210 der „Rjetsch"):

„… Das Komitee ist überzeugt, dass ein Bürgerkrieg alle Errungenschaften der Revolution wegfegen und unsere junge, noch nicht erstarkte Freiheit in Strömen Blutes ertränken kann, und glaubt darum, dass gegen eine durch unerfüllbare sozialistische Utopien diktierte Vertiefung der Revolution im Interesse der Wahrung der revolutionären Errungenschaften energischer Protest erhoben werden muss …"3

Hier ist in klarster, genauester, wohldurchdachter und ausführlicher Form der Grundgedanke ausgedrückt, der in den Leitartikeln der „Rjetsch", in den Artikeln Plechanows und Potressows, in den Leitartikeln der menschewistischen Blätter usw. unzählige Male vorkommt. Es wird darum nicht ohne Nutzen sein, bei diesem Gedanken zu verweilen.

Wir wollen versuchen, die Frage des Bürgerkriegs unter anderem auf Grund der bereits erworbenen halbjährigen Erfahrung unserer Revolution konkreter zu untersuchen.

Diese Erfahrung zeigt uns, in vollem Einklang mit der Erfahrung aller europäischen Revolutionen seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, dass der Bürgerkrieg die schärfste Form des Klassenkampfes ist, wo sich eine Reihe wirtschaftlicher und politischer Schlachten und Zusammenstöße solange wiederholen, häufen, erweitern und verschärfen, bis diese Zusammenstöße sich in den bewaffneten Kampf der einen Klasse gegen die andere verwandeln. Am häufigsten – man kann sogar sagen fast ausschließlich – kommt in einigermaßen freien und vorgeschrittenen Ländern der Bürgerkrieg zwischen jenen Klassen vor, deren Gegensätze durch die ganze wirtschaftliche Entwicklung des Kapitalismus, durch die ganze Geschichte der modernen Gesellschaft in der ganzen Welt geschaffen und vertieft werden: zwischen Bourgeoisie und Proletariat.

So haben wir auch in dem vergangenen Halbjahr unserer Revolution am 20.-21. April und 3.-4. Juli sehr heftige spontane Ausbrüche erlebt, die der Eröffnung des Bürgerkriegs durch das Proletariat sehr nahe kamen. Der Kornilowaufstand dagegen stellte eine militärische Verschwörung dar, die, von den Gutsbesitzern und Kapitalisten mit der Partei der Kadetten an der Spitze unterstützt, bereits zur faktischen Eröffnung des Bürgerkriegs von Seiten der Bourgeoisie geführt hat.

Dies sind die Tatsachen, dies ist die Geschichte unserer eigenen Revolution. Vor allem aus dieser Geschichte müssen wir lernen, vor allem über ihren Gang und ihre Klassenbedeutung müssen wir nachdenken.

Versuchen wir, die Ansätze des Bürgerkriegs des Proletariats mit den Ansätzen des Bürgerkriegs der Bourgeoisie in Russland vom Standpunkt: 1. der Spontaneität der Bewegung, 2. ihrer Ziele, 3. des Bewusstseinsgrades der an der Bewegung beteiligten Massen, 4. der Kräfte der Bewegung, 5. ihrer Zähigkeit zu vergleichen. Wir sind der Meinung, dass der Bewusstseinsgrad der ganzen russischen Revolution sehr viel gewinnen würde, wenn alle Parteien, die jetzt fortwährend mit dem Worte „Bürgerkrieg" um sich werfen, die Frage so stellten und versuchten, die Ansätze zum Bürgerkrieg faktisch zu untersuchen.

Beginnen wir mit der Spontaneität der Bewegung. Für den 3.-4. Juli stehen uns die Aussagen solcher Zeugen zur Verfügung, wie die menschewistische „Rabotschaja Gazeta" und das Sozialrevolutionäre „Djelo Naroda", die die Tatsache einer spontanen Entstehung der Bewegung zugegeben haben. Diese Zeugenaussagen habe ich in einem Artikel im „Proletarskoje Djelo" angeführt, der unter dem Titel „Antwort an die Verleumder" als Einzelflugblatt erschienen ist. Trotzdem stellen die Menschewiki und Sozialrevolutionäre aus ganz begreiflichen Gründen, nämlich um sich und ihre Beteiligung an der Verfolgung der Bolschewiki zu rechtfertigen, offiziell nach wie vor die Spontaneität des Ausbruchs vom 3.-4. Juli in Abrede.

Lassen wir zunächst das Strittige beiseite. Befassen wir uns mit dem Unstrittigen. Die Spontaneität der Bewegung vom 20. bis 21. April wird von niemand bestritten. Dieser spontanen Bewegung schloss sich die Partei der Bolschewiki mit der Losung an: „Alle Macht den Räten", und ganz unabhängig von ihr schloss sich der verstorbene Linde an, der dreißigtausend zur Verhaftung der Regierung bereite, bewaffnete Soldaten auf die Straße führte. (Übrigens ist, nebenbei gesagt, diese Tatsache der Hinausführung der Truppen auf die Straße nicht untersucht und nicht studiert worden. Denkt man aber darüber nach und bringt den 20. April in den historischen Zusammenhang der Ereignisse, d. h. betrachtet man ihn als das Glied einer Kette, die sich vom 27. Februar bis zum 29. August hinzieht, so wird es klar, dass der Fehler und die Schuld der Bolschewiki in ihrer ungenügend revolutionären Taktik bestand, nicht aber darin, dass unsere Taktik übermäßig revolutionär war, wie uns von den Spießern zum Einwurf gemacht wird.)

Die Spontaneität der Bewegung, die bis zur Eröffnung des Bürgerkrieges durch das Proletariat ging, ist also nicht zu bezweifeln. Dagegen gibt es in der Kornilowiade nichts, was der Spontaneität auch nur annähernd ähnlich sähe: dort gab es nur eine Verschwörung von Generalen, die darauf spekulierten, einen Teil der Truppen durch Täuschung und durch die Befehlsgewalt mit sich zu reißen.

Dass die Spontaneität einer Bewegung ein Zeichen ihres tiefen Verwurzeltseins in den Massen, der Festigkeit ihrer Wurzeln, ihrer Unausrottbarkeit ist, unterliegt keinem Zweifel. Was die Tatsachen vom Gesichtspunkt der Spontaneität der Bewegung beweisen, ist, dass die proletarische Revolution bodenständig, die bürgerliche Konterrevolution wurzellos ist.

Betrachten wir die Ziele der Bewegung. Der 20.-21. April kam den bolschewistischen Losungen am nächsten. Aber der 3.-4. Juli entstand geradezu im Zusammenhang mit diesen Losungen, unter ihrem Einfluss und ihrer Führung. Die Partei der Bolschewiki sprach ganz unverhüllt, bestimmt, klar, unzweideutig und öffentlich sowohl in ihren Zeitungen wie in ihrer mündlichen Agitation von der Diktatur des Proletariats und der ärmsten Bauernschaft, vom Frieden und vom sofortigen Friedensangebot, von der Beschlagnahme des Großgrundbesitzes, also von den wichtigsten Zielen des proletarischen Bürgerkriegs.

Die Ziele der Kornilowiade kennen wir alle, und es stellt auch unter den Demokraten niemand in Abrede, dass diese Ziele in der Diktatur der Gutsbesitzer und der Bourgeoisie, in der Auflösung der Räte, in der Vorbereitung einer monarchistischen Restauration bestanden. Die Partei der Kadetten, diese Hauptpartei der Kornilow-Leute (man sollte sie übrigens von jetzt an Kornilow Partei nennen), die über eine größere Presse und über größere agitatorische Kräfte verfügen als die Bolschewiki, hat es niemals gewagt und wird es niemals wagen, dem Volk offen von einer Diktatur der Bourgeoisie, von einer Auflösung der Räte oder überhaupt von den Kornilowschen Zielen zu sprechen!

Hinsichtlich der Ziele der Bewegung beweisen die Tatsachen, dass der proletarische Bürgerkrieg mit einer offenen Mitteilung seiner Endziele vor das Volk treten kann und sich dadurch die Sympathien der Werktätigen erwirbt, während der Bürgerkrieg der Bourgeoisie nur durch Verschleierung seiner Ziele versuchen kann, einen Teil der Masse an sich zu ziehen; daher der ungeheure Unterschied in der Frage des Bewusstseinsgrades der Massen.

Objektive Angaben über diese Frage gibt es, wie es scheint, ausschließlich im Zusammenhang mit der Parteizugehörigkeit und den Wahlen. Andere Tatsachen, die ein genaues Urteil über den Bewusstseinsgrad der Massen zulassen, scheint es keine zu geben. Dass die proletarisch-revolutionäre Bewegung unter der Führung der Bolschewiki und die bürgerlich-konterrevolutionäre unter der Führung der Kadetten steht, ist klar und kann nach den halbjährigen Erfahrungen der Revolution schwerlich bestritten werden. Drei Vergleiche tatsächlicher Art können zur betrachteten Frage angeführt werden. Eine Gegenüberstellung der Wahlen zu den Petrograder Bezirksdumaversammlungen im Mai mit den Stadtdumawahlen im August ergibt eine Verminderung der Kadettenstimmen und ein ungeheures Anwachsen der bolschewistischen Stimmen. Die Presse der Kadetten gibt zu, dass im Allgemeinen dort, wo die großen Massen der Arbeiter oder Soldaten sind, auch die Stärke des Bolschewismus liegt.

Ferner kann der Grad des Bewusstseins in der Beteiligung der Massen an der Partei in Ermangelung jeder Statistik der Parteimitgliederbewegung und des Versammlungsbesuchs usw. auf Grund von Tatsachen nur nach den veröffentlichten Mitteilungen über Geldsammlungen für die Partei beurteilt werden. Diese Mitteilungen zeigen den ungeheuren Massenheroismus der bolschewistischen Arbeiter bei der Sammlung von Geldmitteln für die „Prawda", für die verbotenen Zeitungen usw. Die Berichte über die Sammlungen sind stets veröffentlicht worden. Bei den Kadetten sehen wir nichts dergleichen. Ihre Parteiarbeit wird, das liegt auf der Hand, durch Spenden der Reichen genährt. Keine Spur einer aktiven Unterstützung durch die Massen.

Wenn man endlich die Bewegungen des 20.-21. April und des 3.-4. Juli mit der Kornilowiade vergleicht, so sieht man, dass die Bolschewiki die Massen auf ihre Feinde im Bürgerkrieg, d. h. auf die Bourgeoisie, die Gutsbesitzer und Kapitalisten, offen hinweisen. Die Kornilowiade hat bereits bewiesen, dass die Truppen, die Kornilow Gefolgschaft leisteten, direkt betrogen worden sind. Dieser Betrug wurde jedoch bei der ersten Begegnung der „wilden Division" und der Kornilowschen Truppentransporte mit den Petrogradern entlarvt.

Weiter. Welche Belege gibt es für die Kraft des Proletariats und der Bourgeoisie im Bürgerkrieg? Die Stärke der Bolschewiki liegt nur in der Zahl und im Klassenbewusstsein der Proletarier, in den Sympathien der Sozialrevolutionären und menschewistischen „Unterschichten" (d. h. der Arbeiter und ärmsten Bauern) für die bolschewistischen Losungen. Dass faktisch gerade diese Losungen die Mehrheit der aktiven revolutionären Massen in Petrograd am 20.-21. April, am 18. Juni und am 3. bis 4. Juli mit sich rissen, ist eine Tatsache.

Dabei bestätigt der Vergleich der Daten über die „Parlaments"-Wahlen mit den Daten über die genannten Massenbewegungen in Bezug auf Russland die im Westen oft beobachtete Tatsache, dass die Stärke des revolutionären Proletariats vom Gesichtspunkt der Einwirkung auf die Massen und ihr Mitreißen in den Kampf im außerparlamentarischen Kampf unvergleichlich viel größer ist als im parlamentarischen. Diese Beobachtung ist von großer Wichtigkeit für die Frage des Bürgerkriegs.

Es ist begreiflich, warum alle Bedingungen und alle Umstände des parlamentarischen Kampfes und der Wahlen die Stärke der unterdrückten Klassen kleiner erscheinen lassen als die Kraft, die diese im Bürgerkrieg tatsächlich entfalten können.

Die Stärke der Kadetten und der Kornilowiade liegt in der Kraft des Reichtums. Dass das englisch-französische Kapital und der Imperialismus für die Kadetten und für die Kornilow-Leute sind, beweisen eine lange Reihe politischer Aktionen und die Presse. Es ist allgemein bekannt, dass die ganze „Rechte" der Moskauer Beratung am 12. August hemmungslos für Kornilow und Kaledin eintrat. Es ist allgemein bekannt, wie die französische und englische bürgerliche Presse Kornilow unterstützte. Es gibt auch Anzeichen dafür, dass er von den Banken unterstützt wurde.

Die ganze Macht des Reichtums stand hinter Kornilow, und wie rasch und jämmerlich war doch sein Zusammenbruch! Außer den reichen Leuten sind bei den Kornilow-Leuten nur zwei gesellschaftliche Kräfte festzustellen: die „wilde Division" und die Kosaken. Im ersten Fall handelt es sich nur um die Macht der Unwissenheit und der Täuschung. Diese Macht ist um so gefährlicher, je mehr die Presse in den Händen der Bourgeoisie bleibt. Durch einen Sieg im Bürgerkrieg würde das Proletariat diese „Kraft“-Quelle sofort und radikal unterbinden.

Was die Kosaken betrifft, so haben wir hier eine aus reichen kleinen oder mittleren Landbesitzern (der durchschnittliche Landbesitz beträgt ungefähr fünfzig Desjatinen) bestehende Bevölkerungsschicht eines Randgebiets Russlands, die in ihrem Leben, ihrer Wirtschaft und ihren Sitten besonders viel mittelalterliche Züge bewahrt hat. Man kann darin die sozial-ökonomische Basis einer russischen Vendée erblicken. Was haben aber die Tatsachen der Kornilow-Kaledin-Bewegung gezeigt? Sogar Kaledin, der von den Gutschkow, Miljukow, Rjabuschinski und Co. unterstützte „geliebte Führer", hat eine Massenbewegung doch nicht auszulösen vermocht!! Kaledin ging viel „direkter", viel geradliniger auf den Bürgerkrieg aus als die Bolschewiki. Kaledin fuhr direkt zum Don, ihn in Bewegung zu bringen. Und trotzdem hat Kaledin eine Massenbewegung in „seiner" Heimat, in dem von der allrussischen Demokratie abgeschlossenen Kosakengebiet, nicht entfacht. Dagegen sehen wir spontane Ausbrüche einer Bewegung des Proletariats im Mittelpunkt des Einflusses und der Kraft der antibolschewistischen allrussischen Demokratie.

Es existieren keine objektiven Angaben über die Stellung der verschiedenen Schichten und der verschiedenen wirtschaftlichen Gruppen der Kosaken zur Demokratie und zum Kornilow-Aufstand Es gibt nur Hinweise darauf, dass die Mehrheit der armen und mittleren Kosaken mehr zur Demokratie hinneigen und nur die Offiziere mit den Spitzen der reichen Kosaken unbedingte Anhänger Kornilows sind.

Wie dem auch sei, nach dem 26.–31. August kann die große Schwäche der Massenbewegung der Kosaken zu Gunsten der bürgerlichen Konterrevolution als historisch bewiesen gelten.

Es bleibt die letzte Frage: die Zähigkeit der Bewegung. Was die bolschewistische, proletarisch-revolutionäre Bewegung betrifft, so haben wir die bewiesene Tatsache, dass der Kampf gegen den Bolschewismus während des halbjährigen Bestehens der Republik in Russland sowohl mit geistigen Waffen geführt wurde, wobei das ungeheure Übergewicht der Presseorgane und agitatorischen Kräfte auf Seiten der Gegner des Bolschewismus war (und wobei man auch den Verleumdungsfeldzug kühn zu den „geistigen Waffen" zählt), als auch durch Repressalien: Verhaftungen Hunderter, Zerstörung der zentralen Druckerei, Verbot des Zentralorgans und einer Reihe anderer Zeitungen. Das Ergebnis zeigen die Tatsachen: die ungeheure Stärkung des Bolschewismus bei den Augustwahlen in Petrograd, ferner die Stärkung der dem Bolschewismus nahestehenden internationalistischen und „linken" Tendenzen in der Sozialrevolutionären und der menschewistischen Partei. Die Zähigkeit der proletarisch-revolutionären Bewegung im republikanischen Russland ist also sehr groß. Die Tatsachen besagen, dass die vereinten Kräfte der Kadetten, Sozialrevolutionäre und Menschewiki diese Bewegung nicht im Geringsten schwächen konnten. Im Gegenteil hat gerade die Koalition der Kornilow-Leute mit der „Demokratie" den Bolschewismus gestärkt. Außer einer ideellen Einwirkung und Repressalien kann es keine anderen Kampfmittel gegen die proletarisch-revolutionäre Strömung geben.

Über die Zähigkeit der Kornilow- und Kadettenbewegung fehlen uns vorläufig die Angaben. Verfolgungen haben die Kadetten überhaupt nicht erlebt. Sogar Gutschkow wurde freigelassen, nicht einmal Maklakow und Miljukow wurden verhaftet. Nicht einmal die „Rjetsch" wurde verboten. Die Kadetten werden geschont. Die Regierung Kerenski macht den Kornilow-Leuten, den Kadetten den Hof. Und wenn man die Frage so stellt: nehmen wir an, die englisch-französischen und die russischen Rjabuschinskis stiften den Kadetten, dem „Jedinstwo", dem „Djen" usw. weitere Millionen und aber Millionen für eine neue Wahlkampagne in Petrograd, – ist es in diesem Falle wahrscheinlich, dass die Zahl ihrer Stimmen sich jetzt nach der Kornilow-Affäre vergrößern würde? Nach den Versammlungen usw. zu urteilen, wird man diese Frage wohl negativ beantworten müssen …

Fassen wir unseren Vergleich der Tatsachen aus der Geschichte der russischen Revolution zusammen, so kommen wir zu dem Schluss, dass die Eröffnung des Bürgerkriegs von Seiten des Proletariats die Kraft, Zielbewusstheit, Bodenständigkeit, Ausdehnung und Widerstandsfähigkeit der Bewegung offenbart hat. Die Eröffnung des Bürgerkrieges von Seiten der Bourgeoisie offenbarte keinerlei Kraft, keinerlei Zielbewusstheit von Massen, keinerlei Bodenständigkeit, keinerlei Aussichten auf einen Sieg.

Das Bündnis der Kadetten mit den Sozialrevolutionären und Menschewiki gegen die Bolschewiki, d. h. gegen das revolutionäre Proletariat, ist mehrere Monate hindurch in der Praxis erprobt worden. Die Praxis hat gezeigt, dass dieses Bündnis der vorübergehend untergekrochenen Kornilow-Leute mit der „Demokratie" in Wirklichkeit nicht zur Schwächung, sondern zur Stärkung der Bolschewiki, zu einem Zusammenbruch der „Koalition", zu einer Stärkung der „linken" Opposition auch bei den Menschewiki geführt hat.

Ein Bündnis der Bolschewiki mit den Sozialrevolutionären und Menschewiki gegen die Kadetten, gegen die Bourgeoisie ist noch nicht erprobt. Oder, um es genauer zu fassen, ein solches Bündnis ist nur an einer Front erprobt worden, nur in den fünf Tagen vom 26. bis 31. August, während der Kornilow-Affäre. In dieser Zeit ergab dieses Bündnis einen völligen, mit einer bisher in keiner Revolution erlebten Leichtigkeit davongetragenen Sieg über die Konterrevolution. Es ergab eine so vernichtende Niederlage der bürgerlichen, gutsbesitzerlichen, kapitalistischen entente-imperialistischen und kadettischen Konterrevolution, dass der Bürgerkrieg an dieser Front zu Staub zerfiel, gleich am Anfang zunichte wurde und zerfiel, noch bevor es zu irgendeinem „Kampfe" hätte kommen können.

Angesichts dieser historischen Tatsache schreit die ganze bürgerliche Presse mit allen ihren Nachbetern (Plechanow, Potressow, Breschko-Breschkowskaja usw.) aus allen Kräften, dass gerade das Bündnis der Bolschewiki mit den Menschewiki und Sozialrevolutionären die Schrecken eines Bürgerkriegs heraufbeschwöre …

Es wäre lächerlich, wenn es nicht so betrüblich wäre. Betrüblich ist, dass eine solche offenkundige, sinnfällige, himmelschreiende Absurdität, eine solche Verhöhnung der Tatsachen der ganzen Geschichte unserer Revolution überhaupt Zuhörer findet Es beweist die noch immer ungeheure Verbreitung der bürgerlich eigennützigen Lüge (die unvermeidlich ist, solange die Presse von der Bourgeoisie monopolisiert ist), einer Lüge, die die unzweifelhaftesten, handgreiflich unstrittigsten Lehren der Revolution überwuchert und übertönt.

Wenn es eine absolut unstrittige, durch die Tatsachen restlos bewiesene Lehre der Revolution gibt, so nur die, dass ausschließlich ein Bündnis der Bolschewiki mit den Sozialrevolutionären und Menschewiki, ausschließlich der sofortige Übergang der ganzen Macht in die Hände der Räte einen Bürgerkrieg in Russland unmöglich macht. Denn gegen ein solches Bündnis, gegen die Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputiertenräte ist kein von der Bourgeoisie eingeleiteter Bürgerkrieg auch nur denkbar, ein solcher „Krieg" würde es nicht einmal bis zur ersten Schlacht bringen, die Bourgeoisie würde nach der Kornilow-Affäre ein zweites Mal nicht einmal eine „wilde Division", nicht einmal die frühere Anzahl von Kosakenabteilungen vorfinden, um eine Bewegung gegen die Räteregierung unternehmen zu können.

Die friedliche Entwicklung jeder Revolution ist überhaupt eine sehr seltene und schwierige Sache, denn die Revolution ist die maximale Zuspitzung der schärfsten Klassengegensätze. Aber in einem Agrarland, in dem ein Bündnis zwischen Proletariat und Bauernschaft den durch einen ungerechten und verbrecherischen Krieg zermarterten Massen den Frieden und den Bauern den ganzen Boden geben kann, – in einem solchen Lande, in einem so ungewöhnlichen historischen Augenblick ist die friedliche Entwicklung der Revolution, wenn die ganze Macht an die Räte übergeht, möglich und wahrscheinlich. Innerhalb der Räte kann der Machtkampf der Parteien friedlich verlaufen, wenn die Räte ganz demokratisch sind, wenn sie auf solche „kleinen Diebstähle", auf eine solche „Beschneidung" der demokratischen Prinzipien verzichten, wie bei den Soldaten die Gewährung eines Vertreters auf je fünfhundert Wähler, bei den Arbeitern aber auf je tausend Wähler. In der demokratischen Republik sind solche kleinen Diebstähle zum Verschwinden verurteilt.

Den Räten gegenüber aber, die den ganzen Grund und Boden ohne Ablösung den Bauern übergeben und allen Völkern einen gerechten Frieden vorschlagen, solchen Räten gegenüber ist jenes Bündnis der englisch-französischen und der russischen Bourgeoisie, der Kornilow, Buchanan und Rjabuschinski, Miljukow, Plechanow und Potressow ganz ohnmächtig, ganz ungefährlich.

Ein Widerstand der Bourgeoisie gegen die entschädigungslose Übergabe des Bodens an die Bauern, gegen ähnliche Umgestaltungen auf anderen Lebensgebieten, gegen einen gerechten Frieden und einen Bruch mit dem Imperialismus ist selbstverständlich unvermeidlich. Aber damit dieser Widerstand sich bis zum Bürgerkrieg steigere, bedarf es irgendwelcher kampffähiger Massen, die fähig sind zu kämpfen und die Räte zu besiegen. Über solche Massen aber verfügt die Bourgeoisie nicht, und sie kann sie auch nicht auftreiben. Je früher und je entschlossener die Räte die ganze Macht ergreifen, um so rascher werden sich sowohl die „wilden Divisionen" als auch die Kosaken spalten, in eine verschwindende Minderheit zielbewusster Kornilowisten und in eine überwältigende Mehrheit der Anhänger eines demokratischen und sozialistischen (denn gerade vom Sozialismus wird dann die Rede sein) Bündnisses zwischen Arbeitern und Bauern.

Übernehmen die Räte die Macht, so wird der Widerstand der Bourgeoisie dazu führen, dass jeder Kapitalist von Dutzenden und Hunderten Arbeitern und Bauern beobachtet, überwacht, kontrolliert wird, deren eigenste Interessen den Kampf gegen die Beschwindelung des Volkes durch die Kapitalisten erfordern. Die Formen und Methoden dieser Überwachung und Kontrolle sind gerade durch den Kapitalismus ausgearbeitet und vereinfacht worden, gerade durch solche Schöpfungen des Kapitalismus, wie die Banken, Großbetriebe, Syndikate, Eisenbahnen, Post, Konsumgenossenschaften und Gewerkschaften. Die Räte werden sich damit begnügen können, die Kapitalisten, die sich einer genauen Kontrolle entziehen oder das Volk betrügen, mit der Konfiszierung ihres ganzen Eigentums und einer kurzfristigen Haft zu bestrafen, um jeden Widerstand der Bourgeoisie auf diesem unblutigen Wege zu brechen. Denn gerade durch die Banken, wenn diese nationalisiert sind, durch die Angestelltenverbände, durch die Post, durch die Konsumgenossenschaften, durch die Gewerkschaften wird die Kontrolle allumfassend, allmächtig, allgegenwärtig, unentrinnbar werden.

Und die russischen Räte, das Bündnis der russischen Arbeiter und ärmsten Bauern, stehen in ihren Schritten zum Sozialismus nicht allein. Wären wir allein, so würden wir diese Aufgabe nicht friedlich und bis zuletzt bewältigen, denn diese Aufgabe ist ihrem Wesen nach international. Aber wir verfügen über eine ungeheure Reserve, über die Armee der fortgeschritteneren Arbeiter der anderen Länder, in denen der Bruch Russlands mit dem Imperialismus und dem imperialistischen Krieg unvermeidlich die in ihnen heranreifende sozialistische Arbeiterrevolution beschleunigen wird.

Man spricht von den „Blutströmen" des Bürgerkriegs. Das steht in der oben erwähnten Resolution der kornilowistischen Kadetten. Dieselbe Phrase wird in tausend Tonarten von allen Bourgeois und Opportunisten wiederholt. Die klassenbewussten Arbeiter lachen darüber und werden darüber lachen, sie können nach der Kornilowiade gar nichts anderes tun.

Aber die Frage der „Ströme Blutes" soll und muss in der Kriegszeit, in der wir leben, auf den Boden einer ungefähren Abschätzung der Kräfte, einer Abschätzung der Folgen und Ergebnisse gestellt werden, man muss sie ernst nehmen, nicht als hohle, landläufige Phrase, nicht allein als Heuchelei der Kadetten, die ihrerseits alles taten, um es Kornilow zu ermöglichen, Russland mit Strömen Blutes zu überschwemmen, im Interesse der Wiederaufrichtung der Diktatur der Bourgeoisie, der Macht der Gutsbesitzer und der Monarchie.

Man spricht uns von „Strömen Blutes". Betrachten wir auch diese Seite der Frage.

Nehmen wir an, dass die Menschewiki und Sozialrevolutionäre auch weiterhin schwanken, die Macht den Räten nicht übergeben, Kerenski nicht stürzen, den alten faule Kompromiss mit der Bourgeoisie in etwas veränderter Form wiederherstellen (an Stelle der Kadetten z.B. „parteilose" Kornilowisten nehmen), den Staatsapparat nicht durch einen Räteapparat ersetzen, kein Friedensangebot machen, mit dem Imperialismus nicht brechen, das Land der Gutsbesitzer nicht beschlagnahmen. Nehmen wir an, dass die gegenwärtigen Schwankungen der Sozialrevolutionäre und Menschewiki zu diesem Ende führen, der „September" so ausgeht.

Die Erfahrungen unserer eigenen Revolution sprechen sonnenklar dafür, dass die Folgen eines solchen Verhaltens die weitere Entkräftung der Sozialrevolutionäre und Menschewiki, ihre weitere Trennung von den Massen, eine ungeheure Steigerung der Empörung und der Wut der Massen, eine ungeheure Stärkung der Sympathien für das revolutionäre Proletariat, für die Bolschewiki wären.

Das hauptstädtische Proletariat stünde dann der Kommune, dem proletarischen Aufstand, der Machteroberung, dem Bürgerkrieg in seiner höchsten und entschiedensten Form noch näher als jetzt: ein solches Ergebnis muss nach den Erfahrungen des 20.-21. April und des 3.-4. Juli als historisch unvermeidlich betrachtet werden.

Ströme Blutes", schreien die Kadetten. Aber diese Ströme Blutes würden dem Proletariat und der ärmsten Bauernschaft den Sieg bringen. Dieser Sieg aber würde mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 Prozent den imperialistischen Krieg beenden und den Frieden bringen, d. h. Hunderttausenden das Leben retten, die jetzt wegen der Aufteilung der Profite und Annexionen der Kapitalisten ihr Blut vergießen. Hätte der 20.-21. April mit dem Übergang der ganzen Macht an die Räte geendet und innerhalb der Räte den Sieg den mit den ärmsten Bauern verbündeten Bolschewiki gegeben, so hätte dies, wenn es auch „Ströme Blutes" gekostet hätte, einer halben Million russischer Soldaten, die in den Kämpfen des 19. Juni ganz bestimmt umkamen, das Leben gerettet.

So rechnet jeder klassenbewusste russische Arbeiter und Soldat, so muss er rechnen, wenn er die überall auftauchende Frage des Bürgerkrieges erwägt und beurteilt, und einen solchen Arbeiter und Soldaten, der manches erlebt und durchdacht hat, wird das Geschrei von den „Strömen Blutes" nicht erschrecken, das die Leute, Parteien und Gruppen anheben, die das Leben weiterer Millionen russischer Soldaten für Konstantinopel, für Lemberg, für Warschau, für den „Sieg über Deutschland" opfern wollen.

Keine „Ströme Blutes" im inneren Bürgerkrieg kommen annähernd den Blutmeeren gleich, die die russischen Imperialisten nach dem 19. Juni vergossen haben (obwohl dieses Blutvergießen durch die Übergabe der Macht an die Räte mit sehr großer Wahrscheinlichkeit hätte vermieden werden können).

Die Herren Miljukow, Potressow, Plechanow mögen in Kriegszeiten etwas vorsichtiger gegen die „Ströme Blutes" im Bürgerkrieg argumentieren, denn die Soldaten kennen und sahen Meere von Blut.

Die internationale Lage der russischen Revolution ist heute, im Jahre 1917, im vierten Jahre eines unerhört schweren, das Volk bedrückenden, verbrecherischen Krieges, so, dass ein gerechtes Friedensangebot des im Bürgerkrieg siegreichen russischen Proletariats 99 Prozent Wahrscheinlichkeit bietet, ohne weiteres Blutvergießen zum Waffenstillstand und zum Frieden zu gelangen.

Denn die Vereinigung der sich bekriegenden englisch-französischen und der deutschen Imperialisten gegen die russische sozialistische proletarische Republik ist praktisch unmöglich, während die Vereinigung der englischen, japanischen und amerikanischen Imperialisten gegen uns im höchsten Grade schwer zu verwirklichen und schon dank der geographischen Lage Russlands uns keineswegs gefährlich sein kann. Indessen ist das Vorhandensein revolutionärer und sozialistischer proletarischer Massen in allen europäischen Staaten eine Tatsache, das Heranreifen und die Unvermeidlichkeit der sozialistischen Weltrevolution unterliegt keinem Zweifel und dieser Revolution ernstlich vorwärts helfen kann man natürlich nicht durch Delegationen und durch Stockholmer Konferenzspielereien mit den ausländischen Plechanow und Zeretelli, sondern nur durch ein Vorwärtstreiben der russischen Revolution.

Die Bourgeois schreien, dass eine Niederlage der Kommune in Russland, d. h. eine Niederlage des Proletariats, wenn dieses die Macht ergriffe, unvermeidlich sei.

Das ist ein verlogenes, durch Klasseneigennutz diktiertes Geschrei.

Wenn das Proletariat Russlands die Macht ergreift, hat es alle Aussichten, sie zu halten und Russland bis zur siegreichen Revolution im Westen zu führen.

Denn erstens haben wir seit den Zeiten der Kommune viel hinzugelernt, wir würden ihre verhängnisvollen Fehler nicht wiederholen, die Banken nicht in den Händen der Bourgeoisie belassen, uns nicht auf die Abwehr des Einbruchs unserer Versailler (d. h. der Kornilowisten) beschränken, sondern zur Offensive gegen sie übergehen und sie zertreten.

Zweitens wird das siegreiche Proletariat Russland den Frieden geben, und nach allen Schrecken des mehr als drei Jahre währenden Völkerschlachtens wird keine Macht der Erde die Regierung des Friedens, eines ehrlichen, aufrichtigen, gerechten Friedens stürzen können.

Drittens wird das siegreiche Proletariat den Bauern sofort den Boden ohne Ablösung geben, und die erdrückende Mehrheit der zerquälten, durch das Spiel mit den Gutsbesitzern, das unsere Regierung, besonders die Koalitionsregierung, besonders die Kerenskiregierung betreibt, erbosten Bauernschaft wird das siegreiche Proletariat allseitig und vorbehaltlos und mit allen Mitteln unterstützen.

Ihr Herren Menschewiki und Sozialrevolutionäre redet in einem fort von den „heroischen Anstrengungen" des Volkes. Erst dieser Tage stieß ich immer wieder auf diese Phrase in einem Leitartikel eurer „Iswestija". Bei euch ist das nur eine Phrase, aber die Arbeiter und Bauern, die das lesen, denken darüber nach, und jedes Nachdenken, bestärkt durch die Erfahrung der Kornilow-Affäre, durch die „Erfahrung" des Ministeriums Pjeschechonow, durch die Erfahrungen mit dem Ministerium Tschernow usw. führt unvermeidlich zur Schlussfolgerung: diese „heroischen Anstrengungen" sind doch aber nichts anderes als ein Zeichen des Vertrauens der ärmsten Bauern zu den städtischen Arbeitern, ihren treuesten Verbündeten und Führern. Diese heroischen Anstrengungen sind nichts anderes als der Sieg des russischen Proletariats über die Bourgeoisie im Bürgerkrieg. Denn nur ein solcher Sieg kann von den qualvollen Schwankungen erlösen, einen Ausweg schaffen, Land und Frieden geben.

Ist es möglich, das Bündnis der Arbeiter mit den ärmsten Bauern durch eine sofortige Übergabe der Macht an die Räte zu verwirklichen, dann um so besser. Die Bolschewiki werden alles tun, um die Entwicklung der Revolution in diese friedliche Bahn zu lenken. Ohne das wird auch die Konstituante allein an und für sich keine Rettung bringen, denn in der Konstituante können ja die Sozialrevolutionäre ihr Kompromissspiel mit den Kadetten, mit der Breschko-Breschkowskaja und mit Kerenski (die auch nicht besser sind als die Kadetten) usw. usw. fortsetzen.

Wenn sogar die Erfahrung der Kornilow-Affäre die Demokratie nicht eines Besseren belehrt hat und diese die verderbliche Politik der Schwankungen und der Kompromisse fortsetzt, so werden wir sagen: nichts untergräbt die proletarische Revolution so sehr, wie diese Schwankungen. Schreckt uns also nicht, ihr Herren, mit dem Bürgerkrieg. Er ist unvermeidlich, wenn ihr nicht sofort und restlos mit der Kornilowiade und mit der „Koalition" Schluss machen wollt. Aber dieser Krieg wird den Sieg über die Ausbeuter bringen, den Bauern das Land, den Völkern den Frieden geben und den richtigen Weg zur siegreichen Weltrevolution des sozialistischen Proletariats bahnen.

1 Der Satz Lenins „die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre haben die Koalition mit den Kadetten abgelehnt" bezieht sich auf die Abstimmung in der Demokratischen Beratung am 2. Oktober (19. September) 1917, die für eine Koalition mit der Bourgeoisie, aber ohne die Kadettenpartei eintrat (für den Ausschluss der Kadetten aus der Koalition stimmten 595 Delegierte, dagegen 493, der Stimme enthielten sich 72). Aber selbst diese, rein formale Einschränkung wurde von der Provisorischen Regierung und den sie unterstützenden Menschewiki und Sozialrevolutionären nicht beachtet. Kerenski bildete nach der Demokratischen Beratung ein Kabinett, in dem Moskauer Industrielle und führende Mitglieder der Kadettenpartei saßen, jedoch mit dem Vorbehalt, dass die Kadetten dem Ministerium nicht als Vertreter ihrer Partei, sondern personell angehören. Der Regierung gehörten mehrere Menschewiki und Narodniki an. Die Hauptministerien waren folgendermaßen verteilt: Kerenski – Ministerpräsident; Nikitin (Menschewik) – Innenministerium; Konowalow – Handel und Industrie; Tereschtschenko – Außenministerium; Kartaschow – Konfessionen; Kischkin – staatliche Fürsorge; Maljantowitsch (Menschewik) – Justiz; Smirnow – Staatskontrolle; Bernatzki – Finanzen; Liwerowski – Verkehr; Prokopowitsch – Verpflegung; Salaskin – Volksaufklärung; Gwosdjew (Menschewik) – Arbeit; Werchowski – Krieg; Werderewski – Marine; Tretjakow – Vorsitzender des Wirtschaftsrates.

2 Am 3. September (21. August) nahmen die deutschen Truppen Riga ein. Die russischen Truppen leisteten energisch Widerstand, besonders hartnäckig kämpften die lettischen Schützenregimenter. In der Presse erschienen damals sofort Anspielungen auf die Tatsache, dass die höchste Kommandogewalt bei Riga absichtlich den Widerstand der Armee gelähmt habe, um eine Gefahr für das revolutionäre Petrograd zu schaffen, eine Panik im Lande hervorzurufen, einen Druck auf die Menschewiki und Sozialrevolutionäre auszuüben und die Abkommandierung der der Revolution ergebenen Truppen aus Petrograd durchzusetzen. Die bürgerliche Presse, die die Schuld auf die Soldaten und die Bolschewiki abwälzte, nutzte die Preisgabe Rigas für eine konterrevolutionäre Agitation aus und prophezeite (und provozierte) das Vordringen der Deutschen nach Petrograd. Unter dem Vorwand, Petrograd läge der Front zu nahe, bereitete die Regierung Kerenskis die Übersiedlung der Regierung nach Moskau vor, wo sie nicht so sehr unter dem Druck der revolutionären Massen zu stehen hoffte.

3 In der am 14. (1.) September 1917 angenommenen Resolution des Komitees der Kadettenpartei in Rostow am Don hieß es: „Da die endgültige Errichtung des neuen Regimes das unentwendbare Recht der Konstituierenden Versammlung ist, so würde jede Aktion gegen die Provisorische Regierung und das von ihr verkündete Programm für die Tätigkeit in der nächsten Zeit ein konterrevolutionärer Anschlag sein. Die weitere Vertiefung der Revolution führt zur Zerstörung des wirtschaftlichen und des kulturellen Lebens und droht mit dem Bürgerkrieg. Das Komitee ist davon überzeugt, dass ein Bürgerkrieg alle Errungenschaften der Revolution wegfegen und unsere junge, noch nicht erstarkte Freiheit in Strömen Blutes ertränken kann, und glaubt darum, dass gegen eine durch unerfüllbare sozialistische Utopien diktierte Vertiefung der Revolution im Interesse der Wahrung der revolutionären Errungenschaften energischer Protest erhoben werden muss. Das Kadetten-Komitee forderte darum alle „lebendigen Kräfte" auf, sich fest um die Provisorische Regierung zusammenzuschließen („Rjetsch", Nr. 210 vom 20. [7.] September 1917).

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