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Wladimir I. Lenin 19170500 Entwurf zur Umarbeitung des theoretischen, des politischen und einiger anderer Teile des Programms

Wladimir I. Lenin: Entwurf zur Umarbeitung des theoretischen, des politischen und einiger anderer Teile des Programms

[Geschrieben Anfang Mai (Ende April) 1917. Zum ersten Mal veröffentlicht im Juni 1917 in der Broschüre: „Materialien zur Revision des Parteiprogramms". Verlag „Priboj". Nach Sämtliche Werke, Band 20.1, Wien-Berlin 1928, S. 386-392]

Am Schluss des grundsätzlichen Teils des Programmes (nach den Worten „den Standpunkt des Proletariats zu eigen machen") einfügen:

Der Weltkapitalismus hat jetzt, ungefähr seit Beginn des XX. Jahrhunderts, die Stufe des Imperialismus erreicht. Der Imperialismus oder die Epoche des Finanzkapitals ist die so hoch entwickelte kapitalistische Wirtschaft, wo die monopolistischen Kapitalistenverbände – Syndikate, Kartelle, Trusts – entscheidende Bedeutung erlangt haben, das ungeheuer konzentrierte Bankkapital sich mit dem Industriekapital verschmolzen, der Kapitalexport in fremde Länder sehr große Dimensionen angenommen hat, die ganze Welt territorial bereits unter die reichsten Länder verteilt ist und die ökonomische Aufteilung der Welt unter die internationalen Trusts begonnen hat.

Die imperialistischen Kriege, d. h. Kriege um die Weltherrschaft, um die Märkte für das Bankkapital, um die Erdrosselung der kleinen und schwachen Völkerschaften, sind bei einer solchen Lage der Dinge unvermeidlich. Und gerade ein solcher Krieg ist der erste große imperialistische Krieg von 1914-1917.

Die außerordentlich hohe Entwicklungsstufe des Weltkapitalismus überhaupt, die Ablösung der freien Konkurrenz durch den monopolistischen Kapitalismus, die Herausbildung eines Apparates für die gesellschaftliche Regelung des Produktionsprozesses und der Verteilung der Produkte durch die Banken sowie durch die Kapitalistenverbände, die mit dem Wachstum der kapitalistischen Monopole zusammenhängende Zunahme der Teuerung und das Erstarken des Druckes der Syndikate auf die Arbeiterklasse, die gigantische Erschwerung ihres wirtschaftlichen und politischen Kampfes, die Schrecken, das Elend, der Ruin, die Verwilderung, die der imperialistische Krieg erzeugt – alles das macht die jetzt erreichte Entwicklungsstufe des Kapitalismus zur Ära der proletarischen, sozialistischen Revolution.

Diese Ära hat begonnen.

Nur die proletarische, sozialistische Revolution vermag die Menschheit aus der Sackgasse, die der Imperialismus und die imperialistischen Kriege geschaffen haben, herauszuführen. Welches auch die Schwierigkeiten der Revolution und ihre möglichen vorübergehenden Misserfolge, oder die Wellen der Konterrevolution, sein mögen, der endgültige Sieg des Proletariats ist unausbleiblich.

Auf der Tagesordnung der gegenwärtigen Epoche steht daher, kraft der objektiven Verhältnisse, die allseitige unmittelbare Vorbereitung des Proletariats auf die Eroberung der politischen Macht zur Verwirklichung der wirtschaftlichen und politischen Maßnahmen, die den Inhalt der sozialistischen Revolution bilden.

Die Erfüllung dieser Aufgabe, die das vollste Vertrauen, das engste brüderliche Bündnis und die unmittelbare Einheit der revolutionären Aktionen der Arbeiterklasse aller fortgeschrittenen Länder erfordert, ist nicht zu verwirklichen ohne den sofortigen und grundsätzlichen Bruch mit jener bürgerlichen Entstellung des Sozialismus, die in den Oberschichten der übergroßen Mehrzahl der offiziellen sozialdemokratischen Parteien den Sieg davongetragen hat. Eine solche Entstellung ist einerseits die Richtung des Sozialchauvinismus, des Sozialismus in Worten, des Chauvinismus in der Praxis, die Bemäntelung der Verteidigung der räuberischen Interessen der „eigenen" nationalen Bourgeoisie durch die Losung der „Vaterlandsverteidigung", und anderseits die ebenso verbreitete und internationale Richtung des sogenannten „Zentrums", das für die Einheit mit den Sozialchauvinisten eintritt, für die Aufrechterhaltung bzw. Verbesserung der bankrotten Zweiten Internationale – einer Richtung, die zwischen dem Sozialchauvinismus und dem revolutionär-internationalistischen Kampf des Proletariats für die Verwirklichung der sozialistischen Ordnung hin und her schwankt.

Im Minimalprogramm den ganzen Anfang (von den Worten: „Auf dem Wege" bis zum § 1) streichen und durch folgendes ersetzen:

Im gegenwärtigen Moment, wo in Russland die Provisorische Regierung, die der Kapitalistenklasse angehört und das – notwendigerweise nicht dauernde – Vertrauen der breiten Massen der kleinbürgerlichen Bevölkerung genießt, sich verpflichtet hat, die Konstituierende Versammlung einzuberufen, erhebt sich vor der Partei des Proletariats die unmittelbare Aufgabe des Kampfes um eine Staatsordnung, die sowohl die wirtschaftliche Entwicklung und die Rechte des Volkes im Allgemeinen als auch die Möglichkeit eines denkbar schmerzlosen Überganges zum Sozialismus im Besonderen am besten sichert.

Die Partei des Proletariats kann sich nicht beschränken auf die bürgerlich-parlamentarische demokratische Republik, die überall in der Welt die monarchistischen Werkzeuge zur Unterdrückung der Massen aufrechterhält und zu verewigen sucht, nämlich die Polizei, das stehende Heer, das privilegierte Beamtentum.

Die Partei kämpft für eine Republik, die demokratischer ist, für eine proletarisch-bäuerliche Republik, in der die Polizei und das stehende Heer vollkommen beseitigt sind und durch die allgemeine Bewaffnung des Volkes, die allgemeine Miliz, ersetzt werden; alle beamteten Personen werden nicht nur gewählt, sondern sind auch jederzeit auf Verlangen der Mehrheit ihrer Wähler absetzbar; die Besoldung aller beamteten Personen ohne Ausnahme wird in einer Höhe festgesetzt, die den Durchschnittslohn eines qualifizierten Arbeiters nicht übersteigt; die parlamentarischen Vertretungskörperschaften werden nach und nach ersetzt durch Räte der Vertreter des Volkes (der verschiedenen Klassen und Berufe oder der verschiedenen Orte), die gesetzgebend und gesetzvollziehend zu gleicher Zeit sind.

Die Verfassung der demokratischen Republik Russlands muss sichern:

§ 1. Die Alleinherrschaft des Volkes; die gesamte oberste Gewalt im Staate muss den Vertretern des Volkes gehören, die vom Volke gewählt und jederzeit absetzbar sind und eine Nationalversammlung, eine Kammer bilden.

§ 2 – hinzufügen:

Proportionale Vertretung bei allen Wahlen; jederzeitige Absetzbarkeit aller Delegierten und Gewählten ohne Ausnahme auf Beschluss der Mehrheit ihrer Wähler.

§3 – hinzufügen:

Abschaffung aller von Staats wegen ernannten Lokal- und Provinzialbehörden*.

Im § 8 den letzten Satz wie folgt formulieren:

Einführung der Muttersprache in allen lokalen, öffentlichen und staatlichen Institutionen; Abschaffung der obligatorischen Staatssprache.

§ 9 folgendermaßen ändern:

Recht der freien Lostrennung und Bildung eines eigenen Staates für alle Nationen, die dem Staatsbereich angehören. Die Republik des russischen Volkes soll die anderen Völker oder Völkerschaften nicht durch Gewalt an sich ziehen, sondern ausschließlich durch eine freiwillige Verständigung über die Schaffung eines gemeinsamen Staates. Die Einheit und das brüderliche Bündnis der Arbeiter aller Länder vertragen sich weder mit der direkten noch mit der indirekten Vergewaltigung anderer Völkerschaften.

§ 11 folgendermaßen ändern:

Wahl der Richter und der Amtspersonen sowohl im Zivildienst als auch im Heer durch das Volk; ihre jederzeitige Absetzbarkeit auf Beschluss der Mehrheit ihrer Wähler.

§ 12 folgendermaßen ändern:

Ersetzung der Polizei und des stehenden Heeres durch die allgemeine Volksbewaffnung; die Arbeiter und Angestellten müssen für die Zeit, die sie dem öffentlichen Dienst in der Volksmiliz widmen, von den Kapitalisten den üblichen Lohn erhalten.

Nach dem Programmpunkt über die Finanzen (nach den Worten: „Einkommens- und Erbschaftssteuer") einfügen:

Die hohe Entwicklungsstufe des Kapitalismus, die im Bankwesen und in den vertrusteten Industriezweigen bereits erreicht ist, einerseits, und anderseits die durch den imperialistischen Krieg hervorgerufene Zerrüttung, die überall zu einer staatlichen und gesellschaftlichen Kontrolle der Produktion und der Verteilung der wichtigsten Produkte drängt, veranlassen die Partei, die Nationalisierung der Banken, der Syndikate (Trusts) usw. zu fordern.

Das Agrarprogramm wie folgt formulieren:

Den alten Anfang lassen (von den Worten: „Um die Überreste der Leibeigenschaft" bis zu den Worten: „fordert die Partei") und die Fortsetzung folgendermaßen ändern: kämpft die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands mit allen Kräften

1. für die sofortige und vollständige Beschlagnahme aller gutsherrlichen (sowie der Apanagen-, Kirchen-, Kron- usw. usw.) Ländereien in Russland.

2. tritt sie ein für den sofortigen Übergang des gesamten Bodens in die Hände der Bauernschaft, die in Bauerndeputiertenräten oder in anderen, wirklich vollkommen demokratisch gewählten und von den Grundbesitzern und Beamten völlig unabhängigen lokalen Organen der Selbstverwaltung organisiert sind.

3. fordert sie die Nationalisierung des gesamten Bodens im Staate; die Nationalisierung, die den Übergang des Eigentumsrechtes auf den gesamten Boden an den Staat bedeutet, legt das Verfügungsrecht über den Grund und Boden in die Hände der lokalen demokratischen Körperschaften.

4. unterstützt sie die Initiative derjenigen Bauernkomitees, die in einer Reihe von Gegenden Russlands das gutsherrliche lebende und tote Inventar der in diesen Komitees organisierten Bauernschaft zur öffentlich geregelten Nutzung bei der Bearbeitung allen Bodens übergeben.

5. empfiehlt sie den Proletariern und Halbproletariern des flachen Landes, sich dafür einzusetzen, dass aus jedem Herrengut eine genügend große Musterwirtschaft geschaffen werde, die für Rechnung der Allgemeinheit von den Landarbeiterdeputiertenräten unter der Leitung von Agronomen und mit Anwendung der besten technischen Mittel betrieben werden soll.

Endlich den Schluss des Agrarprogramms, von den Worten: „Die Partei macht es sich in allen Fällen und bei jedem Stand der demokratischen Agrarreform" bis zu den Worten: „alle Ausbeutung aus der Weit zu schaffen" unverändert lassen.

Den ganzen Schluss des Programms, die beiden letzten Absätze, von den Worten: „In dem Bestreben, ihre nächsten Ziele zu erreichen" bis zum Schluss streichen.

* S. „Prawda" Nr. 68, vom 28. Mai 1917, die Ausführungen von Fr. Engels über den Standpunkt des Marxismus und der konsequenten Demokratie überhaupt zur Frage der Ernennung oder Bestätigung der von der Ortsbevölkerung gewählten Behörden.

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