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Wladimir I. Lenin 19170506 Wie verwirrt man eine klare Frage?

Wladimir I. Lenin: Wie verwirrt man eine klare Frage?

[„Prawda" Nr. 39, 6. Mai (23. April) 1917. Nach Sämtliche Werke, Band 20.1, Wien-Berlin 1928, S. 305-307]

Der „Djen" schreibt heute aus Anlass der Resolution des ZK vom 22. April, in der von der Notwendigkeit des Überganges der Macht in die Hände des revolutionären Proletariats „mit Unterstützung der Mehrheit des Volkes" die Rede ist, folgendes:

Sehr einfach, aber worum handelt es sich denn dann? Anstatt Resolutionen zu fassen, kommt und nehmt die Macht."

Das ist ein typisches Muster der üblichen Methoden der bürgerlichen Presse! Die Leute tun so, als verstünden sie die klarsten Dinge nicht, und sichern sich auf dem Papier einen leichten Sieg. Wer da sagt: „Nehmt die Macht", der sollte, wenn er nur etwas nachdenkt, wissen, dass der Versuch, die Macht zu ergreifen, ein Abenteuer oder Blanquismus wäre (die „Prawda" hat besonders, ausdrücklich, eindeutig, klar, unmissverständlich davor gewarnt), solange die Unterstützung durch die Mehrheit des Volkes nicht vorhanden ist.

Wir haben jetzt in Russland eine solche Freiheit, dass der Wille der Mehrheit bestimmt werden kann durch die Zusammensetzung der Arbeiter- und Soldatendeputiertenräte; also muss die proletarische Partei, will sie ernsthaft und nicht blanquistisch zur Macht gelangen, um den Einfluss innerhalb der Räte kämpfen.

Das alles ist in der „Prawda" gesagt, wiederholt durchgekaut worden, und nur Schwachsinn oder böser Wille kann das „nicht verstehen". Mag der Leser selber urteilen, zu welcher dieser beiden wenig ehrbaren Kategorien die „Rabotschaja Gazeta" gehört, die den „Vorschlag" (an den Rat), „die Macht in seine Hände zu nehmen", eine „unverantwortliche Verhetzung" nennt, eine „Demagogie, bar jedes politischen Verantwortlichkeitsgefühls, die leichten Herzens die Demokratie zum Bürgerkrieg aufruft, die die Arbeiter und Soldaten nicht nur gegen die Regierung, sondern auch gegen den Rat selber hetzt" usw.

Kann man sich eine größere Konfusion vorstellen, kann man in plumperer Weise die Demagogie, deren man selber schuldig ist, anderen vorwerfen?

Der Ministerpräsident Lwow hat, nach dem Bericht der Abendausgabe der „Birschewije Wjedomosti"1 vom 21. April wörtlich folgendes ausgeführt:

Bisher hatte die Provisorische Regierung stets die Unterstützung des leitenden Organs, des Rates der Arbeiter- und Soldatendeputierten. In den letzten zwei Wochen haben sich diese Beziehungen geändert. Die Provisorische Regierung wird verdächtigt. Unter solchen Bedingungen hat sie keine Möglichkeit, den Staat zu regieren, da es schwer ist, in einer Atmosphäre des Misstrauens und der Unzufriedenheit irgend etwas zu tun. Unter solchen Bedingungen ist es am besten, die Provisorische Regierung dankt ab. Sie ist sich der auf ihr lastenden Verantwortung dem Vaterlande gegenüber zu sehr bewusst, und zum Wohle des Vaterlandes ist sie bereit, sofort zurückzutreten, falls dies erforderlich ist."

Ist das nicht klar? Ist es möglich, nicht zu begreifen, weshalb unser ZK nach einer solchen Rede die Befragung der Bevölkerung vorschlug?

Was hat das mit „Bürgerkrieg" zu tun, mit „Verhetzung", „Demagogie" und anderen schrecklichen Worten, wenn der Ministerpräsident erklärt, dass er bereit sei, „zurückzutreten"??? Wenn er den Arbeiter- und Soldatendeputiertenrat als das „leitende Organ" anerkannt hat???

Entweder – oder. Entweder die „Rabotschaja Gazeta" nimmt an, dass Lwow mit solchen oder ähnlichen Erklärungen das Volk betrügt, – dann muss sie nicht zum Vertrauen und zur Unterstützung aufrufen, sondern zum Misstrauen und zur Verweigerung der Unterstützung. Oder die „Rabotschaja Gazeta" nimmt an, dass Lwow tatsächlich „bereit ist, zurückzutreten", – warum dann aber das Geheul über den Bürgerkrieg?

Wenn die „Rabotschaja Gazeta" die Sachlage richtig erfasst, wenn sie begreift, dass die Kapitalisten mit ihrem Geschrei über Bürgerkrieg ihren eigenen Wunsch, durch Gewalt den Willen der Mehrheit zu sabotieren, zu verbergen suchen, warum dann das Gezeter dieser Zeitung?

Lwow hat das Recht, dem Rat vorzuschlagen, seine, Lwows, Politik zu billigen und zu akzeptieren. Unsere Partei hat das Recht, dem Rat vorzuschlagen, unsere proletarische Politik zu billigen und zu akzeptieren. Von „Verhetzung" und ähnlichem zu reden, heißt die Dinge vollständig verkennen oder zu erbärmlicher Demagogie herabsinken. Wir haben das Recht, um den Einfluss und um die Mehrheit im Rat und in den Räten zu kämpfen, und wir werden darum kämpfen. Und wir wiederholen:

Wir werden erst dann für den Übergang der Macht in die Hände der Proletarier und Halbproletarier sein, wenn die Arbeiter- und Soldatendeputiertenräte sich zu unserer Politik bekennen werden und diese Macht in ihre Hände nehmen wollen."

1 „Birschewije Wjedomosti" („Börsenzeitung") – ein Boulevardblatt in Petrograd, erschien zweimal täglich. Wurde gewöhnlich kurzweg „Birschowka" genannt

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