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Karl Liebknecht 19041201 Für die Demokratisierung der Kaufmannsgerichte

Karl Liebknecht: Für die Demokratisierung der Kaufmannsgerichte

Reden in der Berliner Stadtverordnetenversammlung

[Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordneten-Versammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin, 51. Jahrgang, 1904, S. 520/521, 523/524. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 1, S. 95-106]

I

Ich habe nicht den Streit aufnehmen, sondern nur die Ansicht konstatieren wollen, dass der Mehrheit dieser Versammlung für diese Stellungnahme der Sozialdemokratie meiner Auffassung nach das allerklarste Verständnis beigebracht werden musste durch die Ausführungen des Herrn Kollegen Bamberg über das Ortsstatut, besonders über die Angliederung des Kaufmannsgerichts an das Gewerbegericht. Es ist unverständlich, wenn man sich zunächst rein objektiv fragt: Wie kommt man zu dem Wunsche, dass das Kaufmannsgericht an das Gewerbegericht angegliedert wird? Warum soll nicht eine selbständige Gerichtsorganisation das Zweckmäßigste sein? Ich gebe zu, dass dieser Standpunkt, rein organisatorisch betrachtet, vielleicht der verständigste sein würde. Aber es ist gerade die Tatsache, dass so sehr viel Gewicht auf die Angliederung an die Gewerbegerichte gelegt wird, aus einem gewissen Misstrauen gegen die Kaufmannsgerichte und dem großen Zutrauen zu den Gewerbegerichten zu erklären und daraus, dass man möglichst den Charakter, den die Gewerbegerichte gegenwärtig besitzen, den Charakter einer sozial sehr nützlichen Institution, von vornherein auch den Kaufmannsgerichten sichern will.

Die Art, in welcher von den Vertretern der Kaufleute der Standpunkt verfochten worden ist, dass die Kaufmannsgerichte zur Angliederung an die Gewerbegerichte nicht geeignet seien, war mir sehr interessant. Es ist immer besonders der eine Gesichtspunkt hervorgehoben worden, dass die Kaufmannsgerichte besonders wichtig seien, wichtiger als die Gewerbegerichte. Dieser Gedanke ist zwischen den Zeilen der Petition der Zentralkommission zu lesen. Dann der Gedanke, der nicht zu verkennen ist: Das Kaufmannsgericht soll ein vornehmes Gericht sein, das Gewerbegericht ist nur ein Arbeitergericht. Derselbe Grund, der die Angestellten in kaufmännischen Betrieben veranlasst, den Anschluss an das Gewerbegericht zu verlangen, macht die selbständigen Kaufleute zu Gegnern der Anschließung an die Gewerbegerichte; es ist die Sorge vor dem sozialen Geist der Gewerbegerichte. Dieser Gedanke ist wiederholt bei Beratung des Gesetzes zum Ausdruck gekommen, das die Grundlage für unser Statut bildet: Man hasst und fürchtet die Gewerbegerichte in sehr weiten Kreisen, weil sie zu einer Institution geworden sind, die einen gewissen Rückhalt für die wirtschaftlich Schwachen bildet.

Meiner Meinung nach sind die Gründe für den Anschluss an die Gewerbegerichte so überwiegend, sind die Ausführungen des Herrn Kollegen Rosenow so zutreffend, dass wir es im Ausschusse erreichen werden, dass schon im Statut selbst der unmittelbare Anschluss an das Gewerbegericht vorgesehen werden wird. Es ist hervorzuheben, dass im Gesetz nicht steht, dass der Anschluss tunlichst stattzufinden hat, sondern: In der Regel hat der Anschluss stattzufinden. Nur für besondere Ausnahmefälle ist ein Abweichen von dieser Regel vorgesehen.

In Bezug auf die Listen stehen meine Freunde auf dem Standpunkt, dass das vom Magistrat vorgeschlagene Wahlsystem zweckentsprechend ist; es ist in Charlottenburg, Stuttgart, Cannstatt eingeführt.

Ein besonders wichtiger Punkt scheint mir die Frage zu sein, wie die Wahl zu organisieren ist, ob es zweckmäßig ist, für die kaufmännischen Angestellten Listen aufzustellen. Der Herr Kollege Bamberg hat diesen Wunsch ausgesprochen. Es hat das viel für sich, viel gegen sich. Bei den Gewerbegerichten sind wir ohne Listen ausgekommen; ich meine, dass kein Grund vorliegt, weshalb wir bei den Kaufmannsgerichten nicht in derselben Weise gut vorwärts kommen sollten. Wenn also die Aufstellung von Listen nicht unzweckmäßig sein mag, so ist sie doch nicht dringend erforderlich. Nur ist allerdings notwendig, der Frage der Legitimation der Wähler bei dem Wahlakt besondere Aufmerksamkeit zu schenken, schon weil die Magistratsvorlage hier zweifellos eine Lücke enthält. Sie setzt eine Bescheinigung des Arbeitgebers oder der Polizei darüber voraus, dass der Angestellte bei irgendeinem Arbeitgeber in dem betreffenden Augenblick beschäftigt ist. Nun können aber auch solche Angestellte, die vorübergehend arbeitslos sind, die Wahl ausüben; das ergibt das Musterstatut des Ministers in der Anmerkung zu Paragraph 13 ganz deutlich. Deshalb muss ein Modus dafür gefunden werden. In Charlottenburg ist ein allgemeiner Passus eingeführt worden, wonach es dem Wahlvorsteher überlassen bleibt, auch andere Legitimationen für ausreichend zu erachten. Meiner Meinung nach dürfte es zweckmäßig sein, insbesondere die Invalidenkarte für ausreichend zu erachten.

Ich möchte noch auf einige andere Fragen, die sich auf die Wahl selbst beziehen, eingehen. Zunächst hat Herr Kollege Rosenow schon den Wunsch ausgesprochen, die Wahlen auf den Sonntag zu legen. Das ist, meine ich, eine Beorderung der Gerechtigkeit, ein langes Petitum der Sozialdemokratie, eine Forderung, die die Sozialdemokratie, solange sie überhaupt im öffentlichen Leben eine Rolle spielt, aufgestellt hat, und es wäre wirklich an der Zeit, dieser Forderung der Gerechtigkeit endlich einmal nachzugeben; Schwierigkeiten macht es wahrhaftig nicht. Alle Gründe, die gegen diese Forderung vorgebracht zu werden pflegen, sind nur Verlegenheitsausflüchte, diktiert durch das Bestreben, innerhalb des Rahmens des Gesetzes den Angestellten die Wahl nicht zu leicht zu machen, das ist offensichtlich; sonst gibt es keinen Grund, der gegen die Wahl am Sonntag sprechen könnte.

Etwas anderes ist noch folgendes: Die Reichsgesetzgebung hat sich vor 1¾ Jahren auf den Standpunkt gestellt, dass eine möglichste Sicherung des Wahlgeheimnisses eingeführt werden müsse, und zwar über das hinausgehend, was ursprünglich unser Reichstagswahlgesetz festgestellt hatte. Zu diesem Zwecke sind die amtlichen Wahlkuverts eingeführt worden, und es fragt sich, ob es sich nicht empfiehlt, eine entsprechende Einrichtung auch für die Kaufmannsgerichte zu treffen, wie dies zum Beispiel in Nürnberg bereits bestimmt ist. Grundsätzlich müssen wir auf dem Standpunkt stehen, dass die Wahl, wenn sie geheim sein soll, auch vollständig geheim gemacht werde, dass nichts gescheut werde, was diese Geheimhaltung sichert, und dass nicht etwa geringfügige Schwierigkeiten technischer Art genügen können, um diese Forderung der Gerechtigkeit zu hintertreiben. Es ist deshalb wohl anzunehmen, dass die Versammlung, die ja eine möglichste Sicherung des Wahlgeheimnisses für erforderlich hält, sich unserem diesbezüglichen Antrage anschließen wird.

Meine Herren, ich muss hier Ihre Augen lenken auf das Schicksal der sozialfortschrittlichen Partei. Die sozialfortschrittliche Partei hat drei Anträge zu diesem Statut eingebracht; ich vermisse aber darunter einen Antrag, den einbringen und vertreten zu wollen sich die sozialfortschrittliche Partei der Öffentlichkeit gegenüber bereits gerühmt hat. In der gestrigen Abendnummer der „Berliner Zeitung" findet sich ein Bericht über einen Vortrag, der im Sozialfortschrittlichen Verein von dem Herrn Kollegen Ullstein gehalten worden ist. Da sind denn aus der Mitte der Versammlung heraus verschiedene Wünsche geäußert worden, und es ist schließlich eine Art von Resolution über gewisse Forderungen beschlossen worden, die erhoben werden sollen. Darunter befindet sich die Förderung, dass das Wahlgeheimnis durch Wahlkuverts oder andere Einrichtungen gesichert werde. Sonderbarerweise hat von gestern Abend bis heute früh die Auffassung der sozialfortschrittlichen Partei über diese Notwendigkeit anscheinend schon eine ganz fundamentale Änderung erfahren; sonst könnte ich es mir nicht erklären, wie es kommt, dass speziell auch der Name des Kollegen Ullstein, und zwar an erster Stelle, unter dem vorliegenden Antrage steht, der doch zweifellos von der sozialen Fortschrittsgruppe ausgeht. Ich nehme an, dass die Fraktion sich künftig unserem Antrage anschließen wird und dass hier nur ein Versehen vorliegt.

Sodann hätte ich noch den Wunsch auf Einführung der Gebührenfreiheit vorzutragen. Diese ist schon in anderen Städten beschlossen worden und speziell in unserer Nachbargemeinde Charlottenburg, wo man in der glücklichen Lage ist, uns auch sonst mit sozialen Fortschritten voranzugehen. Auch Nürnberg, Fürth und andere Städte haben die Gebührenfreiheit beschlossen. Ich sehe nicht ein, warum Berlin die Gebührenfreiheit nicht beschließen sollte. Man sagt, man könnte deshalb die Gebührenfreiheit nicht beschließen, weil ja bei uns auch für das Gewerbegericht die Gebührenfreiheit nicht besteht. Das ist ein absolut nicht gerechtfertigtes Argument. Warum sollen wir denn nicht endlich einmal den Anfang machen mit einer Reform? Ich bestreite, dass jemand, der sagt, er sei prinzipiell für die Gebührenfreiheit – aber da wir sie bei der Gewerbeordnung nicht haben, so könnten wir sie auch hier nicht haben –, dass der eine konsequente Stellung einnimmt. Ich bin der Ansicht, dass, wer für die Gebührenfreiheit eintritt, sich nicht darum zu kümmern hat, ob irgendwo eine abweichende Bestimmung auf einem analogen Gebiete bereits besteht. Es muss einfach die Zweckmäßigkeit maßgebend sein. Es ist nie zu spät, mit einer Reform und mit dem Guten anzufangen. Ehe uns die Gebührenfreiheit bei den Gewerbegerichten gelingt, wer weiß, wie viel Wasser da die Spree noch hinunterläuft.

Auch abgesehen von der Frage der Gebührenfreiheit ist scharf zu tadeln, dass der Magistrat so hohe Gebührensätze angenommen hat. Der Magistratsentwurf hat genau die Höchstsätze, die das Gesetz kennt, angesetzt. Ich möchte bemerken, dass er die Vorschläge, die der Minister in seinem Musterstatut gemacht hat, hier ganz genau um das Doppelte überschreitet. Wenn Sie die Sätze annehmen, die der Magistratsentwurf enthält, dann brauchen Sie nur jeden einzelnen durch zwei zu dividieren, und Sie bekommen das, was der Minister vorgeschlagen hat. Ich meine, es wäre eine Schmach für Berlin, wenn es sich nicht einmal so sozial betätigen wollte, wie der preußische Minister es in seinem Ortsstatut vorgeschlagen hat. Wir müssen doch versuchen, die Regierung, die wir doch in der Mehrzahl, wie wir hier versammelt sind, als eine reaktionäre betrachten, als ein liberales Parlament zu übertrumpfen, wenn ich von Ihrem Standpunkt sprechen soll. Von unserem Standpunkt aus können wir natürlich nur sagen, dass wir große Bedenken haben gegen diesen Liberalismus. Es kommt hier genau wieder der Pessimismus zur Sprache, der heute schon eine so große Rolle gespielt hat.

Sodann die Frage der Entschädigung der Beisitzer. Da muss ich doch sagen, dass das, was Herr Kollege Bamberg vorgetragen hat, ganz besonders unrichtig ist. Er sagte: Wir wollen den Eindruck nicht verwischen, dass es sich hier um ein Ehrenamt handelt. Ja, ist es denn mehr ein Ehrenamt, wenn man mit drei Mark bezahlt wird als mit sechs Mark. (Zuruf: „das Gesetz!") Das Gesetz lässt die Unentgeltlichkeit nicht zu, und damit ist zum Ausdruck gebracht worden, dass eine Entschädigung für zweckmäßig gehalten wird. Ich weiß nicht, wie man fortgesetzt mit dem Worte Ehrenamt um sich werfen will. Unsere städtischen und Staatsbeamten sind zumeist besoldet. Unsere Richter, die wir als unabhängig bezeichnen, sind besoldet, und gerade darin, dass sie durch die Besoldung unabhängig gestellt sind, erblicken wir einen Grund für ihre Unabhängigkeit. Das ist also ein Argument, das hier nicht zutreffen kann. Die Frage nur ist aufzuwerfen: Ist die Entschädigung entsprechend? Da meine ich doch, dass es durchaus unangebracht ist, dass man mit dem Kollegen Bamberg von dem Standpunkt der selbständigen Kaufleute ausgeht. Für diese Herren mag es ja genug sein, wenn sie drei Mark bekommen; denn sie haben ein genügendes Einkommen, um ihr Leben zu führen. Es ist aber unzutreffend, wenn Herr Kollege Bamberg gesagt hat, bei den kaufmännischen Angestellten spiele die Frage deswegen keine Rolle, weil sie ja ihr Gehalt weiter beziehen. Das trifft doch nur so lange zu, wie sie sich in Stellung befinden, und wir wissen doch, dass die Beisitzer nicht nur so lange als Beisitzer tätig sind, wie sie sich in Stellung befinden, sondern dass sie entlassen werden können und darüber hinaus Beisitzer sind und dass sie dann auf dem Pflaster liegen. (Zuruf.)

Aber meine Herren, halten Sie es denn für so absolut ausgeschlossen, dass wir auch mal eine Art von Maßregelung eines unbequemen Beisitzers durch seinen Prinzipal erleben? (Zuruf: „Ja!")

Sie sind natürlich überzeugt, dass eine Maßregelung durch einen Ihnen gleichgesinnten Chef nicht erfolgen wird. Ich glaube aber, dass Sie sich in einem gewissen Optimismus befinden. Es ist ja nicht notwendig, dass eine sofortige Entlassung eintritt; die würde ja auch ungesetzlich sein. Es kann ja eine Kündigung stattfinden, deren Grund kein Mensch kennt. Es können auch andere Gründe zur Kündigung führen, es können Krisen hereinbrechen. Jedenfalls ist es möglich, dass ein Beisitzer stellenlos wird, und dann steht er mit seinen drei Mark pro Tag da. (Zurufe.)

Ich begreife Sie gar nicht. Sie stehen auf einem Standpunkt, der zeigt, dass Sie sich nicht vorstellen können, dass jemand eine so geringfügige Einnahme hat. Man hörte gelegentlich sogar aus Ihrer Mitte, als es sich zum Beispiel um die berühmte Viermarksteuer handelte, dass es bei den armen Leuten mitunter auf vier Mark auch ankomme, dass diese für ärmere Leute eine größere Rolle spielen als bei Reichen Tausende. Hier kann es sich darum handeln, dass, wenn der Beisitzer in einem Jahr viermal einberufen wird, er nur 12 Mark bekommt statt 24 Mark. Wollen Sie das diesen armen Leuten nehmen? (Zuruf.)

Ich kann nur bemerken, dass es mir in meiner Praxis sehr oft passiert ist, dass, wenn Handlungsgehilfen vor dem Richter stehen und nach ihrem Gehalt gefragt werden, der Richter den Kopf schüttelt über die jämmerliche Bezahlung, die diese Leute haben. Die haben ganz gewiss nichts übrig, und denen können Sie das wahrhaftig zubilligen, was ihnen anderwärts zugebilligt wird, zum Beispiel den Beisitzern bei dem Gewerbegericht. In Charlottenburg ist es auch den Beisitzern der Kaufmannsgerichte zugebilligt worden. Ich nehme an, dass Berlin sich wieder zu gut dünken wird, mit Charlottenburg in einen sozialpolitischen Wettlauf zu treten. Das ist immer Ihr Standpunkt: Berlin ist zu gut, um den Wettlauf in der Sozialpolitik mitzumachen. Deshalb ist es auch gehörig hinter den anderen Kommunen zurückgeblieben. Ich halte es also für undenkbar, dass dieser Standpunkt, den Herr Kollege Bamberg vertreten hat, die Billigung der Versammlung findet, sondern dass die Beisitzer angemessen entschädigt werden.

Ich möchte dann noch auf einen weiteren Punkt hinweisen: auf die Frage, inwieweit die Frauen beteiligt werden können an der Institution der Kaufmannsgerichte. Da ist zunächst zu erwähnen, dass in Steglitz die Frauen in zweifacher Beziehung herangezogen sind, und zwar in dem Ortsstatut, das dort schon beschlossen ist. Dort werden die Frauen einerseits herangezogen als Vertrauenspersonen zu dem Einigungsamt und andererseits als Auskunftspersonen zu dem Gewerbegericht, wenn es sich um die Abgabe von Gutachten handelt. In beiden Beziehungen, meine ich, ist es zulässig, die Frauen gesetzlich heranzuziehen. Ich möchte darauf hinweisen, dass, wenn man auch im Paragraphen 67 des Gewerbegerichtsgesetzes den Ausdruck „Vertrauensmänner" findet, doch nirgends im Gesetz vorgeschrieben ist, dass Frauen nicht herangezogen werden dürfen. Insbesondere ist die Bezugnahme auf Paragraph 6 ganz willkürlich hineingesetzt und findet in dem Gesetz gar keine Stütze.

Besonders möchte ich hinweisen auf den letzten Absatz des Paragraphen 67:

Der Vorsitzende ist befugt, eine oder zwei unbeteiligte Personen als Beisitzer mit beratender Stimme zuzuziehen …" Dass in diesem Falle die Heranziehung der Frauen zulässig ist, unterliegt keinem Zweifel; das ergeben auch die Kommentare übereinstimmend. Es ist infolgedessen meines Erachtens selbstverständlich, dass wir hier auch die Zuziehung der Frauen für zulässig erachten und den Passus, der den Paragraphen 6 für anwendbar erachtet, streichen. Ebenso meine ich, dass wir ausdrücklich auszusprechen haben, dass die Frauen als Vertreter vor dem Kaufmannsgericht zugelassen und auch als Auskunftspersonen zu hören sind.

Meine Herren, wir alle entsinnen uns ja wohl noch – ich bin der einzige Teilnehmer damals gewesen von meiner Fraktion –, wie die Frauen bei dem Frauenkongress im Frühjahr dieses Jahres die Gastfreundschaft der Stadt genossen haben. Sie alle werden noch wissen, welche schwungvollen Reden damals gehalten worden sind über die Gleichberechtigung der Frauen. Sie werden sich alle entsinnen, welche Kämpfe zum Teil die Freisinnigen Seite an Seite mit den Sozialdemokraten im Reichstag um die Gleichberechtigung der Frauen durchgekämpft haben. Ich meine, es ist einfach ein nobile officium, dass wir hier, wo es in unserer Macht steht, den Frauen, soweit irgend möglich, dasjenige geben, was ihnen vom Gesetz vorenthalten worden ist. Wir müssen meines Erachtens überall da, wo es zulässig ist, ausdrücklich konstatieren, dass die Zuziehung der Frauen gestattet, ja sogar notwendig ist. Soweit es sich um Angelegenheiten der weiblichen Angestellten handelt, stehe ich auf dem Standpunkt, dass die Zuziehung der Frauen bei Abgabe von Gutachten und beim Einigungsamt obligatorisch gemacht werden muss.

Meines Erachtens wird es möglich sein – wenn wir uns alle Mühe geben –, aus diesem Entwurf des Magistrats, wenn diejenigen Abänderungsvorschläge berücksichtigt werden, die ich mir zu machen erlaubt habe, etwas zu formen, worauf Berlin stolz sein kann. Die Hoffnung, die ich aussprechen möchte, ist die, dass Berlin endlich einmal seinen Stolz darein setzen möchte, ein Musterstatut zu schaffen auf einem wichtigen Gebiet der Sozialreform, damit man dann später mit Fug und Recht sagen kann: Magistrat und Stadtverordnetenversammlung von Berlin marschieren geschlossen an der Spitze der Sozialreform, ihr Sozialdemokraten seid nicht die einzigen ernsten Sozialreformer. Vorläufig, fürchte ich, wird unser Pessimismus recht behalten und Berlin zurückbleiben.

II

Ich möchte nur wenige Bemerkungen machen und werde dazu veranlasst einerseits durch den Herrn Kollegen Ullstein, andererseits durch den Herrn Oberbürgermeister.

Herr Kollege Ullstein hat gesagt, seiner Ansicht nach sei es wohl kaum zulässig, dass die Frauen als Vertrauensmänner gemäß Paragraph 67 des Gewerbegerichtsgesetzes hinzugezogen werden könnten. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass nicht allein die Frauen als Vertrauensmänner, sondern auch als Beisitzer in Betracht kommen, die von dem Vorsitzenden gemäß des letzten Absatzes des Paragraphen 67 hinzuzuziehen sind, und in diesem Absatz ist ausdrücklich das Wort „Personen" und nicht Männer gebraucht; dass hier Frauen zulässig sind, unterliegt gar keinem Zweifel.

Der Herr Oberbürgermeister hat den Anschluss an das Gewerbegericht als eine Frage der organisatorischen Zweckmäßigkeit bezeichnet und in dieser Beziehung eigentlich nichts anderes gesagt als ich. Ich meine auch, dass es eine rein organisatorische Frage sein würde, wenn nicht die heftigen sozialen Kämpfe sich an diese Institution geknüpft hätten, wenn nicht eine Institution geschaffen werden müsste, für die es nicht nur wichtig ist, dass sie an und für sich eine verständige und praktische Organisation darstellt, sondern auch, dass sie das Vertrauen der Bevölkerung von vornherein genießt. Zur Erreichung dieses Erfolges würde zweifellos die Anschließung an das Gewerbegericht höchst geeignet sein; wenigstens würde dann das Vertrauen der Angestellten erworben werden. Insbesondere ist die Personalunion in der Person des Vorsitzenden des Gewerbegerichts sehr wohl möglich. Der Vorsitzende des Gewerbegerichts wird zweifellos mehr und mehr die Rolle bekommen wie am Landgericht der Landgerichtspräsident. Er übt in seiner Tätigkeit einen bestimmenden Einfluss auf die beiden Gerichtsarten, die ihm unterstellt sind, aus, und er wird es auf diese Weise sehr leicht erreichen, dass der soziale Geist, der in gewissem Umfange im Gewerbegericht herrscht, den Kaufmannsgerichten von vornherein eingeimpft wird.

In Bezug auf die Frage der Entschädigung der Beisitzer hat es der Herr Oberbürgermeister für zweckmäßig gehalten, in Übertrumpfung des Herrn Kollegen Bamberg die diesseitige Auffassung zu verhöhnen. Der Herr Oberbürgermeister hat im speziellen es gewissermaßen für etwas Lächerliches gehalten, dass die Sozialdemokratie sich für diese jungen Leute, die auf diese Weise im Jahre vielleicht 36 Mark verlieren könnten, ins Zeug wirft. (Zuruf.) Also 18 Mark! Dann begreife ich nicht, wie man soziale Fürsorge mit kleinen Mitteln treiben will. Dann müsste der Herr Oberbürgermeister konsequent vollständiger Sozialdemokrat werden; denn mit größeren Mitteln als diese arbeitet die ganze offizielle Sozialpolitik nicht, und wenn sie jedem Arbeiter vorrechnen könnten, dass er durch die sozialpolitischen Gesetze im Jahre 18 Mark Vorteil hat, würden die Sozialreformer sehr stolz sein. Ich kann nicht begreifen, wie der Herr Oberbürgermeister das für unerheblich halten kann. Natürlich ist es keine absolute Lebensfrage.

Noch weniger kann ich begreifen, dass der Herr Oberbürgermeister sich über die Gefahr, die den Angestellten drohen könnte, dadurch hinwegtrösten will, dass er sagt: Sie werden durch die sozialdemokratische Kasse entsprechend entschädigt werden. Es ist wohl kaum der Stellung der Stadt Berlin würdig, dass sie sich darauf verlässt, die starke Sozialdemokratie werde sich dazu herbei lassen, diejenigen Ungerechtigkeiten, die von Berlin verübt werden, abzuglätten und wiedergutzumachen. Meiner Meinung nach sollte Berlin selber ein möglichstes Maß von Gerechtigkeit schaffen; es ist dazu imstande. Charlottenburg hat es getan, also wird Berlin es auch können.

Wenn der Herr Oberbürgermeister in Bezug auf die Gebührenfrage, die unendlich wichtiger als diese Frage ist, gesagt hat: Der Minister hat gut vorschreiben, es handelt sich ja nicht um den Staatssäckel, dann möchte ich doch sagen: Das ist eine sehr absprechende Art, in der hier die Intentionen des Ministers beurteilt worden sind. (Stadtverordneter Cassel: „Das empört Sie!" – Heiterkeit.)

Es ist eine absprechende Art, die meiner Meinung nach durchaus dem Standpunkt entspricht, den die Sozialdemokratie der Regierung und ihren sozialpolitischen Maßnahmen gegenüber häufig genug einnehmen muss, die aber leider die konsequente Übereinstimmung mit dem Standpunkt, den sonst in ähnlichen Fällen der Herr Oberbürgermeister einzunehmen pflegt und der häufig auch von der Seite, von der dieser Zwischenruf soeben erfolgt ist, eingenommen worden ist, vermissen lässt. Wenn der Herr Minister diesen Vorschlag macht, tut er das als Vertreter der Regierung, der für Sie eine gewisse Autorität haben sollte, und ich meine, wenn der Herr Minister derartige Vorschläge macht, ist das das Minimum an sozialer Fürsorge, das verlangt werden kann. Seit wann haben Sie denn die Erfahrung gemacht, dass die Minister in leichtfertiger Weise dazu beitragen, die Begehrlichkeit der Massen gegen die Kommunen anzustacheln? Es ist doch eine vollständige Verkennung der Tatsachen, wenn man sich in die Auffassung hinein lebt: Der Minister hat gesagt, an den Staat soll die Bevölkerung nicht kommen, wir werden von ihr Geld nehmen, aber auf die Gemeinden können wir sie hetzen. So sanftmütige Gemeinden, wie sie der Herr Minister vorläufig noch zum Beispiel in der Stadt Berlin hat, wird er sich nicht so rasch zu verscherzen suchen. (Heiterkeit.)

Ich bin der Ansicht, dass die Ausführungen gegen die Gebührenfreiheit vollständig daneben geschlagen haben. Wenn hier irgendwelche Lasten auf die Gemeinden überwälzt worden sind – das gebe ich zu –, dann gibt das Gesetz dem Gemeinden die Möglichkeit, durch eine gerechte Art der Besteuerung die erforderlichen Aufwendungen einzuziehen und auf diese Weise eine Art – (Zuruf: „Zahlen wir!") wenn es Staatssteuern wären, würden Sie sie auch bezahlen; dann würden sie sich nur über ganz Deutschland verteilen. Ich habe noch nicht gesehen, dass hier die Herren von der großen, von der kleinen und von der Mommsenschen Fraktion Hunger gelitten haben. (Große Heiterkeit. Zuruf: „Sie auch nicht!") Ich verlange ja auch die Gebührenfreiheit!

Es ist ein durchaus verkehrter Standpunkt, dass wir aus dem Gesichtspunkte heraus, den der Herr Oberbürgermeister vorgebracht hat, Gebühren erheben müssten. Es ist doch wohl jedem von Ihnen schon zum Bewusstsein gekommen, wie unmöglich es ist zu sagen, dass irgend jemand bei Anstellung eines Prozesses Unrecht hat, leichtfertig einen Prozess herbeigeführt hat. Die Gerichtskosten sind nicht vom Gesetz – auch bei den ordentlichen Gerichten nicht – als eine Art Strafe für leichtfertiges Prozessieren vorgesehen; das hat es früher einmal gegeben, jetzt nicht mehr; es ist eine reine Gebührenfrage geworden. Und wie wenig man von vornherein sagen kann, dass ein Prozess leichtfertig angestrengt wird, haben die Herren ja selbst in den letzten Tagen erlebt in dem Falle Kerfin, in dem die Herren mit der größten Verve gegen die diesseitigen Ausführungen eingetreten sind. Dann ist der Prozess eingeleitet worden. Wer hat ihn angestrengt? Die Stadtverordnetenversammlung hat ihn verloren. Bekennen Sie sich denn nun schuldig, in leichtfertiger Weise prozessiert zu haben und Strafe zu verdienen? (Unruhe.) Man kann der Regel nach gar nicht sagen, dass es der Gerechtigkeit, entspricht, dass der, der den Staat zu Unrecht in Anspruch nimmt, irgendwelche Kosten zu zahlen hat. Das ist eine reine Frage der sozialen Fürsorge; die Gebühren sind zu erheben, um die Unkosten zu decken, und wenn man sagt, die soziale Fürsorge verlangt im Interesse der Angestellten, die natürlich für uns in erster Linie in Frage kommen – für Sie wohl erst die Kaufleute beziehungsweise die begüterten Steuerzahler –, dass Gebührenfreiheit eintritt, dann ist nicht lange zu fackeln. Berlin ist reich genug, auch in der Beziehung seine Schuldigkeit zu tun.

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