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Karl Liebknecht 19050921 Über die Notwendigkeit der antimilitaristischen Propaganda

Karl Liebknecht: Über die Notwendigkeit der antimilitaristischen Propaganda

Diskussionsrede zum Antrag 191

[Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Jena vom 17. bis 23. September 1905, Berlin 1905, S. 283 f. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 1, S. 157-159]

Wie schien es schwarz, man schwärzt's noch gar, es immer doch nicht schwarz genug war – so stand's in Bremen um den Antrag 105. Und jetzt? Wie hat sich die politische Situation seit Bremen verändert und damit auch die Stellung der Partei zu diesem Antrage!

In diesem Antrage, der jetzt wahrscheinlich angenommen werden wird, gelangen wir nur zu der Ausführung des internationalen Kongressbeschlusses von 1900 (Paris), der die antimilitaristische Propaganda unter der Jugend zur Pflicht macht. Die antimilitaristische Propaganda ist eine Frage, die das internationale Proletariat immer mehr beschäftigt. („Sehr richtig!") So muss es auch sein.

Natürlich ist der Militarismus nicht vom Kapitalismus losgelöst. Aber so, wie sich die Macht des Staates in gewissem Sinne gegenüber den wirtschaftlichen Kräften verselbständigt, so verselbständigt sich auch der Militarismus und wird zur besonderen Stütze des Kapitalismus. Der Militarismus wirkt international – als Gefährdung des Völkerfriedens – und national als Bollwerk und Sturmbock gegen den „inneren Feind", das kämpfende Proletariat. Unsere Weltpolitik und unsere Klassenpolitik zwingen uns, gerade ihm zu Leibe zu gehen.

Nun ist in Bremen allerdings ein ähnlicher Antrag, der nicht ohne Bedenken war, unter einem gewissen Hohngelächter abgelehnt worden. Aber die Verhältnisse haben sich gewandelt, und die Stunde ist gekommen, wo es uns zur besonderen Pflicht wird, gegen den Militarismus in spezielle Agitation einzutreten. Die erste Seite des Militarismus wird bereits behandelt in der vom Parteitag beschlossenen Resolution zur Wahrung des internationalen Friedens. Die neuerlichen internationalen Verwickelungen2, die im Wesentlichen zurückzuführen sind auf die Vorgänge in Ostasien, machten diese Stellungnahme zur Pflicht. Andererseits ist der nächste Punkt der Tagesordnung, der Generalstreik, ein lebendiges Beispiel dafür, dass auch im Innern Gefahren und Konflikte zwischen der organisierten Staatsgewalt und dem Proletariat drohen. Ich meine, wir sind es unseren Freunden in Russland, Frankreich und England schuldig, unter Zurückstellung von allerhand opportunistischen Erwägungen die antimilitaristische Propaganda energisch zu betreiben. Die besondere antimilitaristische Agitation kann von der Partei ohne weiteres in Angriff genommen werden. Des Weiteren ist es auch notwendig, dass die ausgehobene Mannschaft über ihre Rechte und Pflichten belehrt wird. Kein Mensch kann uns die Veranstaltung von Versammlungen hierzu verwehren. Es wird Sache des Taktes der einzelnen Redner sein, etwaige Gefahren zu vermeiden. Aber ich habe das Vertrauen zu den von der deutschen Polizei genugsam geschulten Genossen, dass sie sich die nötigen Schranken auferlegen werden. Wenn sich der Parteitag auf der Höhe der politischen Situation befindet, die die Weltlage und die innere politische Lage Deutschlands im Gegensatz zum Vorjahre geschaffen hat, wird er den Antrag annehmen und damit ausdrücken, dass die Sozialdemokratie mit allen Mitteln, die ihr zu Gebote stehen und die deutschen Verhältnisse irgendwie erlauben, den Militarismus, die größte, die brutalste Gefahr, die sie bedroht, bekämpfen will und nicht eher rasten wird, bis es ihr gelungen ist, diesen rocher de bronze zu untergraben, diese feste Eiche in der Wurzel zu zerstören und damit einer friedlichen, kulturellen proletarisch-sozialistischen Entwicklung die Wege zu ebnen. (Bravo.)

1 „Parteigenossen des Wahlkreises Teltow-Beeskow-Storkow:

In der Erkenntnis, dass der Militarismus und Marinismus der festeste Stützpfeiler der heute herrschenden Klassen ist, dass er ferner durch seine kulturfeindlichen Tendenzen und Bestrebungen jedes freie und rege Leben erstickt, ja die zu seinen Diensten eingezogenen Söhne des Volkes zu willenlosen Werkzeugen macht, ist es dringend erforderlich, dass hiergegen eine regelmäßige, planmäßig betriebene Agitation einsetzt.

Als erste Aufgabe wird betrachtet, in jedem Jahre vor der Aushebung zum Militär oder zur See öffentliche Versammlungen abzuhalten, wo die jungen Leute, die eventuell Soldat werden müssen, speziell über ihre sogenannten ,Rechte' als Soldat aufgeklärt werden, ferner, dass zu dieser Zeit Flugblätter desselben Inhalts verbreitet werden und darauf hingewiesen wird, dass sie von dem sogenannten ,Beschwerderecht' den ausgiebigsten Gebrauch machen sollen. Durch die Aufklärung in dieser Weise würden die jungen Leute erst sehen, wie die Dienstvorschriften von den Vorgesetzten gehandhabt werden, und einen Abscheu vor dem Militarismus bekommen." (Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Jena vom 17. bis 23. September 1905, Berlin 1905, S. 99.)

Nach einer gegen Liebknecht gerichteten scharfen Rede Bebels wurde der erste Teil des Antrages zurückgewiesen, der zweite Teil angenommen.

2 Gemeint ist die erste Marokkokrise, die die deutschen Imperialisten heraufbeschworen hatten in der Hoffnung, dass die Niederlage Russlands im Russisch-Japanischen Krieg und die russische Revolution das zaristische Russland hindern würde, seinen französischen Verbündeten zu unterstützen.

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