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Karl Liebknecht 19071010 Der Hochverratsprozess gegen Liebknecht vor dem Reichsgericht II

Karl Liebknecht: Der Hochverratsprozess gegen Liebknecht vor dem Reichsgericht

Aus dem Prozessbericht1

II

Zweiter Verhandlungstag, 10. Oktober 1907

[Aus: Der Hochverratsprozess gegen Karl Liebknecht 1907 vor dem Reichsgericht, Dietz Verlag, Berlin 1957. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 2, S. 125-162]

Der über Erwarten bedeutsame und interessante Verlauf der Verhandlungen im Hochverratsprozess Liebknecht hat heute zu einem womöglich noch stärkeren Andrang des Publikums geführt als gestern. Punkt neun Uhr eröffnet Senatspräsident Treplin die Sitzung.

Sogleich ergreift Liebknecht das Wort:

Ich bin mit meiner Erwiderung auf die Anklage noch nicht fertig. Ich habe mich noch nicht zu der Frage der Gewaltsamkeit geäußert, das heißt zu der Unterstellung der Anklage, dass ich als Mittel zur Änderung der Verfassung die physische Gewalt anwenden wolle. Ich möchte bitten, mich vor jeder weiteren Beweisaufnahme darüber im Zusammenhang anzuhören.

Präsident: Vielleicht erübrigt die Vernehmung des Zeugen Bebel Ihre Auslassungen in dieser Beziehung.

Verteidiger Haase: Ich möchte doch bitten, erst den Angeklagten zu hören. Je nach seinen Ausführungen werden wir Fragen an den Zeugen Bebel zu richten haben oder uns ersparen können.

Präsident: Ich habe kein Bedenken, dem lebhaften Wunsche der Verteidigung nachzugeben.

Liebknecht: Das wesentlichste, charakteristischste Tatbestandsmerkmal des Hochverrats ist die Absicht, der Wille des Hochverräters, seinen auf Verfassungsänderung gerichteten Plan durch physische Gewalt zu verwirklichen. Wo in meiner Schrift die Gewaltsamkeit empfohlen sein soll, ist mir bis jetzt dunkel geblieben. Gerade in diesem entscheidenden Punkte bestehen fünf verschiedene Variationen der Anklage. Ich muss daher zunächst ganz allgemein meine und der Sozialdemokratie Stellung zur Frage der Gewaltsamkeit präzisieren.

Viele Gegner der Sozialdemokratie schildern diese Partei des Proletariats als rohe, nach blutigen Konflikten lüsterne Gewaltpartei. Das Gegenteil ist richtig. Die Sozialdemokratie ist die einzige Partei, die grundsätzlich auf historischem Boden steht, die einzige Partei, die die Vergangenheit nicht leugnet und deshalb nicht den Unsinn behauptet, was einmal besteht, müsse für alle Ewigkeit bestehen bleiben. Wir haben vielmehr aus der Geschichte gelernt, dass das, was besteht, auch zugrunde gehen muss. Die Sozialdemokratie glaubt die Entwicklung des heutigen Wirtschaftslebens dahin erkannt zu haben, dass das Proletariat einen stets größeren Anteil erlangen muss an den Produkten der Industrie, an den Werten des Handels, an allen Erzeugnissen der menschlichen Arbeit. Die Vergesellschaftung der Produktionsmittel im weiteren Sinne des Wortes und damit verbunden die reine Demokratie der Staatsform, der Verwaltung, der Justiz erscheint ihr als notwendige Konsequenz der Menschheitsentwicklung. Sie will, dass sich diese Entwicklung unter Vermeidung jeder Gewalttätigkeit vollzieht. Allerdings hat bisher bei den grundlegenden Umwälzungen der Weltgeschichte die Gewalt in einer gewissen Phase stets eine Rolle gespielt. Es mag also nicht sehr wahrscheinlich sein, dass sich die sozialistische Umwälzung friedlich vollziehen wird. Die Sozialdemokratie selbst aber ist nach allen Kräften bemüht, diejenigen Elemente, die Gewalttätigkeiten zu provozieren geeignet sind, aus dem Gesellschaftsorganismus auszuschalten. Die Entwicklung könnte sich friedlich vollziehen, wenn nicht die herrschenden Klassen grobe, mechanische Gewaltmittel zur Verfügung hätten, um sich dem Kulturinteresse der Gesamtheit des Volkes zu widersetzen.

Das wichtigste Mittel, eine friedliche Entwicklung zu verhindern, ist der in den Händen der besitzenden Klassen liegende Militarismus. Darum hat der Kampf gegen ihn direkt das Ziel, Gewalt zu vermeiden und nicht zu fördern. Das habe ich in meiner Schrift als grundlegende Tendenz in einer jede Unklarheit ausschließenden Deutlichkeit wiederholt hervorgehoben. So spreche ich von dem Ziele einer Friedhaftmachung der Weltpolitik.

Ein ganzes Kapitel habe ich über den „Militarismus, eine Gefährdung des Friedens" geschrieben. Darin heißt es zum Beispiel: „So bedeutet Kampf gegen die stehenden Heere und den chauvinistisch-militaristischen Geist Kampf gegen eine Gefahr für den Völkerfrieden"; und weiter: „Wer immer eine Fortentwicklung des Menschengeschlechts für unvermeidlich hält, für den ist das Bestehen des Militarismus das wichtigste Hindernis für die Friedlichkeit und Stetigkeit einer solchen Entwicklung."1 Auch auf den Parteitagen habe ich mich genau ebenso ausgelassen.

Ich weise auf die Gefahr hin, dass der Militarismus auf dem Wege des Fortschritts blutige Zusammenstöße herbeiführen muss. Das glaubt die Anklage für sich heranziehen zu können, besonders den Passus von dem Kartätschenprinzen usw.; aber die Tendenz dieser Ausführungen ist ja doch umgekehrt eine Warnung vor der Gewalt, ein Plädoyer für den Frieden. Ich habe hier nicht die philosophisch-historische Korrektheit meines Standpunktes zu beweisen, sondern nur die generelle Stellung der Sozialdemokratie, die sich damit deckt, darzulegen. Diese Darlegung ist unentbehrlich, weil gar vielfach der Aberglaube herrscht, einem Sozialdemokraten könne man ja ohne weiteres alles mögliche zutrauen. Mit dem Worte Sozialdemokrat sind in gewissen Schichten der Bevölkerung Vorstellungen verknüpft, die eine ruhige Betrachtung ausschließen, die ein Hineindenken in unseren Gedankengang von vornherein verwehren. Das liegt im Klassencharakter unserer Gesellschaft. Der Sozialdemokrat begegnet vor Gericht sehr vielen, vielleicht niemals ausgesprochenen, vielleicht nicht einmal bewussten Vorurteilen. Ich persönlich bin der festen Überzeugung, die mir kein Teufel rauben kann, dass ich niemals auf diese Anklagebank gekommen wäre, wenn ich nicht Sozialdemokrat wäre. Für die gekennzeichnete Stellung der Sozialdemokratie zur Gewalt berufe ich mich auf Friedrich Engels, jenen Vorkämpfer der Sozialdemokratie, den selbst Adolf Wagner zu den größten National-Ökonomen aller Zeiten rechnet. In der Vorrede zu dem Marxschen Werk: „Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850" bezeichnet er das allgemeine Wahlrecht als den günstigsten Boden für uns. Wir sind nicht nur prinzipielle Gegner der Gewalt, wir müssen sie auch als vernünftige Taktiker ablehnen. Engels sagt:

Und so geschah es, dass Bourgeoisie und Regierung dahin kamen, sich weit mehr zu fürchten vor der gesetzlichen als vor der ungesetzlichen Aktion der Arbeiterpartei, vor den Erfolgen der Wahl als vor denen der Rebellion."

An einer anderen Stelle heißt es:

Die Ironie der Weltgeschichte stellt alles auf den Kopf. Wir, die ,Revolutionäre', die ,Umstürzler', wir gedeihen weit besser bei den gesetzlichen Mitteln als bei den ungesetzlichen und dem Umsturz. Die Ordnungsparteien … rufen verzweifelt mit Odilon Barrot: … die Gesetzlichkeit ist unser Tod, während wir bei dieser Gesetzlichkeit pralle Muskeln und rote Backen bekommen …"

Schließlich werde den Ordnungsparteien nichts übrigbleiben, als selbst diese ihnen so fatale Gesetzlichkeit zu durchbrechen. Wenn die Bourgeoisie über gewalttätige Pläne der Sozialdemokratie zetere, so könne man nur antworten: Quis tulerit Gracchos de seditione querentes? So Engels.

In der Tat, hat nicht, um aus vielen einen herauszuheben, General von Boguslawski den Staatsstreich empfohlen und Herr von Jagemann aus lächerlich-frivolen juristischen Scheingründen gar ein Recht des Kaisers zum Staatsstreich proklamiert? Aber die Sozialdemokratie wird jeden gewaltsamen Zusammenstoß zu vermeiden suchen.

Wenn man mich gestern meinen Zitatensack voll brutal-offenherziger Äußerungen von Scharfmachern aller möglichen Parteien über die Notwendigkeit eines Staatsstreiches gegen das Reichstags-Wahlrecht hätte ausleeren lassen, so hätte der Gerichtshof gesehen, wie recht Engels hatte und dass es die herrschenden Klassen sind, die die rote Brille der Gewalt vor ihren Augen tragen und nur darum gewaltsame Absichten bei der Sozialdemokratie sehen! Gestatten Sie mir ein Wort ex domo: Mein Vater war ja vor 35 Jahren auch hier in Leipzig des Hochverrats angeklagt. In der Vorrede zu dem Bericht über diesen Prozess nannte er die Gewalt ausdrücklich einen reaktionären Faktor. Und Kautsky, jener angebliche blutrünstige Revolutionär? Er erwägt die Möglichkeit, dass ein Krieg die proletarische Revolution beschleunigen könne, und kommt zu dem Schluss, dass man den Krieg wegen seiner Schrecken nicht als Mittel zur Entfesselung der Revolution wünschen könne; er sei „das irrationellste Mittel zu diesem Zwecke". Und weiter schreibt er: „Käme es auf unsere Wünsche an – wer von uns würde nicht den friedlichen Weg einem gewaltsamen vorziehen, dem unsere persönlichen Kräfte vielleicht nicht gewachsen sind, der vielleicht uns selbst verschlingt?"

In meiner Schrift finden sich viele gleichartige Stellen, die niemand weg eskamotieren kann. Jene Erörterungen über die Möglichkeiten einer Insurrektion im Kriegsfalle enthalten keine Aufforderung, keinen Plan, sondern nur historische Perspektiven. Und wo ich von gewaltsamen Zusammenstößen mit dem inneren Militarismus spreche, geschieht es immer in Verbindung mit der Gefahr des Staatsstreiches. Ich begreife ja, dass sich das Kollegium von 15 höchsten Richtern meiner Auffassung über diese Gefahr nicht gut assimilieren kann. Aber selbstverständlich müssen Ihrem Urteile hier, zur Interpretation meiner Schrift, meine, von den Ihrigen fundamental abweichenden Anschauungen zugrunde gelegt werden.

Die Anklage sagt, der Angeklagte will eine Änderung der Heeresorganisation; diese Änderung ist nur mit Gewalt zu erreichen, folglich will der Angeklagte Gewalt. Das ist also nicht meine Ansicht, sondern ein Schluss des Reichsanwalts, den er in meinen Gedankengang hineinzwängt und mit Zitaten aus meiner Schrift vermengt hat. Für diese inkorrekte, befangene Schlussfolgerung aus meiner Schrift soll ich büßen! Jene Wendung „wie nicht anders möglich, mit Gewalt", ist uns nicht neu. Mit ihr hat man alle Hochverratsprozesse gegen Sozialdemokraten gemacht. „Wie nicht anders möglich, mit Gewalt", so hieß es im Hochverratsprozess gegen Lassalle vom 12. März 1864. „Wie nicht anders möglich, mit Gewalt", so rief der Staatsanwalt 1872 im Hochverratsprozess gegen meinen Vater und Bebel und 1893 im Hochverratsprozess gegen Victor Adler in Österreich. Welches Armutszeugnis stellt die Reichsanwaltschaft damit der bestehenden Gesellschaftsordnung aus! Sie unterschiebt ihr, dass sie niemals, und sei es im Interesse der Allgemeinheit, der Mehrheit des Volkes, noch so nötig, freiwillig etwas von ihren Rechten an das Volk abtreten wird.

Nun steht ja der Oberreichsanwalt den herrschenden Klassen sehr viel näher als ich, und er muss es also wohl besser wissen; aber deswegen brauche ich doch die Hoffnung auf die Möglichkeit einer Entwicklung ohne brutale Gewaltanwendung noch nicht aufzugeben. Auch die englischen Kornzollgesetze und bei uns die Lex Heinze und der Zedlitzsche Volksschulgesetzentwurf sind durch friedliche Agitation weggeschwemmt worden.2

Die Seele unserer ganzen Staatsverfassung ist das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht. Dieses Wahlrecht öffnet ein Tor für die Möglichkeit friedlich-organischer Fortentwicklung. Wer das allgemeine Wahlrecht nehmen will, verstopft damit den wichtigsten Quell friedlichen Fortschritts, presst den sozialen Dampfkessel gewaltsam zu und treibt mit mathematischer Sicherheit zu Blut und Gewalt. In der Tat, wer die Bismarckschen Staatsstreichwege wandelt, ist ein wirklicher Gewaltmensch. Vor der jüngsten Reichstagswahl haben „Die Post", die „Hamburger Nachrichten" und die „Deutsche Tageszeitung" für den Fall eines sozialdemokratischen Sieges mit gewaltsamer Entreißung des Reichstagswahlrechts, mit dem Hochverrat von oben gedroht.

Auch die Methode, wie man jetzt in Deutschland die Jugendbewegung und die antimilitaristische Propaganda zu unterdrücken versucht, zeigt verteufelte Neigung zu einem sozialistentöterischen Staatsstreich. Herr Romen, der nach seinen Artikeln im „Tag" wohl als „geistiger" Urheber der Anklage zu betrachten ist, würde sich's bei seiner ganzen Anlage gewiss nicht lange überlegen. Ich habe nie daran gedacht, den für die Sozialdemokratie günstigen gesetzlichen Boden in Deutschland aufzugeben, sondern nur Fürsorge zu treffen gesucht gegen eine hochverräterische Aktion von oben, gegen eine gewalttätige Unterdrückung der Sozialdemokratie. (Mit erhobener Stimme:) Und ein erster Akt solcher gewalttätiger Unterdrückung meiner Partei ist für mich nach ihrem ganzen gewalttätigen Charakter diese Anklage.

Verteidiger Hezel: Ich stelle namens der Verteidigung den Antrag auf Änderung und Ergänzung des Eröffnungsbeschlusses. Der Eröffnungsbeschluss unterstellt dem Angeklagten, dass er die Beseitigung des stehenden Heeres im Kriegsfalle mit Gewalt herbeiführen wolle. Im Laufe der jetzigen Verhandlung hat sich der Anklagepunkt ganz verschoben; jetzt wird dem Angeklagten der hochverräterische Akt zur Last gelegt, eine bestimmte Verwendung des Heeres, nämlich die Verwendung zur Niederwerfung innerer Aufstände kraft des Rechtes des Kaisers, den Belagerungszustand zu verkünden, verhindert haben zu wollen.

Präsident: Ich muss zunächst den Angeklagten noch einiges zu seinen letzten Äußerungen fragen. Er sprach davon, dass er das Wahlrecht als vorzugsweisen Weg zur Verwirklichung seiner Ziele ansieht. Ist es aber nicht gerade seine Auffassung, dass die parlamentarische Tätigkeit nicht genügt, sondern, dass man andere Mittel zur schnelleren, wirksameren Aktion suchen müsse?

Liebknecht: Formalrechtlich kommt nur das Wahlrecht als Mittel für die äußere Entwicklung in Betracht, politisch geben aber natürlich die außerparlamentarischen Mittel den Ausschlag, und zu diesen Mitteln gehört zum Beispiel auch die Jugendagitation. Hinter der parlamentarischen Macht der Sozialdemokratie muss als außerparlamentarische Kraft die Begeisterung des deutschen Proletariats stehen, sonst könnten die 43 Mann unserer Reichstagsfraktion zur Not von zwei Schutzleuten hinaus gejagt werden. Auch die herrschenden Klassen brauchen die außerparlamentarische Macht, darum ertönte ja in Berlin das berühmte Wort: „Mehr Volk!"

Präsident: Sie wollen doch aber die Jugendorganisationen nicht verwenden, um die parlamentarische Macht der Partei zu stärken, sondern Sie wollen die Jugend zur Verachtung des Militarismus dressieren.

Liebknecht: Eine Verfassungsänderung vollzieht sich gleichsam wie eine Addition verschiedener Summen. Der parlamentarische Einfluss beruht nicht auf der Wahl, sondern auf der realisierbaren Macht, die hinter der Fraktion steht, auf dem Einfluss, mit dem die Partei die ganze Gesellschaft und ihre Institutionen durchtränkt. Auch die Sozialdemokratie beeinflusst schon durch ihre bloße Existenz sogar die Polizei und die Justiz. Sie soll, das ist nicht nur mein Wille, sondern der meiner ganzen Partei, auch das Militär immer mehr beeinflussen. Die Großgrundbesitzer, die Herren Kirdorf, Stinnes und Thyssen üben einen großen Einfluss durch ihre Kapitalmacht, ihren Grundbesitz, ihr Kommando über eine große Arbeitermasse aus. Und die Sozialdemokratie will ihre Macht fest verankern im Herzen des Volkes. Auch die Armee lebt nicht im luftleeren Räume, unter einer Glasglocke; auch um sie und in ihr wird der Kampf zwischen sozialdemokratischen und antisozialdemokratischen Ideen geführt.

Präsident: Sie befürchten den Umsturz, nach dem Ihre Partei genannt wird, von der bestehenden Regierung. Können Sie Akte verantwortlicher Regierungsorgane nennen, die diese Ansicht begründen?

Liebknecht: Wer ist denn in Deutschland heute eigentlich verantwortlich? So rein auf das juristische Gebiet kann ich mich nicht drängen lassen. Es handelt sich hier um politische Machtverhältnisse; wir haben ja in Deutschland auch eine Kamarilla.

Präsident (rasch einfallend): Darauf brauchen wir wohl nicht einzugehen. Sie wollen also sagen, dass gewisse Symptome Sie zu Ihrer Auffassung geführt haben?

Liebknecht: Es gibt Leute, die viel mächtiger sind als der formell verantwortliche Reichskanzler! Wenn man aber den Fürsten Bülow als verantwortlichen Staatsmann ansieht, hat er nicht im Silvesterbrief an General Liebert3 der Sozialdemokratie mit dem Degen Bonapartes gedroht? Bonapartes Degen ist doch nicht der der Revolution, sondern der der Reaktion.

Präsident: Aber Sie gerade haben doch in bewusstem Gegensatz zu den parlamentarischen Führern der Partei immer wieder den Antimilitarismus in Szene gesetzt und sollen Hervé näherstehen als den Führern Ihrer Partei?

Liebknecht: Ich stehe in gewissem Gegensatz zu der Mehrzahl meiner Parteigenossen, aber in Wahrheit bestehen größere Differenzen nicht, und meinem Genossen Bebel erscheint meine Taktik nicht an sich bedenklich, sondern nur, weil er besorgt, dass andere die von mir gewollte Grenze nicht innehalten und so Unannehmlichkeiten erleiden könnten. Wer aber behauptet, dass ich, der ich hier als Versuchsobjekt für eine ganz neue Anwendung des Hochverratsparagraphen stehe, dem Hervéismus nahestände, den möchte ich doch zu einem kleinen Duell herausfordern. Hervé ist eine Art Scheuche des Bürgertums geworden; das Wort Hervé bedeutet jetzt ungefähr soviel wie Bombe. (Große Heiterkeit.) Ich habe Hervé erst in Stuttgart kennengelernt, und wir haben uns in den Haaren gelegen. Ich stehe in der Militärfrage für Deutschland in meiner Schrift tatsächlich sogar noch rechts von Jaurès. In meiner Schrift habe ich den Hervéismus ausführlich bekämpft; seinen Antipatriotismus halte ich, wie ich klar dargelegt habe, für vollkommen verkehrt. Ich habe nicht die Absicht, irgend etwas zu verschweigen oder zu bemänteln, ich rechne ja mit der Tatsache meiner Verurteilung als einer abgemachten Sache. Ich gebe meine Erklärungen ab ohne Rücksicht auf Ihr Urteil und habe nur Zeugnis abzulegen für unsere politische Auffassung. Mit französischen Mitteln in Deutschland kämpfen, das hieße mit Schlittschuhen und mit einem Winterkostüm ins Wasser gehen oder in einem Badekostüm Schlittschuh laufen. (Heiterkeit.)

Präsident: Ich kann nicht zulassen, dass Sie sich als Versuchsobjekt für die Anwendung eines Paragraphen bezeichnen. Ich bitte Sie, Ihre Worte abzuwägen. Sie können ja mit Ihrer Verurteilung rechnen. Wenn Sie damit aber sagen wollen, dass das Urteil über Sie bereits fertig ist, so verkennen Sie die Aufgabe des höchsten Gerichtshofes vollständig.

Liebknecht: Die bisherige Geschichte dieses Prozesses rechtfertigt eine gewisse lebhafte Erregung. Ich weiß nicht, wie ich einen Menschen anders denn als ein Versuchsobjekt bezeichnen soll, bei dem man bereits dreimal an verschiedenen Stellen auf der Suche nach hochverräterischen Giften herum geschnitten hat und bei dem man nun zum vierten Male die Sektion vornimmt, um zu sehen, ob nicht doch irgendwo in den Fasern seines Hirns eine Spur von Hochverrat zu finden sei.

Präsident: Sie segeln schon wieder in dem Fahrwasser, das ich Ihnen eben verboten habe.

Nunmehr wird zu dem Antrag der Verteidigung auf Ergänzung des Eröffnungsbeschlusses, der inzwischen schriftlich formuliert ist, übergegangen.

Der Oberreichsanwalt bekämpft ihn. Hochverrat sei begangen durch die Abfassung und Verbreitung der gesamten Schrift.

Verteidiger Hezel: Wenn jemand Eisenteile aufkauft, um daraus eine Höllenmaschine zu machen, die er gegen das Staatsoberhaupt in Betrieb setzen will, so ist das eine Vorbereitung zum Hochverrat. Das Kaufen der Eisenteile an sich genügt aber nicht zur Kennzeichnung des Hochverrats. Der Mann muss die Absicht zur Ermordung des Landesherrn haben, dann erst wird aus der ganzen Sache ein Hochverrat. Hier ist die Abfassung der Schrift die vorbereitende Handlung, und der Eröffnungsbeschluss muss sagen, worin ein Hochverrat an sich liegt, muss das hochverräterische Unternehmen klar kennzeichnen. Man kann nicht einfach die ganze Schrift unter die Anklage des Hochverrats stellen, ohne zu sagen, was das hochverräterische Unternehmen darstellt.

Oberreichsanwalt: Ich bedaure, dass nicht die Anklageschrift die Grundlage des Verfahrens bildet; dann wäre die ganze Differenz nicht entstanden.

Liebknecht: Ich habe keinen Grund, die Ausdehnung der Anklage zu scheuen; ich muss aber wissen, wessen ich angeklagt bin, damit ich mich danach verteidigen kann. Nach den Paragraphen 205 und 265 der Strafprozessordnung muss die Tat im Eröffnungsbeschluss klar umschrieben sein. Das beanspruche ich jetzt; das darf ich um so mehr beanspruchen, als niemand verkennen wird, dass die Verteidigung, zu der ich nach dem Standpunkt des Herrn Vorsitzenden genötigt bin, zum großen Teil eine völlig andere ist als die, auf die ich nach der Anklageschrift und dem Eröffnungsbeschluss gefasst sein konnte.

Hierauf zog sich der Gerichtshof zur Beratung zurück und verkündete nach längerer Beratung, dass der Antrag der Verteidigung abgelehnt sei, da der Eröffnungsbeschluss vollständig im Einklang mit Paragraph 205 der Strafprozessordnung stehe.

Hierauf trat die Mittagspause ein.

Nach der Pause wurde als einziger Zeuge Reichstagsabgeordneter Bebel aufgerufen.

Präsident: Die Verteidigung hat Ihre Vernehmung beantragt, weil sie der Ansicht ist, dass nach der Gestaltung der Anklageschrift damit zu rechnen wäre, dass auch die Äußerungen des Angeklagten, die derselbe auf sozialdemokratischen Parteitagen und ähnlichen Veranstaltungen in Sachen des Antimilitarismus getan hat, hier gestreift werden würden. Diese Voraussetzung der Verteidigung ist nun eingetroffen. Wir haben über die verschiedensten Äußerungen des Angeklagten hier gesprochen, und ich möchte Sie nun fragen, was für eine Meinung Sie über seine Haltung haben.

Zeuge Bebel: Der Angeschuldigte hat seit einer Reihe von Jahren auf unseren Parteitagen Anträge befürwortet, die dahin gingen, dass die Partei in höherem Maße als bisher sich auf die antimilitaristische Seite zu werfen habe, da der Militarismus der Hauptfeind des Sozialismus sei. Die bisherige Tätigkeit der Partei hat dem Angeschuldigten nicht genügt, und er hat fortgesetzt versucht, Anträge durchzubringen, die dahin gingen, dass ein besonderer Ausschuss eingesetzt werden sollte, der diese Agitation speziell zu leiten habe.

Dieser Auffassung sind wir in der Partei und namentlich ich bisher mit der größten Energie entgegengetreten. Wir sind der Ansicht, dass dieses Hervorheben einer besonderen antimilitaristischen Agitation, wie sie der Angeschuldigte betrieben zu sehen wünscht, praktisch falsch und taktisch unrichtig ist. Wir sind eine Partei, die die gesamte bestehende Wirtschafts- und Staatsordnung bekämpft, wir sind eine Partei, die in erster Linie darauf hinzielt, die Massen über die Gesetze, welche das gegenwärtige Wirtschaftssystem regieren, aufzuklären und ihnen die Rolle klarzumachen, die der Kapitalismus darin spielt. Wir waren dabei der Meinung, dass, wenn eine derartige Agitation in besonderem Maße den Militarismus hervorhebt, die anderen Aufgaben der Partei darunter vernachlässigt würden. Der Charakter der Partei würde dadurch ein einseitiger werden, und eine derartige Taktik müssen wir vermeiden.

Aber ich habe die Ansicht des Angeklagten noch aus anderen Gründen bekämpft. Zunächst habe ich mir gesagt, dass die Genossen, die draußen in der Agitation stehen, juristisch nicht so geschulte Leute sind wie der Angeschuldigte und daher sehr leicht mit dem Paragraphen 112 des Strafgesetzbuches in Konflikt kommen können, und das ist eine so unangenehme Sache, dass wir diese Genossen davor nach Möglichkeit bewahren möchten.

Schließlich habe ich die Taktik des Angeschuldigten bekämpft, weil es mir bekannt ist, dass es im Deutschen Reiche große einflussreiche Kreise gibt, die den Moment abwarten, wo sie gegen die Sozialdemokratie eventuell mit einer Verschärfung des Strafgesetzbuches oder einem Ausnahmegesetz einen entscheidenden Schlag ausführen können.

Auf dem Wiesbadener Parteitag der Nationalliberalen Partei hat es der Abgeordnete Bassermann am Sonnabend erst ausgesprochen, dass man auch innerhalb der Nationalliberalen Partei bis vor kurzem noch der Ansicht war, die Sozialdemokratie mit Ausnahmegesetzen zu bekämpfen. Nun bin ich der Meinung, dass, zumal eine Revision des Strafgesetzbuches bevorsteht, zuerst eine Verschärfung des Paragraphen 112 des Strafgesetzbuches herbeigeführt werden würde, wenn wir die Taktik des Angeschuldigten für richtig hielten, und das wäre nach meiner Meinung nicht wünschenswert. Dass diese Befürchtung keine leere ist, geht daraus hervor, dass bei der Umsturzvorlage im Jahre 18954 gerade die Verschärfung des Paragraphen 112 eine erhebliche Rolle spielte.

Präsident: Auf dem Internationalen Kongress in Stuttgart und auch auf dem Essener Parteitag hat die Frage des Antimilitarismus eine Rolle gespielt, und dort ist die Stellungnahme der Sozialdemokratischen Partei im Allgemeinen und die Stellungnahme des Herrn Hervé im Besonderen erörtert worden. Welche Stellung hat nun der Angeschuldigte auf diesen Tagungen eingenommen?

Bebel: Bei den Auseinandersetzungen in Stuttgart hat der Angeschuldigte überhaupt keine Rolle gespielt. Er hat sich lediglich veranlasst gesehen, auf eine Rede meines Genossen von Vollmar öffentlich in einer Erklärung zu antworten, und da hat er zwischen sich und Hervé eine scharfe Linie gezogen. Nach meiner Meinung gibt es überhaupt in der ganzen deutschen Sozialdemokratischen Partei nicht einen einzigen Parteigenossen, der auf dem Standpunkt Hervés steht. Der Angeschuldigte Liebknecht hat wiederholt in seinen Reden dargetan, welche grundsätzlichen Differenzen ihn von dem Standpunkt Hervés trennen. Ich habe selbstverständlich Dr. Liebknechts Broschüre, sobald sie erschien, gelesen, nicht nur mit Interesse, sondern auch mit Neugierde, weil ich mir sagte: Willst doch mal sehen, ob in dieser Broschüre Liebknecht Anschauungen vertritt, die denen Hervés ähnlich sind. Da habe ich nun, wie ich mit großer Genugtuung konstatiere, gefunden, dass in der Broschüre von hervéistischen Anschauungen nichts zu finden ist und dass Liebknecht sich entschieden gegen den Hervéismus als in Deutschland unmöglich gewendet hat.

Präsident: Sie haben in Stuttgart erklärt, dass die deutsche Partei schon darum von Hervé abrücke und nichts mit seinen antimilitaristischen Tendenzen zu tun haben wolle, weil man sonst mit dem Strafgesetzbuch in Konflikt kommen würde.

Bebel: Das habe ich ausgeführt.

Präsident: Erinnern Sie sich, dass auf dem Stuttgarter Kongress schließlich eine Resolution angenommen wurde, die, wie mir scheint, das Resultat eines sorgfältigen Kompromisses war. Diese Resolution überlässt den einzelnen Nationen für den einzelnen Fall die Entscheidung. Welche Stellung hat denn nun der Angeklagte zu dieser Resolution eingenommen? In Essen soll er gesagt haben, diese Resolution sei ganz gut, denn sie sei ein Fortschritt gegenüber dem bisherigen Standpunkt der Partei.

Bebel: Das hat Dr. Liebknecht allerdings gesagt. Nach meiner Auffassung ist diese Anschauung jedoch eine irrige. Wir haben in Stuttgart vier Tage lang über die Frage des Antimilitarismus gestritten. Es handelte sich um einen Antrag von einem Teile der französischen Delegation, der eine Resolution durchdrücken wollte, die annähernd den Standpunkt vertrat, den Hervé in seinen Schriften bisher vertreten hat. Wir haben darauf rundheraus erklärt, dass wir Deutsche unter keinen Umständen irgend etwas akzeptieren würden, was auch nur annähernd dem Standpunkte Hervés entspricht. Während der Beratungen sind wir nun den Andersdenkenden, besonders den französischen Genossen, insofern entgegengekommen, als wir eine Reihe von historischen Ereignissen der letzten zehn Jahre, insbesondere die Faschodafrage und die Marokkofrage, in der Resolution aufführten und charakterisierten und sagten, es müsse so weitergearbeitet werden, wie die Proletarier in den verschiedenen Ländern bei diesen Fällen gearbeitet haben. An dem entscheidenden Punkt, auf den es ankam, haben wir unter allen Umständen festgehalten. In dem Schlusssatze der Stuttgarter Resolution heißt es ausdrücklich, dass im gegebenen Falle, das heißt im Falle eines drohenden Krieges, es jeder einzelnen Nation überlassen bleiben muss, welche Schritte sie zu unternehmen gedenkt. Das war für uns die conditio sine qua non, ohne welche wir der Resolution nicht zugestimmt hätten. Dieser unser Standpunkt ist akzeptiert worden. Mögen die Franzosen und andere machen, was sie wollen, daran sind wir nicht gebunden.

Präsident: Der Abgeordnete Vandervelde hat als Berichterstatter der militärischen Kommission in Stuttgart ausgeführt, der Unterschied zwischen Ihnen und Vaillant bestehe lediglich darin, dass Sie alle Mittel fordern, ohne sie zu nennen, während Vaillant sie aufzählt.

Bebel: Dass Vandervelde das ausgeführt hat, ist wahr, aber die Interpretation erkenne ich nicht als richtig an.

Präsident: Welche Stellung hat denn schließlich Hervé zu der Resolution in Stuttgart eingenommen?

Bebel: Zu meiner großen Verwunderung hat er für die Resolution gestimmt. Er hat zwar eine Motivierung seiner Abstimmung in einer Erklärung gegeben, in der er die deutsche Partei in einer für einen Franzosen ungewöhnlich unhöflichen Weise angegriffen hat, aber diese Motivierung war nach meiner Auffassung sehr ungenügend und widerspruchsvoll. Ich war anfangs geneigt, auf seine unhöflichen Äußerungen namens der deutschen Partei zu antworten. Ich unterließ es aber, weil ich mir sagte: Du legst dem Hervé vielleicht viel zu viel Bedeutung bei.

Präsident: Ich habe hier eine Erklärung, die Sie der Magdeburger „Volksstimme" geschickt haben. In der Magdeburger „Volksstimme" war ausgeführt worden, dass Sie sich gegen Hervé gewandt hätten und dass damit auch der Standpunkt Liebknechts, der sich dem Standpunkte Hervés nähere, gerichtet sei. Sie haben sich dagegen verwahrt und erklärt, dass Dr. Liebknecht gar nichts mit dem Standpunkt Hervés zu tun habe und infolgedessen Ihre Verurteilung des Hervéschen Standpunktes den Dr. Liebknechts nicht mit getroffen hätte.

Bebel: Das habe ich allerdings erklärt, das ist mein Standpunkt.

Verteidiger Haase: Ist es richtig, dass Liebknecht auf dem Bremer Parteitage erklärt hat: Da wir nicht in der Lage sind, Kasernenagitation treiben zu können, so müssen wir die Agitation in die Zeit legen, da uns die Gesetze nicht daran hindern?

Bebel: Zweifellos hat er das gesagt. Ich kann nur sagen, wir haben bei unserer Taktik keine Gefahren für Dr. Liebknecht befürchtet, sondern für andere, die wir nicht zum Opfer des Paragraphen 112 des Strafgesetzbuches machen wollen. Es wäre ja sonderbar für einen Juristen, wenn er sich für eine Kasernenagitation erklären würde. Er kennt doch die geradezu brutalen Urteile, die die Militärgerichte fällen, wenn bei irgendeinem Soldaten eine sozialistische Zeitung gefunden wird. Die sogenannten Spindrevisionen sind ja eine ständige Einrichtung geworden.

Verteidiger Haase: Und hat Herr Liebknecht nicht in Mannheim betont, dass selbstverständlich die antimilitaristische Tätigkeit der Sozialdemokratie sich nur innerhalb des gesetzlichen Rahmens zu bewegen habe?

Bebel: Jawohl.

Verteidiger Haase: Sie hatten also niemals den Eindruck, dass Liebknecht mit seinen Ausführungen ein hochverräterisches Unternehmen plane?

Bebel: Bei hochverräterischen Angelegenheiten kann ich ja mitreden, da bin ich ja wohl etwas sachverständig. (Heiterkeit.) Mir ist selbstverständlich niemals der Gedanke gekommen, dass Liebknecht hochverräterische Absichten habe oder durch seine Agitation Vorbereitung zum Hochverrat betreiben wolle.

Verteidiger Haase: Hat Liebknecht jemals öffentlich oder Ihnen gegenüber privatim darüber gesprochen, dass er den Plan hege, durch die revolutionäre Aufklärung der Arbeiter in Frankreich und Deutschland einen Angriff Frankreichs auf Deutschland anzuzetteln und dann diesen Angriffskrieg Frankreichs für politische Zwecke auszunützen?

Bebel: Davon habe ich nie etwas von ihm gehört, und auch in der Broschüre steht meiner Ansicht nach nichts davon.

Liebknecht: Herr Bebel, würden Sie nicht, wenn ich Ihnen gegenüber eine derartige Äußerung getan hätte, gesagt haben, dass ich sofort ins Irrenhaus gehöre?

Bebel: Wenn auch nicht ins Irrenhaus, so würde ich doch dieser Auffassung allerschärfsten Widerspruch entgegengesetzt haben. Nach meiner Meinung ist das ein für einen Parteigenossen unmöglicher Standpunkt.

Liebknecht: Nicht nur unmöglich, sondern auch kindisch und läppisch.

Verteidiger Haase: Und hat Liebknecht vielleicht versucht, die deutschen Proletarier im Gebrauch der Waffen so weit auszubilden, dass sie sie selbständig zu führen in der Lage sind?

Bebel: Ein solcher Gedanke ist nie ausgesprochen worden. Wenn mir das jemand sagte, würde ich ihm allerdings erwidern: Sie gehören ins Irrenhaus.

Verteidiger Haase: Hat Liebknecht Ihnen gegenüber die Äußerung getan, dass er die Kommandogewalt des Kaisers zertrümmern will?

Bebel: Von der Kommandogewalt des Kaisers ist unter uns niemals ein Wort gesprochen worden.

Verteidiger Haase: Liebknecht stellt in seiner Broschüre als sein Programm hin: die Erziehung des Volkes zur allgemeinen Wehrhaftigkeit und zur Entscheidung der Frage über Krieg und Frieden durch das Volk. Sind das neue Gedanken, die Liebknecht ausgesprochen hat, oder sind das nicht vielmehr alte Gedanken?

Bebel: Diese Forderungen stehen seit 1869 in unseren verschiedenen Parteiprogrammen, sie haben also seitdem für die ganze Partei Geltung.

Verteidiger Haase: Gehört diese Forderung nicht zu denjenigen Forderungen der Sozialdemokratie, die bereits an den Gegenwartsstaat gestellt werden und die nach Ansicht der Sozialdemokratischen Partei verwirklicht werden können, ohne dass der gegenwärtige Staat seinen Charakter als Klassenstaat verliert?

Bebel: Diese Forderung gehört mit zu unseren sogenannten nächsten Forderungen, die nach unserer Auffassung samt und sonders im heutigen bürgerlichen Staatswesen verwirklicht werden können, ohne dass dabei der Charakter der heutigen Staats- und Gesellschaftsordnung wesentlich verändert würde. Eine Reihe dieser Forderungen sind auch bereits in den verschiedensten Staaten verwirklicht worden, zum Beispiel die Forderung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts vom vollendeten 20. Lebensjahre ab für alle öffentlichen Wahlen; die Forderung der Ausdehnung des Wahlrechts auf die Frauen, die sogar der russische Zar den Finnländern gewährte; das Verhältniswahlsystem; die Wahl der Richter und Beamten durch das Volk, die Volkswehr, das heißt das sogenannte Milizsystem, dessen Einführung das monarchische England eben in Erwägung zieht, usw.

Liebknecht: Ist Ihnen bekannt, dass eine Umgestaltung der bestehenden Heeresorganisation nicht nur von Sozialdemokraten, sondern auch von Angehörigen anderer Parteien erstrebt wird?

Bebel: Es haben sogar deutsche Offiziere sich für eine solche Umänderung ausgesprochen. Ich erinnere nur an den Generalleutnant a. D. von der Linde, der in einer Broschüre sich zwar für ein kleines stehendes Heer ausgesprochen hat, im Übrigen aber sich mit einem Milizsystem begnügen will, wie es unseren Anschauungen entspricht. Noch mehr sind solche Stimmen im Ausland laut geworden, sogar auf Ministersesseln. Ich erinnere nur an den italienischen Minister Zanardelli. Dann erinnere ich an den französischen Artilleriehauptmann Gaston Moch, der sich ohne jede Einschränkung für ein Milizheer ausgesprochen hat.

Liebknecht: Gibt es in Deutschland politische Parteien, die, genau wie die Sozialdemokratie, die Entscheidung über einen Krieg dem Volke übertragen wissen wollen?

Bebel: Das war früher eine allgemeine bürgerlich-demokratische Forderung, die wir in unser Programm übernommen haben. Wir erheben auf Originalität bei unseren nächsten Forderungen in unserem Programm, wenn wir von den sozialen Forderungen absehen, ich sage wohlgemerkt soziale und nicht sozialistische Forderungen, keinen Anspruch. Es sind alles Forderungen, die die bürgerliche Demokratie ebenso gut geltend machen kann wie wir.

Präsident: Angeschuldigter, Sie sprechen in Ihrer Broschüre von einer Wehrlosmachung des Volkes, was verstehen Sie darunter?

Liebknecht: Nur von einer gleichmäßigen internationalen Wehrlosmachung! Ich denke mir diese als Resultat einer inneren organischen Entwicklung. Nach meiner Meinung müsste jedem Menschen, wenn er ein Kulturmensch ist, wenn er ein ehrlicher, anständiger Mensch, wenn er ein „Christ" sein will, das Blut der Empörung ins Gesicht steigen, wenn zum Beispiel ein Krieg zwischen Frankreich und Deutschland ausbräche. Und diese Stimmung wird, so erwarte und erstrebe ich, in den Massen des Volkes, mindestens des Proletariats, immer allgemeiner und immer tiefer werden. Die Konstatierung dieser sozialen Erscheinung wollte ich mit jenen Worten ausdrücken. Mit einer Armee, die von solcher Empörung getragen wird, kann kein Mensch einen Krieg führen, und wenn er das legitimierteste Kommando in Händen hätte.

Präsident: Sie nehmen also für sich und Ihre Partei in Anspruch, darüber zu entscheiden, ob im Kriegsfalle Gehorsam geleistet werden soll oder nicht. Sie meinen, es wäre der Fall denkbar, in dem eine Armee nicht Order zu parieren hat, sondern sagt: Nein, es wäre eine Schmach, jetzt zu folgen. Meinen Sie nicht, dass dieser Erklärung der Soldaten gegenüber von anderer Seite Gewalt angewendet werden würde?

Liebknecht: Für mich ist dieser Vorgang nur denkbar als Resultat einer historischen Entwicklung in dem Sinne, dass die Zersetzung des Militarismus eine allgemeine geworden ist. Wenn das der Fall ist, dann bedarf es keiner gewaltsamen Einwirkung mehr, um einen Krieg zu verhindern.

Präsident: Wenn nun im Interesse der öffentlichen Sicherheit die Anwendung der Armee nach Maßgabe der verfassungsmäßigen Bestimmungen für notwendig erachtet wird, dann sollen Ihre theoretischen Erörterungen auch Geltung haben?

Liebknecht: Selbstverständlich vollzieht sich die organische Entwicklung in dieser Richtung noch viel rapider.

Verteidiger Hezel: Ich beantrage nunmehr, aus dem Buche Immanuel Kants „Zum ewigen Frieden" die Thesen 3 und 5 zu verlesen.

Oberreichsanwalt Olshausen widerspricht dieser Verlesung: Was soll denn die Verlesung aus einem wissenschaftlichen Werk, das vor hundert Jahren erschienen ist? Im Plädoyer kann natürlich auch ohne dies auf Kant zurückgegriffen werden.

Das Gericht beschließt nach kurzer Beratung, beide Thesen zu verlesen. These 3 lautet:

,Stehende Heere (miles perpetuus) sollen mit der Zeit ganz aufhören.'

Denn sie bedrohen andere Staaten unaufhörlich mit Krieg, durch die Bereitschaft, immer dazu gerüstet zu erscheinen; reizen diese an, sich einander in Menge der Gerüsteten, die keine Grenzen kennt, zu übertreffen, und, indem durch die darauf verwandten Kosten der Friede endlich noch drückender wird als ein kurzer Krieg, so sind sie selbst Ursache von Angriffskriegen, um diese Last loszuwerden; wozu kommt, dass zum Töten, oder getötet zu werden in Sold genommen zu sein, einen Gebrauch von Menschen als bloßen Maschinen und Werkzeugen in der Hand eines anderen (des Staats) zu enthalten scheint, der sich nicht wohl mit dem Rechte der Menschheit in unserer eigenen Person vereinigen lässt. Ganz anders ist es mit der freiwilligen periodisch vorgenommenen Übung der Staatsbürger in Waffen bewandt, sich und ihr Vaterland dadurch gegen Angriffe von außen zu sichern."

These 5 lautet:

Kein Staat soll sich in die Verfassung und Regierung eines anderen Staates gewalttätig einmischen."

Oberreichsanwalt Olshausen: Der Angeklagte hat im Laufe der Verhandlungen dem Reichskanzler Fürsten Bülow den versteckten Vorwurf des Staatsstreiches gemacht, indem er auf eine Äußerung des Fürsten Bülow in dem Silvesterbrief an den Generalleutnant von Liebert anspielte. Er wollte damit zu erkennen geben, dass auch Fürst Bülow vor der Gewalt nicht zurückschrecke und eventuell verfassungswidrige Mittel anwende. Zur Beurteilung dieser Auffassung des Angeklagten bitte ich, den betreffenden Passus aus dem Silvesterbriefe des Reichskanzlers, nach dem „Reichsanzeiger", zu verlesen.

Das Gericht beschließt diese Verlesung. Der Passus lautet: „Entgegen der leider in einigen liberalen Köpfen noch herrschenden Idee, dass die Reaktion im Reiche von rechts drohe und Seite an Seite mit der Sozialdemokratie zu bekämpfen sei, blieb nach meiner festen Überzeugung die wahre Reaktion oder die wahre Gefahr der Reaktion bei der Sozialdemokratie. Nicht nur sind ihre kommunistischen Zukunftsträume kulturfeindlich, die Mittel zu ihrer Verwirklichung brutaler Zwang – alles, was sich etwa irgendwo in Deutschland an reaktionärer Gesinnung findet, gewinnt Kraft und Recht durch die sozialistische Unterwühlung der Begriffe der Obrigkeit, Eigentum, Religion und Vaterland. Auf den wild gewordenen Spießbürger und phrasentrunkenen Gleichmacher Robespierre folgte der Degen Bonapartes. Er musste kommen, um das französische Volk von der Schreckensherrschaft der Jakobiner und Kommunisten zu befreien."5

Liebknecht: Ich möchte bemerken, dass diese Worte im Silvesterbrief nicht die Bedeutung der Worte eines Reichskanzlers haben, der doch über den Parteien stehen sollte, sondern, wie aus dem gehässigen Ton gegen die Sozialdemokratie hervorgeht, diktiert sind von dem zügellosen Hass eines Agitators gegen die Sozialdemokratie.

Damit ist die Beweisaufnahme geschlossen … (Es folgen längere Ausführungen des Oberreichsanwalts zur Begründung der Anklage. Die Red.)

Liebknecht: Ich bitte ums Wort. Soeben ist mir folgendes Telegramm Hervés zugegangen: Je n'ai jamais écrit cette ânerie (Liebknecht et moi nous suffisons pour détruire l'idée de patrie). Envoyez-moi l'article gazette Voss. Bonne chance. Gustave Hervé, 89 rue Vaugirard, Paris.

Deutsch: Ich habe niemals diese Eselei geschrieben (Liebknecht und ich genügen, um die Vaterlandsidee zu zerstören). Schickt mir den Artikel aus der „Vossischen Zeitung". Viel Glück. Gustave Hervé, 89 Rue Vaugirard, Paris.

Hierauf tritt die Mittagspause ein.

Nach Wiedereröffnung der Sitzung erhielt das Wort zum Plädoyer Verteidiger Haase: …

(Es folgen die Plädoyers Haases und Dr. Hezels. Die Red.)

Der Oberreichsanwalt nimmt in höchster Erregung das Wort zu einer Replik, in der er behauptet, dass die Anklagebehörde mit derselben Unbefangenheit an die Prüfung der Anklage gegangen sei wie die Herren auf der anderen Seite, und die Anklagebehörde habe die Genugtuung, dass wesentlich nach ihren Angaben das Verfahren eröffnet sei. Möge der Ausgang des Prozesses sein, wie er wolle, schon darin sehe die Anklagebehörde eine Genugtuung, dass sie mit der Anklage die Anerkennung des Feriensenats gefunden hat. Der Oberreichsanwalt versichert nochmals, dass er vollkommen auf dem Boden des Gesetzes stehe, und wenn er auch aus seiner moralischen Entrüstung über den Angeklagten kein Hehl gemacht habe, so sei das nicht ausschlaggebend gewesen, gegen ihn vorzugehen.

Die Verteidiger verzichten auf eine Erwiderung.

Nach einer viertelstündigen Pause ergreift Liebknecht das Wort zu folgender Schlussrede:

Zunächst noch ein Wort zur Abgrenzung der Anklage. Angeklagt ist meine Schrift, die Verfassung, Drucklegung und Verbreitung meiner Schrift. Was außerdem geschehen ist, gehört nicht hierher. Nun ist im Laufe der Verhandlung viel Material herangebracht worden, das sich mit anderen Vorgängen befasst. Darüber müssen wir uns absolut klar sein, dass eine scharfe Scheidelinie zu ziehen ist gegenüber dem, was vordem, was nach und dann, was sonst außerhalb jener Akte liegt. All das steht nicht zur Anklage, über die Sie zu befinden haben. Ich hatte nichts dagegen, dass auch jenes Material zur Kenntnis des Gerichtshofes gebracht wurde; ich habe diese Kenntnis meinerseits selbst vermittelt. Aber die Tat, die hier abzuurteilen ist, erschöpft sich in der Schrift, beginnt mit der Niederschrift des ersten Wortes und endet mit der Verbreitung, soweit ich auf sie Einfluss geübt habe.

Nun möchte ich mir einige juristische Ausführungen gestatten, weil ich glaube, dass der juristische Ertrag noch nicht ganz erschöpft ist.

Ich will mich zuvörderst befassen mit einigen Merkmalen der Paragraphen 81 und 86. Es ist auf das Gesetz zurückzugehen. Das Gesetz ist hier, wie mir scheint, immerhin bestimmt, und die Judikatur hat diese Bestimmtheit doch nicht vollständig verwischen können. In Paragraph 82 ist der Begriff des „Unternehmens" in einer Weise definiert, die unbedingt maßgebend sein muss, wo immer nur das Wort „Unternehmen" an anderer Stelle dieses Abschnitts unseres Strafgesetzbuches vorkommt. Dort heißt es: Unternehmen ist eine Handlung, durch die das Vorhaben unmittelbar zur Ausführung gebracht werden soll. Der Begriff des „Unternehmens" ist, nach allgemeiner Ansicht, enger als der des „Versuchs". Und diesen Inhalt hat das Wort „Unternehmen" notwendig auch in Paragraph 86! Es muss nach Paragraph 86 eine Vorbereitung vorliegen in Bezug auf ein hochverräterisches Unternehmen, das heißt also in Bezug auf eine Handlung, durch die das hochverräterische Vorhaben unmittelbar zur Ausführung gebracht werden soll. Damit ist unzweideutig dargelegt, dass man nun nicht plötzlich im Paragraph 86 an Stelle des in Paragraph 82 fest und ex professo formulierten Begriffs „Unternehmen" irgend etwas Nebelhaftes setzen und sagen kann: Es ist nur notwendig ein Ziel und die Absicht, das Ziel zu verwirklichen! Nein! Wenn im Paragraph 82 der Begriff des Unternehmens allgemein und klar umschrieben ist, so bindet das auch für den Paragraphen 86. Und wenn die Judikatur bisher leger gewesen ist und den Begriff unbestimmt gefasst hat, so widerspricht das dem klaren Wortlaut des Gesetzes.

Ich komme zu dem Verhältnis von Paragraph 85 zu 86, will mich hier aber nur noch befassen mit einer Einwendung, die gegen die Verwendbarkeit dieses Paragraphen für die Anklage von einem hochangesehenen Juristen gemacht worden ist. In dem mir hier vorliegenden bedeutsamen Kommentar ist in Note 1 zu Paragraph 83 ausgeführt: „Während durch eine vorbereitende Handlung, die zwar den Anfang der Ausführung nicht enthält, immerhin die eigene Ausführung vorbereitet werden muss, betrifft Paragraph 85 lediglich die an dritte Personen gerichtete Aufforderung zur Ausführung einer nach Paragraph 82 strafbaren Handlung. Diese Aufforderung ist von der Vorbereitung so verschieden wie die Anstiftung von der Tat." Es ist bekannt, dass Paragraph 85 vielfältig auch sonst als nicht in das System dieses Abschnitts unseres Strafgesetzbuchs hinein gehörig, sondern zu den Paragraphen 111, 112 gehörig bezeichnet worden ist. Daraus ergibt sich folgendes: Paragraph 86 spricht von einer vorbereitenden Handlung. Wenn ich also diesem hochangesehenen Juristen in seinen Deduktionen folgen darf –

Präsident: Wer ist dieser Jurist?

Liebknecht: Das ist der Herr Oberreichsanwalt Olshausen! (Große Heiterkeit und Bewegung.)

Wenn also in Paragraph 86 von einer „vorbereitenden Handlung" die Rede ist, so muss es sich um ein hochverräterisches Unternehmen handeln, das als ein eigenes ausgeführt werden soll, und es genügt nicht der Plan eines fremden hochverräterischen Unternehmens, nicht also eine Aufforderung an andere, ihrerseits vorbereitende Handlungen zur Ausführung eines hochverräterischen Vorhabens zu vollbringen. Durch das Medium der Aufforderung ist das Band zwischen der eigenen Tat und dem hochverräterischen Unternehmen zerrissen. Ich glaube, dass damit der Anklage juristisch der Boden entzogen ist, und bin begierig, ob der Oberreichsanwalt nicht am Ende aus diesen seinen eigenen Darlegungen heraus nunmehr die Überzeugung von der Unnahbarkeit der Anklage entnimmt und sie fallenlässt.

Damit sind die juristischen Bedenken noch nicht erledigt. Was will ich zunächst? Ich agitiere für einen Ausschuss. Ich erreiche vielleicht, dass auf einem Parteitage der deutschen Sozialdemokratie die Bildung eines Ausschusses beschlossen wird. Darauf wird dieser Ausschuss voraussichtlich irgendwie konstituiert. Der Ausschuss agitiert vielleicht selbst, er wird es aber wohl nicht selber tun, sondern – und das habe ich vorgeschlagen – wieder andere Personen damit betrauen oder gar die spontane Tätigkeit anderer Personen nur fördern, kontrollieren. Was wird geschehen? In welchem Sinne wird agitiert? Im Sinne derjenigen Aufklärung – Stimmungsmache will ich das einmal nennen –, die ich in meiner Schrift gekennzeichnet habe.

Wenn ich nun Jugendorganisationen und den geforderten Ausschuss habe, so genügt das noch nicht. Diese Organisationen und der Ausschuss müssen arbeiten, um die erstrebte Stimmung zu erzielen. Und das ist – nach der Darstellung meiner Schrift selbst – eine langwierige, mühselige Arbeit. Es ist ja notwendig, dass der weit überwiegende Teil der Bevölkerung von antimilitaristischem Geiste durchtränkt wird, ehe der Erfolg der Unmöglichkeit des Krieges eintritt. Und nicht einmal nur das: In beiden Ländern – so führe ich aus –, die für den Krieg in Betracht kommen, muss diese Zersetzung des militaristischen Geistes gleichmäßig erfolgt sein.

Es handelt sich also nicht um eine Vorbereitung zu einer Vorbereitung, sondern um eine Vorbereitung zu einer Vorbereitung zu einer Vorbereitung zu einer Vorbereitung zu einer Vorbereitung – zu einer Aktion, die demnächst vielleicht – hoffentlich! – die Stimmung erzeugt, die den Krieg unmöglich macht! Der Begriff Vorbereitung darf überhaupt nicht logisch gefasst werden.

Nehmen Sie an, ich hätte diese Schrift nicht geschrieben, sondern nur das Papier gekauft, in der Absicht, sie zu schreiben. Das ist unzweifelhaft eine ganz wesentliche Vorbereitung zur Abfassung. Logisch ist gar nichts dagegen einzuwenden, dass dies eine Vorbereitung zu meinem angeblichen hochverräterischen Unternehmen sei. Mit demselben Recht darf man auch sagen: Die Erzeugung von Kindern könne eine Vorbereitung zum antimilitaristischen Hochverrat sein. Logisch ist auch dagegen nichts einzuwenden. Praktisch ist's natürlich lächerlich, aber man kann doch die Absicht hegen, die Kinder zu späterer antimilitaristischer Wirksamkeit zu erziehen. Aus alledem folgt, dass der Begriff der „vorbereitenden Handlung" nicht logisch, sondern in einer praktisch verständigen Begrenzung gefasst werden muss.

Wann tritt nun nach Annahme meiner Schrift der Erfolg ein, dass zum Beispiel ein Krieg zwischen Frankreich und Deutschland unmöglich wird? Zunächst setze ich den Fall, dass der Krieg überhaupt ausbricht. Das ist leider möglich, aber glücklicherweise nicht wahrscheinlich: erste Unbestimmtheit. Was ist weiter notwendig? Die Entwicklung, meinethalben auch die Schöpfung einer bestimmten geistigen und moralischen Disposition. Um diese Disposition zu schaffen, müssen sechs bis acht Zwischenglieder, die ich eben beschrieben habe, durchlaufen, muss eine unendliche Arbeit geleistet werden! Der Oberreichsanwalt meint: Es steht in der Schrift: Die Zeit ist reif! Darauf ist so viel herum getreten worden. Ich kann schlechterdings nicht einsehen, wie man dieses Wort so fundamental hat missverstehen können. Nirgends ist in der Schrift ein Zweifel gelassen, dass dieses Wort ausschließlich besagt: Die Zeit ist reif, es ist dringende Zeit, die antimilitaristische Propaganda energisch zu beginnen; nur auf diese Weise ist es möglich, die langwierige, mühselige Arbeit überhaupt zu fördern, zu verrichten, als die sich die Aufklärung der Massen darstellt. Die Sozialdemokratie ist vor über 40 Jahren gegründet worden. Als Lassalle 1863 sein „Offenes Antwortschreiben" erließ, sprach er die Überzeugung aus: Die Zeit ist reif für eine proletarische Agitation und Organisation! Im Übrigen sage ich an der entscheidenden Stelle ausdrücklich: Das Proletariat ist zur Erfüllung seiner antimilitaristischen Aufgaben – leider! – noch längst nicht reif! Es ist noch alles zu tun übrig! Wir sind noch in den Kinderschuhen! – Meines Erachtens kann also keine Rede davon sein, dass das von mir angeblich geplante Unternehmen ein „bestimmtes" ist.

Nun haben wir gestern und heute früh mehrfach die wechselreiche, abenteuerliche Geschichte und den jetzigen Zustand der Anklage zu erörtern gehabt. Nachdem, wie ich annehmen muss, das bisherige Verfahren in eine ausreichende bengalische Beleuchtung gesetzt ist, will ich aus einem chevaleresken Gefühl heraus jetzt zu diesen vielen Angriffen nicht noch weitere hinzu häufen Ich bin zwar der am meisten Betroffene; diese Aktion bezweckt ja nichts weniger, als mich ins Zuchthaus zu bringen. Aber (mit einer Handbewegung zum Oberreichsanwalt) ich will Gnade vor Recht ergehen lassen.

Ich habe mich hier abzufinden mit der Tatsache, dass jetzt eine ganz neue Anklage gegen mich erhoben ist. Mit der Anklage des Oberreichsanwalts habe ich mich befasst; sie kommt kaum mehr in Frage; der Prozessleiter hat sie ja überhaupt kaum zur Erörterung gestellt. Die Anklage wiederum, die man mir vom Richtertisch entgegenhält und die von der Anklage der Anklagebehörde wie vom Eröffnungsbeschluss grundsätzlich abweicht, wird vom Vertreter der Anklagebehörde geflissentlich unbeachtet gelassen. Abgesehen von der Ungeheuerlichkeit, dass ich in einer so ernsten Sache die wirkliche Substanz der Anklage erst im Termin erfahren habe – worauf ich freilich gefasst war –, sehe ich mich vor dieser ganz außergewöhnlichen Dissonanz zwischen Anklagebehörde und Richterkollegium, die einander geradezu bekämpfen; und ich stehe in der Tat vor der Notwendigkeit, mich nicht so sehr gegen den Ankläger zu verteidigen, dessen Waffe bereits zerbrochen ist, sondern gegen eine vom Vorsitzenden des Richterkollegiums gefasste, mündlich mitgeteilte Formel.

Die Hohen Senate, wenn auch höchste Instanz, sind wohl imstande, von ihren eigenen Beschlüssen abzugehen. Ich muss infolgedessen gegenüber dem Beschluss von heute morgen nochmals betonen: Nach meiner ganz abstrakt gewonnenen Überzeugung kann kein Zweifel obwalten, dass die Formulierung, die der Präsident gestern vorgetragen hat, mir eine andere Tat zum Vorwurf macht als die Anklage und der Eröffnungsbeschluss. Es ist bisher nirgends die Rede davon gewesen, dass mein Zweck darauf gerichtet sei, die Kommandogewalt des Kaisers zu beseitigen. Das ist ein Novum. Allerdings stützt sich auch diese Behauptung auf Stellen meiner Schrift; aber dieser rein äußerliche Umstand ist absolut nicht imstande, die nötige Identität der Tat herzustellen. Schon darum nicht, weil zu jedem konkreten Hochverrat ein konkretes Ziel gehört; und wenn an Stelle des Zieles, das mir früher imputiert worden war: Abschaffung des stehenden Heeres, nunmehr gesetzt wird: Aufhebung der Kommandogewalt des Kaisers, dann ist das ein neues Ziel, also eine neue Tat, also stehe ich vor einer neuen Anklage; und wenn ich daraufhin verurteilt werde, dann bin ich rechtswidrig verurteilt. Das ist keineswegs nur eine Frage von formell-prozessualem Interesse, das ist von entscheidender praktischer Wichtigkeit für die Möglichkeit, mich überhaupt noch zu verfolgen. Denn wenn eine andere Handlung vorliegt, dann können Sie mich gar nicht mehr, auch nicht in einem anderen Verfahren, auch nicht auf Grund einer neuen Anklage und eines neuen Eröffnungsbeschlusses, verurteilen, weil Pressverjährung6 eingetreten ist. Deshalb ist es für mich höchst bedeutsam, ob die Herren, die bisher Identität der Tat angenommen haben, wirklich noch auf diesem Standpunkt stehen.

Ich fordere also – und als Angeklagter darf ich fordern, es handelt sich um meine Freiheit, nicht um meine Ehre, denn die unterliegt nicht der Macht des Gerichts, die könnte mir durch einen Spruch des Gerichts nicht genommen werden –, ich fordere, dass ich wegen Verjährung außer Verfolgung gesetzt werde.

Wie steht's nun aber mit dieser neuen Anklage, wenn ich sie zugrunde lege? Danach soll ich geplant haben, die Kommandogewalt des Kaisers zu vernichten, und zwar mit Gewalt. Ich habe jedoch, um den inneren Militarismus herauszugreifen, im Wesentlichen von Staatsstreichen gesprochen. Natürlich ist die Anklage für einen solchen Fall nichtig, weil eine staatsstreichlerische Gewalt nicht legitim ist und das Volk nicht bindet, weil ihre Abwehr Verfassungsschutz, nicht Hochverrat ist. Aber nehmen wir einmal an, dass es zu Unruhen anderer Art kommt. Setzen wir den Fall von Hildburghausen, wo 1904 Militär gegen „rebellierende" Techniker requiriert worden war. Wer hatte damals das Militär kommandiert? Es war ein blutjunger Leutnant, der auf polizeiliche Veranlassung einschritt. Ja, der Leutnant ist doch nicht der Inhaber der kaiserlichen Kommandogewalt, von der in der Verfassung die Rede ist! Truppen sind bei dem Bergarbeiterstreik von 1899 in Rheinland-Westfalen vorgegangen. Wer hat sie herbeigerufen? Nicht der Kaiser – der Oberpräsident der Provinz! Wenn ich unter diesen Truppen agitiert hätte – etwa im Sinne der Revolutionsromantik der Reichsanwaltschaft –, um sie zu veranlassen, nicht zu schießen, würde ich sie damit veranlasst haben, einem Befehle des Kaisers nicht zu folgen? Soll man denn wirklich noch nötig haben, sich gegen eine solche Idee zu verteidigen?

Nun will ich aber weitergehend sogar den ganz hypothetischen, jeder bestimmten Aussicht entbehrenden Fall setzen, dass ein riesenhafter Generalstreik über ganz Deutschland ausbricht; der Kaiser erklärt den Belagerungszustand, Truppen werden konsigniert, bereitgehalten, sollen losschlagen, und nun will ein Teil der Truppen nicht gehorchen. Der Vorsitzende meint, unter diesen Umständen könne dadurch Blutvergießen entstehen, dass nunmehr die gehorsamen Truppen jene Mannschaften, die in passiver Resistenz verharren, durch Gewalt zu nötigen suchen, ihre Pflicht zu tun. Ich will die Verfassungsmäßigkeit eines solchen Einschreitens nicht prüfen, sondern einfach voraussetzen. Aber dann kommt ja doch die Gewalt hinterher, dann ist ja doch die Lähmung der Kommandogewalt vollzogen, bevor die Gewalt kommt, und die Gewalt findet statt, um sie wiederherzustellen. Daran ist doch gar nicht zu deuteln. Jene Unterstellung, jene legendäre Möglichkeit, von der hier die Rede ist, sie setzt den Fall so, dass die Gewalt geübt wird nicht zur Lahmlegung der Kommandogewalt des Kaisers, sondern hinterher, nach ihrer Lahmlegung. Auch aus diesem Gesichtspunkt kann ich sagen: Die Anklage ist schon rechtlich von Grund aus haltlos.

Die Jugendorganisationen sollen Erkenntnis verbreiten. Das dürfen sie! Das darf ich! Weshalb soll ich das nicht? Weil ich die Überzeugung hege, dass die Verbreitung von Aufklärung unter Umständen zu revolutionären Ereignissen führen könnte? Was wollen Sie aber gegen die Verbreitung von Aufklärung machen? Es gibt keine Macht der Welt, die sie verhindern könnte. Auch kein Spezialgesetz, von dem der eine Verteidiger sprach, könnte dem vorbeugen. Und garantiert nicht eine fundamentale Verfassungsbestimmung das förmliche Recht zur Verbreitung von Aufklärung? Ich will diese Aufklärung und verspreche mir von ihrer Verbreitung eine moralische Disposition der Bevölkerung, die kulturwidrige Gewalt unmöglich macht. Also, weil ich meinerseits eine Hoffnung knüpfe an eine Handlung, die ich vornehme, darum wollen Sie mich bestrafen!

Im 5. Bande seiner Entscheidungen hat das Reichsgericht den Fall erwogen, dass jemand sein Kind etwa dahin unterweist: Wenn es, nachdem du erwachsen bist, geschehen sollte, lieber Junge, dass man gegen das Proletariat Gewalt anwendet, dann ist es deine Pflicht, dem mit Gewalt entgegenzutreten! Das ist nach dieser Entscheidung des Reichsgerichts nicht strafbar. Aber ich fordere gar nicht einmal eine Erziehung zu revolutionären Grundsätzen in diesem Polizeisinn, sondern nur im Sinne der Aufklärung, der Belehrung. Das genügt vollauf.

Die Erkenntnis ist es, die uns die Leute bringt. Wissen ist Macht! Das Wissen, dessen Verbreitung niemand hindern kann. Das einzige „Staatsgefährliche" ist die Perspektive, die ich eröffnet habe, dass nämlich, wenn die Erkenntnis, die ich wünsche, verbreitet wird, dies für die Barbarei unserer gegenwärtigen Zustände gefährlich sei. Diese Perspektive ist aber beileibe kein hochverräterisches Unternehmen; sie vermag zu dem objektiven Tatbestand, an dem es hier an allen Ecken und Enden gebricht, kein Tüpfelchen hinzu zu tragen Diese Perspektive habe ich doch nicht geschaffen, schaffe ich doch nicht. Ich bin nicht daran schuld, dass die Aufklärung über das Wesen unserer Gesellschaftsordnung gefährliche Stimmungen zeitigen kann! Das ist die Schuld der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung. Es gibt ein ausgezeichnetes Mittel, diese Gefahren zu beseitigen, die Ihnen drohen: Sorge man dafür, dass an Stelle des gegenwärtigen Heeressystems ein unserer Kultur entsprechendes System eingeführt werde, dass das Heer nicht gebraucht werde gegen den inneren Feind, dass die militärischen Lasten sich vermindern, dass die Soldatenmisshandlungen verschwinden und alles das, was unseren Militarismus zu einer Kulturschmach macht. Dann würde meine Aufklärungsarbeit Ihnen unschädlich platt zu Boden fallen, sie wäre sinn- und inhaltslos. In Wahrheit: Es handelt sich hier einfach um das Faktum, dass durch die Verbreitung geistiger Klarheit, höherer moralischer Auffassung und eines vertieften Lebensbedürfnisses, die notwendig im Widerstreit stehen zu der Unvernunft, Unkultur und Ungerechtigkeit unserer sozialen Zustände, ein Antagonismus erzeugt wird, der den herrschenden Klassen Schwierigkeiten bereitet.

Diese gegen mich geführte Anklage will jenes Hohnwort Lassalles zur Wahrheit machen, dass die Verbreitung von Vernunft bereits Hochverrat sei. So liegt die Sache in der Tat! Dieser Prozess ist ein Tendenzprozess im verstiegensten, superlativischsten Sinne des Wortes, ein Prozess, gerichtet nur gegen meine Tendenz, gegen meine Gedanken und Wünsche, und hervorgegangen aus den politischen Wünschen meiner politischen Gegner. Ich aber stelle fest: Jede Handlung, die von mir unternommen ist, erschöpft sich in der Verbreitung von Vernunft und ist an und für sich legal, ganz offenbar legal! Durch die Hoffnungen und Erwartungen, die ich an sie knüpfe, mögen sie sein, welche sie wollen, kann sie nimmermehr ungesetzlich werden.

Natürlich hege ich nicht den geringsten Zweifel, dass alles dasjenige, was ich auf antimilitaristischem Gebiete tue, sehr weiten Kreisen höchst unangenehm ist. Ich wusste, dass ich mir sehr mächtige Feinde zuziehen würde durch das, was ich tat, und ich habe es getan im vollen Bewusstsein dessen, eine Welt von wohl gewappneten Feinden gegen mich aufzurufen.

Angesichts dieser Tatsache, angesichts meines Verhaltens bisher, nicht nur in diesem Prozesse, hat der Oberreichsanwalt heute den Geschmack besessen, mir zu imputieren, dass ich mir eine Maske aufsetze. Der Verteidiger Haase hat diesen Anwurf bereits so erledigt, wie er meines Erachtens nur erledigt werden darf. Es ist etwas viel Ernsteres, als Rechtsanwalt, als Familienvater, als gänzlich vermögensloser Mensch, der von seiner persönlichen Arbeit lebt, sich in den Strudel der Politik hineinzuwerfen und mit den wehrhaftesten Vertretern unserer heutigen Zustände anzubinden – das ist etwas viel Gefährlicheres, als Anklagen zu erheben. Und ich weiß nicht, woher der Oberreichsanwalt die Legitimation nimmt, auch nur den Schatten eines Vorwurfes solcher Art gegen mich zu erheben. Ach, Herr Oberreichsanwalt, ich bin nicht feige! Ich stehe zu meinen Taten! Ich bin nie feige gewesen, und ich meine, dass es eines Sozialdemokraten unwürdig ist, auf den Vorwurf der Feigheit überhaupt zu antworten.

Und nun! Wie ist die Situation hier in diesem Saale?

Ich habe schon wiederholt betont, auch außerhalb dieses Hauses: Dieser Prozess ist ein Gottesgeschenk! Ja, ist das nicht richtig? Ist das kein Gottesgeschenk, dass ich mich einer solchen Anklage, einer solchen gerichteten Anklage gegenübersehe, dass es uns möglich ist, dass es gerade mir möglich ist, hier vor der ganzen Welt meinen antimilitaristischen Standpunkt zu entwickeln? Das ist in der Tat etwas, was ich nicht genug preisen kann! Und wenn ich noch einer wohl gewappneten Anklage gegenüberstände! Aber einer Anklage gegenüber, die nichts anderes zu erregen imstande ist als Mitleid – da könnte ich keine Regung der Feigheit haben, selbst wenn ich ein Hasenherz, wäre!

Aus den Vorgängen der letzten Zeit geht klar hervor: Es gilt einen systematischen Feldzug gegen den Antimilitarismus und die Jugendbewegung! Und dies hier ist die erste große Kavallerieattacke. Wir haben ja gehört, wie ernst man den Antimilitarismus an einflussreichen Stellen auffasst. Man begann mit den Jugendorganisationen. Wir sahen, wie vor fast Jahresfrist in Königsberg ein Familienvater unter dem Weihnachtsbaum weg verhaftet wurde, ohne jede begründete Veranlassung, zu einer Strafvollstreckung, nachdem er schwer verurteilt worden war, weil er Leiter einer Jugendorganisation gewesen ist.7 Dann kamen die Verfolgungen der Berliner Organisation, der anderen norddeutschen Organisationen, offenbar rechtswidrige Akte der Polizei in großer Zahl. Das bin ich gern bereit, vor Gericht zu verantworten. Ein Landrat aus der Umgebung Berlins gibt nicht, wie es seiner Pflicht entspricht, dem Vertreter der Jugendorganisation auf seine gehörige und wohlbegründete Beschwerde eine sachliche Antwort, sondern fertigt den Beschwerdeführer mit ungezogenen Redensarten ab wie einen Schulbuben. Und dieser Hochverratsprozess steht nicht allein. Schon schweben drei oder vier derselben Art.

Wem unter diesen Umständen nicht klar ist, dass man hier ein bestimmtes Ziel im Auge hat, das Ziel, die antimilitaristische Agitation zu vernichten, die Jugendorganisation abzutun, der muss mit Blindheit geschlagen sein. Mit jenen Verfolgungen der Jugendorganisationen, mit der peinlichsten Überwachung der antimilitaristischen Bewegung ging die Geschichte los. Da kommt meine Broschüre. Aha, sie muss gefasst werden. Ich weiß nicht, wer sie dem Oberreichsanwalt als besonderes Präsent unterbreitet hat, aber das ist klar, dass dieser Jemand ein sehr robustes Gewissen haben muss, wenn er dem Oberreichsanwalt die Auslegung und den Auszug suggeriert hat, die in der Anklage enthalten sind.

Präsident (unterbrechend): Diese Betrachtungen sind schon von anderer Seite ausreichend angestellt worden. Wir haben es doch wohl kaum damit zu tun. Ich möchte bitten, zur Sache zu kommen.

Liebknecht: Ich war bereits entschlossen, damit genug sein zu lassen des grausamen Spieles. Es ist klar, dass der Zweck, den ich meinerseits verfolge, nur bezeichnet werden kann mit den kurzen Worten: Verwirklichung der Verfassung! Nicht aber: Vernichtung der Verfassung!

Mein Zweck ist, an Stelle der Kriegsbegeisterung eine höchst intensive Friedensbegeisterung zu setzen. Das ist der Kern und die Konsequenz meiner Schrift.

Der Oberreichsanwalt hat gemeint, dass ich ganz offensichtlich Gewalt anwenden wolle. Ich will diese Behauptung nicht nochmals nach allen Richtungen widerlegen, nachdem sie von meinen Verteidigern widerlegt worden ist. Ich will nur noch einige wenige Punkte herausgreifen. Die klassische Ausführung des Oberreichsanwalts zu meinen Bemerkungen über die Waffentechnik hat Haase berührt. Wenn ich dort die Zukunftsaussicht ausmale, dass die Waffenerzeugung wiederum Allgemeinheitssache werde, rede ich natürlich von der Sozialisierung der Waffenproduktion, nicht von ihrer Monopolisierung durch das Proletariat oder dergleichen. Wenn der Oberreichsanwalt mir vorhält, dass ich dem Militarismus den Krieg bis aufs Messer erkläre, so ist mir nach gewissen Erfahrungen nicht ganz klar, ob der Oberreichsanwalt das nicht vielleicht doch wortwörtlich genommen hat. Ich muss damit rechnen, dass er am Ende doch meint, ich wolle mit Messern und allen möglichen Instrumenten gegen den Militarismus vorgehen. Das wäre ein köstliches Pendant zu den berühmten revolutionären Bierseideln aus dem Lassalleschen Hochverratsprozess.

Nun habe ich gesagt: Si vis pacem, para bellum, nämlich gegen den Militarismus! Und das soll, so behauptet der Oberreichsanwalt, für gewalttätige Absichten sprechen! Ja, wenn ich gegen den Militarismus „rüste", so tue ich es, um Frieden zu haben, nicht Krieg. Dann hat der Oberreichsanwalt auf Seite 30 meiner Schrift hingewiesen; dort zeige sich, dass mir der Gedanke einer bewaffneten Revolution geläufig sei. Aber der ist doch der Geschichte geläufig.

Die gar zu absonderliche Umredigierung des Wortes „ungünstig" ist bereits gebührend abgefertigt und kann mir keinen Anlass zu weiteren Auseinandersetzungen geben. Aber gerade hier sehe ich vielleicht den psychologischen Schlüssel zum Verständnis der ganz ungewöhnlichen Anklageschrift. Ich habe geglaubt, dass die Anklage recht bösartig gemeint sei, dass sie manche Qualitäten enthalte, die ich, um im Rahmen des Parlamentarischen zu bleiben, hier nicht hinreichend kennzeichnen will. Aber nach jener Interpretationsleistung möchte ich fast doch mit der Möglichkeit rechnen, dass alle Unsäglichkeiten der Anklageschrift in gutem Glauben zustande gekommen sind.

Ich soll zu Gewalttätigkeiten aufreizen? Ich, der ich mich um die äußerste Verschärfung der planmäßigen Agitation gegen den Krieg und alle Gewalt nach Kräften mühe?

Der wirkliche Grund der Anklage ist klar. Dieser Grund ist nicht juristisch, sondern politisch, und darum ist es so schwer, diese Anklage juristisch anzufassen. Sie ist kurzweg ein Akt der Staatsräson, nicht ein Akt der Justiz. In einer Schrift, die den Zweck verfolgt, Frieden zu säen anstatt Krieg, die eine Friedhaftmachung der Weltpolitik anstrebt, die sich wendet gegen den waffenstarrenden Militarismus, gegen dasjenige Instrument der Gesellschaft, dessen Zweck und Wesen die Gewalt ist; in einer solchen Schrift soll – indem man den Spieß umkehrt – die Vorbereitung zu Gewalttätigkeiten gefunden werden! O nein! Die Gewalt wird verteidigt durch diese Anklage gegen die Versuche zur Beseitigung der Gewalt. So steht's in Wirklichkeit.

Ich will den Frieden, der Oberreichsanwalt aber die Gewalt.

Ich verfolge den Zweck, die Entscheidung über Krieg und Frieden aus dem Dunkel der Kabinette und Diplomatenschleichwege herauszuholen und an das Licht der Öffentlichkeit zu ziehen. Das fassen die Herren ganz besonders unwillig auf. Ich will, dass die Entscheidung über Krieg und Frieden dem Willen des ganzen Volkes unterstellt werde. Ich weiß, dass man derartige Bestrebungen sehr unangenehm empfindet und dass man die zünftige Diplomatie hier gern weiter ihres Amtes walten lassen und den jetzigen Absolutismus erhalten möchte. Nichtsdestoweniger ist es Pflicht jedes kulturell empfindenden Menschen, jedes Sozialdemokraten, dafür zu sorgen, dass hier eine Änderung geschaffen wird, dass das Volk, das die Lasten des Krieges zu tragen hat, auch über den Krieg zu entscheiden hat. Ich will schließlich, dass unser Heer nicht gegen den inneren Feind, zum Bürgerkrieg, verwendet werde. Und das hat sicher am meisten böses Blut, ja heftigste Empörung gegen mich erregt. Auch hierbei vertrete ich offenbar das Prinzip des Friedens.

Soviel von meiner Schrift und der Anklage.

Der Oberreichsanwalt hat sich erlaubt, mich auch persönlich hineinzuziehen und meinen Charakter anzugreifen. Der Oberreichsanwalt hat den Antrag gestellt auf zwei Jahre Zuchthaus, wenn ich mich nicht irre – ich habe nicht genau hingehört –, und wohl auch auf Ehrverlust; er hat mir ehrlose Gesinnung nachgesagt. Ja, meine Herren. Ehrlose Gesinnung – Sie können glauben, dass ich sie habe. Es ist möglich, meinethalben; ich kann Ihnen den Glauben nicht nehmen. Ich stehe mit verschränkten Armen vor Ihnen. Was ich von meiner Gesinnung zu halten habe, das weiß ich. Meine Ehre ist mein, und wenn Sie alle fünfzehn der Auffassung sind, dass ich eine ehrlose Gesinnung habe, und wenn Sie mich ins Zuchthaus schicken und mir die Ehrenrechte absprechen: Ich werde innerlich nicht berührt. Das wird von mir abprallen und wird für meine Ehre sein wie ein Hauch auf einen blanken Spiegel! Aber dem Oberreichsanwalt ganz besonders möchte ich nach dem, was hier zutage getreten ist, jede Legitimation absprechen, von meiner Ehre auch nur zu reden!

Im Übrigen hat dieser Prozess die denkbar beste Wirkung, mag das Resultat sein, wie es wolle. Sie können meine Existenz vernichten und die meiner Kinder, das ist möglich. Aber im politischen Kampf werden die Familien oft geopfert. Der Dienst im politischen Kampfe ist ein rauer Dienst. Und wie der Soldat, der in den Krieg zieht, auf die Kugel gefasst ist, die ihn niederwirft, so weiß der Sozialdemokrat, der sich aufs Schlachtfeld der Politik begibt: Jeden Augenblick kann er dahingerafft werden. Manch einer bleibt auf der Strecke. Es ist ein Mann über Bord; es werden andere an seine Stelle treten! Sagen Sie: Mann über Bord!

Hier ist für meine antimilitaristischen Gedanken eine glänzende Propaganda gemacht worden. Unserer Justiz aber ist, wie mir scheint, kein großer Dienst erwiesen worden. Und es hat sich hier von Neuem gezeigt, was im politischen Prozess die Regel ist: Der Pfeil kehrt sich gegen den Schützen und trifft den Schützen! Ich fühle mich hier nicht als Angeklagter, wenn ich auch verurteilt werde.

1 Der Parteivorstand der SPD beschloss am 13. Oktober 1907, den vollständigen Prozessbericht als Massenbroschüre zu veröffentlichen. Er erschien noch 1907. Neuauflage: Der Hochverratsprozess gegen Karl Liebknecht 1907 vor dem Reichsgericht, Dietz Verlag, Berlin 1957. Die Red.

2 Lex Heinze — eine Novelle vom Juni 1900 zum Strafgesetzbuch zur „Hebung der Sittlichkeit", veranlasst durch den Prozess gegen den Zuhälter Heinze (1891). Der Gesetzentwurf enthielt ursprünglich auf Betreiben des Zentrums und der Konservativen auch mehrere muckerhafte Bestimmungen über Einschränkung der künstlerischen und literarischen Freiheit. Eine starke öffentliche Bewegung gegen die Kunst- und Theaterparagraphen führte zu ihrer Entfernung aus dem Entwurf der Novelle. Zedlitzscher Volksschulgesetzentwurf — Das dem preußischen Abgeordnetenhaus 1892 vorgelegte Volksschulgesetz des Kultusministers Graf von Zedlitz und Trützschler, das die konfessionelle Volksschule begünstigen und den Einfluss der Geistlichkeit auf das Schulwesen vergrößern sollte, musste von ihm, vor allem auf Protest der Sozialdemokratie und liberaler Kreise, zurückgezogen werden.

3 Reichskanzler Fürst von Bülow richtete an den Vorsitzenden des Reichsverbandes gegen die Sozialdemokratie, Generalleutnant von Liebert, zur Jahreswende 1906/1907 einen Brief, der eine zügellose Hetze gegen die Sozialdemokratie enthielt und die Reaktion im Hinblick auf die bevorstehende Reichstagswahl zum festen Zusammenschluss um die Regierung aufrief.

4 1894/1895 wurde von Wilhelm II. der Feldzug gegen den „Umsturz" proklamiert. Die von der Regierung am 17. Dezember 1894 eingebrachte Gesetzesvorlage gegen die Parteien des „Umsturzes", die eine Verschärfung der Strafgesetzgebung vorsah und sich besonders gegen die Sozialdemokratie richtete, wurde am 11. Mai 1895 im Reichstag abgelehnt.

5 Deutscher Reichsanzeiger und Königlich Preußischer Staatsanzeiger Nr. 2 vom 3. Januar 1907. Die Red.

6 Bei Verstößen gegen die Pressegesetzgebung trat nach sechs Monaten Verjährung ein. Nach diesem Zeitraum war nach Paragraph 22 des Gesetzes über die Presse vom 7. Mai 1874 eine Strafverfolgung nicht mehr möglich.

7 Am 28. Februar 1906 wurde der Verein der Lehrlinge und jugendlichen Arbeiter Königsbergs wegen angeblicher politischer Betätigung und sozialdemokratischer Tendenzen verboten. Es kam darauf zu mehreren Prozessen, in denen Mitglieder zu Geld- und Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Der Vereinsvorsitzende erhielt z. B. 4¾ Monate Gefängnis.

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