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Karl Liebknecht 19070921 Fördert die Jugendorganisationen!

Begründung des Antrages 881

[Nach Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Essen vom 15. bis 21. September 1907, Berlin 1907, S. 390 f. und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 2, S. 74-76]

Wir haben bereits in Mannheim einen Antrag angenommen, und zwar einmütig, der der Partei die Förderung der Jugendorganisationen zur Pflicht macht. Auch in der Stuttgarter Resolution über den Militarismus ist ein Passus enthalten, der die Partei und die Gewerkschaften verpflichtet, dahin zu wirken, dass die Jugend im Geiste des Sozialismus erzogen und mit Klassenbewusstsein erfüllt werde. Damit ist eine klare formelle Legitimation der Jugendorganisationen geschaffen.

Leider aber macht sich in weiten Kreisen noch ein recht beträchtlicher passiver Widerstand gegen sie geltend; man betrachtet die Jugendorganisationen vielfach als eine Spielerei, die man geradezu noch gnädig duldet, weil sie Mode ist. Aber überzeugt von ihrer Notwendigkeit sind viele maßgebende Genossen nicht. Das zeigt sich in der Kälte und Nachlässigkeit, die einem begegnen, wenn man die Frage der Jugendorganisation in gewissen Kreisen zur Sprache bringt. (Ebert: „Was sind das für Kreise?") Ich spreche nicht vom Parteivorstand, der befindet sich gewissermaßen auf dem Wege der Besserung. (Heiterkeit.) Was nützen uns alle schönen Beschlüsse, wenn sie nur auf dem Papier stehen?

Mit der Jugendorganisation ist es genauso wie mit der Frauenbewegung. Die Anklage, die die Genossin Baader hier auf dem Parteitage in Bezug auf die Frauenbewegung gegen die Genossen gerichtet hat, kann dreimal verstärkt in Bezug auf die Jugendorganisation erhoben werden. Und gerade augenblicklich haben wir ganz besondere Veranlassung, der Jugendbewegung unsere Sympathie auszusprechen. Sie wissen, welchen Verfolgungen sie von Seiten der Gerichte und der Polizei, besonders in Preußen, in immer stärkerem Maße ausgesetzt ist. Ich erinnere an die Urteile der Strafgerichte bis zum Kammergericht und der Verwaltungsgerichte bis zum Oberverwaltungsgericht gegen die Königsberger Organisation2, Klassenurteile der aufreizendsten Art. Ich bitte Sie weiter, in der Ihnen vorliegenden Nummer des „Jugendlichen Arbeiters" die Zusammenstellung der ungeheuerlichen polizeilichen Eingriffe gegen die Jugendorganisationen Berlins und seiner Umgebung zu lesen.

Und dann noch eins: Wahrscheinlich wird sich der Reichstag schon in der nächsten Session mit dem Reichsvereinsgesetz zu befassen haben. Es ist ja nicht neu, dass Förderung deutscher Einheit heißt: Verpreußung Deutschlands. Wenn die Zeitungsnachrichten zutreffen, müssen wir unser schärfstes Augenmerk auf den neuen Gesetzentwurf richten. Nach den Meldungen enthält er neben einigen geringen Verbesserungen eine ganze Anzahl von Verschlechterungen, sogar unter das preußische Niveau, darunter eine äußerst gefährliche Bestimmung, die hier in höchstem Maße interessiert. Der Unterschied zwischen politischen Vereinen nach Paragraph 8 des preußischen Vereinsgesetzes und den Vereinen, die sich mit öffentlichen Angelegenheiten befassen (Paragraph 1), soll aufgehoben werden. Man kennt nur noch Vereine, die eine Einwirkung auf öffentliche Angelegenheiten erstreben, zu denen bekanntlich auch die gewerkschaftlichen Verbände gerechnet werden. Schüler und Lehrlinge, die bisher selbst in Preußen nur von Vereinen nach Paragraph 8 ausgeschlossen waren, sollen nun auch von den gewerkschaftlichen Verbänden gänzlich ausgeschlossen werden. Das ist ein Schlag gegen die Jugendorganisationen. Allerdings heißt es, dass die Berufsvereine darunter nicht zu verstehen sind, sondern dass für die Berufsvereine ein besonderes Gesetz erlassen werden solle – aber wer weiß, wann? Ich möchte den sehen, der Vertrauen darauf hat, dass hierbei etwas Vernünftiges herauskommt, namentlich, nachdem wir jetzt diese erste Kostprobe aus der neuen Küche des Reichsamts des Innern vor uns haben.

Es handelt sich um einen Schlag gegen die Jugendorganisationen. In einer solchen Situation aber ist es ganz besonders wichtig, dass sich die Sympathie der Partei noch einmal auf die Seite der Jugendorganisationen stellt und dass der Parteitag den Genossen die Förderung der Jugendorganisationen zur Pflicht macht. Der Parteitag darf nicht vorübergehen, ohne dass schon jetzt energisch Lärm geschlagen wird gegen jenes reaktionäre Attentat auf das Vereinsrecht. Wenn der Entwurf wirklich so aussieht, wie es nach den Pressenachrichten scheint, dann muss die Partei einen Kampf bis aufs Messer gegen ihn führen. Es darf nur eine Parole geben, und mit dieser Parole muss der Parteitag auseinander gehen: Werft das Scheusal in die Wolfsschlucht. (Heiterkeit und Beifall.)

1 „Delmenhorst: Die Schaffung von Jugendorganisationen intensiver als bisher zu betreiben, und zwar in der Weise, dass einige Parteigenossen beauftragt werden, in möglichst allen Orten des Reiches Versammlungen abzuhalten, in denen der Zweck und die Notwendigkeit der Jugendorganisationen erläutert und die Gründung eventuell in die Wege geleitet wird. Gleichzeitig die Parteipresse zu veranlassen, in dieser Richtung aufklärend zu wirken." (Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Essen vom 15. bis 21. September 1907, Berlin 1907, S. 171.) Der Antrag wurde angenommen.

2 Am 28. Februar 1906 wurde der Verein der Lehrlinge und jugendlichen Arbeiter Königsbergs wegen angeblicher politischer Betätigung und sozialdemokratischer Tendenzen verboten. Es kam darauf zu mehreren Prozessen, in denen Mitglieder zu Geld- und Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Der Vereinsvorsitzende erhielt z. B. 4¾ Monate Gefängnis.

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