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Karl Liebknecht 19090913 Ein anfeuerndes Mahnwort zur Stärkung der proletarischen Jugendbewegung

Karl Liebknecht: Ein anfeuerndes Mahnwort zur Stärkung der proletarischen Jugendbewegung

Reden zu Begründung des Antrages 121

[Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Leipzig vom 12. bis 18. September 1909, Berlin 1909, S. 263-265, 274. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 2, S. 327-333]

I

Es ist zu konstatieren, dass die Bedeutung der Jugendbewegung sowohl in gewerkschaftlichen Kreisen wie innerhalb der Partei immer mehr erkannt wird. Die Gewerkschaften haben sich daran gemacht, immer mehr Jugendsektionen zu gründen, und aus dem Bericht des Parteivorstandes geht ja hervor, in welchem Umfange Jugendausschüsse in Deutschland errichtet sind. Zweifellos sind auch die selbständigen Jugendorganisationen, soweit sie schon vor Nürnberg bestanden haben, aufrechterhalten geblieben, zum Teil haben auch Neubildungen dieser Art stattgefunden. Es ist auch nicht zu übersehen, dass sich ein Teil der proletarischen Jugendbewegung außerhalb der erwähnten Organisationen abspielt, besonders in den Turnvereinen, die sich dadurch den lebhaftesten Hass der Reaktion zugezogen haben und die speziell in Preußen unter ganz deutlicher Missachtung der Gesetze vom Kultusministerium verfolgt werden. („Sehr richtig!") Ich halte mich für berechtigt, von dieser Stelle aus dem preußischen Kultusministerium den Vorwurf bewusster Rechtsbeugung zu machen. („Sehr wahr!") Da es einen geordneten Instanzenweg hier nicht gibt, haben wir es für nötig gehalten, bereits öffentlich zum Ungehorsam diesen Maßnahmen gegenüber aufzufordern. Es ist Anklage erhoben, und wir werden die Angelegenheit in dem gerichtlichen Verfahren zur Sprache bringen. Im Übrigen besteht der lebhafte Wunsch, das Kultusministerium möge gegen jeden, der in der Weise, wie ich es getan habe, seine Maßnahmen angreift, Anklage erheben, damit diese Rechtswidrigkeiten auf breitester Grundlage im gerichtlichen Verfahren gebrandmarkt werden können. („Bravo!")

Trotz aller Fortschritte kann man nicht sagen, dass die Jugendbewegung bereits befriedigt, im Gegenteil, von allen Seiten hört man Klagen, die sich erstrecken einmal auf eine gewisse Teilnahmslosigkeit der Erwachsenen, auf Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Referenten, aber auch Klagen materieller Natur, über die zur Verfügung gestellten Geldmittel und die Schwierigkeiten, „Die Arbeiter-Jugend" in geeigneter Weise zu verbreiten. Die Auflage beträgt insgesamt 30.000. Das ist eine so geringe Auflage, dass wir sie nur als ganz kleinen Anfang bezeichnen können. Wir müssten eine Auflage von Hunderttausenden haben. Die Zeitung braucht auch keineswegs nennenswerte Überschüsse zu bringen. Auf diesem Standpunkt steht ja auch der Parteivorstand. Aber angesichts der Tatsache, dass wir es hier mit Leuten zu tun haben, die noch nichts oder fast nichts verdienen, müssen wir den Abonnementspreis so niedrig wie möglich setzen. Eine Verbilligung des Abonnements auf die Hälfte oder ein Drittel würde vollständig ausreichen. Die Partei ist verpflichtet, das Defizit auf die Parteikasse zu übernehmen. („Sehr richtig!")

Die Schwierigkeiten, unter denen die gegenwärtige Jugendbewegung lebt, sind zum großen Teil entstanden aus der Schwierigkeit, sich mit den Organisationsformen abzufinden und sie miteinander auszugleichen, die in der Nürnberger Resolution2, festgelegt sind. Ich halte es nicht für nötig, die Nürnberger Resolution abzuändern, mir scheint sie in Verbindung mit der Deklaration, die ihr damals im Einverständnis mit dem Parteitag von dem Genossen Haase gegeben ist, durchaus ausreichend zu sein. Es ist aber nötig, den Inhalt der Resolution in gehöriger Weise praktisch auszuführen, und da hapert es noch. Das ist kein Wunder bei einer jungen Bewegung, die sich so große Ziele gesteckt hat.

Besonders schwierig ist das Zusammenarbeiten von selbständigen Jugendorganisationen und Jugendausschüssen, und es hat sich bisher auch vielfach noch nicht der nötige Konnex ergeben zwischen den gewerkschaftlichen Organisationen und den Jugendausschüssen. Soweit ich orientiert bin, lässt sich allerdings auch hier ein erfreulicher Fortschritt konstatieren, und es scheint auf allen Seiten, auf gewerkschaftlicher sowohl wie auf Seiten der selbständigen Jugendorganisation, nach Wegen gesucht zu werden, um mit den Jugendausschüssen in eine gewisse Beziehung zu treten, so dass das Divergieren, das Gegeneinanderarbeiten, das teilweise Neutralisieren, wie wir es gesehen haben, aufhört und dass alle Kräfte nach einer einzigen Richtung zu einer gewaltigen Wirkung zusammengefasst werden.

Wenn wir die Frage, wie sich unsere Partei zu der Jugendbewegung zu stellen hat, in ihrer ganzen Tragweite erfassen wollen, so müssen wir uns vor allem darüber orientieren, was die gegnerischen Parteien auf diesem Gebiete unternehmen. Ich empfehle Ihnen allen den recht eifrigen Besuch der Jugendschriftenausstellung in diesem Hause. Sie.finden dort eine sehr gute Zusammenstellung gerade des Materials, das sich auf die gegnerischen Jugendorganisationen bezieht, und Sie werden sehen, wie außerordentlich, und zwar seit Jahren, besonders aber in der letzten Zeit, die gegnerische Jugendbewegung uns überlegen ist. Wir brauchen nur zu erinnern an die große Zahl von Organisationen, deren Mitglieder sich auf Hunderttausende erstrecken, der evangelischen wie katholischen Vereine. Die gegnerische Jugendpresse ist der unseren bei weitem überlegen. Es existieren Dutzende von Jugendzeitschriften, die von den evangelischen und katholischen Organisationen herausgegeben werden. Allein die „Wacht" hat gegenwärtig über 50.000 Abonnenten, und andere Blätter sind noch weit mehr verbreitet. Sie haben zusammen Hunderttausende Leser, während wir alles in allem mit nur rund 30.000 aufwarten können. Auch in der Frage der Jugendheime sind die Gegner uns weit voraus. Sie sind im Besitz von außerordentlich starken Geldmitteln. Natürlich wissen die Geldgeber sehr wohl, weshalb sie das Geld hergeben. Diese Jugendheime sind über ganz Deutschland verbreitet und sind zum Teil sehr stattliche Häuser, die Ihnen ja auch aus persönlicher Anschauung bekannt sind.

Interessant ist auch zu beobachten, wie die Jugendorganisationen der Gegner ihre militärische Agitation betreiben. Darüber ist in der Partei außerordentlich wenig bekannt. Die Gegner versorgen ihre beim Militär befindlichen Anhänger oder solche, die sie dazu machen wollen, unausgesetzt gratis mit ihrer Literatur, ihren Flugschriften, ihren Zeitungen, natürlich überall unter der Genehmigung der Kommandeure. Sie haben sogar allenthalben Organisationen der Soldaten begründet und sind eifrig daran, diese auf immer breitere Basis zu stellen. An verschiedenen Stellen Deutschlands haben sie auch sogenannte Soldaten- und Marineheime errichtet. Besonders bekannt ist mir das Soldatenheim auf der Senne bei Paderborn, ein palastartiges Gebäude. Es wird auf diesem Gebiete von den Gegnern mit ungeheurer Energie gearbeitet.

Und nicht allein mit den christlichen Organisationen haben wir zu rechnen, sondern auch der Staat macht mobil. Er hat zwar bereits die Volksschule und die anderen Schulen in der Hand und nützt dies in skrupelloser Weise aus, um die Gedankenwelt der Jugend in seinem Sinne zu beeinflussen. Aber es wird auch die nationalistische, patriotisierende Agitation in immer stärkerem Maße in die Schule hineingetragen. Es werden besondere Schülerorganisationen begründet, die den „kriegerischen" Geist unter den Schülern verbreiten, Schüler-Schießriegen usw. Wir sehen, wie mit Hochdruck gearbeitet wird von der Regierung einerseits, um die sozialdemokratische Jugendbewegung zu vernichten, und andererseits, um reaktionäre Gebilde, gelbe Jugendorganisationen, zu begründen, auch gelbe gewerkschaftliche Jugendorganisationen, die als Heilmittel gegen das Eindringen des sozialistischen Giftes betrachtet werden. Wenn wir uns vergegenwärtigen, welche Arbeit von den Gegnern hier seit langer Zeit geleistet wird, so werden wir zu der klaren Erkenntnis kommen, dass hier eine gewaltige Leistung von der klassenbewussten Arbeiterschaft vollbracht werden muss, um diese Felsblöcke aus dem Wege zu räumen, die dem Vormarsch der freien Jugendbewegung entgegen gewälzt worden sind.

Wir sind Ihnen von Potsdam-Osthavelland nicht nahegetreten mit speziell ausgearbeiteten Vorschlägen. Worum es sich für uns gegenwärtig handelt, ist die Notwendigkeit, unsere Parteigenossen immer von Neuem mit großer Lebhaftigkeit hinzuweisen auf die ungemeine Bedeutung, die die Jugendbewegung für die Zukunft unserer Partei hat. Ich halte es für die verdammte Pflicht und Schuldigkeit unseres Parteitages, dass er von neuem ein begeisterndes und anfeuerndes Mahnwort in die deutsche Bewegung hinaus schickt (Lebhafter Beifall.)

II

Mit der Anregung Eberts über die geschäftliche Behandlung der Anträge3 bin ich durchaus einverstanden. Bezirksorganisationen haben sich in einzelnen Teilen Deutschlands bereits gebildet, wenigstens in dem lockeren Sinne, dass die Zusammenkünfte innerhalb der Provinzen stattfanden, besonders in Rheinland-Westfalen und Schleswig-Holstein. Diese Institution lässt sich weiter ausbilden, wir haben darin eine Zwischeninstanz für eine bessere Förderung der Jugendbewegung, die der Zentralstelle einen Teil der Last abnimmt.

Von besonderer Wichtigkeit ist, dass die Jugendheimbewegung auch etwas lebhafter wird. Wir haben in Deutschland bisher leider erst an sehr wenigen Orten Jugendheime eingerichtet. Im großen Berlin ist es bis zu diesem Augenblick noch nicht möglich gewesen. Ich bitte alle beteiligten Instanzen, dafür zu sorgen, dass wir möglichst bald in Berlin ein Jugendheim bekommen.

Bis zu einem gewissen Grade sind die Vorwürfe gegen die Art der Abfassung der „Arbeiter-Jugend" doch wohl unberechtigt. Es ist richtig, dass manchmal Artikel da waren, die für die Jugend vom 14. bis 16. Lebensjahr nicht recht verständlich sind. Aber die Jugendlichen rechnen doch bis zum 18. Lebensjahr und vielleicht noch etwas darüber, und gerade in diesen Jahren vollzieht sich die größte psychische und geistige Umwälzung, so dass wir den Inhalt der Zeitung notwendigerweise so zu gestalten haben, dass ein Teil etwas zu hoch ist für die unteren Altersschichten.

Außerordentlich schwierig ist die Frage, die geeigneten erwachsenen Parteigenossen zu finden, die in der Jugendbewegung die Führung und Kontrolle übernehmen können. Es genügt dazu nicht nur Tüchtigkeit auf dem Gebiete der Parteibewegung im Allgemeinen, sondern vor allem ist erforderlich ein starkes pädagogisches Talent, das nicht jeder hat, das angeboren sein und entwickelt werden muss. Das Augenmerk muss darauf gerichtet werden, solche pädagogisch geeigneten Personen, deren wir ja zweifellos in unserer Partei eine Unmenge haben, zu suchen, zu fördern und an die richtige Stelle zu stellen. Frisches, lebendiges Temperament ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für ersprießliche pädagogische Wirksamkeit unter der Jugend. Es öffnet die Herzen und Köpfe zur willigen und freudigen Aufnahme der Saat.

Noch eine Frage, die in Berlin in gewissem Umfange aktuell geworden ist. Es ist vielfach üblich, dass zu den Kosten der Jugendausschüsse Partei und Gewerkschaft in gleichem Maße Beiträge leisten. Nun hat sich daraus das Missliche ergeben, dass dann, wenn zum Beispiel die Gewerkschaften in der schwierigen Lage, in der sie sich gegenwärtig befinden, nicht in der Lage sind, entsprechend hohe Beiträge zu leisten, dass dann die Partei sich auch nur an dieses Pensum hält. Das darf nicht sein, die Partei muss dann tiefer in den Beutel greifen. Es gibt kein Geld, das nutzbringender angelegt werden könnte als das für die Jugendbewegung aufgewendete. Es wird tausendfältige Frucht tragen. (Beifall.)

Gewiss brauchen wir keine Besorgnisse wegen der gegnerischen Agitation zu haben. Die soziale Entwicklung ist unser unverwüstlicher Bundesgenosse, der uns zum Sieg führen muss. Aber wir dürfen darum die Agitation nicht ruhen lassen, im Gegenteil, in diesen fruchtbaren Boden müssen wir nunmehr unsere Samenkörner ausstreuen.

Dem Warnungsruf vor Überhitzung in der Jugendbewegung bitte ich Sie dringend, keine Folge zu geben. Vorläufig ist die Hitze wahrhaftig noch nicht so groß, als dass wir nicht noch tüchtig Feuerungsmaterial hineinstecken könnten und müssten; und bei dem nur allzu bedächtigen Charakter des deutschen Volkes hat es noch gute Wege bis zu der gefürchteten Überhitzung. Bekunden Sie durch die einmütige Unterstützung der Anträge den einmütigen Willen, Ihre ganze Kraft zur energischen Förderung der ungemein wichtigen Jugendbewegung einzusetzen; und setzen Sie den Willen in die Tat um. (Beifall.)

1 „Potsdam-Osthavelland und Jugendausschuss Berlin: Der Parteitag fordert die Genossen auf, mit größerer Energie und lebhafterem Eifer als bisher für die Jugendbewegung tätig zu sein, auch mehr Mittel dafür flüssig zu machen.

Der Parteitag beschließt weiter, dass die Zeitung ,Arbeiter-Jugend' billiger als bisher abgegeben wird, da er die für die Jugenderziehung gemachten Ausgaben als unvergleichlich nutzbringend für den Emanzipationskampf des Proletariats betrachtet." (Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Leipzig vom 12. bis 18. September 1909, Berlin 1909, S. 190.)

Der Antrag wurde zusammen mit drei weiteren Anträgen zur Jugendbewegung der Jugendzentrale zur weiteren Bearbeitung überwiesen.

2Der Nürnberger Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands befasste sich am 14. und 19. September 1908 mit der Frage der Jugendorganisationen und stimmte dem Antrag Haases zu, sämtliche Anträge über die Jugendorganisation einer Kommission zu überweisen. Vom Wahlkreis Potsdam-Spandau-Osthavelland war dem Parteitag eine unter Karl Liebknechts Einfluss entstandene Resolution zugegangen.

Der von Hermann Müller vorgetragene Vorstandsbericht sowie der Resolutionsentwurf des Parteivorstandes zur Jugendfrage lagen in der Linie des Beschlusses des Hamburger Gewerkschaftskongresses zur Jugendfrage, in dem sie die Selbständigkeit der Jugendorganisationen unter den Bedingungen des Reichsvereinsgesetzes verneinten. Der Beschluss des Parteitages entsprach inhaltlich dem Resolutionsentwurf des Parteivorstandes, er bot jedoch durch die dazu gefügte Deklaration Haases die Möglichkeit, ihn für die Selbständigkeit der proletarischen Jugendorganisationen auszunutzen. Die Deklaration lautete: „Diese Resolution ist so aufzufassen, dass der Betätigung von lokalen Jugendorganisationen unpolitischen Charakters, die unter Mitbestimmung Erwachsener ihre Verwaltung selbst führen, nichts im Wege steht." (Antrag 139.)

3 Mit dem Antrag 12 standen zugleich drei weitere Anträge zur Jugendbewegung zur Diskussion. Die Red.

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