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Karl Liebknecht 19100121 Gegen die preußische Polenpolitik

Karl Liebknecht: Gegen die preußische Polenpolitik

Rede zu Interpellationen im preußischen Abgeordnetenhaus anlässlich politischer Maßregelungen von Lehrern und Beamten in Kattowitz

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, III. Session 1910, l. Bd., Berlin 1910, Sp. 368-392 und 700-702 [Berichtigungen] und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 2, S. 425-458]

Meine Herren, wir sind uns darüber klar, dass es sich hier um eine Frage von eminenter politischer Wichtigkeit handelt. Wir sind aber nicht der Ansicht, dass wir es dieser Eigenschaft der Frage, die wir heute erörtern, zu verdanken haben, wenn der Herr Reichskanzler uns auch an diesem zweiten Tage die Ehre erweist, hier auf dem Posten zu sein. Wir sind vielmehr der Ansicht, dass diese Ehre, die dem Dreiklassenparlament heute widerfährt, nachdem sie ihm bereits vorgestern widerfahren war, und die dem Reichstag bei Behandlung ganz derselben Angelegenheit nicht widerfahren ist, nur ein neuer Beweis dafür ist, wie selbst der Herr Reichskanzler überzeugt ist, dass das Schwergewicht der deutschen Politik nicht im Reichstage, sondern in diesem Hohen Hause liegt,

(Heiterkeit.)

und wie der Herr Reichskanzler überzeugt ist, dass es für seine Machtstellung im Reiche unendlich wichtiger ist, hier in diesem Hause eine feste Position zu haben als im Reichstage.

Wir sind des weiteren der Ansicht, dass man die Anwesenheit des Herrn Reichskanzlers vielleicht auch als eine Antwort des Herrn Reichskanzlers auf die freundliche Aufforderung des Herrn von Pappenheim betrachten kann, sich für Preußen einen Stellvertreter zu bestellen. Es liegt die Vermutung nahe, dass der Herr Reichskanzler, indem er hier an dieser Stelle erscheint, damit zum Ausdruck bringen will, dass, wenn er schon einmal die beiden Posten nicht sollte vereinigen können, er doch dann sicherlich lieber diesen Posten behalten würde als den des Reichskanzlers.

(Heiterkeit.)

Es ist des weiteren, glaube ich, ein Grund für die Anwesenheit des Reichskanzlers in diesem Hause darin zu erblicken, dass in der Tat in Preußen und nicht im Reiche die eigentlich Schuldigen an dieser Angelegenheit sitzen, und wir möchten also in der Anwesenheit des Herrn Reichskanzlers ein gewisses Schuldbekenntnis des preußischen Herrn Ministerpräsidenten erblicken.

(Heiterkeit.)

Die begeisternde und temperamentvolle Rede, die der Herr Reichskanzler uns neulich hier vorgetragen hat,

(Heiterkeit.)

hat keineswegs dazu beigetragen, uns von dieser Überzeugung abzubringen.

Meine Herren, ich verfehle nicht, gleich eingangs hervorzuheben, dass wir Sozialdemokraten es nicht versäumt haben würden, die Kattowitzer Angelegenheit hier unsererseits zur Sprache zu bringen, wenn nicht die geringe Stärke unserer Fraktion es uns unmöglich machte, derartige Anträge und Interpellationen selbst zu stellen.

Ich bemerke des weiteren, dass wir Sozialdemokraten es selbstverständlich als eine äußerst bedauerliche Nebenerscheinung empfinden würden, wenn wir durch den skandalösen Terrorismus der Regierung in Kattowitz in irgendeiner Weise wider Willen gefördert sein sollten; Nutznießer einer solchen politischen Haltung der Regierung, einer solchen Verfassungswidrigkeit der Regierung wollen Sozialdemokraten nie und nimmer sein.

Meine Herren, auf dem Schlosse Neudeck des Fürsten Henckel von Donnersmarck ist bekanntlich nach unwidersprochenen Meldungen zu gleicher Zeit, als auch eine französische Dame im amüsanten Geplauder den dort anwesenden Herren vergnügte Stunden bereitete, der Entschluss zu dem Vorgehen hier gereift. Auf der einen Seite Madame Granier – auf der anderen Seite die Unterschrift, nemo me impune lacessit!

Nach unwidersprochener Meldung liegt diesem Verfahren, von dem wir hier handeln, ein Beschluss des gesamten Ministeriums zugrunde. Es ist aber von Wichtigkeit – ich weiß nicht, ob es in der bisherigen Debatte schon hervorgehoben ist –, darauf hinzuweisen, dass nicht die staatlichen Behörden, überhaupt die Behörden allein mit Maßregelungen vorgegangen sind, sondern dass auch in Privatbetrieben Maßregelungen aus Anlass dieser Wahl stattgefunden haben, insbesondere auf den Hohenlohe-Werken. Das bedarf einer ganz besonders nachdrücklichen Hervorhebung. Es zeigt sich hier wiederum, wie die Regierung im Grunde genommen nicht anders handelt als das Unternehmertum, wie die Regierungsaktion nichts ist als ein getreuer Spiegel des Terrorismus, der von den herrschenden Klassen, auch abgesehen von der Regierung, gegen die unbequemen Parteien und Klassen ausgeübt wird.

Es ist in die gegenwärtige Debatte vielfach der Name des spanischen Freiheitskämpfers Ferrer1 hineingezogen worden, und der Herr Abgeordnete Dr. Porsch hat es für erforderlich gehalten, gegen meinen Parteifreund Hirsch zu polemisieren. Ich möchte gleich im Voraus bemerken, dass alles dasjenige, was Herr Dr. Porsch gegen meinen Parteifreund Hirsch gesagt hat, absolut nicht geeignet ist, unsere Stellungnahme zu verändern und unsere Auffassung zu erschüttern. Herr Dr. Porsch hat es als eine besonders bedauerliche Nebenerscheinung der Ferrer-Agitation bezeichnet, dass sie Gelegenheit gab, auf die Früchte hinzuweisen, die bei uns etwa ein schwarzblauer Block2 auf die Dauer hervorrufen würde. Ja, meine Herren, da möchte ich bemerken, dass gerade diese Eigenschaft der Ferrer-Agitation uns ganz besonders ans Herz gewachsen war und dass wir gerade um deswillen die Ferrer-Agitation mit besonderer Freudigkeit unsererseits gefördert und unterstützt haben, wo es nur möglich war.

(„Hört! Hört!" im Zentrum.)

Das war die internationale Bedeutung des Falles Ferrer, und diese ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich, in England und in allen anderen Kulturstaaten zur Geltung gekommen. Auf die Insulten, die gegen Ferrer geschleudert worden sind, hier näher einzugehen, habe ich keine Veranlassung. Ich nehme an, dass er und sein Andenken viel zu hoch steht,

(Lachen.)

viel zu hoch steht, viel zu hoch steht,

(Lachen.)

viel zu hoch steht

(Große Heiterkeit.)

in den Augen aller derjenigen, auf die es einem Mann wie Ferrer selbstverständlich allein ankommen kann,

(Große Heiterkeit.)

als dass er durch derartige Angriffe in irgendeiner Weise verletzt oder beleidigt werden könnte.

Meine Herren, die Polenpolitik steht ja im Hintergrund oder vielleicht auch im Vordergrund der ganzen Angelegenheit, und da ist denn naturgemäß sowohl vom Regierungstisch wie auch von Seiten der Nationalliberalen Partei und, ich glaube, auch der Konservativen Partei das alte Lied gesungen worden: „Ausländer, Fremde sind es meist, die unter uns gesät den Geist der Rebellion." Nach Oberschlesien, das bis dahin so außerordentlich fromm war, ist, so meint man, von Posen aus – ausgerechnet von Posen aus! – die polnische Agitation getragen worden. Meine Herren, ist Ihnen denn nicht bekannt, dass nach Oberschlesien gerade im Interesse der Grubenmagnaten, gerade im Interesse Ihrer Freunde, die jetzt gegen diese polnische Agitation so lebendige Worte finden, einen solchen wilden Hass zeigen – meine Herren, wissen Sie nicht, dass gerade im Interesse dieser Herren, Ihrer Freunde, die polnische Bevölkerung nach Oberschlesien wesentlich herein gezogen ist und dort fortgesetzt verstärkt wird? Wissen Sie nicht, dass gerade Sie es damit sind, die die polnische Frage auch in diesen Gebieten Deutschlands in den Vordergrund gedrängt, immer aktueller gemacht haben? Wissen Sie denn nicht, dass die polnische Frage in allererster Linie auch als eine soziale Frage zu betrachten ist und dass sie niemals die jetzige Bedeutung angenommen haben würde, wenn die Herren nicht ihrerseits durch politische und soziale Unterdrückung dazu beigetragen hätten, den Zündstoff in das Unendliche zu vermehren?

Meine Herren, im Übrigen ist es ja eine, soziologisch betrachtet, ich möchte fast sagen, etwas kindliche Auffassung, als könne man eine Bewegung dadurch diskreditieren, dass man hervorhebt, sie sei ja von außen hereingetragen worden. Meine Herren, wenn Sie sich ein wenig mit Soziologie beschäftigen, werden Sie wissen, dass es uns auf allen möglichen Gebieten so geht, dass wir allenthalben durch sogenannte Akkulturation von außen in der einen oder der andern Richtung gefördert oder auch zurückgedrängt werden. Sie wissen ja ganz gewiss, zum Beispiel auch aus der Jurisprudenz, in welch ungeheurem Maße eine solche Akkulturation – durch Rezeptionen – stattgefunden hat. In der heutigen Zeit des internationalen Verkehrs und der gegenseitigen Anregungen über den ganzen Erdball hin aus der Tatsache, dass eine Bewegung von außen hineingetragen sei, folgern zu wollen, sie sei also sozusagen nicht existenzberechtigt, das ist eine Auffassung, die von jeder politischen Auffassung himmelweit entfernt ist. Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass ja niemals ein solches Hineintragen einer Agitation von Erfolg begleitet sein kann, wenn nicht ein günstiges Feld da ist, dass niemals der ausgestreute Samen aufsprießen kann, wenn er nicht auf fruchtbaren Boden fällt, dass niemals ein Funke zünden kann, wenn nicht das Pulver vorhanden ist. Meine Herren, es ist also notwendig, dass Sie in dieser Beziehung Ihre Argumentation auf ein etwas höheres Niveau heben. Ich möchte diese Bitte auch der Königlichen Staatsregierung und ihrer polizeilichen Beschränktheit ein klein wenig an das Herz legen.

(„Oho!" rechts.)

Meine Herren, der Herr Reichskanzler hat gemeint, man solle nicht vorzeitig über die Polenpolitik aburteilen, ehe sie nicht habe Früchte tragen können. gewiss, meine Herren, niemand wird bezweifeln, dass eine Politik wie die Polenpolitik nicht von heute auf morgen Früchte tragen kann. Aber, meine Herren, die preußische Regierung hat auch schon einmal eine andere Politik den Polen gegenüber angewendet, eine Politik freundlichen Entgegenkommens. Als diese Politik nicht sofort gewirkt hat, hat die Regierung sich nun für berechtigt gehalten, zu der Politik der brutalsten, verfassungswidrigsten Unterdrückung zurückzukehren. Meine Herren, es ist die alte Eigentümlichkeit der preußisch-deutschen Regierungsweisheit, dass sie in der Politik der Versöhnung so ungemein ungeduldig und kurzatmig zu sein pflegt, in der Politik der Unterdrückung hingegen eine erstaunliche Zähigkeit und Hartnäckigkeit und eine unbeschreibliche Geduld besitzt.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Der Herr Reichskanzler hat gesagt, dass psychologisch dasjenige, was der polnischen Agitation die Macht, die Unwiderstehlichkeit und die Unaustilgbarkeit gibt, die Hoffnung auf ein Wiedererstehen des polnischen Reiches sei. Ich möchte nun fragen, ob der Herr Reichskanzler als ein philosophisch gebildeter Mann meint, dass diese Hoffnung aus dem Herzen herausgerissen werden kann durch Prügel, durch Sprachparagraphen, durch Distriktskommissare, durch die Herren Zacher, Mädler, Frost und Konsorten, durch die Spitzel, durch die Ansiedlungspolitik, durch die Enteignungsgesetze, durch die Ostmarkenzulage, diesen Korruptionsfonds, und jene zahlreichen anderen Verfassungswidrigkeiten, die Sie gegen die Polen anwenden. Ich meine, es gibt kein besseres Rezept, um den Stoff zur Agitation für die Hoffnung auf ein tausendjähriges polnisches Reich zu verstärken, als gerade diese Methode.

(„Sehr richtig" bei den Sozialdemokraten.)

3Seien Sie doch nur nicht darüber im Zweifel, dieser polnische Paradiesgedanke, um dies Wort zu gebrauchen, hat mit allen anderen Paradiesgedanken dasselbe in der Wurzel gemeinsam, dass er um so lebendiger sprießt, je elender es im Diesseits geht. Je größer das Elend der politischen Gegenwart, um so notwendiger und unvermeidlicher die Hoffnung auf ein besseres politisches Jenseits. Meine Herren, schaffen sie in Polen ein besseres politisches Diesseits: das ist das einzige Mittel, um jene Wünsche und Hoffnungen allmählich von selbst absterben zu lassen.

Der Herr Kultusminister hat ja ein gewaltiges Material zur Charakterisierung der polnischen Bewegung aufgefahren. Meine Herren, ich erlaube mir, das Material trotz der Autorität des Herrn Ministers, auf Grund meiner ganz besonderen persönlichen Erfahrungen, als keineswegs zuverlässig zu bezeichnen, sondern als außerordentlich suspekt und als um so suspekter, je mehr es sich in den Akten des Herrn Ministers befindet.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten. Lachen rechts.)

Meine Herren, ich darf behaupten, dass das Material, das die Regierung gegen die polnische Bewegung vorbringt, ebenso wie das Regierungsmaterial, das man gegen die sozialdemokratische Bewegung anzuwenden pflegt, zu einem großen Teil auf gefälschten Berichten beruht.

Meine Herren, ist Ihnen nichts bekannt von jenem Rakowski, dem früheren Angestellten der politischen Polizei in Posen?

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, ist Ihnen nicht bekannt geworden, was dieser Rakowski in ausführlicher Weise in ausländischen Zeitungen, besonders in Galizien, auch in Frankreich publiziert hat? Deutsche Zeitungen durften es nicht tun, aber sie haben einige Berichte darüber gebracht. Meine Herren, ist Ihnen nicht bekannt, was dieser Mann über die, ich will sagen, politische Fälscherwerkstätte bei der politischen Polizei in Posen enthüllt hat?

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Ist Ihnen nicht bekannt, was er in detaillierter Weise erzählt über gefälschte Berichte, die er im Auftrage des Kommissars Frost und, wie er meint, auch mit Wissen Höhergestellter angefertigt hat?

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Er persönlich! Es ist Ihnen vielleicht nicht bekannt, dass ich in meinen Händen eidesstattliche Versicherungen eben dieses selben Rakowski habe, in denen er sich der Fälschung dieser Papiere, der Fälschung dieser Urkunden auf Veranlassung der Vorgesetzten bezichtigt,

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

in denen er den Wunsch ausspricht, dass ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet werde, weil er gewiss ist, die Wahrheit seiner Behauptungen beweisen zu können.

Meine Herren, wir werden auf diese Affäre noch einmal zurückkommen, wir werden darüber mit dem Herrn Minister des Innern noch ein sehr energisches Wort zu sprechen haben,

(Lachen rechts.)

und wir werden gegen den Herrn Minister des Innern ebenso kräftige Worte finden, wie der Herr von Pappenheim sie gefunden hat gegen den Herrn Finanzminister.

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

Wir wollen sehen, ob wir dann auch so freundliche Verbeugungen als Antwort bekommen wie Herr von Pappenheim. Wir werden dann Gelegenheit haben, den Herrn Minister des Innern zu fragen, ob er weiß, dass in Posen für die polnische politische Geheimpolizei eine Zentralstelle besteht, die sich weder dem Regierungspräsidenten noch dem Oberpräsidenten unterordnet, sondern in unmittelbaren Beziehungen steht zum Ministerium des Innern. Wir werden fragen, ob es dem Herrn Minister des Innern bekannt ist, dass sein Vorgänger einst selbst höchst persönlich in einer polnischen Angelegenheit das Material, das ihm zugesandt war, nach Posen zurückschickte mit dem Bemerken: Das ist mir nicht genügend beglaubigt, um es im Reichstage oder im Abgeordnetenhause verwenden zu können, aber ich bitte Sie, es in die Presse hinein zu lancieren.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, Sie mögen meinen, dass mein Material erschöpft ist in dieser Beziehung,

(„Nein! Nein!" rechts.)

ich habe kaum angefangen, es auszupacken, und wenn Sie etwa denken sollten, dass derartige Beschuldigungen gegen die preußische Polizei nicht den Anschein der Wahrhaftigkeit für sich haben, dann brauche ich Sie nur zu erinnern an die Tatsache, dass im Juni des vergangenen Jahres in einem in Dresden abgehaltenen Prozess gegen Grienblatt und Genossen gerichtlich festgestellt wurde, dass im Berliner Polizeipräsidium diejenige Urkunde, auf der die gesamte gerichtliche Aktion gegen einige Geheimbündler beruhte, in bewusster Weise in ihr Gegenteil gefälscht worden ist,

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

indem aus dem Worte „öffentlich", das in einem Briefe vorkam, geflissentlich das Wort „geheim" gemacht worden ist.

(Unruhe und Zurufe rechts.)

Ja, meine Herren, ich glaube, dass Ihnen das unbequem ist, und darum rufen Sie Ihr „Zur Sache!"

Ich will diese Frage allerdings fallenlassen, nicht weil Sie es wünschen – denn wir sind ja gerade dazu da, Ihnen unbequem, nicht angenehm zu sein –,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten)

sondern weil ich zu etwas anderem übergehen will, das Ihnen hoffentlich ebenso unangenehm sein wird.

(Lachen rechts.)

Meine Herren, der Grundgedanke, den die Regierung in der Angelegenheit vertritt, ist der: Die Beamten sind Staatssklaven und müssen sich also eine Staatssklavengesinnung aufzwingen lassen und aneignen. Es ist gefragt worden, ob man dann irgendwie von einer Verfassungswidrigkeit des Vorgehens der Regierung sprechen könnte. Ja, meine Herren, wir sind der Überzeugung; wir meinen, dass Artikel 4 der Verfassung hinreicht, um das Vorgehen der Regierung als verfassungswidrig bezeichnen zu dürfen. Meine Herren, es ist mir sehr wohl bekannt, wie der Beamtendiensteid lautet; es ist mir auch sehr wohl bekannt, welche Instruktion, welche Belehrung den Beamten bei ihrer Vereidigung nach ausdrücklicher Vorschrift zu geben ist. Es ist mir auch bekannt, dass es in Preußen Gepflogenheit ist, jedem Beamten bei seiner Vereidigung den Erlass Wilhelms I. vom 4. Januar 1882 und den Erlass des Königlichen Staatsministeriums vom 18. April 1896 vorzuhalten. Diese Gepflogenheit zielt auf nichts anderes hin, als den Beamten von vornherein zu erklären: Bester Freund, du wirst zwar an das väterliche Herz des Staates gedrückt, indem wir dich in die Beamtenschaft aufnehmen, aber deiner politischen Rechte und Freiheit gehst du verlustig.

Meine Herren, ich möchte zunächst einmal fragen, wie man es denn rechtfertigen will, dass der König sich in dem bekannten Erlass vom 4. Januar 1882 das Recht angemaßt hat, in die Wahlfreiheit der Beamten, in das Beamtenrecht überhaupt einzugreifen. Der König hat gar kein Recht dazu. Der Erlass von 1882, der hier allenthalben gewissermaßen als eine Grundlage des Beamtenrechtes betrachtet worden ist, ist gar keine Grundlage des Beamtenrechtes; er ist ein einfacher gesetzwidriger Akt und nichts weiter.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) …

4Meine Herren, es ist die Frage aufgeworfen worden, ob der Beamte, wenn er sich freiwillig in die Beamtenschaft hineinbegebe, sich nicht auch in die Beschränkungen fügen müsse, die aus dem Wesen des Amtes nach dem Willen der Staatsregierung und des Königs folgen. Die philosophische Frage, die aufgeworfen ist, ob jemand freiwillig Beamter wird, ist wahrhaftig allzu philosophisch, als dass sie noch politisch sein könnte. Meine Herren, gewiss, im äußerlichen, formalen Sinne wird der Beamte freiwillig Beamter; wir dürfen aber darüber nicht im Zweifel sein, dass jedes Volksganze sich nach bestimmten Funktionen zu gliedern hat, und dass jedes einzelne Mitglied des Volksganzen, wenn es existieren will, sich in irgendeine Funktion hinein zu finden hat, und so sehr es Tatsache ist, dass ein großer Teil unserer Funktionen von Beamten erfüllt wird, so sehr ergibt sich die Notwendigkeit, die Selbstverständlichkeit, dass auch ein gewisser Prozentsatz der Bevölkerung notwendig Beamte werden muss. Es ist freilich einfach eine Existenzfrage. Von einer Freiwilligkeit ist also nur in ganz formalem Sinne die Rede, wenigstens gilt das von der großen Masse der unteren Beamten. Der Beamte ist so wenig freiwillig Beamter geworben, wie irgendein Industriearbeiter freiwillig Industriearbeiter geworden ist, oder wie die Herren Fideikommissbesitzer es sich selbst zuzuschreiben haben, dass sie Fideikommissbesitzer geworben sind.

(Heiterkeit rechts)

Meine Herren, von der gegnerischen Seite ist wiederholt einfach bestritten worden, dass man die Verfassungsbestimmungen hier heranziehen könne. Ich bemerke, es ist eine alte und betrübende Erfahrung, die das ganze Elend unserer politischen Zustände aufs Deutlichste erweist, dass man, wenn man sich in Deutschland auf die Verfassung beruft, stets einem ungläubigen, zweifelnden Lächeln begegnet. Man wird für nicht mehr ganz zurechnungsfähig gehalten, wenn man daran denkt, dass die Verfassung wirklich die Verfassung zu sein und zu bleiben hat. Verfassungsbestimmungen gelten in Deutschland als schöne Dekorationen, hinter denen sich dann die Akrobatenkunststücke unserer Verwaltungskunst auszutoben Gelegenheit haben. Wir haben gegenwärtig keinerlei Verfassungsbestimmungen mehr in Kraft und praktischer Anwendung, die jene einst so leidenschaftlich ersehnten Grundrechte des Volkes betreffen.

Meine Herren, ich möchte mich nun mit dem Standpunkt der nationalliberalen Partei in Bezug auf das Beamtenrecht kurz befassen. Herr Abgeordneter Schiffer hat gemeint, ein stillschweigender Verzicht auf politische Rechte sei nicht möglich, und er hat damit eine Ansicht ausgesprochen, der wir nur durchaus beipflichten können. Er hat aber fortgefahren:

Es liegt im Wesen des Amtes, dass man nicht gegen den Staat agieren darf, dessen Funktionär man ist.“

Diese Auffassung müssen wir grundsätzlich bekämpfen, es ist eine mechanistische Auffassung vom Staat, eine Auffassung vom Staat als einer Gewaltinstitution, die hierin zum Ausdruck kommt. Der Staat ist nicht ausschließlich Gewaltinstitution, braucht es wenigstens nicht zu sein. Die Gesamtheit des Volkes, soweit sie in dem Staat organisiert ist, kann nicht auf die Dauer durch irgendeine gewalttätige Institution zusammengehalten werden, jedenfalls ist der Staat nichts Mechanistisches. Wenn Sie nicht den organischen Staatsgedanken sich aneignen können, werden Sie ewig außerstande sein, die lebendigen Kräfte des Volkes sich ungehindert und zum Heile der Gesamtheit entfalten zu lassen. Die ungemein große Ängstlichkeit gegen irgendwelche oppositionelle Gesinnung ist gerade nur bei uns in Preußen mit seinem Polizeigeiste möglich. Lassen Sie doch auch innerhalb der Beamtenschaft oppositionelle Gesinnung lebendig werden, und Sie werden sich überzeugen, je mehr Freiheit sie der Beamtenschaft auf diesem Gebiete geben, um so sicherer werden Sie darauf rechnen können, dass die Beamtenschaft in der Tat eine „staatstreue" Gesinnung besitzt. Kann es für Sie Interesse haben, eine Beamtenschaft mit Gewalt durch das Damoklesschwert einer Disziplinargesetzgebung, durch allerhand Maßregelungen an den Staat zu ketten? Für Sie kann nur ein solcher Beamtenstand von Wert sein, der sich wirklich von ganzem Herzen und freiwillig in die Dienste des Staates begibt und bereit ist, auch über dasjenige hinaus, was ihm die Pflicht des Amtes unmittelbar auferlegt freiwillig dem Staate treu zur Seite zu stehen. Wenn Sie aber in dieser Weise mit den Beamten Schindluder spielen, dann werden Sie wohl erzielen, dass die Beamten äußerlich die nötige Dressur, den nötigen Drill bekommen, und dass äußerlich der Anschein erweckt wird, als ob die Beamtenschaft auf Ihrer Seite stände. Aber die „staatstreue" Gesinnung ist innerlich hohl, ist unterwühlt, sie bricht zusammen, gerade wenn es sich darum handelt, dass sie sich bei einer ernstlichen Probe bewähren müsste.

(„Sehr richtig!“ bei den Sozialdemokraten.)

Das ist die gefährliche Seite der Sache für Sie, Sie tanzen auf einem Vulkan und Sie wissen nicht, dass Sie darauf tanzen.

(„Sehr richtig!“ bei den Sozialdemokraten)

Meine Herren, der Abgeordnete Schiffer hat des Weiteren erklärt, es liege im Wesen der öffentlichen Stimmabgabe, dass man alle Konsequenzen aus dieser öffentlichen Stimmabgabe auf sich zu nehmen habe. Das ist ein Standpunkt, den wir in der schärfsten Weise zu bekämpfen haben. 5Die Ausübung politischer Rechte darf in keiner Weise beschränkt werden, besonders gilt dies von der Ausübung des Wahlrechts als des wichtigsten politischen Grundrechts. Im Übrigen möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass die Äußerung von Herrn Fischbeck, die Regierung greife auch in die geheime Stimmabgabe ein, keineswegs erst eine Gefahr der Zukunft bildet. Ich darf daran erinnern, dass der Versuch, auf die Ausübung des Reichstagswahlrechts einzuwirken, von der Regierung häufig unternommen worden ist. Ich habe wohl nicht nötig, an den bekannten Fall Schellenberg zu erinnern. Ich behaupte, dass diese Methode der Regierung auch bei dem Reichstagswahlrecht geradezu System ist, unter dem wir nicht erst seit heute leiden, sondern solange überhaupt preußisch-polizeilicher Geist und daneben ein Wahlrecht besteht. Ich möchte Sie daran erinnern, wie insbesondere auch den Staatsarbeitern das Reichstagswahlrecht seit jeher verekelt worden ist, wie man unter behördlichem Druck die Staatsarbeiter allenthalben zu zwingen versucht, für die staatstreuen Kandidaten einzutreten. Ich möchte erwähnen, dass man den Staatsarbeitern in Spandau 1903 halbamtlich mitgeteilt hat, wenn in Potsdam-Spandau-Osthavelland ein Sozialdemokrat in den Reichstag gewählt werde, würden die Staatswerkstätten in Spandau aller Voraussicht nach geschlossen werden, und die Arbeiter würden brotlos werden. Es ist des weiteren bekannt, wie jeder Anschein sozialdemokratischer Gesinnung hinreicht, um jeden Beamten, jeden Lehrer, jeden Staatsarbeiter aus seiner Stellung herauszubringen. Die Regierung ist in der Beziehung so ungemein rigoros, dass ich nicht begreife, wie man die Fälle, die in Kattowitz passiert sind, in irgendeiner Weise als Ausnahmeerscheinung betrachten will; es sind keine Ausnahmeerscheinungen. Der Vorgang in Kattowitz empfängt seine politische Bedeutung erst, wenn man ihn als ein kleines Glied in der Gesamtheit der systematischen Unterbindung der freien politischen Rechte betrachtet, die die Regierung gegenüber allen in ihrer Abhängigkeit befindlichen Personen ausübt.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

In dieser Richtung das Sündenregister der Regierung aufzurollen, dazu ist allerdings die gegenwärtige Angelegenheit sehr verführerisch. Ich will mich aber damit begnügen, noch einige wenige Fälle, aber in einem anderen Zusammenhang, hervorzuheben.

Der Abgeordnete Schiffer hat eine andere Regelung vorgeschlagen, nach der die Regierung die Beamten in der Ausübung der politischen Rechte soll nur beschränken dürfen, wenn unzweifelhafte Interessen des Staates vorliegen. Er hat das näher dahin charakterisiert, dass alles, was gegen die Sicherheit des Staates, seinen äußeren Bestand und seine monarchische Grundlage gerichtet sei, von der Regierung auch in der Form der Beamtenmaßregelungen, auch in der Form des Eingriffs in das Wahlrecht soll bekämpft werden dürfen. Dass wir diesen Vorschlag der Nationalliberalen Partei mit allem Nachdruck zurückzuweisen haben, ist ganz selbstverständlich.

Ich möchte mich hier nur mit der Frage befassen, ob das, was der Herr Abgeordnete Schiffer uns als die Wünsche der Nationalliberalen Partei vorgetragen hat, geeignet ist, auch nur im geringsten eine Besserung des gegenwärtigen Zustandes herbeizuführen. Ich bin fest überzeugt, die Regierung würde nach dem Vorschlag der Nationalliberalen Partei mit beiden Händen greifen, wenn sie dadurch erreichen könnte, dass ihre bisherige ungesetzliche Praxis eine derartig bequeme Rechtsbasis bekommt. Mehr hat die Regierung ja nie gewollt und nie getan als das, was in dem nationalliberalen Vorschlag enthalten ist. Wenn Herr Abgeordneter Schiffer gemeint hat, dass man klare und unzweideutige Begriffe nötig habe, so glaube ich, ihm doch sagen zu dürfen, dass er sich in einer geradezu erstaunlichen halluzinatorischen Illusion befindet,

(Heiterkeit.)

wenn er meint, dass die von ihm gebrauchten Begriffe etwa keine Kautschukbegriffe seien. Die Formulierung der Nationalliberalen dürfen wir wohl mit einem kurzen Wort als politisch-juristische Gummiware bezeichnen,

(Heiterkeit.)

und an solcher Gummiware haben wir in unserer Gesetzgebung bereits gerade genug.

Wie im Übrigen die Herren Nationalliberalen zu den Beamten stehen, das hat aufs deutlichste eine Auslassung des Herrn Abgeordneten Friedberg vom 15. dieses Monats gezeigt. Da brachte es der Herr Abgeordnete Friedberg nicht weiter als zu dem Wunsche, dass man doch wenigstens den mittelbaren Staatsbeamten eine etwas größere Bewegungsfreiheit gewähren möge. Die Bescheidenheit der Nationalliberalen ist uns nicht sympathisch. Wir können uns infolgedessen nur mit allem Nachdruck gegen ihren Standpunkt wenden, von dem man nicht einmal sagen kann, dass er den Pelz wäscht, ohne ihn nass zu machen; er will ihn überhaupt nicht waschen.

Die Stellung der Herren Konservativen ist im Gegensatz dazu eine ganz erfreulich klare; da wissen wir doch, woran wir sind. Wir hatten es freilich nicht nötig, das erst heute zu erfahren. Wir wissen ja, meine Herren, dass wir in Ihnen (nach rechts) die Feinde der Beamtenschaft zu erblicken haben.

(Lachen rechts.)

Ich behaupte ja keineswegs, dass Sie die Beamten nicht gern haben möchten; natürlich, Sie wollen sogar die Arbeiter gern auf Ihrer Seite haben. Sie wollen alle gern haben, um sie dann zu terrorisieren.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten. – Lachen rechts.)

Ja, meine Herren, natürlich, nichts anderes. Sie wollen sie gern haben, um sie als Stimmvieh benutzen zu können,

(Zurufe rechts.)

um sie zur Vermehrung Ihres volksfeindlichen, beamtenfeindlichen Einflusses gebrauchen zu können.

(Erneutes Lachen rechts.)

Ihre Liebe zu den Beamten ist doch nichts anderes als die Liebe des Wolfes zum Lamm.

(Heiterkeit rechts.)

Sie brauchen sie auch zur Stärkung Ihrer Autorität; man soll noch daran glauben, dass Sie eine Volkspartei seien. Aber Sie denken nicht daran, die Interessen dieser Klassen der Gesellschaft zu vertreten.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Der Herr Abgeordnete Mertin hat ebenso wie andere Abgeordnete mit erfreulicher Deutlichkeit hervorgehoben, dass die Freiheit der Beamten selbstverständlich die berühmten zwei Grenzpfähle hat. Der eine Grenzpfahl steht vor uns und der andere vor den Herren Polen. Diese beiden Grenzpfähle sollen nach der Auffassung des Herrn Abgeordneten Mertin von dem Oberverwaltungsgericht so gut fundiert sein, dass nur noch ein unbotmäßiger Sozialdemokrat geneigt sein könnte, an ihnen zu rütteln.

Herr Abgeordneter Mertin hat gemeint, dass das Oberverwaltungsgericht sich allenthalben als eine derartig objektive Institution gezeigt habe, dass man die Feststellungen in dem bekannten Urteil, das er zum Teil vorgetragen hat, ohne weiteres akzeptieren müsse. Ja, meine Herren, die Objektivität des Oberverwaltungsgerichts glaube ich doch mit allem Nachdruck anzweifeln zu müssen. Ich will auf die spezielle Frage nicht eingehen, inwieweit wir von einer Unabhängigkeit des Oberverwaltungsgerichts reden können. Aber ich möchte doch betonen, dass das Oberverwaltungsgericht seine Unabhängigkeit und Objektivität gerade dort, wo sie am dringendsten nötig sein sollte und wo sie eigentlich ganz allein in Frage kommen könnte, nämlich gegenüber den oppositionellen Parteien, der Sozialdemokratie und den Polen, nicht selten in bedauerlicher Weise hat vermissen lassen. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass das Verfahren beim Oberverwaltungsgericht jeglicher nennenswerter Garantien, insbesondere Beweisvorschriften, entbehrt und dass infolgedessen Feststellungen, die sich in irgendeinem Urteil des Oberverwaltungsgerichts befinden, von keinem höheren Wert für uns sein können als die Akten des preußischen Herrn Polizei- oder Kultusministers.

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

Herr Abgeordneter Winckler sprach davon, dass man nur in Konsequenz der Gesetze verfahre, wenn man gegen die sozialdemokratische und polnische Gesinnung und Betätigung der Beamten in der behaupteten Weise vorginge. Ich behaupte, dass es weder konsequent noch gesetzlich ist, was die Regierung hier unternimmt. Meine Herren, es ist von den Herren Konservativen als Antwort auf die Vorwürfe der Polen und des Zentrums nichts anderes gefordert worden als eine Parität der Unterdrückung. Über diese Parität der Unterdrückung werde ich noch Gelegenheit haben, mich auszulassen. Jetzt möchte ich mich mit der Frage befassen, ob es in der Tat angängig ist, in der Weise, wie der Herr Reichskanzler, der Herr Ministerpräsident, es getan hat, den Disziplinarcharakter der Beamtenmaßregelungen hinweg zu disputieren.

Meine Herren, es wird nicht gelingen, darüber zu täuschen, dass tatsächlich materiell eine Disziplinierung und nichts anderes vorliegt. Ich kann hier den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Schiffer zum Teil beistimmen; ich möchte sie aber in etwas ergänzen.

Zunächst steht außer Zweifel, dass dasjenige, was die Regierung getan hat, die Zufügung eines Übels war. Es ist des weiteren außer Zweifel, dass dieses Übel von der Regierung als Übel gewollt und dass es als solches empfunden worden ist. Dass es von der Regierung als Übel gewollt war, ergibt sich auf das allererklärlichste aus den Begleiterscheinungen, den Rüffeln, den verschiedenen Verweisen, den Vermahnungen der Beamten usw. Es ergibt sich auch aus der ganzen Argumentation des Herrn Reichskanzlers. Was allenthalben gegen die Beamten ins Feld geführt worden ist, sowohl aus dem Hause heraus wie vom Regierungstische, ist in einem so drohenden Tone vorgetragen worden, dass man gar keinen Zweifel mehr daran hegen kann, dass es sich um eine bewusste und überlegte unfreundliche Maßregel gegen die Beamten gehandelt hat.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Das ist das innere Wesen der Disziplinierung.

Meine Herren, es ist gesagt worden, die Versetzung der Beamten sei im Interesse des Dienstes geschehen. Gewiss, meine Herren. Wie will man aber dieses Argument ernstlich als Stütze der Regierung verwenden wollen? Ich bitte Sie, doch zu beachten, dass auch das ganze Disziplinarwesen im Interesse des Dienstes begründet ist. Jede Disziplinierung dient dem Interesse des Dienstes – das ist das Wesen der Disziplinierung. Wie kann man also sagen: Es liegt um deswillen keine Disziplinierung vor, weil diese Versetzung im Interesse des Dienstes erfolgt ist?

Meine Herren, wir haben also folgendes: Im Interesse des Dienstes sind die Maßregeln erfolgt, wie der Herr Reichskanzler bekannt hat; es ist ein Übel, es ist als Übel gewollt, es ist als Übel empfunden. Damit ist der gesamte Tatbestand, der überhaupt für eine Disziplinarbestrafung in Frage kommt, gegeben. Meine Herren, das einzige, was hier an einer wirklichen Disziplinierung fehlt, das sind die Garantien des gesetzlichen Disziplinarverfahrens. Meine Herren, es handelt sich also hier um eine Disziplinierung gesetzwidriger Art unter Außerachtlassung der Vorschriften der Disziplinargesetze.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, wenn das die Sache etwa für die Beamten günstiger stellen soll, dass sie zwar in der Sache eine Disziplinarstrafe erhalten, aber formal nicht die Rechte zuerteilt bekommen haben, die sonst bei jeder Disziplinierung bestehen –, wenn das ein Vorzug sein soll, dann, meine ich, wird den Beamten wohl das nötige Verständnis für diese freundliche Bevorzugung fehlen, die Sie ihnen angedeihen zu lassen die Gewogenheit haben.

Meine Herren, es handelt sich also meiner Überzeugung nach um nichts weiter als um eine überlegt ungesetzliche Ausnutzung einer Machtbefugnis der Staatsregierung, die in dem Gesetz kautschukartig gefasst ist, um der Verwaltung einen gewissen freien Spielraum zu geben. Aber, wie das in Preußen der Fall zu sein pflegt, durch dieses kleine Löchelchen, durch diese kleine Öffnung ist sofort die gesamte polizeiliche und Regierungswillkür hindurch geschlüpft und hat das Beamtenrecht in ein einfaches Beamtenunrecht verwandelt. Meine Herren, die Maßregeln der Regierung zeigen wiederum, dass von der preußischen Regierung dasjenige gilt, was man sonst vom Teufel zu sagen pflegt: Man darf ihm nicht den kleinen Finger geben, sonst hat er gleich die ganze Hand. Als man diese Kautschukbestimmung in das Disziplinargesetz aufnahm, hat man ganz gewiss nicht daran gedacht und nicht gewollt, dass die Regierung in solchem Sinn und Maße von ihrer Verwaltungswillkür Gebrauch mache. Aber man darf eben der preußischen Regierung keine derartigen Vollmachten geben; man muss überzeugt sein, dass jede derartige Vollmacht jederzeit von der preußischen Regierung gemissbraucht wird, gemissbraucht allerdings, wie ich überzeugt bin, bedauerlicherweise unter dem Beifall des Landtages, insbesondere dieses Hohen Hauses. Aber das ist für uns natürlich nicht maßgeblich; es handelt sich um eine inoffizielle Disziplinierung unter Außerachtlassung der gesetzlichen Garantie, das unterliegt nicht dem geringsten Zweifel. Die Beamten sind ihrem gesetzlichen Richter entzogen worden; es ist ihnen auch dadurch ein gröbliches Unrecht geschehen; die Regierung ist verantwortlich für dieses Unrecht, sie hat es verübt, sie ist schuldig.

Die Argumentationen des Herrn Abgeordneten Dr. Porsch können wir uns nicht ohne weiteres zu eigen machen. Er hat in seiner Argumentation ein ganz besonderes Gewicht darauf gelegt, dass die gemaßregelten Beamten doch im Grunde genommen sehr brave Leute seien, dass insbesondere auch die polnischen Kandidaten sehr biedere und gesinnungstüchtige und regierungstreue und christliche und wer weiß was alles für Leute seien, dass man also ganz besonders keine Veranlassung habe, in dem vorliegenden Falle einzuschreiten.

Wir möchten derartige Opportunitätsgründe unsererseits grundsätzlich verwerfen. Es kann uns gar nicht darauf ankommen, ob die betreffenden Personen eine der Regierung mehr oder minder unbequeme politische Überzeugung zum Ausdruck gebracht haben. Begibt man sich hier einmal auf die schiefe Ebene, so gibt es kein Halten mehr; hier können nur ganz feste Grundsätze, hier kann nur eine ganz prinzipielle Zuerkennung des Rechts auf politische Meinungsfreiheit, auf politische Betätigungsfreiheit für die Beamten ernstlich Remedur schaffen und für alle Zukunft hinaus allen derartigen Ungesetzlichkeiten einen Riegel vorschieben.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Im Reichstag hat der Abgeordnete Graf von Oppersdorff gemeint, die Beamten seien durch den 19. Oktober für dasjenige entschuldigt, was am 9. und 29. November geschehen sei. Wir sind der Ansicht, dass bei den Beamten gar nichts zu entschuldigen ist, dass derjenige, der sich zu entschuldigen hat, die Königliche Staatsregierung ist und niemand anders.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, wenn der Herr Graf von Oppersdorff im Reichstag weiter gemeint hat, die Beamten seien von der Regierung in ihrer Ehre verletzt worden, so möchten wir auch in dieser Beziehung unsern gegenteiligen Standpunkt zum Ausdruck bringen. Wir sind der Überzeugung, dass man durch eine Gesetzwidrigkeit niemals in seiner Ehre verletzt werden kann und dass die einzige Ehre, die in diesem Falle auf dem Spiele steht, die Ehre der preußischen Regierung ist,

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

an der allerdings auch nicht mehr viel zu verlieren ist.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten. – Große Unruhe und Zurufe.)

Die politische Ehre, meine Herren, und das ist meine gute Überzeugung.

(Zurufe bei den Sozialdemokraten. Glocke des Präsidenten.)

Präsident von Kröcher (den Redner unterbrechend):

Es wird mir von dem Herrn Schriftführer gesagt, Sie hätten eben gesagt, Herr Abgeordneter: Die Ehre der preußischen Beamten, an der nicht mehr viel zu verlieren ist.

(Zurufe rechts und Widerspruch des Abgeordneten Dr. Liebknecht.)

Liebknecht: Ich habe gesagt: Die politische Ehre der preußischen Regierung, an der nicht mehr viel zu verlieren ist.

(Widerspruch rechts.)

Präsident von Kröcher (den Redner unterbrechend): Wenn Sie also das gesagt haben, was Sie jetzt wiederholt haben, Herr Abgeordneter Liebknecht, rufe ich Sie zur Ordnung.

(Lebhafter Beifall rechts.)

Liebknecht: Mir tut's nicht weh!

(Zurufe rechts.)

Meine Herren, es ist gesagt worden, die Polen seien antinational, und deshalb müssten sie mit anderem Maße gemessen werden als die übrigen Parteien. Nun, meine Herren, ich habe Ihnen vorhin bereits gesagt, wer denn im Grunde an der polnischen Agitation in Oberschlesien die Schuld trägt. Ich möchte Sie nun aber daran erinnern, dass Sie es sind, die die Polen um Ihres Profits willen nach Deutschland herein rufen; dass Sie es sind, die um Ihrer politischen Vorherrschaft willen diese antideutsche Gesinnung der Polen allenthalben groß züchten und erhalten; dass Sie es sind, die Deutschland gar so häufig gegen das Ausland verhetzen und in große Schwierigkeiten bringen, und dass auch auf Ihrer Seite – ich fasse den Begriff „auf Ihrer Seite" jetzt etwas weit – auch dieselben sitzen, von deren Freunden die etwa im Ernstfall gegen Deutschland zu gebrauchenden Waffen um des schnöden Mammons willen in das Ausland geliefert werden. Meine Herren, wir wollen doch wirklich die antinationale Gesinnung nicht bei den Polen suchen! Wir sind der Überzeugung, dass Ihre Gesinnung eine so wenig nationale ist wie nur möglich, dass Ihre Gesinnung eine ganz persönliche Interessengesinnung ist,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

ein Gutsbezirkspatriotismus, ein Patriotismus, dessen Schlussresultat nur ist: Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel des Patriotismus springt!

(Lachen rechts. – „Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Man sagt zur Begründung des Rechts auf Maßregelung gegenüber der Sozialdemokratie: Sie stände außerhalb der Verfassung, infolgedessen könne sich selbstverständlich niemals ein Beamter zu ihr bekennen. Meine Herren, prinzipiell möchte ich zunächst einmal meinen Standpunkt dahin aussprechen, dass Sie, meine Herren, hier alle außerhalb der Verfassung stehen,

(Lachen rechts.)

nicht nur bei den Beamtenmaßregelungen. Die heutige preußische Verfassung und das heutige preußische Wahlgesetz sind und bleiben auch heute noch verfassungswidrig. Alle die Nutznießer dieser Gesetzesbrüche und Verfassungswidrigkeiten stehen außerhalb der Verfassung, und das sind Sie. Operieren Sie nicht mit derartigen Sachen! Wem ein Hochverrat von oben, ein Staatsstreich, ein Verfassungsbruch, Basis für die politische Existenz und Macht ist, der sollte nicht in Bezug auf andere Parteien schreien, dass sie sich außerhalb der Verfassung stellen. 6Wir haben ja schon öfters einmal erlebt, und es erfasst uns dabei gewissermaßen eine politische Märchenstimmung, wenn ich mich so ausdrücken soll, dass aus Süddeutschland zu uns Töne herübergeklungen sind über die Maingrenze, die bei uns, ich möchte fast sagen, ein verwundertes Augenreiben hervorrufen, ob wir denn hier oben wirklich noch in dem alten Preußen leben, ob wir nicht am Ende nur träumen, wenn wir alle die Rückständigkeiten des preußischen politischen Lebens sehen. Meine Herren, aus Süddeutschland haben wir jetzt wiederum, nachdem dort vor einigen Jahren ein hochgestellter Herr, der bekannte Prinz Ludwig, eine lebhafte Kampagne für das demokratische Wahlrecht geführt hat, aus der badischen Kammer eine Erklärung des Ministers des Innern von Bodman gehört, in der gesagt wird:

Wenn es einen Weg gibt, die Sozialdemokratie mit dem Staate zu versöhnen, so ist es die positive Mitarbeit hier im Hause. Sie soll im Parlament vertreten sein, und ich arbeite auch mit der Sozialdemokratie gern zusammen, wenn sie zur Arbeit bereit ist. Ich hoffe, dass es auf diesem Wege dahin kommt, das höchste Gut, das wir haben, zu schützen, die Freude am Vaterlande.

Die „Deutsche Tageszeitung" hat gegenüber dieser Erklärung des badischen Ministers gesagt: „Wie kann der Minister eine solche Rede halten!"

(„Sehr richtig!“ rechts)

Wir haben kein Verständnis dafür; die Sozialdemokratie ist antimonarchisch und steht außerhalb der Verfassung." Meine Herren, in der Tat, Wir haben von der „Deutschen Tageszeitung" und auch von Ihnen ein Verständnis für eine solche Haltung des badischen Ministers nie und nimmer erwartet, und wir sind überzeugt, dass Ihnen eine andere Auffassung erst durch eine nachdrückliche außerparlamentarische Aktion wird eingeprägt werden müssen, um keinen kräftigeren Ausdruck zu gebrauchen.

Die Sozialdemokratie steht nicht außerhalb der Verfassung. Die Sozialdemokratie will die Verfassung umgestalten, aber wer die Verfassung umgestalten will, steht noch längst nicht außerhalb der Verfassung. Sie wollen die Verfassung ja auch umgestalten, meine Herren, und von der Regierung wird ja auch nicht selten einmal eine Umgestaltung der Verfassung angeregt. Der Regel nach wünschen Sie allerdings eine Umgestaltung im reaktionären Sinne. Wie oft haben die Herren in diesem Hause mit Nachdruck eine Umgestaltung der Reichsverfassung in reaktionärem Sinne durch Abänderung des Reichstagswahlrechtes gefordert! Also, wie kann man sagen, dass der, der eine Umgestaltung der Verfassung wünscht, außerhalb der Verfassung steht. Die Sozialdemokratie unterscheidet sich von Ihnen nur durch das eine, dass die Abänderung der Verfassung, die sie wünscht, die sie will und die sie durchführen wird, auch gegen Ihren Willen, eine wirklich den Anforderungen der Kultur, eine den Interessen des Volkes entsprechende ist, dass sie in der Entwicklungsrichtung liegt und dass sie Ihren reaktionären Interessen auf das schärfste ins Gesicht schlägt. Deshalb werden derartige Verfassungsabänderungsbestrebungen von Ihnen mit besonderer Vorliebe als Bestrebungen bezeichnet, die außerhalb der Verfassung stehen. Uns ist das im Übrigen gleichgültig.

7Die Herren Regierungsvertreter haben zur Begründung der Maßregelungen einige Bemerkungen gemacht, die dahin zielen, dass die Staatsräson die Regierung berechtigt habe, in dem vorliegenden Falle einzuschreiten. Der Herr Ministerpräsident hat insbesondere die Frage aufgeworfen: wo liegt das Schwergewicht und wessen Interessen haben zu entscheiden, die des Staats, der Gesamtheit, oder des Individuums? Meine Herren, ich bemerke, wenn ich auch von meinem politischen Standpunkt gänzlich abstrahiere, sondern nur auf die jetzigen politisch frei regierten Staaten sehe, in denen die Sozialdemokratie in genau derselben Opposition zur Regierung steht wie in Deutschland, dass ich auch dann den Standpunkt der Regierung als einen unpolitischen und in ihrem eigenen Interesse unzweckmäßigen bezeichnen muss. Nach unserer Überzeugung gibt es auch im Ihrigen Interesse nur eine wahre Staatsräson, das ist die Staatsräson der Freiheit und Volkswohlfahrt, die durch die Gewährung der größtmöglichen politischen, religiösen und wissenschaftlichen Freiheit für Denken und Betätigung eine lebendige, interessierte und freiwillige Mitwirkung der Gesamtheit des Volkes an den Geschicken des Staates herbeigeführt.

(„Sehr richtig“ bei den Sozialdemokraten)

Dann fördern Sie das organische Leben des Staates, in dem sich alle Kräfte frei entfalten, dann werden sich die Oppositionen, die Widersprüche in Formen zum Ausdruck bringen, die weit zweckmäßiger sind für eine friedliche und kulturelle Entwicklung, als wenn Sie an Ihrer brutalen, gewalttätigen Unterdrückungspolitik gegen die breiten Massen festhalten.

(„Bravo!“ bei den Sozialdemokraten)

Nun habe ich auch auf eine pikante Tatsache hinzuweisen. Der Herr Reichskanzler hat – und zwar ohne jede Einschränkung, wie ich hervorheben möchte – bemerkt, es könnten für das Vorgehen der Regierung weder parteipolitische noch konfessionelle Gesichtspunkte maßgebend sein. Danach hat sich der Herr Kultusminister erhoben und auf einen Appell, der von dem Herrn Abgeordneten Dr. Porsch ausging, bemerkt: Wenn wirklich ein Oberlehrer in der Ferrer-Versammlung anwesend gewesen sei und in dieser Seite an Seite mit einem Sozialdemokraten gesessen habe, so werde auch er das selbstverständlich zu verantworten haben.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten. „Sehr richtig!" rechts.)

Wir wussten das ja schon im Voraus, es ist ja nichts Neues, meine Herren. Worauf ich aufmerksam machen wollte, das ist nur dieser interessante Gegensatz, der sich hier zwischen dem Herrn Reichskanzler und dem Herrn Kultusminister gezeigt hat. Ich bin ja gewiss, es kommt wieder die bekannte Bemerkung: Der Kampf gegen die Sozialdemokratie ist kein parteipolitischer Kampf, er ist ein nationaler Kampf.

(„Sehr richtig!" rechts.)

Gott sei Dank; bleiben Sie uns mit solchen Redensarten vom Leibe. Das glaubt Ihnen kein Mensch. Also, ich erwarte, dass mir auf irgendeine Weise demnächst bewiesen werden wird, dass doch eine ganz intime Übereinstimmung zwischen dem Herrn Reichskanzler und dem Herrn Kultusminister besteht, obwohl ich im Interesse des Reichskanzlers die Möglichkeit der Feststellung gewünscht hätte, dass er doch gegenüber dem Herrn Kultusminister sozusagen eine philosophischere, modernere Nuance des preußischen Staatsmannes darstellt und verkörpert. Meine Herren, dieser Widerspruch ist meiner Ansicht nach vorhanden, und es ist die Frage aufzuwerfen, wer denn nun eigentlich die wirkliche Meinung der preußischen Staatsregierung zum Ausdruck gebracht hat, der Herr Ministerpräsident oder der Herr Ressortminister. Wir werden ja hoffentlich darüber noch nähere Aufklärung bekommen.

Meine Herren, dass die Regierung über den Erlass vom Jahre 1882 hinausgegangen ist, dass sie gegenwärtig und auch schon seit längerer Zeit ihre Kampagne auch gegen die unpolitischen Beamten führt, das ist bekannt und ist von dem Herrn Staatssekretär Delbrück im Reichstage ausdrücklich bestätigt worden. Meine Herren, wir dürfen hervorheben, dass sich diese Haltung der Regierung, wie ich bereits vorhin bemerkte, nicht nur auf die Wahlen bezieht, sondern auf jegliche politische Betätigung, auf jegliche erkennbare politische Gesinnung, die der Regierung nicht genehm ist. Ich darf darauf hinweisen, dass sich Maßregelungen ähnlicher Art auch schon gegen das Zentrum und gegen die liberalen Parteien gerichtet haben. Wie kann man in der gegenwärtigen Zeit so kurz von Gedächtnis sein, dass man den Fall Schücking nicht mehr in der Erinnerung besitzt. Meine Herren, ist Ihnen nicht mehr erinnerlich, in welcher Weise die Liberalen jüngst in Waren von der Eisenbahnverwaltung verwarnt wurden, die an der Versammlung eines liberalen Vereins teilnehmen wollten? Ist Ihnen nicht erinnerlich, wie das Zentrum in den fiskalischen Grubengebieten, insbesondere in der Saarbrücker Gegend, von der Regierung in der unerhörtesten Weise politisch unterdrückt worden ist? Unsere Partei ist damals dem Zentrum zu Hilfe gekommen. In dem bekannten Saarbrücker Prozess sind diese Skandale, diese politischen Unterdrückungsmaßregeln der preußischen Regierung gegenüber den Staatsarbeitern in einer so außerordentlich beschämenden Weise vor aller Öffentlichkeit bloßgestellt worden, dass der Regierung der Eindruck auf die Öffentlichkeit sehr unangenehm war. Ihnen alles Material hier vorzutragen, wie die Lehrermaßregelungen in Josephowo und den Fall des Lehrers Hansen in Tönningen, Ihnen all diese Vorgänge im Einzelnen vor Augen zu führen ist mir natürlich nicht möglich. Ich möchte Sie aber noch erinnern an den Erlass der Eisenbahndirektion Elberfeld aus dem Sommer des Jahres 1908 und an die Vorgänge auf der fiskalischen Ferdinandsgrube, die dazu führten, dass eine Anzahl von Zentrumswählern entlassen worden ist, eine Angelegenheit, die von der „Germania" in einem Artikel vom 24. Juli 1908 besprochen wurde. Es ist also in der Tat so, dass die Maßregelungen der Regierung sich durchaus nicht nur gegen die Sozialdemokratie und gegen die Polen richten, sondern dass sie sich, wo es der Regierung passt, auch gegen das Zentrum und gegen die liberalen Parteien, insbesondere gegen die demokratische Gesinnung, richten. Sie haben also hier, wie es mir scheint, in viel weiteren Kreisen, als Sie bisher nach der Debatte gemeint haben, alle Veranlassung, sich zu sagen: Tua res agitur; das heißt, wir sollten vorsichtiger sein; es könnten auch wieder einmal andere Parteien in die Rolle der Reichsfeindschaft geraten.

Ich möchte noch auf einen Fall aufmerksam machen, der, wie mir scheint, von ganz bedeutendem Interesse ist, weil er einen unmittelbaren Eingriff auch in das Reichstagswahlrecht eines Beamten darstellt. Es ist der Fall des früheren Notars und Rechtsanwalts Wyczynski, früher in Strasburg in Westpreußen, gegenwärtig in Posen. Dieser Rechtsanwalt und Notar wurde vor den Wahlen 1907 von der Regierung – ich trage dies hier aus dem Gedächtnis vor, ich habe die Materialien nicht in der Hand, aber ich habe mir vorgestern die Richtigkeit meiner Auffassung von einem der Herren Mitglieder der polnischen Fraktion bestätigen lassen – darauf aufmerksam gemacht, dass er als Beamter die Pflicht habe, für einen Blockkandidaten einzutreten und unter allen Umständen gegen den polnischen Kandidaten zu stimmen.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Der Notar Wyczynski besaß bedauerlicherweise nicht diejenige Grobheit, die ich ihm in diesem Falle gewünscht hätte. Er schrieb an die Regierung zurück: Ich bedaure, nicht im vollen Umfang der Aufforderung der Staatsregierung nachkommen zu können; ich bin bereit, soweit zu gehen, dass ich mich meiner Stimme enthalte; aber geradezu für einen Gegner meiner Überzeugung zu stimmen, das, glaube ich, kann mir die Königliche Staatsregierung nicht zumuten. Er bekam einen zweiten Erlass von der Regierung, in dem gesagt wurde, sein Kompromissangebot sei unzureichend, er hätte schlechterdings für den antipolnischen Kandidaten einzutreten.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Daraufhin hat der betreffende Herr bedauerlicherweise sein Notariat freiwillig niedergelegt, um das Recht seiner freien politischen Meinungsäußerung zu haben. Der Fall war unerhört. Ich bekam diese Mitteilung als einen Gruß aus der preußischen Freiheit in meine preußische Gefangenschaft zugeschickt.

8Aber, meine Herren, ich möchte meine Ausführungen nicht schließen, ohne den Herren, die heute mit uns vereint kämpfen, den Herren vom Zentrum und den Freisinnigen, zu bedenken geben, ob sie nicht hier und da auch ihrerseits gegen die Auffassung von der politischen Freiheit der Beamten verstoßen haben, die sie gegenwärtig mit so lebhafter Emphase zum Ausdruck bringen. Ich will nicht Vergangenes aufrühren, ich bin kein Freund der Taktik, in dem Augenblick, wo man einmal gemeinschaftlich kämpft, eine Streitaxt in das eigene Herr hineinzuwerfen. Ich kann die Bemerkung, die ich eben gemacht habe, aber dennoch nicht unterdrücken, weil sie uns zu dem Zweifel bewegt, ob wir die Herren von den beiden genannten Parteien wirklich auch jederzeit auf der Schanze finden werden, wenn es gilt, den Kampf, der eben gekämpft wird, bei anderen Gelegenheiten rücksichtslos weiter zu kämpfen. Wird dies der Fall sein, wir werden mit Freude diese Kampfgenossenschaft für diesen Fall akzeptieren, und wir sind weit davon entfernt, unsere Hoffnung zu unterdrücken, dass all dasjenige, was vergangen ist, auf ewig vergangen sein möge, und dass, nachdem die Herren Freisinnigen das etwas – wie soll ich sagen – unappetitliche Kleid der Blockpolitik abgestreift haben und nun wiederum im Flügelkleid frischerer Opposition einher gehen, sie auch im Kampf gegen die preußische Reaktion wieder eine bessere Klingen führen werden.

(Zurufe bei den Sozialdemokraten)

Meine Herren, Sie sehen, meine Hoffnungsfreudigkeit geht sogar meinen Parteigenossen ein bisschen zu weit. Aber meine Herren, wenn man einmal erlebt hat, wie die Opposition der Herren Freisinnigen eine Zeitlang herab gestimmt und heruntergekommen war, dann wird man leicht von der Illusion befallen, dass eine, wenn auch vielleicht nur geringfügige Besserung doch immerhin schon eine ganz erhebliche Besserung gegen den früheren Zustand sei: eine fast unvermeidliche optische Täuschung.

Meine Herren, ich will damit diesen Punkt verlassen, will auch nicht auf die Vorgänge in Dortmund eingehen, das Verhalten der Tremonia usw., sondern noch eine Bemerkung zu den Herren da drüben (nach rechts) machen. Ich möchte feststellen, dass diese Herren ja naturgemäß und ganz konsequent von ihrem Standpunkt aus – obwohl wir noch keine Ministerverantwortlichkeit und kein parlamentarisches System kennen – in ihrer Terrorisierung der Beamtenschaft auch nicht haltmachen vor den Ministersesseln. Sie führen ganz genau dieselben und vielleicht noch energischere Grundsätze über die politische Haltung gegenüber den Herren Ministern durch wie gegenüber den übrigen Beamten. Ich verweise auf die Vorgänge in der Sitzung vom 15. dieses Monats, ich erinnere daran, wie der Herr von Pappenheim den Herrn Finanzminister wie ein Unteroffizier den Rekruten auf dem Kasernenhof herunter geputzt hat und wie der Herr Minister daraufhin, wie ich bereits vorhin bemerkt, nichts als Verbeugungen gehabt hat. Das Stoßgebet der preußischen Minister muss heißen: Herr von Heydebrand und der Lasa, sei meinem Portefeuille gnädig! Wenn diese Gnade verlorengeht, dann ist es mit der ganzen Ministerherrlichkeit vorbei. Parteigenossen9

(Große Heiterkeit.)

Meine Herren –

Präsident von Kröcher (den Redner unterbrechend): Herr Abgeordneter, ich muss Sie einen Augenblick unterbrechen. Sie haben, nachdem ich Ihnen vorhin den Ordnungsruf erteilt hatte, nach dem Stenogramm die Worte gesagt: „Mir tut's nicht weh." Für diese Worte, Herr Abgeordneter Liebknecht, rufe ich Sie zum zweiten Male unter Hinweis auf die geschäftsordnungsmäßigen Folgen, wenn ich genötigt sein sollte, Sie in derselben Rede zum dritten Mal zur Ordnung zu rufen, zur Ordnung.

(„Bravo!" rechts.)

Liebknecht: (fortfahrend) Meine Herren, ich möchte bemerken, dass meine Worte, die jetzt zu dem zweiten Ordnungsruf geführt haben, nicht gegen den ersten Ordnungsruf gerichtet waren, sondern gegen einige Bemerkungen, die mir die Herren von der Rechten nach dem Ordnungsruf zuriefen.

(„Sehr richtig!")

Präsident von Kröcher (den Redner unterbrechend): Herr Abgeordneter, eigentlich durfte ich Ihnen nicht gestatten, das zu sagen; das hätten Sie nachher zur Geschäftsordnung sagen können. Ich habe Ihre Bemerkung: „Mir tut's nicht weh" – allerdings nach dem Stenogramm, weil die Zwischenrufe von der rechten Seite darin nicht vermerkt sind, so auffassen müssen, dass sie gegen mich, den Präsidenten, gerichtet war. Wenn es aber wirklich der Fall ist, was ich jetzt annehme, dass Sie sie erst auf Bemerkungen von der rechten Seite gesagt haben, dann nehme ich den zweiten Ordnungsruf zurück.

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

Liebknecht: (fortfahrend) Meine Herren, ich habe vorhin auf eine kleine Unstimmigkeit zwischen dem Herrn Ministerpräsidenten und dem Herrn Kultusminister hingewiesen; ich möchte jetzt auf eine kleine Unstimmigkeit hinweisen zwischen dem Herrn Ministerpräsidenten und dem Ressort des Herrn Justizministers.

Meine Herren, in Cottbus spielte sich vor einigen Monaten, genauso wie in Kattowitz, die Stadtverordnetenwahl ab. In Cottbus standen auf der einen Seite die Kandidaten der Sozialdemokratie, auf der anderen Seite der Regierung und Stadtverwaltung genehme Personen. Es wurde nun in dem dortigen sozialdemokratischen Organ, der „Märkischen Volksstimme", bemerkt: Der Oberbürgermeister sei angstvoll vom und zum Telephon gelaufen und habe im Kommandoton die Domestiken zur Wahl – gegen die Sozialdemokratie – befohlen. Meine Herren, damit ist dem Bürgermeister zum Vorwurf gemacht, er habe die Angestellten der Stadt veranlasst, gegen die Sozialdemokratie und sozusagen für den regierungsfreundlichen Kandidaten zu stimmen. Meine Herren, soweit ganz gut, und Sie alle werden natürlich sagen: Hoch klingt das Lied vom braven Mann; dieser Oberbürgermeister hat seine Pflicht und Schuldigkeit getan. Natürlich, er hat sie getan, auch nach der Auffassung des Herrn Ministerpräsidenten, auch nach der Auffassung des Herrn Kultusministers. Dennoch findet sich sonderbarerweise in einem anderen preußischen Ressort ein Beamter, der anderer Auffassung ist. Es hat sich nämlich die eigentümliche Tatsache ereignet, dass gegen den Redakteur der „Märkischen Volksstimme", den Herrn Robert Utz in Ströbitz, unter dem 23. Dezember 1909 vom Ersten Staatsanwalt beim Königlichen Landgericht Cottbus Anklage erhoben worden ist wegen Beleidigung des Oberbürgermeisters. Worin die Beleidigung gefunden wird, ergeben folgende Sätze:

In diesen Wendungen muss der Vorwurf gesehen werden, dass der Oberbürgermeister Werner unter Missbrauch seiner amtlichen Stellung die ihm unterstellten städtischen Beamten zur Stadtverordnetenwahl befohlen und die Beamten bei Abgabe ihrer Stimme in unzulässiger Weise beeinflusst habe.“

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, so denkt der Staatsanwalt in Cottbus über die Wahlfreiheit der Beamten! Auch der Herr Justizminister hat zwar, soviel ich weiß, an dem Beschluss des Staatsministeriums mitgewirkt, er hat sogar in Kattowitz auch einen Erlass vom Stapel gelassen, der seine Ressortbeamten rüffelt. Meine Herren, wie kann der Erste Staatsanwalt in Cottbus über die gegenwärtige Regierungspraxis in der Verfolgung der oppositionellen Partei so schlecht unterrichtet sein, dass er darin eine Beleidigung erblickt, worin Sie nichts anderes sehen als die Behauptung einer getreuen Pflichterfüllung? Dieser Widerspruch muss in irgendeiner Weise aus der Welt geschafft werden. Wird die Königliche Staatsregierung hier ihren bisherigen Standpunkt aufrechterhalten, so zweifle ich nicht im Geringsten daran, dass der Erste Staatsanwalt in Cottbus seine Anklage nicht wird vertreten können, dass er bei dem nahe bevorstehenden Termin die Freisprechung des Angeklagten beantragen wird. Meine Herren, diese inkonsequente Haltung innerhalb der Regierung selbst bedarf der Annagelung.

Meine Herren, was ist der Zweck und was der Erfolg der gegenwärtigen Interpellation gewesen? Es ist selbstverständlich, dass die Herren vom Zentrum keine Denunziation anderer politischer oppositioneller Parteien gewollt haben; aber der Erfolg der Interpellation ist eine Denunziation. Der Erfolg ist eine Denunziation, wie denn in Preußen noch stets die Behauptung anständiger liberaler Gesinnung eines Beamten gewirkt hat wie eine Denunziation wegen Pflichtvergessenheit. Meine Herren, die Herren vom Zentrum wollten durch ihre Interpellation – so nehme ich an – eine Gleichheit des Rechtes erzielen; sie haben durch ihre Interpellation eine Gleichheit des Unrechts und der Unterdrückung erzielt. Die Herren vom Zentrum wollten sich sozusagen an unsern Rockschößen aus dem Sumpfe der preußischen Reaktion herausziehen,

(Lachen rechts.)

und der Erfolg ist gewesen, dass sie die Sozialdemokraten und alles, was mit sozialdemokratischer Gesinnung auf Meilenweite in Berührung gekommen ist, in den Sumpf der preußischen Reaktion mit hineingezogen haben. Meine Herren, es ist ja gestern bereits in den Abendblättern mitgeteilt worden, dass dem gestrigen Entschluss des Herrn Kultusministers schon Folge gegeben worden ist: „Das Komiteemitglied der Ferrer-Versammlung, der freisinnige Gymnasialoberlehrer Hacks, wird vom Provinzialschulkollegium zur Verantwortung gezogen."

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, wir können den Herren vom Zentrum den Vorwurf nicht ersparen, dass sie bei Begründung ihrer Interpellation in gewissem Sinne fahrlässig gehandelt, dass sie eine denunziatorische Wirkung fahrlässig herbeigeführt haben. Was hat man denn vom Standpunkte des Zentrums aus für eine Veranlassung, die politische Freiheit der Beamten unter Berufung darauf zu fordern, dass man den Beamten auch gelegentlich die Möglichkeit gegeben habe, unbeschadet ihrer amtlichen Stellung mit Sozialdemokraten in Berührung zu kommen?! Der Standpunkt des Zentrums geht ja doch wohl dahin, dass es auf die politische Gesinnung überhaupt nicht ankomme. Es hätte also genügt, wenn zur Begründung der Interpellation gesagt worden wäre: Ist nicht allen Beamten in Preußen das Recht gegeben, konservativer Gesinnung zu sein und konservative Gesinnung zu betätigen? Fordern Sie dieses Recht konservativer Gesinnung und Betätigung nicht ohne weiteres für jeden Beamten in Preußen? Ja, meine Herren, fordern Sie nicht geradezu die Pflicht einer konservativen Betätigung der Beamten in Preußen? Was dem einen recht ist, ist dem andern billig. Ich kann mir Ihre doppelte politische Moral nie und nimmer zu eigen machen. Ich sage: Wenn Sie auf dem Standpunkte stehen, dass ein Beamter konservativ sein darf, so haben wir nichts dagegen; wir fordern aber, dass ein Beamter auch Sozialdemokrat sein kann, dass er Zentrumsmann sein kann, dass er Pole sein kann; wir fordern absolute politische Gleichberechtigung für die Beamten. Meine Herren, wie kommen Sie denn dazu, wie kommen denn die Herren von der Regierung zu der Meinung, dass gerade nur die konservative Gesinnung und dann noch einige unmittelbar angrenzende Gesinnungen das Recht hätten, sich innerhalb des preußischen Staatswesens, innerhalb der Beamtenschaft breitzumachen? Gehört Ihnen etwa Preußen? Das preußische Volk steht auf unserer Seite, das preußische Volk ist Ihr Feind. Wie können Sie, die Vertreter einer Minderheit, für sich den Anspruch erheben wollen, dass die Funktionäre des Staatsganzen einfach Ihre politische Gesinnung haben? Ist's im Volke lebendig, ist's im Volke unruhig, herrschen im Volke oppositionelle Strömungen, so ist das ein Zeichen von Regierungsmisswirtschaft. Eine verständige Regierung hat gerade dann diese oppositionellen Bestrebungen an das Licht, zur Betätigung, zur Gestaltung kommen zu lassen, um auf diese Weise den Missständen abzuhelfen, die zur unruhigen Gestaltung der politischen Verhältnisse geführt haben. Also, was dem einen recht ist, ist dem andern billig. Das Volk versteht uns durchaus, nicht aber Ihren Standpunkt. Ich behaupte, dass man in jeder Versammlung, an der die breite Masse des Volkes irgendeiner politischen Gesinnung beteiligt ist, für die Forderung, dass jegliche politische Gesinnung die Berechtigung habe, sich innerhalb des Staatsganzen frei zu betätigen, allenthalben Anklang finden wird. Deshalb suchen Sie die sozialdemokratische Agitation von der breiten Masse Ihrer Wähler fernzuhalten durch Gewalt und durch Maßnahmen, wie sie Herr von Heydebrand oder die dortige Kreisverwaltung gegenüber den Sozialdemokraten getroffen hat, durch Saalabtreibung und ähnliches, durch Beeinflussung der Presse, weil sie fürchten, dass es mit Ihrer Herrlichkeit, auch auf dem flachen Lande, zu Ende sein würde, wenn unsere Anschauungen der breiten Masse bekannt wären.

Wir finden in Ihrer Gewalt- und Unterdrückungspolitik das Gegenteil von einem Zeichen der Stärke; wir erblicken darin ein Eingeständnis Ihres bösen Gewissens und Ihrer Schwäche. Wie dem auch sei: Vorläufig ist die Parität der Unterdrückung erreicht.

Wenn ich nun unseren Standpunkt mit einigen Worten kennzeichnen soll, so bemerke ich zunächst: Hätten wir eine wirklich unparteiische Regierung, so würde gegen diejenigen Regierungsbeamten, die die Kattowitzer Angelegenheit inszeniert haben, auf Grund des Paragraphen 2 des Disziplinargesetzes vom Jahre 1852 vorgegangen werden, weil sie die Pflichten, die ihnen ihr Amt auferlegt, gröblich verletzt haben. Es steht also nach unserer Überzeugung nicht in Frage eine Disziplinierung der jetzt gemaßregelten Beamten. Herrschten in Preußen Recht und Gerechtigkeit, die gemaßregelten Beamten würden sofort wieder in ihre alten Ämter eingesetzt werden, und diejenigen, die sie gemaßregelt haben, würden dem Disziplinarverfahren unterworfen werden.

(Heiterkeit rechts. „Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

Den Herren Polen möchte ich meine Hoffnung und meinen Wunsch aussprechen, dass sie aus diesen Vorgängen eine Lehre ziehen, die sie nicht gar so rasch wieder vergessen sollten. Sie dürfen sagen, das ist der Dank vom Hause Bethmann Hollweg.

Meine Herren, wir hoffen, dass die Herren Polen an diesem Fall von Neuem gelernt haben, dass sie mit irgendeiner Politik des Entgegenkommens nichts erreichen werden, dass ihr Heil allein in einer rücksichtslosen Oppositionspolitik besteht.

Meine Herren, unser Ceterum censeo ist: Es bedarf einer Regelung des Beamtenrechts, das in einer absoluten politischen Bewegungsfreiheit der Beamten gipfelt. Wir werden ja hoffentlich noch in dieser Session Gelegenheit haben, uns mit einem dahin zielenden Antrage zu befassen. Wir werden mit dahin zu arbeiten suchen, dass dieser Antrag in irgendeiner Weise einen positiven gesetzgeberischen Erfolg hat, wenngleich ja nach der Haltung der Herren Nationalliberalen nicht eine Besserung des gegenwärtigen Zustandes, viel eher eine Verschlechterung, eine Sanktionierung des gegenwärtigen verfassungswidrigen Zustandes zu erwarten steht. Auch die Regierungspläne in Bezug auf die preußische Beamtengesetzgebung, die in der Presse angekündigt sind, ergeben mit aller Deutlichkeit, dass man weit davon entfernt ist, die Beamtengesetzgebung im Sinne einer Befreiung aus der politischen Knechtschaft auszubauen, sondern dass man im Gegenteil die Gelegenheit der Beamtengesetzgebung nur dazu verwenden will, um die Beamtenunterdrückung in die brennende Schmach einer gesetzlichen Sanktion zu hüllen.

Und, meine Herren, wir haben ein weiteres Ceterum censeo. Wir meinen, die Regierung hat die Pflicht – und wir fordern es –, dass sie den Sprachenparagraphen10, zu dessen Beseitigung oder Milderung ja nach dem Reichsvereinsgesetz auch der Verwaltung die Möglichkeit in die Hand gegeben ist, nach Möglichkeit beseitigt oder mildert. Wir werden wohl noch im Laufe dieser Session auch an diese hohe Körperschaft mit einem Antrag herantreten, den Sprachenparagraphen innerhalb der reichsgesetzlichen Grenzen zu beseitigen oder zu mildern. Es ist für uns nicht der geringste Zweifel, dass nichts mehr geeignet ist, die nationalistischen Gegensätze zu stabilisieren, als der Sprachenparagraph, der eine künstliche Scheidewand errichtet zwischen der polnischen und der nichtpolnischen Bevölkerung und der die Polen immer wieder in die Empfindung zurücktreibt, sie seien Misshandelte, Unterdrückte, sie seien Ausgestoßene, Gebrandmarkte des gegenwärtigen preußischen Staats.

Wir fordern des weiteren eine Beseitigung der sinnlosen und unwürdigen, der korrumpierenden und verfassungswidrigen Ostmarkenpolitik und erblicken darin die wesentlichste Voraussetzung für eine Überwindung der nationalistischen Gegensätze in den östlichen Provinzen.

Wir fordern des weiteren die schleunigste Emanierung eines Gesetzes über die politische Verantwortlichkeit der Minister und die politische Verantwortlichkeit der übrigen politischen Beamten. Wir können nicht haltmachen bei der politischen Verantwortlichkeit der Herren Minister. Wir sind der Überzeugung, dass bei dem Landratsabsolutismus, an dem Preußen krankt, die Minister durchaus nicht in der Lage sind, materiell für jegliche Verwaltungswillkür, die im Lande draußen geübt wird, einzustehen, und wir sind der festen Überzeugung, dass, wenn die Herren Minister auch vor der Gefahr einer Ministeranklage ständen, die Verwaltungsbehörden außerhalb des Ministeriums dem Ministerium einfach auf der Nase herumtanzen und den Gehorsam verweigern würden, wenn die Regierung wirklich einmal ernstlich daran dächte, Remedur zu schaffen. Wir haben die Verpflichtung, Kautelen zu schaffen und eine Kontrolle gegenüber der preußischen Verwaltung, die gegenwärtig sozusagen wie ein Amokläufer gegen Recht und Gerechtigkeit und alle Kulturpflichten in Preußen anläuft. Sie muss gebändigt werden, die preußische Verwaltung, demokratisch gebändigt werden!

(Lachen rechts.)

Dann erst werden wir zu besseren Zuständen kommen.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Und wir fordern eine gründliche Reform des Wahlrechts im Sinne unserer Anträge, wie sie ja bereits in diesem Hohen Hause zur Verhandlung gekommen sind. Wir müssen auch diese Verhandlung damit schließen, dass wir unseren festen Willen zum Ausdruck bringen, für die Einführung dieses demokratischen Wahlrechts alle unsere Kräfte einzusetzen und auch die Kräfte im Lande mobil zu machen und Ihre Wähler hinter Ihnen (nach rechts) her zu hetzen, so lange, bis Ihnen selbst der Spaß ungemütlich wird.

(Heiterkeit und Zurufe rechts.)

Wir werden schon dafür sorgen, meine Herren, und ich werde Ihnen gleich noch sagen, wer außer uns dafür sorgt.

Meine Herren, die öffentliche Stimmabgabe allerdings bezeichnen wir als das Unsittlichste und Unanständigste

(Ohorufe und Unruhe. Glocke des Präsidenten.)

Präsident von Kröcher (den Redner unterbrechend): Das Wahlrecht steht eigentlich nicht zur Debatte.

(„Sehr richtig!" und Heiterkeit.)

Liebknecht: Ich füge mich gewiss gern den Worten des Herrn Präsidenten. Aber ich möchte mir doch erlauben, darauf hinzuweisen, dass allenthalben vom Wahlrecht geredet worden ist

(Zurufe und Widerspruch.)

und dass nach Auffassung der Mehrzahl der Parteien die Angelegenheit doch schließlich mit der Frage des Wahlrechts untrennbar verknüpft ist.

(Glocke des Präsidenten.)

Präsident von Kröcher: Ich wollte mit meiner Bemerkung nur ausdrücken, dass Sie nicht zu viel vom Wahlrecht sprechen sollten.

Liebknecht: (fortfahrend) Ja, ich hatte ja gerade erst angefangen.

(Große Heiterkeit.)

Es war der Qualität nach viel, der Quantität nach noch nicht, was ich über das Wahlrecht gesagt hatte.

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

Ich bin aber schon am Ende. Ich betone, dass das öffentliche Wahlrecht dadurch, dass es die abhängigen Wähler nicht nur ihres eigenen Wahlrechts beraubt, sondern auch zwingt, für den Gegner zu stimmen, etwas ganz besonders Unsittliches darstellt und deshalb in allererster Linie der schärfsten Bekämpfung, der Verurteilung und der schleunigsten Beseitigung bedarf.

Meine Herren, dieses Hohe Haus hat sich bei den Verhandlungen, die bisher in dieser Session gepflogen worden sind, immer und immer wieder mit der Frage beschäftigt: Wie haben sich die Parteien zur Sozialdemokratie zu stellen; auch die Herren von der Regierung sind wiederholt auf diese Frage zu sprechen gekommen. Wir erblicken darin einen glänzenden Beweis dafür, dass unsere Partei der Zentral- und Angelpunkt des ganzen politischen Lebens in Deutschland geworden ist.

(Heiterkeit.)

Wir erblicken darin die Bestätigung dessen, dass das Verhältnis zur Sozialdemokratie auch von Ihrem Standpunkt aus, meine Herren, mehr und mehr zum wesentlichen Charakteristikum für jede Partei geworden ist und dass das Losungswort, nach dem sich in Deutschland und besonders in Preußen Freund und Feind scheiden, allenthalben ist: Für oder wider die Sozialdemokratie! Sie alle, meine Herren, haben während der Budgetdebatten Gelegenheit genommen, sich gegen den Vorwurf zu wenden, dass Sie Bundesgenossen der Sozialdemokratie seien, gewesen seien oder jemals sein könnten; selbst den Herren Konservativen ist ja die Erinnerung an das berühmte Telegramm „Wählt Sabor!" und andere Erinnerungen nicht erspart geblieben. Nun, meine Herren, es ist richtig, dass Sie in dem Sinne, in dem es hier im Hause gemeint gewesen ist, weit davon entfernt sind, Bundesgenossen der Sozialdemokratie zu sein.

Aber, meine Herren, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass es doch der Baum der Reaktion ist, an dem die Frucht der Revolution wächst und also auch die Frucht der Sozialdemokratie, die Sie ja mit Vorliebe als eine revolutionäre Partei bezeichnen. Also Sie, die preußische Reaktion, die deutsche Reaktion und die Gesamtheit der kapitalistischen Reaktion sind es im Grunde genommen, die uns die Basis für unsere Existenz geben, in der unsere Wurzeln ruhen.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, Sie alle sind unsere Bundesgenossen – das darf ich sagen –, wenn auch höchst unfreiwillige Bundesgenossen. Diese unfreiwillige Bundesgenossenschaft von Ihnen – das können wir offen hervorheben, ohne uns bloßzustellen –, diese unfreiwillige Bundesgenossenschaft können wir nicht entbehren, die brauchen wir notwendig, während wir die freiwilligen Bundesgenossen aus anderen Parteien wohl entbehren können. Die ganzen Debatten dieses Hauses in ihrer Hilflosigkeit, in ihrem ohnmächtigen Hass gegen jeglichen Fortschritt sind eine einzige großzügige Hilfe, Bundesgenossenhilfe, unfreiwillige Bundesgenossenhilfe für die Sozialdemokratie. Die Herren von Zedlitz, die Herren von Pappenheim, die Herren von Heydebrand und der Lasa, die Herren Herold und auch Herr Friedberg und Herr Schiffer – wir begrüßen sie und sind ihnen dankbar für die Hilfe, die sie uns haben zuteil werden lassen.

(Rufe rechts: „Also!" „Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

Von ganzem Herzen dankbar, meine Herren! Hetzen Sie in der beliebten selbstmörderischen Weise weiter – gegen sich selbst –; wir werden zufrieden sein, meine Herren!

(Lebhafte Rufe rechts: „Na also!")

Nemo me impune lacessit – so hat eine Persönlichkeit geschrieben, die man hier nicht in die Debatte ziehen darf. Nemo me impune lacessit – das ist der Wille, das ist der feste Entschluss des deutschen Volkes, der breiten Massen des Volkes. Niemand soll ungestraft die Rechte und Interessen des Volkes mit Füßen treten. Ihre ganze Tätigkeit hier in diesem Hause stellt nichts anderes dar als eine fortgesetzte Misshandlung des Volkes. Hüten Sie sich vor dem Volkszorn!

(„Hu!" rechts. „Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

1 Ferrer, Guardia Francisco, geb. 1859, bedeutender spanischer Publizist und Pädagoge, wurde beschuldigt, am Aufstand in Katalonien (an der sogenannten Blutwoche vom 26.-31. Juli 1909) maßgeblich beteiligt gewesen zu sein. Er wurde unschuldig zum Tode verurteilt und am 15. Oktober 1909 durch Erschießen hingerichtet. In Frankreich, Deutschland, Italien und in anderen Ländern fanden große Protestdemonstrationen gegen dieses Schandurteil statt.

2 Gemeint ist eine Regierungskoalition der Konservativen mit dem Zentrum. Die Red.

3 Dieser Absatz fehlt in den „Reden und Schriften“

4 Die folgende Passage fehlt in den „Reden und Schriften“

5 Ab hier wieder in den „Reden und Schriften“

6 Die folgende Passage bis „Ausdruck zu gebrauchen“ fehlt in den „Reden und Schriften“

7 Die beiden folgenden Absätze fehlen in den „Reden und Schriften“

8 Die beiden folgenden Absätze fehlen in den „Reden und Schriften“

9 Diese falsche Anrede und die folgende „Heiterkeit“ fehlen in den „Reden und Schriften“

10 Paragraph 12 des Reichsvereinsgesetzes vom 19. April 1908 legte für die Verhandlungen in öffentlichen Versammlungen den Gebrauch der deutschen Sprache fest und richtete sich besonders gegen die polnische Bevölkerung. Er wurde im April 1917 aufgehoben.

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