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Karl Liebknecht 19110117 Entlarvung eines Polizeispitzels

Karl Liebknecht: Entlarvung eines Polizeispitzels

Aus Zeitungsberichten über den Wedding-Prozess1

[Vorwärts Nr. 15, 17, 20 und 21 vom 18., 20., 24. und 25. Januar 1911. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 4, S. 3-9]

I

Zweiter Verhandlungstag

17. Januar 1911

Hierauf fragt den Zeugen Hauptmann Körnich der

Rechtsanwalt Cohn: Also, Sie hatten die „zweiten Kriminalschutzleute"2 aus der ganzen Hauptmannschaft zusammengezogen. Hatten die von Ihnen eine besondere Instruktion?

Zeuge: Von mir hatten sie die Instruktion, zu patrouillieren und bei strafbaren Handlungen die Täter festzunehmen.

Cohn: Sollten Sie sich auch unter die Menge mischen?

Zeuge: Darüber verweigere ich die Aussage.

Cohn: Dann bitte ich, hierzu die Genehmigung des Polizeipräsidenten einzuholen. Schon aus den Akten ergibt sich ja, dass auch Auftrag gegeben war, sich unter die Menge zu mischen; sonst hätte ich ja gar nicht danach gefragt.

Rechtsanwalt Puppe: Hat denn der Polizeipräsident verboten, hierüber auszusagen?

Zeuge: Genehmigt ist mir, auszusagen über die Vorgänge auf der Straße.

Cohn: Haben Sie Kriminalbeamte in der Menge gesehen?

Zeuge: In der Menge gesehen!? Das weiß ich nicht.

Rechtsanwalt Dr. Liebknecht: Welche Kleidung hatten die Kriminalbeamten?

Zeuge: Dieselbe wie sonst.

Liebknecht: Wie ist die? Normale bürgerliche Kleidung oder Arbeiterkleidung ?

Zeuge: Nach meiner Meinung war es bürgerliche Kleidung. Nur der eine hatte eine etwas auffallende Kleidung, er wurde auch im „Vorwärts" erwähnt, sie nannten ihn da, glaube ich, den „Schah von Persien".

Liebknecht: Haben nicht Kriminalbeamte verschiedene Kleidung, etwa so wie die Schauspieler?

Zeuge: Das ist mir nicht bekannt.

Liebknecht: Haben Sie bemerkt, dass ein Kriminalbeamter den „Vorwärts" besonders auffällig in die Tasche steckte und eine rote Krawatte trug?

Zeuge: Nein.

Vorsitzender: Der Zeuge Schreiber soll sich ja als Kriminalbeamter aufgespielt haben.

Liebknecht: Wir meinten, das habe so eine Art zweckdienliche Uniform sein sollen.

Ob noch andere als die der Polizeihauptmannschaft unterstellten „zweiten Kriminalbeamten" auf der Straße waren, weiß Zeuge nicht. Rechtsanwalt Liebknecht hält es für einen unmöglichen Zustand, dass der verantwortliche Leiter der polizeilichen Maßnahmen hierüber nicht unterrichtet wurde.

Zeuge: Darüber muss ich die Auskunft verweigern, das sind innere Angelegenheiten …

II

Vierter Verhandlungstag

19. Januar 1911

Darauf beginnen die Verteidiger, den Zeugen auszufragen.

Liebknecht: Sie bezeichnen sich als Arbeiter. Wo arbeiten Sie jetzt?

Zeuge Schreiber: Ich habe jetzt keine Arbeit.

Liebknecht: Aber damals! Oder wovon lebten Sie?

Zeuge: Von Krankenunterstützung.

Liebknecht: Damals boten Sie sich als Zeugen an gegen Leute, die die Laternen ausgedreht hatten?

Zeuge: Ja.

Liebknecht: Sie hörten zu, was andere sich erzählten? Weshalb?

Zeuge: Wenn mehrere Leute dastehen, darf ich doch zuhören.

Liebknecht: Sie haben doch zweifellos der Polizei alle möglichen Dienste zu leisten gesucht, zum Beispiel auch im Fall Rudolph. Wollten Sie der Polizei mitteilen, was Sie da hörten?

Zeuge: Nein.

Liebknecht: Haben Sie für das, was Sie da anzeigten, irgendwelche Entschädigung bekommen?

Zeuge: Nein.

Liebknecht: Sonst von irgend jemand?

Zeuge: Das ich nicht wüsste.

Liebknecht: Das müssen Sie doch wissen, ob Sie was bekommen haben!

Zeuge: Ich habe nichts bekommen.

Liebknecht: Haben Sie keinen „Vorwärts" in der Tasche gehabt?

Zeuge: Nein.

Liebknecht: Sehr merkwürdig. Vielleicht wird Rudolph Ihnen eine Vorhaltung machen.

Angeklagter Rudolph: Schreiber hat sich als Kriminalbeamter ausgegeben, hat mich selber verhaftet und mich einem Beamten übergeben. Er hatte eine rote Krawatte und den „Vorwärts".

Zeuge bestreitet, sich als Kriminalbeamten ausgegeben zu haben. In dem weiteren Verhör sagt er, dass vier Personen, darunter bestimmt Rudolph, zugleich nach den Laternen warfen.

Liebknecht: Traf er denn?

Zeuge: Na, er hatte doch geworfen! …

III

Siebter Verhandlungstag

23. Januar 1911

Zu Beginn der gestrigen Sitzung teilte der Vorsitzende, Landgerichtsdirektor Bahr, mit, dass das Gericht am Sonnabend über die neuen Beweisanträge der Verteidigung zwei Stunden beraten habe, aber noch nicht zu einem Beschluss gelangt sei. Die Verteidigung stellte dann sogleich noch weitere Beweisanträge.

Rechtsanwalt Karl Liebknecht beantragt zum Fall Rudolph die Vernehmung eines Gastwirtes Fuchs, der über Märchenerzählungen des Zeugen Schreiber bezüglich dessen angeblicher Tätigkeit für die Sozialdemokratische Partei bekunden werde. Auch sei der Kaufmann Rudolf Schreiber darüber zu vernehmen, dass sein Bruder, der Zeuge Schreiber, ihn wiederholt bestohlen habe.

Rechtsanwalt Oskar Cohn stellt, gleichfalls zum Fall Rudolph und zur Prüfung der Glaubwürdigkeit des Zeugen Schreiber, einen umfangreichen Beweisantrag …3

Liebknecht (zu dem Zeugen Schreiber gewandt): Hat Ihnen der Kriminalkommissar Kuhn, als er Ihr Strafaufschubgesuch befürwortete, vielleicht gesagt: Eine Hand wäscht die andere, ich werde dafür sorgen, dass Sie nicht verhaftet werden, Sie müssen aber auch für die Polizei hin und wieder tätig sein?

Zeuge: Nein, davon weiß ich nichts.

Liebknecht: Ihr Bruder Rudolf soll doch auch ein sehr abfälliges Urteil über Sie fällen?

Zeuge: Der kann meinetwegen sagen, was er will.

Rechtsanwalt Puppe: Hat der Kommissar Kuhn jenen Vermerk vielleicht in Ihrer Gegenwart gemacht, dass Sie ihn lesen konnten, oder Ihnen vielleicht mitgeteilt, was in dem Briefe stand?

Zeuge: Na, soll ich denn hier nochmals sagen, was schon in der Zeitung gestanden hat? Der Kommissar hat mir nichts davon gesagt.

Liebknecht: Vorhin hat der Zeuge aber gesagt, er habe sich schon damals über den Vermerk gewundert, er muss demnach doch davon Kenntnis gehabt haben. Diese Sache ist doch heute hier das erste mal zur Sprache gebracht worden.

Vorsitzender: Waren Sie vielleicht vorhin im Zuschauerraum?

Zeuge: Nein.

Liebknecht: Sie haben uns neulich hier gesagt, Sie wären außer der letzten Strafe nur einmal vor 16 Jahren vorbestraft. Ist das denn richtig?

Zeuge: Ich bin ja auch nur einmal bestraft.

Liebknecht: Ich weiß nicht, ob die Staatsanwaltschaft jetzt nicht einen Antrag gegen den Zeugen stellen wird. Es ist ja einfach unglaublich, dass der Zeuge dies in Abrede stellt.

Vorsitzender: Wie aus den Akten hervorgeht, sind Sie doch schon mehrfach bestraft.

Liebknecht: Der Zeuge hat aber hier ganz deutlich auf wiederholte Fragen gesagt, er sei früher nur einmal bestraft, und hat dies dem Vorsitzenden neulich auch leise mitgeteilt, worauf dieser uns zurief: „242"4

IV

Achter Verhandlungstag

24. Januar 1911

Es folgen dann die Plädoyers der Verteidiger, unter denen als erster der Rechtsanwalt Dr. Karl Liebknecht das Wort ergreift. Er geht auf den allgemeinen Teil der Anklage nicht ein und äußert sich nur zu den Fällen Platow und Rudolph, für die er die Verteidigung hat.

Wenn die Angeklagte Platow „Bluthunde" gerufen habe, so habe sie das sicherlich in einer sie plötzlich überkommenden Erregung getan. Aus Neugier, die doch der Urtrieb des weiblichen Geschlechts sei, habe sie sich bei der Vorüberführung eines Sistierten zu den anderen Neugierigen gesellt. Da sei nun das Wort „Bluthunde" gefallen, das man überall bei solchen Gelegenheiten höre. Das Wort klinge so entsetzlich, aber wenn schon jemand in dieser Situation den Mund aufmache, so komme ihm dieses Wort wie von selber. Dass es in dieser Situation besonders gefährlich wirke, davon habe natürlich die Angeklagte keine Ahnung gehabt. Sie sei sonst eine ganz friedliche Frau und sei wahrscheinlich die letzte gewesen, die in die allgemeinen Rufe eingestimmt habe. In anderen Prozessen habe man das Wort „Bluthund" viel geringer bewertet; in der Regel seien Geldstrafen oder geringe Gefängnisstrafen verhängt worden. Eine Geldstrafe sei auch in dem vorliegenden Falle Sühne genug. Man dürfe nicht sagen, bei den Ausschreitungen in Moabit und auf dem Wedding liege die Sache anders. Keineswegs dürfe hier unter dem Gesichtspunkt der „Staatsräson" geurteilt werden.

Für den Angeklagten Rudolph führt der Verteidiger aus, dieser habe von vornherein den Steinwurf zugegeben, nicht aber die Absicht, durch ihn eine Laterne zu zertrümmern. Auch nach der Auffassung der Staatsanwaltschaft sei ja nur der Versuch einer Sachbeschädigung übriggeblieben. Auf eine Prüfung der Aussage des Zeugen Schreiber sei die Staatsanwaltschaft gar nicht erst eingegangen, wohl in der Erkenntnis, dass diese Persönlichkeit durch ihr Vorleben, durch ihr Verhalten bei den Unruhen und durch ihr Auftreten vor Gericht höchst fragwürdig sei. Auch der Verteidiger wolle verzichten auf eine Würdigung dieses Zeugen, der vielleicht weniger ein bösartiger als ein infolge seines Nervenleidens unglücklicher Mensch sei.

Die Straftat Rudolphs stelle sich lediglich als grober Unfug dar, und auch hier sei zu berücksichtigen, dass Rudolph als Epileptiker durch den genossenen Alkohol ungünstig beeinflusst worden sei. Er sei in die ganze Situation ohne irgendwelche Absicht hineingeraten. Auch gegenüber diesem noch unbestraften Angeklagten sei nicht eine Gefängnisstrafe geboten, sondern höchstens eine Geldstrafe, wobei noch zu berücksichtigen sei, dass er 23 Tage in Untersuchungshaft zugebracht habe.

1 Am 29. Oktober 1910 begann in der Fleisch- und Wurstfabrik Morgenstern (Berlin-Wedding) ein Streik gegen die als Maßregelung erfolgte Entlassung von zwei gewerkschaftlich organisierten Arbeitern. Als die Polizei provokatorisch eingriff, kam es zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und der Bevölkerung. Zahlreiche Personen wurden verhaftet. In einem Prozess vor der 4. Strafkammer des Berliner Landgerichts III (16. bis 25. Januar 1911) wurden 18 Personen wegen Aufruhr, Auflauf, Landfriedensbruch, Beleidigung, Bedrohung und Widerstand gegen die Staatsgewalt angeklagt. Karl Liebknecht war einer der Verteidiger. Obwohl es der Verteidigung durch eine ausführliche Beweiserhebung (§ 244 StPO) gelang, das provokatorische Vorgehen der Polizei als wesentliche Ursache der Straßenkämpfe nachzuweisen, wurden acht Angeklagte zu mehrmonatigen Gefängnisstrafen und die Mehrzahl der übrigen zu einem Monat Gefängnis verurteilt. Nur ein Angeklagter wurde freigesprochen.

2 Die Sicherheitspolizei war die Abteilung II des Berliner Polizeipräsidiums, die politische Polizei die Abteilung VII. Siehe auch S. 120. Die Red.

3 Er wies darauf hin, dass Kriminalkommissar Kuhn den Zeugen Schreiber in einem Aktenvermerk als „auch sonst für die Polizei tätig" bezeichnet habe. Cohn und Liebknecht verlangten deshalb die Vernehmung Kuhns. Die Red.

4 Der Diebstahlparagraph. Die Red.

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