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Karl Liebknecht 19110529 Für die Koedukation

Karl Liebknecht: Für die Koedukation

Reden im preußischen Abgeordnetenhaus zu einer Petition1

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, IV. Session 1911, 6. Bd., Berlin 1911, Sp. 7194 f. und 7197 f. und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 4, S. 431-433]

I

Meine Herren, wir sind nicht so zimperlich wie die Herren Vorredner und nehmen infolgedessen keinen Anstand, hier ausdrücklich unsere prinzipielle Freundschaft für die Koedukation zum Ausdruck zu bringen. Allerdings ist es richtig, dass man über diese Petition entscheiden kann, ohne eine prinzipielle Stellung dazu einzunehmen.

Meine Herren, es ist, wie mir scheint, sehr charakteristisch für die Kultur- und Bildungsfeindlichkeit des Zentrums,

(Heiterkeit im Zentrum.)

dass dieser Antrag gestellt worden ist. Ich begreife die Herren nicht. Haben Sie so wenig Zutrauen zu der von Ihnen selbst erzogenen Jugend, dass Sie meinen, sie müsse unter eine Glasglocke gesetzt werden, die Geschlechter dürften miteinander nicht in Berührung kommen, ohne dass die größte Gefahr drohe? Die Frage ist hier einfach die: Ist es möglich, mit Trennung der Geschlechter die Schulverhältnisse in die erforderliche Höhe zu bringen? Das ist nach Auffassung der Staatsregierung und nach der ganzen Sachlage, wie die Verhältnisse heute gestaltet sind, in Eynatten nicht zu erwarten. Wir würden dann nur die einklassige Schule haben, und die einklassige Schule ist doch die traurigste Schulform, die überhaupt denkbar ist. Wenn nun die Möglichkeit gegeben ist, durch gemeinschaftlichen Unterricht der Geschlechter eine dreiklassige Schule zu erzielen, so ist das ein so ungemein großer Vorteil, dass, wie mir scheint, mit beiden Händen danach gegriffen werden müsste. Dass derartige Ängstlichkeiten in Bezug auf das Zusammenarbeiten der Geschlechter, wie sie die Herren vom Zentrum hegen, sie veranlassen, diesen Fortschritt zu bekämpfen, das beweist, wie diese Herren durch allerhand Ängstlichkeiten, durch allerhand rückständige und abergläubige Vorstellungen,

(Lachen im Zentrum.)

ja, durch allerhand abergläubige Vorstellungen, meine Herren –, verhindert werden, die Erscheinungen des modernen Lebens in gehöriger Weise zu würdigen und entsprechend den Anforderungen des modernen Lebens Einrichtungen zu treffen.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, es ist dringend erwünscht, dass mit möglichst erdrückender Mehrheit dieser höchst reaktionäre Versuch der Zentrumspartei von diesem Hause zurückgewiesen werde; dann mögen sich die Herren vom Zentrum sagen: Wenn sogar dieses Haus hier mit einer solchen erdrückenden Mehrheit ihren reaktionären Versuch zurückweist, so ist damit vor aller Welt dokumentiert, dass sie in vieler Beziehung in diesem an und für sich so außerordentlich rückständigen Hause die rückständigste Partei sind.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten. Lachen im Zentrum und rechts.)

II

Es ist wohl ein vergeblicher Versuch des Herrn Dr. Kaufmann gewesen, mir einen Widerspruch mit unserem allgemeinen politischen Standpunkt nachzuweisen. Wir haben doch nie und nimmer den Standpunkt vertreten, dass der Wille jedes einzelnen rückständigen Teils unseres Volkes vertreten werden müsse. Meine Herren, wie will Herr Dr. Kaufmann uns aber überhaupt darlegen, dass es wirklich die Gesamtheit der Bevölkerung von Eynatten und Umgebung oder ihre große Mehrheit ist, die den Standpunkt des Zentrums vertritt? Das ist eine Behauptung, die als eine einseitige von mir mit allem Nachdruck bestritten wird.2

(Zurufe im Zentrum.)

Ja, einstimmig! Unter welchen Einflüssen mag aber diese Petition zustande gekommen sein!

(Zurufe und Heiterkeit im Zentrum.)

Diese Petition riecht so sehr nach München-Gladbacher Werkstattluft3

(Heiterkeit im Zentrum.)

und so sehr nach den Einflüssen des Beichtstuhles, dass ich in der Tat der Überzeugung bin, dass die Einwohner von Eynatten an dieser Petition sehr wenig schuldig sind.

Im Übrigen haben wir, wie erwähnt, nie und nimmer den Standpunkt vertreten, dass die Wünsche irgendeines beliebigen rückständigen Teiles der Bevölkerung triumphieren sollen über die Wünsche des großen Ganzen in unserem Volke, und wenn Sie über diese Frage die große Masse unseres Volkes in ganz Deutschland hören wollen – denn schließlich ist doch Eynatten kein Königreich und auch kein Kirchenstaat für sich –, dann würden Sie sicherlich eine ganz andere Ansicht hören. Meine Herren, im Übrigen wünschte ich sehr lebhaft, dass lieber die Herren vom Zentrum sich ein klein bisschen bemühen möchten, den Willen des Volkes in ihrer Tätigkeit zum Ausdruck zu bringen. Wer im Glashause sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen, und die Herren im Zentrum sitzen hier in einem Glashause mit so dünnem Glase, dass das kleinste Steinchen gar leicht das ganze Glashaus zertrümmern könnte.4

(Lachen im Zentrum. Beifall bei den Sozialdemokraten.)

1 Klerikal-reaktionäre Kreise verlangten die Aufhebung der gemischten Schulklassen in Eynatten, Kreis Eupen im Rheinland. Die Red.

2 Der Zentrumsabgeordnete Dr. Kaufmann warf der Sozialdemokratie vor, „die Wünsche des Volkes von Eynatten" zu missachten. Die Red.

3 München-Gladbach war der Sitz des Volksvereins für das katholische Deutschland. Dieser organisierte unter anderem eine breite Versammlungstätigkeit, gab viele Druckerzeugnisse heraus und bildete Funktionäre des Katholizismus aus. Die Red.

4 Der Antrag des Zentrums wurde abgelehnt. Die Red.

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