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Karl Liebknecht 19110621 Gegen Sondervorteile für das preußische Junkertum

Karl Liebknecht: Gegen Sondervorteile für das preußische Junkertum

Aus einer Rede im preußischen Abgeordnetenhaus zum Ausführungsgesetz des Reichswertzuwachssteuergesetzes

[Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, IV. Session 1911, 6. Bd., Berlin 1911, Sp. 7687/7688. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 4, S. 434 f.]

Der Gutsbesitzer ist im Gutsbezirk der Selbstherrscher, er ist und repräsentiert die Staatsregierung, es gibt keinerlei Kommunalverwaltung in unserem Sinne, sondern eine absolutistische Art der Verwaltung, wie sie sonst ja doch innerhalb Europas, abgesehen von Russland, wohl nirgends mehr existiert. Die Herren, die die Interessen der Gutsbezirke vertreten, denken nicht daran, etwa diese politischen Privilegien preiszugeben; an denen halten sie fest; sie wollen keine Gemeindevertretung in ihre despotischen Befugnisse hineinreden lassen. Aber bezahlen wollen sie auch nicht! Sie wollen die Vorteile von dieser etwas asiatischen Art der Verwaltung genießen, aber die Nachteile davon wollen sie nicht haben. Da heißt es: entweder – oder! Mögen die Herren die politischen Privilegien der Gutsbezirke preisgeben, dann wird kein Mensch mehr nötig haben, hier ein Wort über diese Seite der Sache zu verlieren, unserer jetzigen Erörterung wäre der Boden entzogen.

Meine Herren, nun noch ein Wort über die Frage des Wertzuwachses! Es ist richtig, dass auch in den selbständigen Gutsbezirken oft genug ein sehr erheblicher Wertzuwachs eintritt. Aber, meine Herren, dieser Wertzuwachs in den selbständigen Gutsbezirken wird doch in aller Regel nicht durch Meliorationen und selbständige Tätigkeit der Grundbesitzer herbeigeführt, sondern diese ungeheuerlichen Preissteigerungen – meine Herren, wem haben Sie das zu verdanken? Dem Lebensmittelwucher! (Lachen rechts. „Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) Meine Herren, wollen Sie bestreiten, dass die ungeheuerliche Steigerung der Grundstückspreise gerade in den Gegenden, in denen die Gutsbezirke dominieren, auf Kosten der Allgemeinheit herbeigeführt worden ist, auf Kosten insbesondere der armen Leute („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.), durch diesen verächtlichen, aufs äußerste zu verabscheuenden Lebensmittelwucher, auf dem unsere Reichsfinanzen aufgebaut sind. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, wenn Ihnen nun in dieser Weise auf Kosten der Allgemeinheit diese ungeheuren Preissteigerungen in die Tasche geflossen sind und wenn Sie da als selbständige Gutsbesitzer noch einen besonderen Extraanteil von der Wertzuwachssteuer wünschen, ob Sie nun wirklich einmal irgendwo eine Melioration vollzogen haben mögen oder nicht, dann ist das in der Tat geradezu das Äußerste an Unverfrorenheit, was wohl je in der Gesetzgebung dagewesen ist. („Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

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