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Karl Liebknecht 19110201 Kriterien für die Gefangenenarbeit

Karl Liebknecht: Kriterien für die Gefangenenarbeit

Reden in der zweiten Lesung des Justizetats

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, III. Session 1911, 1. Bd., Berlin 1911, Sp. 1150-1153, 1162]

I

Präsident v. Kröcher: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Liebknecht.

Dr. Liebknecht, Abgeordneter (Soz.-Dem.): Meine Herren, in schroffem Gegensatz zu dem Herrn Kollegen Mertin erkläre ich, dass wir, entsprechend der Auffassung, die der Herr Abgeordnete Boisly zum Ausdruck gebracht hat, auch heute, wie es von uns seit je geschehen ist, in den Vordergrund die Frage der Erziehung der Gefangenen zur Arbeit und zur Kräftigung für den Konkurrenzkampf im Leben, in der Freiheit stellen. Es ist das auch der Grundsatz, den, soviel ich weiß, der Herr Vertreter des Gefängniswesens im Ministerium des Innern im vergangenen Jahre bei den Beratungen hier im Hause in einer geradezu klassischen Weise, möchte ich sagen, formuliert und in den Vordergrund gestellt hat. Meine Herren, es ist ganz zweifellos, dass sich, wenn man diesen Gesichtspunkt in den Vordergrund stellt, die Schwierigkeit ergibt: Wie verhindert man eine Schmutzkonkurrenz gegenüber der freien Arbeit? Die Schwierigkeit ist von uns nie verkannt worden, und ich habe auch im vergangenen Jahre durch meine Ausführungen, glaube ich, gezeigt, dass wir durchaus nicht auf einem Standpunkt stehen, wie er uns mit Vorliebe von der rechten Seite untergeschoben wird: aus einem Standpunkt der Handwerkerfeindlichkeit. Eine Schmutzkonkurrenz, eine Unterbietung, die den Gefängnisverwaltungen möglich ist infolge der Unfreiheit der dort beschäftigten Arbeiter, kann selbstverständlich von meiner Partei nie und nimmer gebilligt werden. Es muss nach Mitteln gesucht werden, um aus diesem Dilemma herauszukommen, und ich muss gestehen, dass ich das, was der Herr Vertreter des Ministeriums heute ausgeführt hat, nämlich das Bestreben, durch möglichst hohe Lohnsätze in den Gefängnissen die Schmutzkonkurrenz zu vermeiden, als ein sehr verständiges Mittel betrachte, und dass ich auf dieses Mittel schon im vergangenen Jahre besonders hingewiesen habe. Allerdings, meine Herren, möchte ich ebenso wenig wie die Herren Kollegen Mertin und Rosenow verkennen, dass die Erhöhung der Löhne, die der Vertreter des Ministeriums uns vorgetragen hat, durchaus nicht so ernst zu nehmen ist, wie das von ihm heute dargestellt worden ist.

Ich bin in Bezug auf die Frage der Außenarbeit nicht ohne weiteres der Ansicht, die die verschiedenen Redner vorhin vorgetragen haben. Meine Herren, die Außenarbeit ist nicht unter allen Umständen die in sanitärer Beziehung bessere. Es ist bekannt, dass auch die Arbeit in der Landwirtschaft, die ja hier offenbar in erster Linie gemeint ist, schwere sanitäre Gefahren im Gefolge hat. Ferner muss man bedenken, dass ein großer Teil der Leute, die nun in die Außenarbeit in der Landwirtschaft geschickt werden, doch nicht aus der Landwirtschaft kommen, sondern an ganz andere Lebensbedingungen gewöhnt sind; und wenn man diese Menschen, die doch im Gefängnis an und für sich schon unter anormalen Bedingungen leben, nun so ex abrupto auf das Land hinaus schickt und unter Bedingungen versetzt, die eine starke Abhärtung voraussetzen, dann können allerdings sehr ernste gesundheitliche Missstände daraus entstehen. Ich bin auch in dieser Beziehung der Ansicht des Herrn Abgeordneten Boisly.

Meine Herren, ich möchte mich noch mit einer Frage beschäftigen, die zwar bereits angeschnitten worden ist, die aber, wie mir scheint, doch von den meisten Herren nicht so beantwortet worden ist, wie es zweckmäßig sein dürfte. Die Herren haben sich, wie mir scheint, durchaus zutreffend auf den Standpunkt gefreut, dass die Arbeit, die der Gefangene leistet, eine produktive sein müsse. Darin liegt ja der erziehliche Wert der Arbeit. Eine sinnlose Arbeit, wie Wir sie früher in den Tretmühlen gehabt haben, in dem Landschippen und dergleichen, lässt jeden erziehlichen Wert vermissen.

Nun hat Herr Kollege Mertin aber betont, dass man Handarbeit der maschinellen Arbeit unbedingt vorziehen müsse schon um des erziehlichen Zweckes willen. Ich darf wohl einen kleinen Zweifel daran ausdrücken, ob dem Herrn Abgeordneten Mertin gerade dieser Gesichtspunkt hier besonders ernst am Herzen gelegen hat; denn an die Spitze seiner Erörterungen hat er die Ansicht gestellt, dass der Erziehungszweck zurückzutreten habe!

(Abgeordneter Mertin [Öls|: „Unter Umständen, zeitweise!“)

Wenn er also hier plötzlich meinte, dass die Handarbeit der maschinellen Arbeit aus erziehlichen Gründen vorzuziehen sei, so frage ich mich, ob nicht ein anderer Grund ihn und auch die anderen Herren bestimmt, die Handarbeit der maschinellen Arbeit vorzuziehen, und ich meine, es ist nichts anderes als wiederum der Gesichtspunkt der Konkurrenz, der hier hineinspielt. Die Herren stehen auf dem Standpunkt, dass, wenn die Arbeiten in den Gefängnissen im Sinne der modernen Industrie technisch ausgebildet werden, dann das Maß an Konkurrenz ein größeres wird, als wenn man Arbeiter mit zurückgebliebenen Produktionsmethoden beschäftigt. Ja, meine Herren, ich habe bereits betont, dass das Dilemma, in dem man sich befindet, mir durchaus lebendig ist; aber von dem Standpunkt ausgehend, dass der Erziehungszweck in erster Linie zu beachten ist, muss ich betonen, dass doch dieser Erziehungszweck, der nicht nur ein moralischer Erziehungszweck sein, der nicht dazu dienen soll, den Gefangenen im Gefängnis die Existenz zu erleichtern, sondern der gleichzeitig genau so, wie Herr Geheimrat Krohne betont hat, auch der sein soll, die Arbeiter kräftiger zu machen für die Konkurrenz draußen, – dass dieser Zweck nur dann erreicht werden kann, wenn man die Arbeiter in Gefängnissen an solche Produktionsmethoden gewöhnt, die sie nachher im Leben wieder vorfinden. Es hieße eine halbe, unzureichende und schiefe Maßregel auch im Sinne der Erziehung ergreifen, wenn man die Arbeiter mit zurückgebliebenen Produktionsmethoden beschäftigt.

Meine Herren, es ist eine Frage, die uns immer wieder hier auftaucht: wie kommt es eigentlich, dass es nicht möglich ist, die Löhne für die gefangenen Arbeiter auf dieselbe Höhe zu heben, wie die Löhne der freien Arbeiter? Ich weiß ganz genau, dass das ungemeine Schwierigkeiten macht und geradezu unmöglich erscheint, aber ich frage: woher kommt es? Eine wirkliche Erklärung für diese Erscheinung habe ich bisher eigentlich noch nirgends recht gefunden; ich glaube, dass der Grund darin liegt, dass in den Gefängnissen mit veralteten Produktionsmethoden gearbeitet wird, und dass deshalb eine minderwertige Arbeit geleistet wird. Ich glaube, dass man gerade die Möglichkeit, die Gefängnisarbeit aus einer Schmutzkonkurrenzarbeit zu einer unter anständigen Bedingungen auf dem Markte konkurrenzfähigen Arbeit zu machen, am allerbesten dadurch erzielen könnte, dass man die Produktionsbedingungen in den Gefängnissen auf diejenige Höhe erhebt, die die Produktionsbedingungen der freien Arbeit haben. |n diesem Augenblick würde der wesentliche Grund für die starke Spannung zwischen den Löhnen der gefangenen und der freien Arbeiter aufhören, die Gefängnisverwaltung wäre in der Lage, höhere Preise zu fordern, und damit würde die Klage der Handwerker zum größten Teil beseitigt sein. Meine Herren, da wird man ohne weiteres in geeigneten Fällen zu großbetriebsartigen Einrichtungen in den Gefängnissen übergehen müssen.

(Zuruf rechts: „So ist es richtig! – Heiterkeit“)

Meine Herren, wir haben es in manchen Gefängnissen gegenwärtig bereits. Es bewährt sich ausgezeichnet. Es ist doch nicht wahr, dass die Arbeit an der Maschine unbedingt der Handarbeit gegenüber die minder interessante sei.

(Zuruf: „Die minder erziehliche doch!“)

Meine Herren, es gibt natürlich Handarbeit, die erziehlicher ist als die maschinelle Arbeit. Überhaupt ist ja gerade bei unserer Kritik der kapitalistischen Einrichtungen immer wieder betont worden das relativ Geisttötende der maschinellen Arbeit. Aber, meine Herren, was ist es, was an Handarbeit in den Gefängnissen geleistet wird? Es sind zumeist doch unausgesetzte Wiederholungen kleiner Handgriffe zur Massenanfertigung, die nicht geeignet sind, das geistige Bedürfnis zu befriedigen. Man soll nicht sagen, dass die Arbeit in einem großindustriellen, ich will sagen: maschinellen Unternehmen nicht unter Umständen in erziehlicher Hinsicht und auch vom Standpunkt der Humanität für Gefangene der Handarbeit à la Tütenkleben u. dgl. vorzuziehen sei. Nein, das ist zweifellos ein Gesichtspunkt, der der Erörterung wert ist, und zwar nicht etwa, indem ich alte Bedenken, die von Seiten des Handwerks erhoben werden, in den Wind hineinschlage, sondern ich halte diese Gesichtspunkte für wesentlich gerade auch vom Standpunkt der Konkurrenz gegenüber dem Handwerk, und ich bin nicht der Ansicht, dass infolge solcher Grundsätze die Schädigung vergrößert würde; im Gegenteil, eine Verringerung ist möglich.

Meine Herren, ich kann mich dem Lobe, das dem Herrn Vertreter des Herrn Justizministers wegen der jetzt ergriffenen Maßregeln gezollt worden ist, nicht anschließen. Meine Herren, ich will von den Grundsätzen zu 1 und 2, die uns heute kundgetan worden sind, nichts sagen. Ich will einen anderen Gesichtspunkt hervorheben, den ich mir schon im vorigen Jahre hervorzuheben gestattet habe.

Zunächst tritt dieser Gesichtspunkt schon bei Betrachtung der Kommission hervor, die zur Beratung der zu ergreifenden Maßregeln eingesetzt worden ist. Ich habe schon im vorigen Jahre betont, dass wir ein gutes Recht zu haben glauben, zu fordern und zu erwarten, dass man zu den Beratungen über diesen Gegenstand nicht ausschließlich Vertreter des Unternehmertums, sondern auch Vertreter der Arbeiterschaft heranzieht. Denn es handelt sich hier auch um eine Frage der Schmutzkonkurrenz gegenüber den freien Arbeitern, nicht nur um eine Frage der Schmutzkonkurrenz gegenüber den Handwerkern.

(„Sehr gut!“ bei den Sozialdemokraten)

Ich meine daher, dass es in hohem Maße zu bedauern ist, dass die Königliche Staatsregierung auch hier wieder einer Auffassung und einem Grundsatze gefolgt ist, der uns in Preußen freilich geradezu zur Gewohnheit geworden ist, dem Grundsatze, dass für sie die Arbeiterschaft einfach Hekuba ist, dass sie allein die Unternehmerinteressen beachtet. Die Arbeiter wissen das und erwarten von der preußischen Regierung, die sie als ihre geschworene Feindin betrachten, nichts anderes.

(„Sehr richtig!“ bei den Sozialdemokraten)

für den Beirat, der von jener Kommission beschlossen worden ist, ist eine Vertretung der Landwirtschaft, des Handels und des Handwerks vorgesehen; das ist eine Vertretung, der wir, wie gesagt, durchaus nicht widersprechen. Aber auch da hat man die Arbeiter übergangen; man hat sie übergangen, obwohl sie leicht zu finden sind, wenn man sie sucht, und obwohl sie zweifellos geigen würden, dass sie mit Sachkunde und vollem Verständnis für die Aufgabe, hier praktisch mitzuarbeiten, bereit und imstande wären.

Meine Herren, ich möchte meine Ausführungen damit schließen, dass ich die Justizverwaltung dringend ersuche, zu prüfen, ob sie nicht doch endlich einmal von diesem arbeiterfeindlichen und die Arbeiter beleidigenden Standpunkte der vollkommenen Nichtbeachtung der Arbeiterschaft abgehen möchte, ob sie nicht versuchen will, zu diesem Beirat, der jetzt in Aussicht genommen ist, auch Vertreter der Arbeiterschaft zuzuziehen.

(„Bravo!“ bei den Sozialdemokraten)

II

Präsident V. Kröcher: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Liebknecht.

Dr. Liebknecht, Abgeordneter (Soz.-Dem.): Meine Herren, es ist ja bei der Debatte über die Gefängnisarbeit so manches nicht gejagt worden, was man auf dem Herzen trug; man hat so vielfache Gründe vorgeschoben für seine Stellungnahme, die man im Herzen eigentlich nicht hegt. Ich habe vorhin bereits auf derartiges hingewiesen, und ich bin sehr erfreut, dass jetzt der Schleier über der Quelle jener außerordentlichen Begeisterung für die Außenarbeit in einer sehr wertvollen Weise gelüftet worden ist. Es ist keinem der Herren auf der Rechten eingefallen, so ungeschickt zu sein, ausdrücklich gerade auf die Notlage der Landwirtschaft hinzuweisen und aus diesem Grunde des sogenannten ländlichen Arbeitermangels die Bevorzugung der Außenarbeit vorzuschlagen. Einem Vertreter der nationalliberalen Partei ist es vorbehalten gewesen, des Pudels Kern zu zeigen. Das ist der agrarische Pferdefuß –

(Zurufe links)

ja, in der Tat: des Pubels Kern ist, wie Sie wissen, der Pferdefuß! Dieses Pudels Kern ist, dass die Herren die Außenarbeit um deswillen so in den Vordergrund stellen, nicht weil sie sanitär vorzuziehen ist, sondern weil sie eben geeignet erscheint, der Landwirtschaft billige Arbeitskräfte zu liefern. Es genügt mir diese Feststellung.

Im Übrigen hebe ich hervor, dass der Herr Vertreter des Justizministeriums zwar außerordentlich viele freundliche, entschuldigende, verbindliche Worte dafür gefunden hat, dass er Herrn Abgeordneten Hammer nicht hinzu gezogen hat zu der Kommission, dass aber der Herr Vertreter des Justizministeriums auch nicht ein einziges blasses Wörtlein gefunden hat dafür, wie er es rechtfertigen will, dass die Arbeiterschaft überhaupt nicht hinzugezogen ist.

(Abgeordneter Hammer: Weil sie Sozialdemokraten sind!)

Also die Arbeiter sind alle Sozialdemokraten! Ich danke Ihnen schön!

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