Karl Liebknecht‎ > ‎1911‎ > ‎

Karl Liebknecht 19110512 Mehr Handlungsfreiheit für die Gemeinden!

Karl Liebknecht: Mehr Handlungsfreiheit für die Gemeinden!

Reden im preußischen Abgeordnetenhaus zum Entwurf eines Zweckverbandsgesetzes für Preußen

I

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, IV. Session 1911, 5. Bd., Berlin 1911, Sp. 6200-6204, 6225-6227 und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 4, S. 347-358]

Meine Herren, in Preußen ist die Selbstverwaltung eine Halluzination. Sie ist eine Halluzination bereits bei den Gemeinden, aber eine qualifizierte Halluzination bei den sogenannten höheren Selbstverwaltungskörpern,

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

bei den Kreisen, Provinzen und dergleichen. Daraus erklärt sich auch die ganze verzweifelte Art, mit der man hier um die Selbstverwaltung der Gemeinden kämpft. Es ist das einzige Gebiet, wo doch immerhin, wenn auch mit einer gewissen großen Vorsicht, von einer Selbstverwaltung wenigstens gesprochen werden kann. Wenn wir auf die höheren Selbstverwaltungskörper übergehen, so sind diese doch weiter nichts als bürokratische Institutionen, die zur Reglementierung und staatlichen Terrorisierung und Schikanierung gebraucht werden.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Wenn wir in Preußen eine demokratische Verwaltung durchgeführt hätten, dann würden viele von den Problemen, die hier so eingehend erörtert werden, überhaupt nicht auftauchen. Nehmen wir an, dass die Kreise in Form einer Demokratie organisiert wären, wie es in freieren Staaten der Fall ist, wo ein freieres, demokratischeres Wahlrecht den Selbstverwaltungskörpern gegeben ist, nehmen wir an, dass das auch bei den Provinzen und natürlich auch beim Staat der Fall wäre, so würde man in demselben Augenblick nicht ein so hohes Gewicht darauf legen, ob die höheren Instanzen in die unteren eingreifen, dann würde auch bei etwaiger Zwangseingemeindung gegen den Willen der unteren Verwaltungskörper nicht die Wirkung eintreten, von der einer der Herren Vorredner sprach: dass ein derartiger aufgezwungener Zweckverband wegen des Widerstrebens der unteren Organe keinen Nutzen stiften werde. In Wirklichkeit würde es eben so sein, dass die unteren Organe, weil sie sich schließlich doch durch demokratische Willenskundgebung angeschlossen haben, die Garantie dafür bieten, dass in der Tat auch mit Lust und Liebe an der Sache weitergearbeitet wird.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Wenn man aber bei der außerordentlich komplizierten und jeder wirklichen Selbstverwaltung hohnsprechenden Art der preußischen Verwaltungsorganisation nun versucht, sich mit den lokalen Interessen der Gemeinden einerseits und den größeren staatlichen Interessen andererseits auseinanderzusetzen, dann kommt man in der Tat in peinliche Konflikte. Die Sympathie für die Gemeinden entspringt von unserer Seite wesentlich daraus, dass sie doch noch relativ am meisten Ansätze zur Selbstverwaltung zeigen. Aber andererseits haben wir eine entschiedene Sympathie dafür, dass sich keine Kirchturmspolitik in den Gemeinden breit macht.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Wir wollen durchaus dem Bestreben, das von der Regierung verfolgt wird, nicht widersprechen, dass man unter Umständen auch gegen den Willen der unteren Organe Maßregeln trifft, die zum Wohle des Allgemeinen notwendig sind. Aber wiederum: Weil bei unserer heutigen Verwaltungsorganisation derartige Eingriffe gegen den Willen der unteren Organe nur in gewalttätiger, bürokratischer Form möglich sind, so widerstreben wir aus diesem Gesichtspunkt heraus dieser Art der Regelung, wie sie von der Regierung im vorliegenden Falle vorgesehen ist.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Wir stellen uns grundsätzlich auf den Standpunkt, dass die Gemeinden im weitesten Umfange die Selbstverwaltung besitzen müssen, und wir fordern in erster Linie, dass die Eingemeindungen rein durch die Willenskundgebung der einzelnen Kommunen erfolgen und dass man nur vielleicht den höheren Instanzen die Befugnis des Einspruchs gewähren möge, der ihnen unter gewissen, fest umgrenzten Voraussetzungen das Recht gibt, die Maßnahmen der unteren Organe durch Anrufung einer geeigneten vertrauenswürdigen Instanz zu verhindern, dass es aber an und für sich weder einer Bestätigung noch einer Genehmigung oder eines Beschlusses höherer Stellen bedarf, um einen Zusammenschluss verschiedener Gemeinden herbeizuführen.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Das sollte im weitesten Umfange, bis zum Umfange der vollkommenen politischen Eingemeindung, gelten, und es müsste natürlich auch im Sinne des Zweckverbandes gelten, und wir können infolgedessen durchaus nicht die Notwendigkeit anerkennen, dass der Kreisausschuss und der Bezirksausschuss über die Bildung des Zweckverbandes beschließen. Wir halten diese Regelung von oben herab für durchaus überflüssig.

Meine Herren, wir sind ja an und für sich diesem Entwürfe freundlich gesonnen, soweit die Tendenz in Frage kommt, über die Grenzen der einzelnen Gemeinden hinaus die Möglichkeit zu schaffen, die öffentlichen Interessen zu wahren, und wir kennen in dieser Richtung keinerlei Schranken. Wir meinen, dass, sofern eine demokratische Verwaltungsorganisation geschaffen würde, dann ohne jede Grenze hier für alle Angelegenheiten den Gemeinden, Gutsbezirken usw. das Recht gegeben werden müsste, sich in der Weise zusammenzuschließen. Dass wir uns allerdings bei dieser Form der Regelung, wie sie durch das Wesen der preußischen Verwaltung bedingt ist, mit diesem Gesetz nicht einverstanden erklären können, werden Sie von unserem allgemein-politischen Standpunkt aus durchaus begreifen.

Meine Herren, wenn wir in Paragraph 1a die Bestimmung haben, dass unter Umständen auch gegen den Willen der Beteiligten der Zweckverband beschlossen werden kann, sofern es sich um kommunale Aufgaben handelt, welche allen Beteiligten gesetzlich obliegen, so möchten wir das an und für sich durchaus nicht als eine Verbesserung des Regierungsentwurfs anerkennen, der die Beschränkung auf die gesetzliche Verpflichtung nicht enthielt. Es ist ein guter Gedanke, der an und für sich von dem Regierungsentwurf hier verfolgt wird; aber wir können diesen Gedanken innerhalb dieses Gesetzes schlechterdings nicht weiter verfolgen, weil eben die Wege, auf denen die Regierung ihre an und für sich verständigen Gedanken zu verfolgen sucht, für uns absolut ungangbar sind, weil es eben die Wege der preußischen Bürokratie sind.

(Abgeordneter Hoffmann: „Sehr richtig!")

Meine Herren, wenn es hier dann weiter heißt, dass dieser Zwangszweckverband nur zulässig sei, wenn die Bildung „im öffentlichen Interesse" notwendig ist, so können wir natürlich die Entscheidung darüber, ob ein öffentliches Interesse vorliegt, nicht mit Vertrauen in die Hände des Herrn Oberpräsidenten legen. Welche sonderbaren Auffassungen über die Kompetenzen eines preußischen Oberpräsidenten bestehen, das zeigten die Ausführungen des Herrn Abgeordneten von Brandenstein1. Herr von Brandenstein sprach äußerst erregt und energisch gegen den freisinnigen Antrag, weil er „in unerhörter Weise … unzulässig" in die Kompetenzen des Oberpräsidenten eingreife. Und dabei hat doch der Oberpräsident die Kompetenzen noch gar nicht, sondern wir prüfen erst, ob er sie übertragen bekommen soll. Aber weil Herr Abgeordneter von Brandenstein davon ausgeht, dass der Oberpräsident an und für sich das geborene, das ihm in die Wiege gelegte Recht habe, niemals irgendwie durch irgendwelche Selbstverwaltungsorgane behindert zu werden, so zeigt sich diese, ich möchte fast sagen, naive Empörung über das freisinnige Ansinnen. Meine Herren, dass wir dem Herrn Oberpräsidenten eine Entscheidung über die öffentlichen Interessen nicht beimessen können, werden Sie uns auch nachfühlen können, wenn Sie nachlesen, was im Berichte der Kommission auf den Seiten 4/5 ausgeführt ist. Der Bericht der Kommission ist ja nicht von einem Oberpräsidenten erstattet, aber von einem Herrn, von dem ich annehmen möchte, dass er vielleicht noch nicht so weit in der Überspannung der politischen Einseitigkeit geht, wie wir das von den Oberpräsidenten in Preußen gewöhnt sind und auch für die Zukunft zu erwarten haben. Es wird da ausgeführt, dass in Konsequenz einer Strömung unserer heutigen Zeit eine große Gefahr bestünde, in den Gemeinden einen übertriebenen Gemeindesozialismus einzuführen, die Gemeinden zum Großunternehmertum zu erziehen, Aufgaben auf kollektivistischer Grundlage zu lösen usw. Sie sehen, wie hier durch Einseitigkeit der wirtschaftspolitischen und politischen Anschauungen Gesichtspunkte in die Vorlage hineingetragen werden, die wir aufs Schärfste zurückweisen müssen, Gesichtspunkte, die auch, wie mir scheint, von keinem einsichtigen und großzügigen Kommunalpolitiker heute mehr geteilt werden. Es lässt sich in anderer Weise als in diesem Sinne des Kollektivismus eine große Aufgabe heute nicht mehr lösen. Das ist der Standpunkt, in Bezug auf den wir uns im Schlussresultat hier und da mehr mit der Staatsregierung berühren als mit gewissen Vertretern des laisser faire, laisser aller. Aber wiederum, weil die Staatsregierung ihre Pläne durchzuführen sucht und durchführen muss als Werkzeug einer der Masse des Volkes feindseligen kleinen Schicht unserer Gesellschaft in bürokratischer und gewalttätiger, volksfeindlicher Form, können wir ihr naturgemäß auch nach dieser Richtung nirgend Vertrauen schenken, sondern müssen auf das Allerlebhafteste dem widersprechen, dass man dem Oberpräsidenten so weitgehende Befugnisse überträgt.

Dass wir die Neueinfügung der Beschwerde, die der Absatz 3 des Paragraphen 1a bringt, an und für sich für eine Verbesserung halten, brauche ich nicht näher auszuführen. Darüber, ob man das Verwaltungsgericht auch über das öffentliche Interesse entscheiden lassen will, schwanke ich, denn ich kann die Einwendungen gegen die Anregung des Abgeordneten Linz nicht für unzutreffend halten. Aber auch dieser Widerstreit ergibt sich wiederum aus der ganz verfahrenen Form der preußischen Verwaltungsorganisation. Man sucht in krampfhafter Weise irgendeinen Schutz und glaubt, ihn beim Verwaltungsgericht zu finden, weil man anderen Instanzen nicht traut. Nun ist das Verwaltungsgericht eine Instanz, der man in vieler Beziehung vertrauen kann, aber es ist keine Instanz, die kompetent wäre, derartige Sachen zu lösen. Vom Gesichtspunkte des Vertrauens aus wäre der Antrag des Abgeordneten Linz vernünftig und zweckmäßig, aber in Erkenntnis dessen, dass an und für sich das Oberverwaltungsgericht keine sachlich kompetente Instanz ist, kann ich diesem Antrag auch nur widersprechen. So sehen Sie, wie man durch die eigentümliche Art der Verwaltungsorganisation in Preußen fortgesetzt in Verlegenheiten gerät, die an und für sich nicht in der Sache liegen und die bei einer verständig ausgeführten Verwaltungsorganisation auf Grundlage der Prinzipien, die von uns gefordert werden, sofort in Wegfall kommen werden.

Wir stimmen den Anträgen der Freisinnigen, insbesondere dem Antrag auf Nummer 396 zu b, im wesentlichen bei. Es ist, wie mir scheint, das Gute in diesem Antrag, dass er das Prinzip der Eingemeindung in einem gewissen Umfange einführt und den Gemeinden eine Macht gibt, unter gewissen Voraussetzungen Eingemeindungen von der Staatsregierung zu erzwingen. Mir scheint, dass das ein sehr verständiger Gedanke ist, den man durchaus akzeptieren kann.

Noch einige Bemerkungen zu unseren Anträgen. Zunächst hege ich einmal gegen den Paragraphen 5 das Bedenken – einen Antrag haben wir hier nicht gestellt –, dass man hier wiederum die Bestätigung des Kreis- oder Bezirksausschusses fordert. Wir sind der Ansicht, dass die Satzungen keiner Bestätigung durch diese bürokratischen Behörden bedürfen; denn es sind nichts als bürokratische Instanzen, wenn sie oftmals auch mit der falschen Etikette von Selbstverwaltungsorganen versehen werden.

Wir sind weiter, in Konsequenz der Grundforderung einer Beseitigung der bürokratischen Bevormundung, im Paragraphen 6 gegen diejenige Bestimmung, die für gewisse Fälle eine königliche Genehmigung für erforderlich erklärt, nämlich unter der Voraussetzung, dass nicht sämtlichen Verbandsmitgliedern an und für sich bereits die Rechte öffentlicher Körperschaften zustehen. Wir halten es für durchaus überflüssig, hier noch eine königliche Genehmigung einzuführen. Wir haben an Genehmigungen, Bestätigungen und dergleichen in Preußen wahrlich schon allzu viel, und dies Gesetz gibt noch einen Überfluss dazu.

Dass wir uns zu dem Paragraphen 9 naturgemäß ablehnend verhalten, bedarf keiner näheren Begründung. Der Paragraph 9 spricht von der Zusammensetzung des Verbandsausschusses beziehungsweise von der Form, in der die Mitglieder des Verbandsausschusses bestellt werden, und er bestimmt zunächst einmal, dass ohne Wahl als Abgeordneter der Bürgermeister, der Gemeindevorsteher oder ein von ihm zu bestimmendes Mitglied der Gemeindeverwaltung usw., auch der Amtmann, der Vorsitzende des Kreisausschusses, der Landrat diesem Verbandsausschuss angehören. Wir halten es nicht für zweckmäßig, dass derartige „geborene" Mitglieder in den Verbandsausschuss hineinkommen. Es kann unserer Ansicht nach in vollstem Umfange den Interessen der beteiligten Organe, Verbände und Kommunen Rechnung getragen werden, wenn die Wahl der Ausschussabgeordneten – um den Ausdruck zu gebrauchen – unter einem demokratischen Wahlrecht vor sich geht. Dieses Wahlrecht haben wir, wie in dem Berliner Zweckverbande, so auch in diesem Zweckverbandsgesetz beantragt2, und dass dieser Antrag der Konsequenz unseres grundsätzlichen Antrages entspricht, bedarf einer näheren Darlegung nicht.

Nach alledem kommen wir zu dem Ergebnis, dass wir dem ganzen Gesetz in seiner jetzigen Fassung notwendigerweise ablehnend gegenüberstehen, weil es sich einzugliedern versucht in eine Verwaltungsorganisation, der wir grundsätzlich gegnerisch gegenüberstehen, und zweitens, weil der Entwurf den Verbandsausschuss auf der Grundlage eines Wahlrechts zusammenzusetzen sucht, das wir als durchaus undemokratisch und volksfeindlich zu charakterisieren haben und dem in irgendeiner Weise das Wort zu reden uns unmöglich beikommen kann. Wir werden uns andererseits bemühen, nach Möglichkeit einzelne Verbesserungen in das Gesetz, das ja von unserer Zustimmung schwerlich abhängig sein wird, hineinzubringen, wie das unserer Taktik entspricht; aber in erster Linie sollte das Gesetz der Mehrheit des Abgeordnetenhauses und jedem einzigen Verwaltungsbeamten die Erkenntnis nahelegen, dass es wahrlich an der Zeit ist, einmal in einer energischen und grundsätzlichen Weise in die preußische Verwaltung einzugreifen. Nur auf der Grundlage einer solchen grundsätzlichen und mit dem ganzen bisherigen preußischen Systeme, Polizeisysteme, Reglementiersysteme brechenden Verwaltungsreform könnte all den Missständen abgeholfen werden, die man beklagt und die mit zu einem Teile zu einer Einbringung der Vorlage geführt haben.

(Abgeordneter Hoffmann: „Bravo!")

II

Meine Herren, die Beratung dieses Paragraphen3 und seine Geschichte sind sehr charakteristisch preußisch. Der Herr Vorredner hat bereits darauf hingewiesen, dass die uns vorliegende Fassung selbst gegenüber dem Regierungsentwurf eine erhebliche Verschlechterung im Sinne der Bürokratisierung enthält. Die Einfügung der Worte „und sein Amt noch bekleidet" bedeutet eine wesentliche Verschärfung der Regierungsvorlage, bedeutet, dass der betreffende zum Verbandsvorsteher zu Wählende beziehungsweise zu Bestätigende noch in dem Moment, wo er gewählt wird, in dem Moment, wo er sein Amt als Verbandsvorsteher antritt, an der Kette der Regierung liegen muss und dass man auf diese Weise seiner Persönlichkeit ganz gewiss ist.

Meine Herren, der ganze Absatz 2 ist für uns Sozialdemokraten unannehmbar. Wir können uns nie und nimmer zu der Auffassung bekennen, die in diesem Absatz 2 investiert ist, zu der Auffassung, dass es in Preußen keinem freien und unabhängigen Manne gegeben sein soll, wertvolle Funktionen der Staatsverwaltung auszuüben, sondern dass man erst kastriert sein muss, in Abhängigkeit von oben gefesselt sein muss. Das ist unerträglich für jeden Menschen, der ein Gefühl für das Bedürfnis des Volkes nach Selbstbestimmung besitzt. Sie, meine Herren, die Sie die Mehrheit des Hauses bilden, wollen natürlich nicht wahrhaben, dass darin eine Entwürdigung des Volkes liegt; Sie gehören ja nicht zu denen, die aus einer solchen Abhängigkeit und Bevormundung die Besorgnis zu schöpfen brauchten, dass Sie in Ihrer Bewegungsfreiheit jeweils dadurch beschränkt werden könnten; denn Sie sind es ja, die solche Vorschriften wünschen, damit Sie um so eher anderen Ihren Willen aufzwingen können. Diese Bestimmung, die für die Mehrheit des Volkes die Konstatierung und erneute Formulierung der Bevormundung bedeutet, bedeutet für Sie die Fixierung eines von alters her von Ihnen ausgeübten Privilegs. Sie fühlen sich nicht unfrei; aber die Masse des Volkes hat ein gutes Recht, sich unfrei zu fühlen, und alle Veranlassung, auch bei diesem Gesetz darauf zu dringen, dass man eine solche Beschränkung aufhebt.

Meine Herren, was wird denn mit dieser Bestimmung bezweckt? Wird bezweckt, dass die, die zum Verbandsvorsteher ernannt werden, sich als artige Kinder in der preußischen Kinderstube gezeigt haben?

(„Sehr gut!")

Das ist ja wohl die „gute Kinderstube", von der die Herren so häufig reden. Es wird die Möglichkeit der Kontrolle verlangt, ob er auch jederzeit hübsch fromm und gewandt über den Hubertusstock gesprungen ist – Sie kennen ja die bekannte Märchenbrunnenangelegenheit, die einstens in Berlin eine Rolle spielte –, ob er sich artig gezeigt hat, „treu, hold und gewärtig" dem Herrn Oberpräsidenten gegenüber, Seiner Majestät dem Herrn Oberpräsidenten gegenüber, dessen Stellung ja der Herr Abgeordnete von Brandenstein vorhin in einer so köstlichen Weise charakterisiert hat. Es mag ihm das Wort vielleicht aus dem Munde entflohen sein, ohne dass er es recht gewünscht hat.

Die Bestimmungen über das Bestätigungsrecht sind in der Tai bisher allenthalben dem Volkswohl schädlich gewesen. Kaum irgendwann ist einmal von diesem Bestätigungsrecht im Sinne einer wirklich im Interesse der Gesamtheit liegenden Kontrolle Gebrauch gemacht worden. Wo immer es bekannt geworden ist, dass das Bestätigungsrecht im Gegensatz zu dem Willen der Gemeinde, des Selbstverwaltungskörpers ausgeübt worden ist, hat es sich um Fälle gehandelt, in denen den Interessen der Allgemeinheit dadurch aufs äußerste Schaden angetan worden ist. Es ist, möchte ich sagen, ein Kalvarienweg der Selbstverwaltung, der gekennzeichnet ist durch die Fälle der Nichtbestätigung von Bürgermeistern, Beigeordneten, Schulaufsichtsmitgliedern und dergleichen.

Das ist ein unwürdiger Zustand; wir wenigstens empfinden ihn als solchen, und es ist sehr charakteristisch, dass über dasjenige hinaus, was an und für sich jetzt schon als Verschärfung des Regierungsentwurfs von der Kommission uns vorgelegt wird, die konservative Fraktion noch nicht genug hat: Sie wünscht sogar ein regelmäßiges Bestätigungsrecht selbst für den Fall, dass der Betreffende noch gegenwärtig ein bestätigungspflichtiges Amt bekleidet. Meine Herren, das bedeutet, dass man auf dieser Seite des Hauses eine noch verschärfte Macht haben will, den Gewählten in seiner Bewegungsfreiheit dermaßen in Händen zu haben, dass er nicht nur durch sein gegenwärtiges Amt verhindert ist, irgendwie gegen den Stachel der Regierung zu löcken, es bedeutet, dass man sogar über die Einflüsse, die dadurch gegeben sind, hinaus der Regierung die vollkommene Willkürbefugnis gewähren will, nach freiestem Ermessen jeweilig in dem besonderen, einzelnen Falle zu entscheiden, selbst dann, wenn der Betreffende sich in einem bestätigungspflichtigen Amt befindet. Es wird also das denkbar höchste Maß von Abhängigkeit angestrebt.

Es ist, wie ich nochmals betonen will, eine im höchsten Maße unwürdige Zumutung, die von den konservativen Parteien und in weitem Umfange bereits durch die Beschlüsse der Kommission und auch durch den Gesetzentwurf der Verbandsverwaltung gestellt wird. In dieser Verwaltung sitzen doch auch vernünftige Leute, mindestens nicht weniger als in der staatlichen Bürokratie. Gibt es denn bei uns in Preußen absolut nicht die Möglichkeit, irgendwo einmal Verständnis dafür zu erzielen, dass die nicht amtlich gestempelten Staatsbürger doch schließlich auch Menschen mit vernünftigen Köpfen sind und ihre Interessen zu vertreten wissen, dass die von ihnen gefassten Beschlüsse auch im Interesse der Allgemeinheit liegen? Warum dann die Notwendigkeit, die Staatsbürger stets unter Kuratel zu stellen, als ob oben die Weisheit mit Löffeln gegessen sei und unten die misera contribuens plebs, „das Volk, der große Lümmel", nicht imstande sei, seine Interessen zu vertreten? Das ist freilich die überlieferte preußisch-bürokratische Auffassung, und daher bleiben die Konservativen am allermeisten dem Geiste des genius loci treu, wenn sie den eben erörterten Antrag gestellt haben.

Was besonders interessant ist, ist, dass die Konservativen sogar den Absatz 3 streichen wollen. Sogar der Gedanke, dass durch das Verwaltungsstreitverfahren eine Kontrolle stattfinden könne, ist den Herren unerträglich, und dabei ist das Verwaltungsstreitverfahren nach der ganzen Art, wie es hier geregelt ist, wahrlich nicht geeignet, den Herren wehe zu tun. Es ist das Prinzip, das sie fürchten, dass die Willkürhandlungen der staatlichen Instanzen irgendwie einer Kontrolle unterworfen werden könnten. Dann kommt man natürlich mit den berühmten Redensarten vom monarchischen Gefühl und dergleichen und meint, dass die Heiligkeit des monarchischen Prinzips, dass die Vorrechte der Krone es nicht duldeten, dass eine solche Kontrolle stattfände.

Meine Herren, sobald wir derartige Anträge lesen und solche Begründungen hören, sind wir uns darüber klar, dass Sie Ihre wahren Gedanken nur verschleiern. Wenn Sie von den Privilegien und den Prärogativen der Krone sprechen, wenn Sie für die höchste Instanz möglichst großen Einfluss schaffen wollen, so nicht deswegen, weil Ihnen daran liegt, dass die Regierung über den Parteien stehe, das Wohl der Allgemeinheit wahrnehme, sondern um deswillen, weil die höchsten Instanzen wiederum von Ihnen abhängig sind und weil Sie auf diese Weise am besten glauben, Ihre Herrschaft weiter befestigen und etablieren zu können.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Wir bitten Sie, den Antrag anzunehmen. Oder lehnen Sie ihn ab – wir sind zufrieden damit; Sie stellen sich damit nur von neuem das Zeugnis aus, dass Sie sich treu geblieben sind.

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

1 Konservative Partei. Die Red.

2 Der sozialdemokratische Antrag lautete: „Die Wahl der Vertreter erfolgt durch alle über 20 Jahre alten Gemeindeangehörigen auf Grund des gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts. Zum Zwecke der Vornahme der Wahlen sind die Gemeinden bzw. Kreise in Bezirke einzuteilen. In jedem Bezirk ist nur ein Vertreter zu wählen. Die Abgrenzung der Bezirke erfolgt nach der nach jeder Volkszählung festgestellten Einwohnerzahl durch den Verbandsausschuss. Wählbar sind alle wahlberechtigten Angehörigen der beteiligten Gemeinden und Landkreise." Der Antrag wurde abgelehnt.

3 Gemeint ist der Paragraph 11, der die Wahl des Verbandsvorstehers regelte. Der Absatz 2 lautete: „Die Wahl des Verbandsvorstehers bedarf, wenn der Gewählte nicht schon anderweitig als Bürgermeister, Amtmann, Gemeinde-, Guts-, Amtsvorsteher oder Stellvertreter eines dieser Beamten, als Mitglied eines Gemeindevorstandes, als Landrat, Kreisdeputierter oder Mitglied einer Kreisverwaltungsbehörde bestätigt oder ernannt ist und sein Amt noch bekleidet, der Bestätigung durch die Kommunalaufsichtsbehörde …" Die Sozialdemokraten beantragten, diesen Absatz zu streichen. Der Antrag wurde abgelehnt.

Kommentare