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Karl Liebknecht 19110912 „... und die proletarische Jugend bewegt sich doch!"

Karl Liebknecht: „… und die proletarische Jugend bewegt sich doch!"

Rede zum Abschnitt Jugendagitation des Vorstandsberichtes

[Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten in Jena vom 10. bis 16. September 1911 sowie Bericht über die 6. Frauenkonferenz am 8. und 9. September 1911 in Jena, Berlin 1911, S. 283/284. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 4, S. 460-462]

Die proletarische Jugend seufzt unter einem Doppeljoch; es ist die Jugend des Proletariats, und die Jugend des Proletariats, die unter der kapitalistischen Ordnung besonders hart getroffen wird. Zu dem, was Schulz1 angeführt hat, kommt noch die kriminelle Seite der Sache hinzu. Die Statistik über die Kriminalität der Jugendlichen zeigt, dass die größte Zahl von Straffällen der Jugendlichen auf dem Gebiet der Eigentumsvergehen liegt: Diebstahl, Unterschlagung, dazu Bettelei, Landstreicherei und andere Notdelikte, die den Charakter sozialer Krankheitserscheinungen tragen; bei den weiblichen Jugendlichen steht daneben noch die entsetzliche Rubrik der Gewerbsunzuchtsdelikte, das heißt der Verfehlungen gegen die Polizeibestimmungen über die Kontrolle der Prostituierten. Da wird ein schier grauenhaftes Bild aufgerollt. Eine Regierung, die den Ernst dieser Frage nicht begreift, sondern ihn sogar zu verschleiern und den Kampf gegen diese Erscheinungen zu verwirren und zu unterdrücken sucht, die verdient das Brandmal verbrecherischer Frivolität auf die Stirn gedrückt zu bekommen.

Wichtig ist, dass in dem Antrage 75 hinter dem Wort Polizei noch das Wort „Schulaufsichtsbehörden" eingeschoben wird. Diese Schulaufsichtsbehörden tragen in ganz infamer Weise zur Bekämpfung der Jugendlichen bei. Auf alte, verstaubte Regierungsverordnungen, Kabinettsordern wird zurückgegriffen, Unterrichtserlaubnisscheine werden gefordert, auch wenn gar kein Unterricht erteilt wird, auch bei Unentgeltlichkeit und bis zum Alter von 21 Jahren. Was in dieser Beziehung vom preußischen Unterrichtsminister und den ihm untergeordneten Instanzen an Schikanen und Gesetzesverhöhnung geleistet wird, gehört zum Niederträchtigsten, was von der preußischen Regierung in ihrer langen Sündengeschichte geleistet ist. Bekannt ist, wie in Preußen bis zum heutigen Tage die Reichsgerichtsentscheidung gegen Weber und Wildung bewusst missachtet wird.

Schulz hat auf die verschiedenen Formen gegnerischer Jugendorganisationen hingewiesen und auf den Korruptionsfonds von einer Million, der in den diesjährigen preußischen Etat eingestellt ist. Ich will noch auf die Jugendwehren und Schülerschießriegen hinweisen und auf die sogenannten Scouts, die man aus dem viel gehassten Albion übernommen hat und die man jetzt umgetauft hat in Pfadfinder. Bei der letzten Kaiserparade wurde diesen lächerlichen Soldatenspielern, wie Sie wissen, Gelegenheit gegeben, ganz offiziell an der Paradeaufstellung teilzunehmen. Man sieht, wohin der Kurs geht.

Auch durch Sportfexerei will man bei den Jugendlichen eine Stimmung erzeugen, die sie von dem großen proletarischen Kampfe abwendet. In Amerika und England erschwert diese Sportfexerei unseren Genossen die allgemeine Aufklärungs- und Organisationsarbeit ganz ungemein. Es ist das Heimtückische an dieser Art der Jugendbekämpfung, dass sie den Freiheitsdrang der Jugend ausnützt, um sie in die Sklaverei hineinzuführen, zu proletarischen Sklaven nach ihrem Willen zu erziehen. Es ist ganz selbstverständlich, dass alle diese krampfhaften Abwehrbewegungen der Regierung und der herrschenden Klassen von uns nur als ein ehrendes Zeugnis für die Wucht der proletarischen Jugendbewegung und für die Furcht der herrschenden Klassen vor ihr aufgefasst werden. Wir müssen aber die jugendliche Abenteurerlust und den jugendlichen Freiheitsdrang auch für uns nutzbar machen; Duckmäuser können wir nicht gebrauchen. Freilich wollen wir das nicht tun durch militaristische Spielereien, nicht durch Kriegsspiele, wie etwa Deutsche und Franzosen; aber wir können die Kampflust sich austoben lassen in Spielen wie zum Beispiel Sozialdemokraten und Gendarmen, wobei es natürlich schwerfallen wird, für die Partei der Gendarmen die nötigen Freiwilligen aufzutreiben.

Den herrschenden Klassen mag die Hoffnung schwinden, durch alle ihre Mittelchen uns die Jugend abwendig zu machen; „man hemmt uns, doch man zwingt uns nicht". Ja, man hemmt uns nicht einmal. Nie und nimmer hätte die Jugendbewegung so rasch eine solche einmütige Billigung in Partei und Gewerkschaften gefunden, wenn sie nicht so verfolgt worden wäre. So ist sie durch die infame Taktik ihrer Verfolger gefördert worden. Die herrschenden Klassen werden es erleben, dass alle ihre Wünsche und Hoffnungen zerschellen. Wir rufen Ihnen zu: Eppur se muove – und sie, die proletarische Jugend, bewegt sich doch! Die Jugend des Proletariats wird Sieger bleiben über alle ihre Feinde und die Scharen liefern, die dereinst die Kämpfe weiterführen werden, die jetzt von den Erwachsenen gefochten werden. (Lebhafter Beifall.)

1 Der Berichterstatter zum Punkt Jugendbewegung. Die Red.

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