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Karl Liebknecht 19120319 Blutige Gewalt gegen streikende Bergarbeiter

Karl Liebknecht: Blutige Gewalt gegen streikende Bergarbeiter

Rede zur Geschäftsordnung im preußischen Abgeordnetenhaus zu Interpellationen über den Streik der Bergarbeiter im Ruhrgebiet1

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, V. Session 1912/13, 3. Bd., Berlin 1912, Sp. 3164-3166 und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 5, S. 137-139]

Meine Herren, unter dem Geheul der Scharfmacher

(„Oho!" und Heiterkeit.)

ist hier nach Blut und Eisen gerufen worden und sind Hymnen auf die Gewalt gesungen worden. Ich hätte noch gern einmal die Stimmen –

Präsident Dr. Freiherr von Erffa: Herr Abgeordneter Liebknecht, das ist nicht zur Geschäftsordnung. Die Bemerkungen zur Geschäftsordnung beziehen sich auf die geschäftliche Behandlung des zur Beratung stehenden Gegenstandes respektive auf die Feststellung der Tagesordnung.

Liebknecht: Es ist üblich, dass man in kurzen Worten seine Meinung zum Ausdruck bringen darf,

(Lebhafter Widerspruch.)

wenn einem das Wort abgeschnitten worden ist. Es ist seit jeher so gewesen,

(Erneuter Widerspruch.)

und Sie wissen das ganz genau. Man hat jederzeit sein Bedauern darüber aussprechen können, dass man nicht auf Angriffe hat antworten können, und nur darum handelt es sich hier.

(Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Das sollen Sie auch; Sie sollen es aber in der Form der geschäftsordnungsmäßigen Bemerkungen und nicht mit einer Beweisführung machen.

Liebknecht: Das tue ich. Ich sage nur, ich hätte gern die Gelegenheit benutzt, um noch einmal der Stimme der Wahrheit

(Stürmisches Lachen.)

und der Gerechtigkeit

(Wiederholtes Lachen.)

und der Menschlichkeit in diesem Hause Gehör zu verschaffen

(Andauerndes Lachen und große Unruhe.)

und dabei die Heuchelei und Brutalität zu brandmarken.

(Große Unruhe. Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Das ist gleichfalls nicht zur Geschäftsordnung.

Liebknecht: Es wird mir ja sehr schwer fallen, auch nur im entferntesten in der Form einer geschäftsordnungsmäßigen Bemerkung zu sagen, was zu sagen wäre, und auch den Judas Ischariot genügend zu kennzeichnen,

(Lachen rechts. – Lebhafte Unruhe im Zentrum. – Glocke des Präsidenten.)

der hier seinen Arbeitsbrüdern in den Rücken gefallen ist.

(Große Unruhe und Rufe im Zentrum: „Wer ist das?" – Glocke des Präsidenten.)

Sie wissen ja, wen ich damit meine.

(Andauernde Unruhe. – Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Ich bitte, dass Sie ruhig sind, wenn ich klingele. Ich weiß nicht, wen Sie mit diesem Judas Ischariot meinen. Haben Sie damit ein Mitglied des Hauses gemeint?

(Abgeordneter Dr. Liebknecht: „Jawohl!")

Dann rufe ich Sie zur Ordnung.

(Große Unruhe und Rufe rechts: „Raus!")

Liebknecht: Meine Herren, Sie haben es uns durch Ihr Verhalten, durch das Schlussmachen, auch unmöglich gemacht, hier auf die unglaublichen Polizeibombenmärchen, die der Herr Polizeiminister hier vorgetragen hat, einzugehen und auf die Versuche, diese Märchen im Interesse des Scharfmachertums zu fruktifizieren. Aber, meine Herren, ich will darüber gar nichts weiter sagen; das mag alles nichts schaden. Diese Debatten haben meiner Ansicht nach dieses Haus so deutlich wie möglich gekennzeichnet –

(Rufe rechts „Zur Geschäftsordnung!" Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Ich bitte, sich nun aber ernsthaft mit Ihrer Bemerkung zur Geschäftsordnung und nicht mit anderen Dingen zu beschäftigen.

Liebknecht: Ich sage ja nur, dass meine Rede nicht notwendig ist, weil die Debatten von gestern und heute bereits genügend dieses Haus gekennzeichnet haben,

(Rufe rechts: „Zur Geschäftsordnung!")

das da ein Spott für die ganze gesittete Welt

(Große Unruhe.)

und die Schande Europas ist.

(Andauernde Unruhe und Rufe: „Unerhört!" „Schluss!" Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Für diese letzte Bemerkung, Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, rufe ich Sie nochmals zur Ordnung.

1 Zum Bergarbeiterstreik lagen mehrere Interpellationen vor. Nachdem der erste sozialdemokratische Redner, der Abgeordnete Leinert, gesprochen hatte, nahmen die konservativen Parteien einen Antrag auf Schluss der Debatte an, durch den auch Karl Liebknecht das Wort entzogen wurde. Die Red.

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