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Karl Liebknecht 19120929 Der Protest der Hungernden

Karl Liebknecht: Der Protest der Hungernden

[Vorwärts Nr. 229 und 230 vom 1. und 2. Oktober 1912. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 5, S. 407-409]

I

Bericht über eine Rede in der Protestversammlung gegen die Lebensmittelteuerung in der „Neuen Welt", Berlin, Hasenheide

29. September 1912

Mit lebhaftem Bravo begrüßt, nahm dann Dr. Liebknecht das Wort. Mit beißendem Hohn überschüttete er die so lange geübte Vogel-Strauß-Politik der Bethmänner. Er wird stürmisch mit Beifallskundgebungen unterbrochen, als er stark betont, dass in der ganzen Bürokratie keiner eine Ahnung habe von dem tatsächlichen Ernst der Situation. Niemals werde, hob er an anderer Stelle seiner Rede hervor, die Sozialdemokratie Maßnahmen zuwider sein, die die ländliche und bäuerliche Produktion schützen und stützen sollten im Interesse der Allgemeinheit und die verbunden würden mit Maßnahmen für eine gute und billige Volksernährung. Die Einsprüche, die von uns erhoben würden, richteten sich dagegen, dass den Großagrariern, die es nicht nötig haben, Millionen in den nimmersatten Rachen geworfen würden. Wenn wir uns heute noch eine solche, mit den Agrariern durch dick und dünn gehende Regierung gefallen lassen müssten, dann sei zum gut Teil das Volk daran mit schuld; es müsse alles tun, sich eine andere Regierung zu verdienen. Es müsse sich noch in ganz anderer Weise anschicken, seinen eigenen Willen gegenüber der Regierung durchzusetzen.

Auf die Maßnahmen zur Abhilfe in der Frage der Fleischnot eingehend, stellte der Redner fest, dass es von Leitern der Regierung in Basel und von Leitern der Schweizer Konsumvereine ihm gegenüber kürzlich geradezu als ein Skandal bezeichnet worden sei, wenn man in Deutschland die schweizerischen Erfahrungen mit dem Gefrierfleisch als ungünstig hinstelle. Er sei der festen Überzeugung, dass die deutsche Regierung nur das Volk wieder einschläfern wolle. Wenn die Herren aber die Zeichen der Zeit sehen wollten, dann müssten sie sich sagen, auch der schiffstaustarke Geduldsfaden des deutschen Volkes könne einmal reißen. Es müsse anders werden, die agrarische Herrschaft müsse niedergerungen werden. Und vor allem sei ihr ihre Stütze in Preußen, das Dreiklassenwahlrecht, zu entreißen. Wenn die Versammelten aber jetzt heimgingen, sollten sie sich nicht zu törichten Streichen hinreißen lassen, sondern die Ruhe und Besonnenheit bewahren, die den Herrschenden so stark in den Knochen liege. In der Nähe seien 300 Schutzleute postiert. (Stürmische Entrüstungsrufe, die nicht aufhören wollen, so dass Redner sich unterbrechen muss.) Er fährt dann fort: Wir können den Herren von der Polizei sagen, sie werden keine Arbeit bekommen, wenn sie nicht wünschen sollten, welche zu bekommen. Das Volk wird nicht unbesonnen sein. Es wird seine ganze Entrüstung und seinen ganzen Zorn gegen das herrschende Regime zusammenfassen in dem Entschluss, weiter zu arbeiten zum Wohle des Volkes, zur Vernichtung des Junkertums, zur Bestrafung derer, die schuld seien an Not und Elend im Volke. (Donnernder, lang anhaltender Beifallssturm.)

Nach einem Gesangsvortrag: „Nun sind die Stürme aufgewacht." leerte sich langsam unter Hochrufen der Saal.

II

Zuschrift an den „Vorwärts"

Gegenüber anderslautenden Nachrichten der bürgerlichen Presse über eine Festnahme seiner Person nach Beendigung der Protestversammlung am Sonntag sendet uns Genosse Karl Liebknecht folgende Darstellung des Vorfalls:

Nach Schluss der Versammlung hatte sich eine größere Menschenmenge mir auf der Straße angeschlossen. Die Polizei versperrte uns verschiedene Straßen, obwohl von einem Zug überhaupt gar nicht die Rede sein konnte. An der Cottbuser Brücke stellte sich uns wiederum ein größeres Polizeiaufgebot entgegen. Die Menge machte Halt und brachte ein Hoch auf mich aus, das ich unmittelbar in der Schutzmannskette stehend mit einem „Hoch auf das Wahlrecht" und „Nieder mit den Junkern" beantwortete, als ich auch schon von rückwärts gefasst und durch einen Polizeihauptmann zwei Schutzleuten übergeben wurde. Wir waren jedoch kaum zehn Schritte gegangen, als ein anderer Polizeioffizier intervenierte und meine sofortige Freilassung anordnete. Ein paar Aufforderungen meinerseits genügten danach, um die Menge zu veranlassen, sich ruhig zu zerstreuen. Dass ich so, wie Montag früh im „Berliner Tageblatt" behauptet, nicht gesprochen habe, brauche ich nicht besonders zu betonen.

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