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Karl Liebknecht 19120128 Der Wahlterrorismus in Gatow

Liebknecht: Der Wahlterrorismus in Gatow

Zuschrift an den „Vorwärts"

[Vorwärts Nr. 23 vom 28. Januar 1912. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 4, S. 497 f.]

Zu unserer gestrigen Notiz über den Gatower Wahlterrorismus schreibt uns Genosse Liebknecht folgendes:

Die im „Vorwärts" gegebene Sachdarstellung ist nach meiner genauen Wissenschaft nicht ganz zutreffend. Die Sache ist noch viel bösartiger, als es nach dieser Darstellung erscheint. Es ist nicht richtig, dass der andere Genosse bereits in die Kuverts hineingegriffen hat, vielmehr stand er so weit von der Urne entfernt, dass er gar nicht hineingreifen konnte. Allerdings machte er Armbewegungen in der Richtung nach der Urne, ohne diese oder irgendein Kuvert indes auch nur im Entferntesten zu berühren und ohne dass irgendwie angenommen werden konnte, dass er sie demnächst berühren würde. Das bereits genügte dem Wahlvorsteher, auf ihn los zuspringen, mit der linken Hand an der Brust zu packen und mit der rechten Faust mehrfach über den Kopf zu schlagen. Hierbei warf der Wahlvorsteher selbst die Lampe um und unsere Genossen flüchteten darauf sofort aus dem Wahllokal, während der Wahlvorsteher dem Wachtmeister zurief: „Wachtmeister, ziehen Sie blank und schlagen Sie zu!" Genosse Hornig sowohl wie der andere außerdem noch geschlagene Genosse befanden sich bereits außerhalb des Wahllokals, als sie von rückwärts von dem Gendarmen bearbeitet wurden. Sie waren auf der vom Wahllokal nach außen führenden Treppe, als dies geschah. Der Genosse Hornig hat außer den schweren Kopfwunden auch einen Stich in den Rücken bekommen.

Nach alledem ist das Vorgehen sowohl des Wahlvorstehers wie des Gendarmen eine ganz ostentativ grobe Ausschreitung, die bereits zum Gegenstand einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft gemacht worden ist. Zugleich ist der Wahlvorsteher wegen Vergehens gegen §§ 107, 108, 339 Absatz 3 des Strafgesetzbuches zur Anzeige gebracht. Schließlich sei bemerkt, dass der Gendarmeriewachtmeister sich bereits seit annähernd 6 Uhr ununterbrochen im Wahllokal aufhielt. Ganz offenbar liegt also ein planmäßiges provokatorisches Verhalten vor.

Übrigens hat die geradezu ungeheuerliche Wahlbeeinflussung des Wahlvorstehers auch ihren Erfolg gehabt, wie sich daraus ergibt, dass in Gatow im Gegensatz zu allen anderen Orten des Wahlkreises die sozialdemokratischen Stimmen gegenüber der Hauptwahl zurückgegangen sind und die konservativen Stimmen über die Zahl der sämtlichen in der Hauptwahl abgegebenen nicht-sozialdemokratischen Stimmen hinaus sich erhöht haben.

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