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Karl Liebknecht 19121211 Die Natur schützen und dem Volke näher bringen!

Karl Liebknecht: Die Natur schützen und dem Volke näher bringen

Reden im preußischen Abgeordnetenhaus zu einem Antrag der Fortschrittlichen Volkspartei

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, V. Session 1912/13, 7. Bd., Berlin 1913, Sp. 8976-8978, 8993 f. und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 5, S. 479-485]

I

Es wäre uns erwünschter gewesen, wenn die Kommission einen etwas energischeren Beschluss gefasst hätte; denn die Tendenz, von der der Antrag ausgeht, den die Kommission sich nur in etwas verwässerter Form zu eigen gemacht hat, ist so sympathisch und billigenswert, dass wir unsere Zustimmung dazu nur mit voller Emphase aussprechen können. Es ist tatsächlich eine außerordentlich wichtige Sache, dass wir immer mehr erkennen, welchen unersetzlichen Wert die Natur in ihrer Schönheit hat, und dass ihre einmal zerstörten Herrlichkeiten gar nicht wieder ersetzt werden können. Da haben wir leider alle Veranlassung, gerade auch der Regierung ins Gedächtnis zu rufen, um ihr das Gewissen zu schärfen: Es ist leicht, einen Wald auszuroden, einen See trockenzulegen, es ist leicht, eine Landschaft zu verwüsten und – wie zum Beispiel das Löcknitztal – zu verschandeln; aber es ist ungemein schwer, das wiedergutzumachen. Wenn wir bedenken, welche jahrhundertelange, jahrtausendelange Arbeit die Natur nötig gehabt hat, um die Naturdenkmäler zu schaffen, an denen sich Generationen erfreut haben, so lässt sich ohne Weiteres ermessen, dass es auch allen Mitteln der modernen Technik schlechterdings versagt sein muss, Zerstörungen, die vollbracht sind, aus der Welt zu schaffen. Wir können nicht – und wollten wir nach Goethes Wort Hebel und Schrauben ansetzen – die Natur zwingen, uns das wiederzugeben, was eine törichte Zerstörungslust, ein gefährlicher Egoismus mit kurzsichtiger Gewinnsucht in unserer Zeit ihr entrissen haben.

Wir sehen, wie ein Verständnis für den Wert der Naturschätze erst in der neueren Zeit wieder in weiteren Kreisen eingetreten ist – nach der wilden Periode der Entwicklung unserer Industrie, unseres Verkehrs, in der alle anderen Interessen zurückgesetzt worden sind hinter dem einen Interesse des: Bereichert euch! Enrichissez vous!, wo man gehöhnt hat über diejenigen, die die ästhetischen Werte zu schätzen und zu schützen suchten, als über Narren, die noch nicht genügend den Geist der Zeit verstanden hätten. Jetzt hat nach und nach eine gewisse Einkehr eingesetzt, wesentlich deshalb, weil die unermessliche Bedeutung der Natur und ihrer Schätze für die Gesundheit der Bevölkerung in moralischer und geistiger, aber auch körperlicher Beziehung immer mehr erkannt worden ist. Wenn wir betrachten, wie die Landschaften aussehen, durch die wir mit der Eisenbahn fahren, besonders in der Nähe der großen Städte, da wird man oftmals geradezu von einem Ingrimm erfüllt über die Rücksichtslosigkeit, mit der die schönsten Landschaften dem Reklamebedürfnis unserer kapitalistischen Kreise zum Opfer gebracht sind. Das ist eine Brutalität ohne Grenzen, und alle Versuche, in der Richtung einschränkend zu wirken, haben bisher nichts genützt. Das lehrt uns der einfache Augenschein: Ob wir von Berlin hinausfahren nach Osten, Westen, Norden oder Süden, überall sehen wir diese widerwärtigen Reklameschilder, die die Landschaft in der abscheulichsten Weise verunstalten.

Es ist zweifellos richtig, dass die Bevölkerung selbst vielfach nicht die nötige Rücksicht gegenüber den Naturschätzen obwalten lässt. Wenn der Herr Vorredner darauf hingewiesen hat, dass in der Schule und durch die Presse in der Richtung in erhöhtem Maße gewirkt werden möge, so können wir dem nur beistimmen. Man muss aber auch folgendes erwägen: Unsere großstädtische Bevölkerung repräsentiert im Verhältnis zu der Bevölkerung zum Beispiel einer kleinen Landgemeinde, einer kleinen Stadt eine so viel größere Fülle von Bedürfnis, sich mit der Natur in enge Beziehung zu setzen, dass, wenn die gesamte großstädtische Bevölkerung auch nur annähernd in der Weise rücksichtslos gegen die Natur vorginge, wie es in jedem Dorfe, in jeder Landgemeinde üblich und selbstverständlich ist, dann eine vollkommene Devastierung der Natur die notwendige Folge wäre. Die Schäden in Bezug auf die Zerstörung von Naturschätzen in der Nähe der großen Städte sind also nicht etwa zurückzuführen auf irgendeinen verrohenden Einfluss der Großstadt, sondern sie sind einfach eine Wirkung der ungeheuren Anhäufung von Menschenmassen, denen im Verhältnis nur ein viel geringeres Rayon von Natur zur Verfügung steht als der ländlichen Bevölkerung, ein Rayon, auf das natürlich verhältnismäßig viel mehr Menschen kommen als in Dörfern und kleinen Städten. Man hat also alle Veranlassung, die Vorwürfe gegen die großstädtische Bevölkerung zurückzuweisen. Die Gefahr, die unseren Naturschätzen von großen Städten droht, ist vielmehr einfach eine der Folgewirkungen der gesamten ungesunden Anhäufung von Menschen in den großen Steinwüsten, genannt Großstädte.

Es kommt noch ein anderes hinzu. Die Bevölkerung draußen auf dem Lande steht in einer natürlichen Fühlung mit der Natur, die Natur ist ihr nicht entfremdet. Die Landbevölkerung ist jeden Tag, beinahe jede Stunde draußen und weiß mit der Natur umzugehen. Die Bevölkerung der Großstadt, die von der Natur durch das außerordentlich schädliche System der Besiedelung, das besonders die großen Städte charakterisiert, in schroffer Weise losgetrennt, losgerissen ist in grausamer Weise, kann man fast sagen, aus dem natürlichen Mutterboden, auf dem die Menschen gewachsen sind, entwurzelt ist – diese Bevölkerung, wenn sie nun die Gelegenheit hat, feiertags oder sonntags einmal hinauszukommen in die freie Natur, wird ganz naturgemäß einmal nicht das volle Verständnis für den Umgang mit ihr haben, dann aber auch mit absoluter Notwendigkeit einen so intensiven, leidenschaftlichen Drang haben, eine solche Neugierde, ein solches inneres Bedürfnis nach den verschiedensten Richtungen, geistig und moralisch und gemütlich, sich mit der Natur in Verbindung zu setzen und die ihr vollkommen entfremdete Natur kennenzulernen, dass sich daraus vieles erklärt, was man draußen auf dem Lande natürlich nicht finden wird. Es ist ganz natürlich und nicht Ausdruck irgendeines Vandalismus, wenn die Stadtkinder hinauskommen und nun ein paar Blätter, Zweige oder Blumen abreißen. Das ist ein natürliches Bedürfnis, das nur dann wird beseitigt werden können, wenn für dieses Bedürfnis eine gehörige Erfüllung geschaffen wird.

Deshalb, meine Herren, glaube ich, wird es notwendig sein, hier noch einmal darauf hinzuweisen, dass jede Maßregel, die auf Schutz der Natur gegen menschliche Eingriffe und Zerstörung hinwirkt, notwendig als Korrelat haben muss Maßregeln, die die Natur dem Volke näher bringen und dem Volke Gelegenheit geben, sich mit der Natur in diejenige Verbindung zu setzen, die notwendig ist zum geistigen, moralischen, körperlichen Gedeihen. Und, meine Herren, dazu gehört eben, dass große Volksparks, dass große Spielplätze geschaffen werden, dass die Kinder in den Großstädten viel hinaus gebracht werden in die Natur, dass die Städte selbst mehr zu Gartenstädten entwickelt werden, dass die Art der Bebauung, die gegenwärtig in den großen Städten leider noch üblich ist, aus dem Wege geräumt wird und dass auf diese Weise der so gefährliche Charakter der Großstadt als einer Erscheinung, die das Volk von der Natur los schneidet, nach und nach beseitigt wird. Das ist ein ungemein wichtiges Stück der sozialen Fürsorge; das geht an die Wurzeln der menschlichen Bedürfnisse, der körperlichen und psychischen Bedürfnisse heran. Die Frage ist ernst genug. Soll das Menschengeschlecht besonders in den großen Städten nicht weiterhin verkrüppeln, geistig, moralisch und körperlich, so ist es mindestens so dringend nach der Richtung Vorsorge zu treffen, die ich eben angedeutet habe, nämlich nach der Richtung, die Trennung zwischen Natur und Menschen wieder aufzuheben, die Menschen und die Natur einander zu nähern, damit die Menschen sich so dem Mutterboden der Natur wieder nähern können und in den Stand gesetzt werden, alle die Kräfte, die die enge Beziehung zur Natur allein dem Menschen verschaffen kann, wieder in sich aufzusaugen.

(Beifall bei den Sozialdemokraten.)

II

Meine Herren, ich bin fest überzeugt, dass jener persische König, der das Meer peitscht, um es zur Ruhe zu bringen, keine vergeblichere Arbeit geleistet hat, als die Herren Vorredner durch ihre Beschwörungen gegen die Damenhutmode.

(Heiterkeit.)

Ich bin fest überzeugt, dass die Damen sich da nicht herein reden lassen werden und dass auch derartige Reden im Parlament und der Regel nach nicht zu Hause gehalten werden, das scheint mir sehr kennzeichnend zu sein.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Ich zweifle nicht daran, dass mancher von Ihnen, die so in der Öffentlichkeit über die Hutmode zetern, in ihrem Hause die Erfahrung machen müssen, dass die Mode zu den Gewalten gehört, gegen die die Männerwelt absolut nicht ankommen kann.

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen: Es genügt für uns nicht ein Schutz der Naturdenkmäler, es müssen vor allen Dingen die Naturdenkmäler dem Menschen zugänglich gemacht werden; nur dann können sie auch geschützt werden, weil nur dann die nötige Fühlung, das nötige Verständnis für diese Naturdenkmäler in der Menschheit erzeugt und erhalten werden können. Wenn hier von allerhand Unfug die Rede ist, der von der Bevölkerung gegen die Natur und ihre Denkmäler gemacht wird, so möchte ich nach den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Ramdohr noch besonders Gelegenheit nehmen, darauf hinzuweisen, wie wiederholt in der Presse und auch aus sehr nationalen Kreisen heraus gegen das Treiben des Jungdeutschlandbundes1 und der Jugendwehr2 in der Natur die ernstesten Beschwerden erhoben worden sind,

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

weil die Jugend durch diese Veranstaltungen, die ausschließlich chauvinistischen, militärischen Zwecken dienen, absolut nicht zu einer Achtung, zu einem feineren Verständnis für die Natur erzogen werde, im Gegenteil zu einer Missachtung der Natur, weil sie sich durch diese Veranstaltungen daran gewöhne, die freie Natur in Wald und Feld als ein Blachfeld für Felddienstübungen zu betrachten, nicht aber als eine der größten Herrlichkeiten, die der Menschheit beschieden sind. Jedenfalls wird das Verständnis, sich mit den Einzelheiten der Naturschönheiten zu beschäftigen, durch eine derartige militärische Vergewaltigung der Natur

(Lachen rechts. „Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

nur vernichtet, aber nicht vermehrt.

Meine Herren, das sind Auffassungen, die ich nicht allein zum Ausdruck bringe, sondern die vielfach, ich wiederhole es, in der Presse von durchaus nationalen Kreisen zum Ausdruck gebracht sind.

(Unruhe und Widerspruch rechts.)

Meine Herren, darauf darf ich noch besonders hinweisen: Wenn hier viel von Vögeln und von dergleichen Getier gesprochen wird – natürlich, es ist ungemein wichtig, das zu schützen. Aber wenn wir gerade die Jugend ins Auge fassen, so kommt da für den Schutz die Insektenwelt ganz hervorragend in Betracht. Ich hoffe, dass manch einer unter uns ist, der in seiner Jugend Schmetterling- oder Käfersammler gewesen ist, der es sich hat angelegen sein lassen, diese Tiere nicht nur zu fangen, sondern auch aufzuziehen. Es ist ganz zweifellos, dass eine derartige Beschäftigung mit der Natur für die ganze geistige und moralische Entwicklung der Jugend von hervorragender Bedeutung ist. Wir sehen in der Nähe von Berlin zum Beispiel, wie die Insektenwelt nahezu auf den Aussterbeetat gebracht ist. Ich entsinne mich, dass ich Anfang der neunziger Jahre in der Nähe von Berlin noch Schmetterlinge und Käfer und ebenso Pflanzen gefunden habe, die man jetzt absolut nicht mehr findet. Das sind bedauerliche Wirkungen, die sich aus den Verhältnissen der Großstadt neben vielen anderen Schädlichkeiten, die damit zusammenhängen, ergeben. Ich möchte doch das Augenmerk noch ganz besonders auf den Schutz der Insektenwelt, der Schmetterlinge, der Käfer usw. gelenkt haben.

Meine Herren, ich habe nur Veranlassung genommen, das Wort nochmals zu ergreifen wegen der Ausführungen des Herrn Dr. Schepp, der von den roten Zetteln gesprochen hat, die irgendwo angeklebt worden sind. Ich weiß nicht, ob der Herr Abgeordnete Dr. Schepp aus irgendwelcher eigenen Erfahrung gesprochen hat. Ich bin überzeugt: Er hat derartige Zettel sein Lebtag nicht gesehen. Wenn derartige Zettel vielleicht dort angebracht worden sind, wo die Natur dadurch verschandelt worden ist, dann würden auch wir das natürlich auf das Allerlebhafteste bedauern.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Daran ist kein Zweifel, dass derartige Dinge von uns nicht gebilligt werden. Ich möchte aber behaupten, dass das gar nicht der Fall gewesen ist. Und wenn von unserer Seite da wirklich einmal gesündigt sein sollte, dann bin ich sicher, dass von anderer Seite in diesem Punkte dreimal mehr gesündigt worden ist.

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

1 Er wurde 1911 durch den preußischen Generalfeldmarschall von der Goltz gegründet. Es handelt sich um eine vom imperialistischen Staat systematisch geförderte chauvinistisch-militaristische Dachorganisation, in der die Mehrheit der bürgerlichen Jugendvereine unter dem Deckmantel der „Jugendpflege" zusammengefasst wurden. Der J. richtete sich gegen die proletarische Jugendbewegung und diente der chauvinistischen Verhetzung und militaristischen Erziehung der Jugend.

2 Eine 1896 gegründete militaristische und chauvinistische Organisation, die sich die systematische Beeinflussung der Jugend im Geiste des Militarismus zum Ziel setzte. Vom imperialistischen Staat stark gefördert, propagierte der Jugendwehrverein die vormilitärische Ausbildung, das militärische Exerzieren und Turnen der Jugend von der Schulentlassung bis zum Eintritt in das Heer.

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