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Karl Liebknecht 19120515 Die „reformwütigen" Freikonservativen

Karl Liebknecht: Die „reformwütigen" Freikonservativen

Rede im preußischen Abgeordnetenhaus zu einem Antrag der Freikonservativen Partei

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, V. Session 1912/15, 5. Bd., Berlin 1912, Sp. 6075 f. und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 5, S. 384-386]

Meine Herren, wenn auch in der letzten Zeit in einigen Kreistagen und Provinziallandtagen Sozialdemokraten eingezogen sind, so ist doch gerade die Verfassung und Verwaltung der Kreise und der Provinzen in Preußen dermaßen rückständig, dass eine Reform allergründlichster Art notwendig wäre. Wir haben unsere Wünsche in der Beziehung schon öfters zum Ausdruck gebracht, und ich habe nicht nötig, sie nochmals zu wiederholen.

Wir haben nun hier eine sonderbare Enttäuschung erlebt. Als wir bei der ersten Lesung des Etats die Herren Konservativen und Freikonservativen in ihrem bekannten Disput über den Ausfall der Reichstagswahlen hörten, da waren es die Herren von der Deutschkonservativen Partei, die hartnäckig auf dem Standpunkt beharrten, nichts zu lernen und nichts zu vergessen und trotz des Ausfalls der Wahlen „nun gerade nicht", auch nicht um Haaresbreite, von ihrem bisherigen Standpunkte abzuweichen. Demgegenüber trat nun Herr von Zedlitz und demnächst der Abgeordnete von Kardorff auf den Plan. Sie riefen: Nein, wir sind nicht so rückständig wie ihr, wir Freikonservativen, wir lernen aus den Vorgängen bei den Wahlen; wir denken, mit großen, zeitgemäßen Reformen vorzugehen. – Unter diesen großen, zeitgemäßen Reformen befand sich die Ankündigung der Reform der Kreisordnungen.

Meine Herren, wir haben damals das Schauspiel erlebt, wie die Herren von der Rechten zorneswütig über ihre guten Freunde, die etwas mehr in der Mitte sitzen, herfielen. Ein gewaltiger Kampf entspann sich zwischen den absolut unbelehrbaren Herren auf der Rechten und den reformwütigen Freikonservativen,

(Heiterkeit rechts.)

und wir meinten wahrlich, dass die Brüderschaft zwischen diesen Parteien nach diesem wilden Kampfe in die Brüche gehen müsse.

(Erneute Heiterkeit rechts.)

Meine Herren, inzwischen haben die Herren Deutschkonservativen wohl eingesehen, was es mit der Reformwütigkeit ihrer freikonservativen Freunde auf sich hat. Es hat wohl noch niemals einen Fall gegeben, auf den das Sprichwort: parturiunt montes – – so Anwendung hätte finden können, wie gerade auf diesen Fall. Ich hatte nach gegrübelt und war hoch gespannt: Mit welcher gewaltigen Reform der Kreisordnungen wird Herr von Zedlitz uns überraschen. Und nun bekommen wir da einen Gesetzentwurf vorgelegt, der ja auch ziemlich lang geworden ist – er enthält, ich weiß nicht wie viel Paragraphen. Ich denke, was mag das für eine Reform sein? Und schließlich stellt sich heraus, dass die ganze gewaltige Reform darin besteht, dass man auch den Gesellschaften mit beschränkter Haftung das Wahlrecht einräumen will.

Meine Herren, wahrhaftig: Eine ungeheure, eine gewaltige Reform, die beweist, dass die Herren von der Freikonservativen Partei aus den Wahlen gelernt haben, und die beweist, dass diese Herren dem modernen Geist nicht unzugänglich sind, im Gegenteil ihre Hirne und ihre Herzen dem modernen Geist weit geöffnet halten!

(Heiterkeit.)

Meine Herren, im Ernst gesagt: Ich habe in der Tat meinen Ohren nicht getraut – nachdem ich geglaubt hatte, dieser Antrag solle wirklich nur eine Kleinigkeit sein, die man vorläufig einmal präsentiert, weil die großen Pläne, die man schmiedet, noch nicht ganz fertig sind –, als diese Kleinigkeit von dem Abgeordneten Freiherrn von Zedlitz bezeichnet wurde „als ein Mittel, um die Kreisordnungen „auf die Höhe der jetzigen Entwicklung zu bringen". Ja, meine Herren, wenn das die Höhe der jetzigen Entwicklung ist, dass Sie die Gesellschaften mit beschränkter Haftung auch noch wahlfähig machen, dann wissen wir ja, wie der Begriff der Entwicklung in Ihrem Kopfe aussieht. Allerdings, meine Herren, über eins war ich erstaunt, dass nämlich Herr Abgeordneter Weissermel auftrat und sagte: Nein, diese Reform ist so bedeutsam, die können wir nicht in erster und zweiter Beratung sofort annehmen, sie muss einer gründlichen und sorgfältigen Durchberatung unterzogen werden. Ich muss gestehen: Das hat wiederum Herrn Abgeordneten Freiherrn von Zedlitz in gewissem Sinne gerechtfertigt. Er kennt ja seine Pappenheimer auf der Rechten besser als wir, und er hat eben schon vorausgesehen, dass diese lächerliche Bagatelle von der Rechten gar am Ende noch als eine schwere Gefahr hingestellt werden könne für ihre Alleinherrschaft auf den Kreistagen.

Meine Herren, diese ganze Geschichte symbolisiert das Niveau der Reformfreudigkeit und des Reformverständnisses bei den Freikonservativen, sie symbolisiert auch die Ernstlichkeit des Kampfes, der zwischen den Herren von der rechten Rechten und von der weniger rechten Rechten vor einiger Zeit entfesselt war. Sie werden inzwischen eingesehen haben: dieser Reform-Löwe ist kein böser Löwe fürwahr; er ist nur jener harmlose Schnock, nicht einmal eines bösen Löwen Weib. Meine Herren, ich bin überzeugt, dass diese gewaltige Reform – diese gewaltige Reform! – im preußischen Abgeordnetenhaus gelingen wird, auf dass auch in aller Zukunft niemand mehr wird sagen können: Das preußische Abgeordnetenhaus ist zeitgemäßen Reformen nicht zugänglich.

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