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Karl Liebknecht 19120328 Frische Luft in die stickigen preußischen Universitäten

Karl Liebknecht: Frische Luft in die stickigen preußischen Universitäten

Aus der Rede im preußischen Abgeordnetenhaus in der zweiten Lesung des Kultusetats

[Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, V. Session 1912/13, 3. Bd., Berlin 1912, Sp. 3811-3815. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 5, S. 231-237]

Meine Herren, wie es auf der Berliner Universität aussieht, darauf wirft ein Schlaglicht gar manches, was sich im vergangenen Sommer und im letzten Winter auf der Berliner Universität abgespielt hat. Ich weiß nicht, ob Sie die Presse verfolgt haben, soweit sie über diese Dinge berichtet hat (Zuruf rechts: „Nein!"), aber das eine werden Sie vielleicht wissen, dass die Berliner Universitätsverwaltung gegen die freistudentische Bewegung1 ganz besonders rücksichtslos vorgeht.

Meine Herren, die freistudentische Bewegung, die an manchen deutschen Universitäten eine gewisse Bewegungsfreiheit genießt, ist weit davon entfernt, irgendwelcher sozialistischer Bestrebungen verdächtig sein zu können. Sie denkt gar nicht daran. Aber sie hat allerdings ein Prinzip: Sie möchte die Studenten, die sich ja doch der Regel nach in dem Alter von 19 bis 23 Jahren befinden, die also unmittelbar vor dem Alter der Wahlfähigkeit stehen und sehr bald in verantwortliche Staatsstellungen und andere verantwortliche Tätigkeiten einzurücken bestimmt sind, in ihrer Studentenzeit auch über das Wesen der politischen Parteien und über andere öffentliche interessierende Angelegenheiten informieren. Ja, meine Herren, ist es denn nicht eine ganz selbstverständliche Sache, dass die Studenten das tun? Ich weiß, dass Sie dagegen auch gar nichts einzuwenden haben, im Gegenteil – (Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident Dr. Krause-Königsberg: Herr Abgeordneter Liebknecht, das sind allgemeine Erörterungen, die nach Ihrer eigenen Erklärung Ihnen hier zu machen versagt ist. Sie können nur das hervorheben, was bezüglich der Universität Berlin insonderheit zu sagen ist, aber nicht Dinge hier allgemein vortragen, die alle Universitäten gemeinsam betreffen.

Liebknecht: Ja, ich spreche von dem besonderen Verhalten der Berliner Universitätsverwaltung gegenüber der freistudentischen Bewegung in Berlin, und ich betone, dass nach meiner genauen Kenntnis auch die freistudentische Bewegung in Berlin nur den einen Zweck verfolgt, den Studenten die Bestrebungen der einzelnen Parteien zur Kenntnis zu bringen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, nicht, nur sich ein Urteil zu bilden, sondern auch die Möglichkeit, diejenigen Bestrebungen, die Sie (nach rechts) bekämpfen und als gefährlich betrachten, doch wenigstens kennenzulernen. Das Kennenlernen des Feindes sollte doch nicht bereits als ein Sakrileg betrachtet werden, wie das von Ihnen vielfach geschieht. Und dann hat die Berliner freistudentische Bewegung das Bestreben, den Studenten die Kenntnis über die Anschauungen der verschiedenen Parteien durch Vorträge, die von Angehörigen der verschiedenen Parteien gehalten werden, zugänglich zu machen, weil sie davon ausgeht, dass nur auf diese Weise die Studenten ein wirklich lebendiges Bild von dem Wesen dieser Parteien bekommen.

Meine Herren, das ist, wie mir scheint, etwas Selbstverständliches. Ich möchte einmal den Herrn von Pappenheim eine Rede über die Sozialdemokratie zur Information der Studenten halten hören. Das würde eine schöne Sorte von Information über die Sozialdemokratie sein. Herr von Pappenheim würde es sich wahrscheinlich energisch verbitten, wenn ein Sozialdemokrat ausgesucht würde, um den Studenten Klarheit zu geben über das Wesen der Konservativen Partei, und das Zentrum würde eine derartige Behandlung sich auch nicht gefallen lassen, sondern das Recht beanspruchen, selbst seine Meinung über sich selbst vorzutragen.

Die Bestrebungen der Berliner freistudentischen Bewegung bedeuten also absolut nicht, dass sie sich mit den anderen Parteien identifizieren oder dafür Propaganda machen will. Sie will nur, indem sie prinzipiell die Parteipolitik fernzuhalten sucht, der Studentenschaft das Material, und zwar im Flusse des Lebens, unterbreiten, aus dem sich dann die Studentenschaft ihre Meinung bilden kann. Aber dass von der Berliner Freien Studentenschaft überhaupt oppositionelle Politiker zum Vortrag zugelassen worden sind, das allein genügt der Berliner Universitätsverwaltung bereits als Anlass zum Einschreiten und zum Verbote von Vorträgen. So ist dem Herrn Dr. Breitscheid im vergangenen Sommer ein Vortrag über das Wesen der Demokratie verboten worden („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.), obwohl, meine Herren, dieser Vortrag gleichzeitig stattfinden sollte mit einem Vortrage, wenn ich nicht irre, des Syndikus des Zentralverbandes der Industriellen2 („Hört! Hört!"); also zwei Gegner unmittelbar nebeneinander! Der Syndikus des Zentralverbandes der Industriellen sollte sprechen dürfen („Hört! Hört!"), Dr. Breitscheid aber sollte nicht sprechen.

Die Berliner Freie Studentenschaft hat daraufhin natürlich auch den anderen Vortrag nicht halten lassen, weil damit der ganze Zweck, nämlich gerade die Gegensätze hervortreten zu lassen, vereitelt war. Und auf Vorstellung ist ihnen dann von dem Herrn Rektor eröffnet worden, dass sie überhaupt keinerlei Vorträge aktiver Politiker mehr veranstalten dürften. („Hört! Hört!")

Meine Herren, den Herrn von Heydebrand und der Lasa hat man sprechen lassen („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.), man hat auch andere Reaktionäre sprechen lassen, die doch sicherlich so aktive Politiker sind wie möglich; aber als Herr Dr. Breitscheid reden wollte – damals beileibe kein Sozialdemokrat; jetzt ist er ja einer geworden; das haben Sie (nach rechts) sich natürlich auch aufs Konto zu schreiben, Sie machen ja all die Sozialdemokraten! (Abgeordneter Hoffmann: „Sehr gut!") – da ist plötzlich die Erleuchtung gekommen, dass Vorträge aktiver Politiker nicht geduldet werden dürften. Meine Herren, das ist ein sehr blamables Zeugnis, das sich die Berliner Universitätsverwaltung durch dieses Vorgehen ausgestellt hat. Natürlich besteht gar kein Zweifel, dass die Universitätsverwaltung gar nicht daran denkt, den Beschluss, aktive Politiker von den Vorträgen auszuschließen, durchzuführen; möge Herr von Heydebrand es nochmals probieren oder Herr Dr. Porsch oder Herr Dr. Dittrich oder irgend jemand von den reaktionären Parteien in diesem Hause, sie werden nicht die geringsten Schwierigkeiten haben; nur wenn ein Sozialdemokrat oder vielleicht ein Demokrat in Frage kommt, wird man dazwischenfahren.

Meine Herren, die Universitätsverwaltung, die es den Freistudenten in dieser Weise unmöglich macht, eine durchaus objektiv gehaltene Aufklärung in ihren Reihen zu verbreiten, hat auch in anderen Beziehungen ihre unglaubliche Engherzigkeit und Kleinlichkeit deutlich dokumentiert. Es ist von alters her Brauch – wir kennen ja das alle aus unserer Jugend –, dass an und in der Universität auch Zettel, Flugblätter usw. verbreitet werden. Das galt als ein Privileg auf der Berliner Universität – ich spreche jetzt ausschließlich von der Berliner Universität. Als aber vor kurzem die Freistudentenschaft ein Flugblatt verbreiten wollte, erging urplötzlich der Ukas: das würde nicht mehr gestattet, und zwar aus sanitären Gründen („Hört! Hört!"), weil sonst zu viel Papier herumliege. („Hört!" Hört!") Ich glaube die sanitären Gründe bezogen sich mehr auf die Gesundheit des Geistes und der Seele der Studenten. („Sehr richtig!" bei den Freikonservativen.) – Herr Dr. Wagner sagt: „Sehr richtig!" Er muss es ja wissen. Sie sehen, meine Herren, dass nach der Autorität des Herrn Dr. Wagner der Rektor einfach eine Unwahrheit gesagt hat („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.), dass er mit dieser Begründung seines Ukases nichts weiter getan hat, als die Tatsache zu verschleiern, dass er gerade die ihm unbequeme freistudentische Bewegung von der Möglichkeit der Verteilung von Flugblättern ausschließen will. Meine Herren, ich freue mich sehr, dass Herr Dr. Wagner das sofort bestätigt hat. Nun werden Sie es ja alle glauben; denn Herrn Dr. Wagner glauben Sie, mir nicht.

Ich kann Ihnen aber noch einen anderen Beweis dafür beibringen. Trotz jener Verfügung der Berliner Universitätsverwaltung haben nämlich der Missionsverein und der Verein Deutscher Studenten „frisch, fromm, fröhlich, frei" ihre Flugblätter weiter verteilt … („Hört! Hört!"), ohne dass irgendein Pedell sie daran gehindert hätte. Dadurch ist mit absoluter Sicherheit zutage getreten, dass das Vorgehen der Berliner Universitätsverwaltung auf eine einseitige politische Stellungnahme zurückzuführen ist, oder richtiger: Es ist ein der politischen Verdummung der Studentenschaft dienendes Bestreben (Heiterkeit rechts. Zustimmung bei den Sozialdemokraten.), das hierin zum Ausdruck kommt. Dabei handelt es sich, wie gesagt, hier nicht um eine sozialdemokratische Organisation, sondern um die freistudentische Bewegung, die von einem Teil Ihrer eigenen Jugend, von der Jugend der Bourgeoisie, getragen ist. Und bloß weil diese Jugend nicht alles Oppositionelle sofort von der Hand weist, es gar nicht erst hört, sondern pflichtgemäß vorher studieren will, deswegen wird sie von der Unterrichtsverwaltung in dieser unerhörten, skandalösen Weise verfolgt.

Wie planmäßig das Vorgehen der Unterrichtsverwaltung der Berliner Universität ist, das geht auch daraus hervor: Es war seit alters üblich, dass die Alten Herren der Korporationen Flugblätter an der Universität verteilen lassen konnten. Als die Freistudentenschaft zu diesem Ausweg schritt, griff die Universitätsverwaltung gleichfalls ein, während man die anderen Korporationen ruhig ihres Weges gehen ließ. („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Nun die Plakate! Man hatte Sandwichmen3 mit Plakaten herumlaufen lassen und glaubte, wenigstens diesen Brauch noch weiter ausüben zu können. Da war man aber wiederum auf dem Holzwege. Denn als die Freistudentenschaft begann, dies etwas lebhafter zu praktizieren, da griff die Berliner Universitätsverwaltung wieder ein und verbot auch das Plakatherumtragen. („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Nun blieb wahrhaftig nichts mehr übrig. Das schien der „Gipfel", um mit dem Lieblingswort des Herbergsvaters des Herrn Ministers des Innern, des Herrn Reichskanzlers und Ministerpräsidenten, zu reden. Aber nein, meine Herren, der Gipfel sollte noch übergipfelt werden! Goethe hat einmal über Falstaff gesagt: Das Wunderbare an diesem Kerl und an Shakespeares Erfindungskraft sei, dass, wenn man denkt, jetzt würde er keinen Ausweg mehr finden, jetzt sei es zu Ende, er doch in seiner Schlagfertigkeit immer wieder einen verblüffenden Ausweg fand, der ihn aus der Patsche heraus riss

Meine Herren, in dieser Weise sich immer selbst zu übertreffen, das scheint mir die besondere Fertigkeit und Findigkeit der Berliner Universitätsverwaltung zu sein. („Sehr gut!" und Heiterkeit bei den Sozialdemokraten. Lachen rechts.) Denn nun kam jene bekannte Geschichte, die wirklich nur noch in das Gebiet der Komik gehört. (Erneutes Lachen.) Ja, Herr von Pappenheim lacht; er freut sich wahrscheinlich schon über das, was ich jetzt erzählen will, und das gehört in der Tat in ein Lachkabinett. („Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.) Ich spreche von dem Plakat, das zu einer Wohltätigkeitsveranstaltung einladen sollte und auf dem ein Grenadier mit zwei Babys auf den Armen abgebildet war. Sie wissen, dass die Berliner Universitätsverwaltung den Schildbürgerstreich ausgeführt hat, aus dem Plakat die beiden Babys, weil sie angeblich die Unsittlichkeit der Studenten steigern könnten, sorgfältig herauszuschneiden. („Hört! Hört!" und große Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Ach, meine Herren, ich weiß nicht, wo ist denn nun eigentlich Schildburg gelegen? Ist Schildburg vielleicht nur ein anderer Name für Berlin? Man kommt nur allzu leicht auf diese Idee, wenn man von solchen Heldentaten der Berliner Universitätsverwaltung hört. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) Das ist nun die Leitung der größten deutschen Universität, der Universität, die den großen Nationalstolz des großen deutschen Volkes in der ganzen Welt bildet; das ist die Universität, bei deren Namen allein – denn sie trägt den Namen eines Hohenzollern – Sie bereits die Arme über der Brust kreuzen und dreimal mit dem Kopf auf die Erde schlagen möchten!

Meine Herren, die Blamage, die sich die Universitätsverwaltung in diesem Spezialfall zugezogen hat, dieser blamable Vorgang, der typisch ist für den Geist, aus dem heraus die Berliner Universitätsverwaltung ihres Amtes waltet – das allein sollte doch wahrlich auch in Ihren Kreisen den und jenen, der über seine Nasenspitze hinaussieht, veranlassen, einmal zu bedenken, in was für einem geradezu unglaublichen Zustande sich das deutsche Universitätswesen befindet. Das allein sollte Sie veranlassen, sich die Frage vorzulegen, ob es denn nicht nötig ist, einmal etwas frische Luft hereinzulassen in die stickigen preußischen Universitäten, die von diesem traurigen Polizeigeiste erfüllt sind, und sich zu fragen, ob Sie nicht endlich einmal energisch ans Werk gehen wollen mit der Schaffung eines Universitätsgesetzes, eines Gesetzes über die Reform des Studentenrechts und alle diese Dinge. Allerdings, meine Herren, eines Gesetzes, das, wenn es einigermaßen ersprießlich sein soll, nicht in diesem Hause gemacht werden dürfte. („Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

1 Bürgerliche Studentenorganisationen, in denen sich die nicht korporierten Studenten, die sogenannten Finken, organisierten. Entsprechend ihrer Gegnerschaft zu den reaktionären Korporationen wurden in ihnen oft liberale Auffassungen vertreten. Ihren Höhepunkt erreichte die freistudentische Bewegung um 1910, als an 36 deutschen Hochschulen solche Organisationen bestanden.

2 Eine 1875/76 auf Initiative des reaktionären preußischen Großindustriellen Wilhelm von Kardorff mit Unterstützung des Großindustriellen Stumm gegründete Unternehmerorganisation. Dieser Verband, in dem sich erstmals in Deutschland Industrielle verschiedener Industriezweige organisierten, wurde rasch zur mächtigsten Unternehmerorganisation der deutschen Monopolkapitalisten im kaiserlichen Deutschland. 1919 erfolgte die Vereinigung des Zentralverbandes mit dem Bund der Industriellen und anderen Unternehmerverbänden zum Reichsverband der Deutschen Industrie.

3 Zeitgenössische Bezeichnung für diese Form der Werbung. Die Red.

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