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Karl Liebknecht 19120223 Gegen die Rechtlosigkeit ausländischer Arbeiter

Karl Liebknecht: Gegen die Rechtlosigkeit ausländischer Arbeiter

Rede im Deutschen Reichstag zu einem Gesetz über die Staatszugehörigkeit

[Nach Verhandlungen des Reichstags, XIII. Legislaturperiode, I. Session 1912, Bd. 285, Berlin 1912, S. 251-257 und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 5, S. 78-98]

Meine Herren, damit dieser Entwurf, Gesetz geworden, denjenigen hohen Anforderungen genügen kann, die der Herr Minister soeben zum Ausdruck gebracht hat, wird er einer gründlichen Umgestaltung bedürfen. Es ist ja richtig, dass die Geschichte dieses Entwurfs wesentlich aus einer fortgesetzten Kette von Forderungen nach Beseitigung des Verlustes des Indigenats durch zehnjährigen Aufenthalt im Ausland besteht und in der unausgesetzten Forderung, den Wiedererwerb der so verlorenen Reichsangehörigkeit beziehungsweise Staatsangehörigkeit zu ermöglichen, zu erleichtern, zu sichern. Aber, meine Herren, wenn sich in diesem Punkte Missstände herausgestellt haben, die allerdings dringendster Abhilfe bedürfen, so sind das doch nicht die einzigen Missstände. Und die Regierung hat sich ja auch durchaus keineswegs damit begnügt, ein Amendement zu dem bestehenden Gesetz vorzuschlagen, das nur diesem Mangel abhilft, sondern sie hat eine Gesamtrevision des Gesetzes vorgenommen. Das macht uns zur Pflicht, nunmehr das ganze Gesetz in seinen Prinzipien und Bestimmungen nachzuprüfen und alle unsere Forderungen geltend zu machen. Es ist notwendig, dass wir prüfen, welche Schäden sich unter dem bisherigen Rechtszustand herausgestellt haben.

Ich will mich zunächst mit dem wesentlichen Grundgedanken des Gesetzes befassen, demjenigen, der gleichzeitig der Vater des Gesetzes ist. Einmal will der Entwurf verhindern, dass künftig der Verlust bei zehnjähriger Abwesenheit im Ausland eintritt, sodann will er den Wiedererwerb erleichtern, falls auf Grund des bisherigen Gesetzes ein solcher Verlust eingetreten ist. Meine Herren, die erste Bestimmung findet natürlich unsere Sympathie. Sie ist eine Selbstverständlichkeit. Es ist bedauerlich, dass sie nicht bereits viel früher getroffen worden ist. Die zweite Bestimmung muss als unzureichend bezeichnet werden. In Paragraph 26 ist bestimmt, dass ein Recht auf den Wiedererwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nur besteht, sofern der Betreffende nicht einem anderen Staate angehört. Das mag auf den ersten Blick sehr einleuchtend erscheinen, ist aber tatsächlich meines Erachtens durchaus unzweckmäßig und unbillig. Nehmen wir an, ein früherer Deutscher befindet sich nicht in der glücklichen Lage, ein Allerweltsbürger zu sein, ohne Bürgerrecht irgendwo auf dieser Erde, sondern er hat inzwischen ein auswärtiges Bürgerrecht erworben. Ja, soll er nun nicht an die deutschen Behörden herantreten können mit der Erklärung, dass er selbstverständlich sein Bürgerrecht im ausländischen Staat aufgeben werde, es sei denn, dass die Behörde der Beibehaltung auch der ausländischen Staatsangehörigkeit zustimmt, was ja unter Umständen zulässig ist, sofern er die Wiederaufnahme in Deutschland findet? Man sollte doch nicht die im Ausland befindlichen, dort naturalisierten Deutschen durch eine solche Bestimmung geradezu zwingen, zunächst ihr ausländisches Bürgerrecht aufzugeben, auf diese Weise gänzlich staatenlos zu sein, nirgends angehörig, um ihnen dann das Recht zu geben, wiederum in Deutschland das Staatsbürgerrecht zu erwerben. In dieser Beziehung wird es einer Abänderung des Gesetzentwurfes bedürfen.

Auch der Paragraph 7 des Gesetzes, der an und für sich einen sehr guten Grundgedanken enthält, ist in der gegenwärtigen Fassung bedenklich. Es ist dort gesagt, dass die deutsche Staatsangehörigkeit wieder zu verleihen ist Witwen, geschiedenen Ehefrauen usw., die nur dadurch ihre deutsche Staatsangehörigkeit verloren haben, dass sie einen Ausländer geheiratet haben. Dieser Gedanke ist an sich sehr verständig. Leider aber ist hier kein unbedingtes Recht auf den Rückerwerb der deutschen Reichsangehörigkeit gegeben, sondern es ist da unter anderem die Bedingung des unbescholtenen Lebenswandels gesetzt.

Meine Herren, es ist eine außerordentliche Härte und sehr bedenklich, dass man auf Bescholtenheit oder Unbescholtenheit in einem solchen Fall überhaupt Gewicht legt. Ich will Ihnen einen Fall aus meiner eigenen Praxis erzählen, den ich vor einigen Jahren erlebt habe. Eine Deutsche heiratet in Deutschland einen englischen Zahnarzt namens Highfield. – Ich kann den Namen ruhig nennen, die ganze Sache ist inzwischen längst erledigt, und die betreffenden Personen sind damit einverstanden. – Sie verliert damit die deutsche Staatsangehörigkeit. Sie ist ihr ganzes Leben lang niemals in England gewesen, versteht kein Wort englisch, ihre Angehörigen, Eltern und Geschwister, befinden sich hier in Deutschland. Sie lebt getrennt von ihrem Ehemann. Nun wird irgendwie der Verdacht wach, dass sie nicht unbescholten sei, dass sie in irgendeiner Weise liederlichen Lebenswandel treibe. Dieser Verdacht wird ihr nur mündlich von der Polizei mitgeteilt. Alle meine Versuche, von der Polizei eine schriftliche Darlegung ihrer Gründe zu erreichen, sind einfach gescheitert an der rücksichtslosen Beharrlichkeit, mit der vom Berliner Polizeipräsidium immer wieder geantwortet wurde, sie habe sich eben lästig gemacht,

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

habe als Ausländerin kein Recht, in Deutschland zu sein, und werde infolgedessen ausgewiesen. Alle Vorstellungen haben nichts geholfen; sie ist ausgewiesen worden.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Nun, meine Herren, denken Sie sich, die Frau hat ihre Angehörigen in Deutschland, versteht kein Wort englisch, sie ist wahrscheinlich gar nicht englische Staatsangehörige geworden und wird nun aus dem Vaterlande hinaus gejagt, noch dazu gänzlich mittellos. Ja, wenn sie moralisch nicht bereits verkommen war, dann war das doch sicherlich das allerbeste Mittel,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

um sie nunmehr der Verkommenheit in die Arme zu treiben.

Man sollte die Forderung des unbescholtenen Lebenswandels grundsätzlich ausscheiden, denn es handelt sich trotz alledem schließlich um Deutsche, die allein ebendeshalb, weil sie Deutsche sind, auch wenn sie einmal gefehlt haben und auf die schiefe Ebene gekommen sind, von uns aus Deutschland nicht hinausgetrieben werden, sondern beschirmt und beschützt werden sollten.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meiner Ansicht nach ist es die allererste Pflicht und Schuldigkeit, dass wir bei der Behandlung dieses Gesetzes dafür sorgen, dass wir nicht nur den im Ausland lebenden Deutschen die deutsche Staatsangehörigkeit zu erhalten suchen, sondern auch denen, die durch Geburt und Abstammung Deutsche sind – noch dazu, wenn sie in Deutschland selbst leben –, nicht durch den formalen Verlust der Staatsangehörigkeit Nachteile zufügen, mindestens ihnen den Rückerwerb der etwa verlorenen Reichs- und Staatsangehörigkeit ermöglichen.

Meine Herren, aber noch ein anderer Gesichtspunkt kommt in Betracht. Wir leben in Deutschland, und wir leben zum größten Teil in Preußen; und die preußische Polizei und wohl auch die Polizei anderer Bundesstaaten kann von uns nicht das Schwarze unter dem Nagel an Vertrauen beanspruchen.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Wenn das Wort „unbescholten" sich in dieser Bestimmung befindet, so denken wir daran, dass in Preußen bereits sozialdemokratische Redakteure mit Rücksicht auf ihre politischen Bestrafungen als bescholten bezeichnet und nach dem Vagabundenparagraphen behandelt worden sind.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Ich glaube, dass wir gerade mit Rücksicht darauf, dass solche Spuren uns schrecken müssen, alle Veranlassung haben, darauf zu dringen, dass diese Bestimmung beseitigt werde.

Aber der Entwurf bedarf in anderer Hinsicht noch der Ergänzung, zunächst einmal in derselben Richtung, in der die Paragraphen 26 und 7 gehen. Der Paragraph 26 genügt nämlich nicht, wenn er nur von denjenigen spricht, die auf Grund des bisherigen Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes nach zehnjährigem Aufenthalt im Auslande ihre Staatsangehörigkeit verloren haben. Wenn diesen ihre Staatsangehörigkeit zurück verliehen werden soll, meine Herren, dann haben wir ja in Deutschland gegenwärtig noch eine ganze Menge von Menschen, die niemals ihren Fuß aus Deutschland gesetzt haben und dennoch ihr Staatsbürgerrecht verloren haben. Es handelt sich hier besonders um Fälle, die Hannover betreffen, auf Grund des früheren hannoverschen Rechts. Bis zur Einverleibung1 wurde dort das Indigenat verloren durch Abwesenheit von fünf Jahren. Wenn zum Beispiel jemand, in einem Ort wie Wilhelmsburg – glaube ich, ist es – selbst verweilend, nach bestimmten Häusern zog, war er, ohne es zu wissen, außerhalb Hannovers, und wenn er fünf Jahre außerhalb Hannovers – in derselben Stadt, in der er geboren war – wohnte, verlor er das hannoversche Bürgerrecht, erwarb aber keineswegs ein anderes dafür. Und da mit dem Inkrafttreten der gegenwärtigen deutschen Reichsverfassung und des jetzigen Staatsangehörigkeitsgesetzes er keinerlei Staatsbürgerrecht in einem deutschen Bundesstaate besaß, so ist er auch gegenwärtig noch ohne Reichs- und Staatsangehörigkeit. Hier bedarf es einer Ergänzung des gegenwärtigen Vorschlages dahin, dass, auch wenn auf Grund von Partikulargesetzen, die gegolten haben vor unserem jetzigen Reichsgesetze, die Staatsangehörigkeit verloren gegangen ist, sie wieder erworben werden kann, dass ein Recht auf Wiedererwerb gegeben ist.

Eine andere Sache, die auch in derselben Richtung liegt und zu der ich veranlasst werde durch einen Fall, der mir gegenwärtig vorgelegt ist! Ein Deutscher hat sich im Jahre 1893 die Entlassung geben lassen aus dem deutschen Staatsverbande; sie ist ihm gewährt worden. Er ist nach Amerika übergesiedelt, wo er zu bleiben gedachte. Er fand die Verhältnisse drüben gänzlich anders, als er erwartet hatte und war bereits drei bis vier Monate, nachdem er abgereist war, wieder in seinen Heimatstaat zurückgekehrt; er hat sich seitdem dauernd in Deutschland und in diesem Bundesstaat aufgehalten. Er hatte auf sein Nachsuchen die Staatsangehörigkeit verloren; alle Versuche, die er bis heute gemacht hat – es sind jetzt beinahe 20 Jahre –, die Staatsangehörigkeit wieder zu bekommen, sind gescheitert an dem Widerstreben der Behörden.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Der Fall ist an und für sich recht bedauerlich und beweist die Kurzsichtigkeit und Engherzigkeit der gegenwärtig zur Entscheidung über die Naturalisation berufenen Instanzen.

(Zuruf von den Sozialdemokraten.)

Gewiss, ich komme darauf!

Nun befindet sich in § 19 des Entwurfs eine Bestimmung, die von einem sehr verständigen Gedanken ausgeht, wonach bei demjenigen, der die Staatsangehörigkeit infolge seines Gesuchs verloren hat, also entlassen worden ist, wenn er sich noch sechs Monate nach Erteilung der Entlassung im deutschen Reichsgebiet aufhält, diese Entlassung als nicht geschehen zu betrachten ist. Gerade der gegenwärtige Fall zeigt, dass dieser Gedanke weiter ausgebaut werden könnte dahin, dass auch diejenigen, die auf Grund ihres Entlassungsgesuchs die Staatsangehörigkeit verloren haben, die sich dann nach dem Ausland begeben haben, längere Zeit im Ausland gewesen sind und dann zurückkehren, ähnlich wie diejenigen, die nach zehnjährigem Ablauf die Staatsangehörigkeit verloren haben, das Recht auf Rückerwerb der Staatsangehörigkeit erhalten sollen. Besonders aber wird es, wenn der Gedanke des Paragraphen 19 legislatorische Festlegung findet, dann notwendig sein, dass wir auch für diejenigen eine Bestimmung im Paragraphen 19 treffen, die dadurch, dass die Bestimmung des Paragraphen 19 bis heute nicht gegolten hat, ihre Staatsangehörigkeit verloren haben, dass wir also für solche, die um ihre Entlassung nachgesucht haben und sechs Monate nach der Entlassung oder überhaupt dauernd nach der Entlassung das deutsche Staatsgebiet nicht verlassen haben oder mindestens in der Frist wieder zurückgekehrt sind, auch das Recht auf Wiedererwerb schaffen, so wie sie nach der jetzt vorgeschlagenen Bestimmung die Staatsangehörigkeit niemals verloren hatten.

Des weiteren, meine ich, sollten wir ganz allgemein eine Bestimmung in den Entwurf aufnehmen, wonach ein Recht auf Rückgewährung der Staatsangehörigkeiten erworben wird, wenn der Grund, der dazu geführt hat, dass die Staatsangehörigkeit verloren worden ist, nachträglich in Wegfall gekommen ist. Eine solche Forderung zu erheben, haben wir Veranlassung nicht nur aus Billigkeitsgründen und weil wir solche Barbareien verhüten wollen, wie sie gegenwärtig auf Grund des Gesetzes vielfach eingetreten sind, sondern wir sind meiner Ansicht nach dazu auch verpflichtet auf Grund des hohen nationalen Selbstgefühls, das ja von dem Herrn Vorredner in einer so drastischen und emphatischen Weise zum Ausdruck gebracht worden ist. Wir müssen meiner Ansicht nach im ganzen Entwurf das Prinzip durchführen, dass die deutsche Staatsangehörigkeit leichter erworben als verloren werden kann. Leider ist der Entwurf von einer solchen Auffassung entfernt; er lässt im Gegenteil in mancher Beziehung die Staatsangehörigkeit leichter verlieren als gewinnen. Das gilt insbesondere von der einen Bestimmung – auf die ich noch zu sprechen komme –, wonach der Verlust des Staatsbürgerrechts in einem Bundesstaat das Staatsbürgerrecht in ganz Deutschland entzieht, während der Erwerb der Staatsangehörigkeit in einem einzelnen Bundesstaat ja nunmehr an die Zustimmung des Bundesrates beziehungsweise Reichskanzlers gebunden weiden soll.

Der Herr Staatssekretär hat in hohen Tönen gesprochen von dem „civis germanus sum". Er hat aber trotz alledem das „semel germanus, semper germanus" abgelehnt und dabei auf die Militärflüchtigen Bezug genommen, die allein schon dadurch, dass sie zum Beispiel der Einberufung nicht Folge geleistet hätten, in konkludenter Weise deutlich genug zum Ausdruck gebracht hätten, dass sie künftig dem Deutschen Reiche nicht mehr angehören wollten, und die sich auch des Schutzes im Auslande unwürdig gemacht hätten.

Ich möchte zunächst einmal ein großes Fragezeichen dahinter machen, ob der Schutz den Deutschen im Auslande wirklich in einer so gänzlich vorurteilslosen Weise ohne Ansehen der Person gewährt wird, Angehörigen aller Stände und aller politischen Richtungen unterschiedslos. Wir haben in dieser Beziehung manche ungünstigen Erfahrungen gemacht, und unsere im Auslande lebenden deutschen Arbeiter sind der Ansicht, dass sie auf die Unterstützung der deutschen Behörden längst nicht in dem Umfange zu rechnen haben, wie das bei Angehörigen der oberen Klassen wohl der Fall ist.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Und wir haben die ganz spezielle Erfahrung gemacht, dass man Deutschen von politisch unbequemer Gesinnung, insbesondere Sozialdemokraten, im Auslande nicht denjenigen energischen Schutz von Seiten der deutschen Behörden gewährt, wie ihn staatstreu gesinnte, politisch stubenreine Deutsche im allgemeinen genießen.

Meine Herren, ich meine, gerade ein Teil der Ausführungen des Herrn Vorredners beweist, dass der Paragraph 23 in seiner Allgemeinheit kaum wird aufrechterhalten werden können. Wir müssen doch daran denken, dass, wenn dieser oder jener in Deutschland militärflüchtig geworden ist, das nicht ohne weiteres ein Akt der Feindseligkeit gegen das Deutsche Reich zu sein braucht; es kann sehr leicht nichts anderes sein als ein Akt der Verzweiflung gegenüber unserem militaristischen System. Es gibt außerordentlich viele Deutsche, die gerade durch die Schäden unseres militärischen Systems, durch Soldatenmisshandlungen und dergleichen nach dem Ausland getrieben werden. Haben sie damit im Allergeringsten zum Ausdruck gebracht, dass sie nicht nach ihrem besten Wissen und Gewissen ihre Schuldigkeit dem Vaterlande gegenüber tun wollen? Sicherlich haben sie im Gegenteil das lebhafteste Bestreben, dafür zu sorgen, dass die innere Misere in Deutschland beseitigt werde. Sie hängen mit allen Fasern noch an Deutschland, möchten bloß in Deutschland bessere Zustände herbeiführen.

Ich meine also, dass man eine so allgemeine Bestimmung, wie sie der Paragraph 23 enthält, nicht treffen sollte, dass es jeweils auf den Einzelfall ankommen wird, ob man solche Konsequenzen ziehen darf, wie sie von der Regierung in dem Entwurf gezogen worden sind und dass wir vor allen Dingen auch hier nach Möglichkeit den Grundsatz durchführen sollten, dass die deutsche Staatsangehörigkeit so schwer wie irgend möglich verloren werden soll.

Meine Herren, nun eine weitere Frage, die Frage des erstmaligen Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit. Es ist hier im Entwurf eine Regelung vorgeschlagen, die allerdings nur zu einem geringen, wenn auch nicht unwichtigen Teil von dem gegenwärtigen Zustand abweicht. Gegenwärtig gehört in Deutschland die Naturalisation zu denjenigen Dingen, die wir Anwälte als absolut aussichtslos zu bezeichnen pflegen, wenn nicht ganz besondere Ausnahmefälle, auf die ich zu sprechen komme, vorliegen. In meiner Praxis stehen die Aussichten eines Wiederaufnahmeverfahrens, eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung ungefähr auf derselben Stufe wie die Aussichten eines Naturalisationsgesuchs. Allerdings muss das cum grano salis gesagt werden.

Die Naturalisation ist – nach dem heutigen Gesetz – unter gewissen Voraussetzungen zulässig, Voraussetzungen, die im Wesentlichen in dem jetzigen Entwurf aufrechterhalten werden. Da stehen im Vordergrund fiskalisch-armenpflegerische Gesichtspunkte und dann auf der anderen Seite der Gesichtspunkt der Bescholtenheit usw., Dinge, über die ich seinerzeit bereits geredet habe.

Meine Herren, die Sache liegt in der Praxis tatsächlich so: Für einen Arbeiter, für jemand, der nicht wohlhabend ist und über keine guten Konnexionen verfügt,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

ist der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit so schwierig, dass man die Einzelfälle geradezu als Ausnahme bezeichnen darf, die die Regel bestätigen.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Für einen ausländischen Arbeiter, möge er angehören, welchem Staate er will, ist es ein Ding der Unmöglichkeit, in Deutschland naturalisiert zu werden. Ich habe in unzähligen Fällen Versuche unternommen und stets, trotz aller Mühseligkeiten, vergeblich. Da werden gar keine Gründe angegeben, es wird eben einfach nicht naturalisiert!

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Das sind die fiskalisch-armenpflegerischen Gesichtspunkte! Man braucht aber doch die ausländischen Arbeiter bei uns in Deutschland, man zieht sie künstlich herein, sie werden speziell nicht nur in der Industrie, sondern auch von den Hauptmatadoren jenes glühenden Nationalbewusstseins, den Herren, die in den Parteien der Rechten ihre Vertretung gefunden haben, in Massen nach Deutschland hineingezogen,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

ein Beweis dafür, dass man sie in Deutschland braucht. Wenn aber die ausländischen Arbeiter gut genug dazu sind, dass sie in Deutschland ausgebeutet werden, dann sollten sie auch gut genug dazu sein, dass man sie in Deutschland naturalisiert.

(„Sehr gut!")

Das ist eine so selbstverständliche Folgerung, dass man eine gewisse moralische Perversität voraussetzen müsste,

(Lachen rechts und im Zentrum.)

wenn man diesem Gesichtspunkt nicht Folge geben wollte. Meine Herren, es liegt doch klar auf der Hand: Sie wollen die ausländischen Arbeiter in Deutschland, aber sie sollen in Deutschland Sklaven sein,

(Unruhe rechts und im Zentrum.)

sie sollen ausgebeutet werden.

(Zurufe rechts und Unruhe.)

Sie sollen Sklaven sein! Einmal bedeutet die Tatsache, dass sie Ausländer sind, ganz allein eine Versklavung. Wer eine Ahnung davon hat, was es heißt, als Ausländer in Preußen oder in einigen anderen deutschen Staaten zu existieren, der weiß, dass er damit ohne jegliche gesetzliche Garantie, vollkommen der Willkür der Polizei preisgegeben ist.

(„Oho!" rechts. – „Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Ohne jegliche gesetzliche Garantie!

(Zuruf aus dem Zentrum: „Warum kommen sie denn?")

Herr Erzberger, wie klug! „Warum kommen sie denn?" haben Sie, glaube ich, eben gesagt. Das waren Sie doch? Ja, warum kommen die Arbeiter? Werden sie nicht geholt? Werden sie nicht gerufen? Braucht sie nicht unsere Industrie? Braucht sie nicht unsere Landwirtschaft? Sie wollen sie doch haben.

(Zurufe rechts.)

Ich appelliere an das Zeugnis des Herrn Grafen von Posadowsky, der in seiner ersten Rede während des Wahlkampfes, die in extenso durch die ganze Presse ging, gerade auf diese Erscheinung der Hereinziehung ausländischer Arbeiter nach Deutschland hingewiesen hat.

Ich meine, es liegt ganz klar auf der Hand, dass die Ausländer ausschließlich schon auf Grund der Tatsache, dass sie Ausländer sind, bei uns vor allem, in Preußen, als vollkommen rechtlose Heloten behandelt werden.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten. – „Oho!" rechts.)

Meine Herren (nach rechts), Sie reden ja von Sachen, von denen Sie nichts verstehen,

(Lachen rechts und im Zentrum.)

von denen Sie gar nichts verstehen!

(Zurufe rechts.)

Wollen Sie vielleicht einmal zu dem Herrn Polizeipräsidenten von Berlin gehen und ihn danach fragen? Wollen Sie einmal zu dem Herrn Minister von Dallwitz gehen und ihn danach fragen? Wollen Sie einmal auch unsere staatsanwaltschaftlichen Behörden, selbst das Kammergericht, fragen, die auf dem Standpunkt stehen, dass alle unsere gesetzlichen Garantien, nicht einmal die des Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit, Ausländern gegenüber schlechterdings nicht gelten?

(„Oho!" rechts.)

Meine Herren, ich kann Ihnen eine Verfügung der Staatsanwaltschaft vorlegen,

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

die dies bestätigt. Das sind Dinge, die überdies im Reichstag bereits erörtert worden sind.

(Zuruf rechts.)

Also ist es um so erstaunlicher, dass hier auf der Rechten ein solcher Widerspruch laut geworden ist.

(Lachen rechts.)

Meine Herren, die Polizei nimmt sich das Recht heraus, nach ihrem Belieben die Ausländer zu inhaftieren, in Detention zu nehmen, rein auf dem Verwaltungswege, auch wenn sie keinerlei strafbare Handlungen begangen haben, und dann liegen sie ohne jegliche Garantie, ohne jeglichen Schutz in der Hand der Polizei. Sie nimmt sich das Recht heraus, Durchsuchungen bei ihnen vorzunehmen, Beschlagnahmen bei ihnen durchzuführen, ohne die Garantien, die bei strafbaren Handlungen in der Strafprozessordnung für solche Fälle vorgesehen sind. Das geht so weit, dass wir oft bereits in Versuchung gekommen sind, Ausländern, die bei uns so in die Fänge der preußischen Polizei geraten sind, zu raten: Begeht irgendein kleines Delikt, dann kommt ihr wenigstens auf Grund der Strafprozessordnung in die Hände der Staatsgewalt, und dann habt ihr die Garantien der Strafprozessordnung auf eurer Seite! So liegt die Geschichte mit den Ausländern heute, und wer das nicht weiß, hat einfach geschlafen.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Im Übrigen weise ich darauf hin, dass für ausländische Arbeiter durch den Legitimationszwang noch eine ganz besondere Folter eingerichtet worden ist. Die ganze Art, wie bei uns die ausländischen Saisonarbeiter behandelt werden, wie dieser Arbeiterlegitimationszwang durchgeführt wird, gehört zu den traurigsten Kapiteln der deutschen Politik. Wenn ich daran denke, dass ein verheirateter Goldarbeiter, der Jahrzehnte in Deutschland gelebt und seinen Beruf als Goldarbeiter ausgeübt hatte, die Aufforderung bekommt, binnen vierzehn Tagen Landarbeit anzunehmen, sich bei der Landarbeiterzentrale zu melden,

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

widrigenfalls er als Österreicher aus Deutschland ausgewiesen würde, ich meine, wenn man an derartige Fälle denkt, vergeht einem die Neigung zu Scherzen, es sei denn, dass man an der moralischen Perversität leidet, von der ich vorhin gesprochen habe.

(Lachen rechts. – „Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Gerade die Tatsache, dass sich die Ausländer bei uns in Deutschland in einer so ungeheuer ungünstigen Lage befinden und dass dennoch die Ausländer Deutschland brauchen auf Grund eines Interesses, das wir durchaus berücksichtigen müssen und dass auch wir die Ausländer in Deutschland brauchen: Gerade mit Rücksicht auf diese Stellung der Ausländer, die wir so in Deutschland brauchen, gerade mit Rücksicht auf ihre außerordentlich ungünstige Rechtslage, ist es von doppelter Bedeutung, dass die Bestimmungen über den erstmaligen Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit einer gründlichen Revision unterzogen werden.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Es stehen in der Praxis der Naturalisation neben diesen armen-pflegerisch-fiskalischen Gesichtspunkten, trotz aller gesetzlichen Bestimmungen, in allererster Linie politische Gesichtspunkte im Vordergrund. Die Arbeiter, besonders Industriearbeiter, nimmt man ja auch um deswillen in Deutschland als Ausländer nicht gern auf, weil man vermutet, dass sie Sozialdemokraten sind; und davon hat man genug in Deutschland, so denkt man.

(„Sehr richtig!" rechts. – Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.)

Gewiss, es werden aber noch viel mehr werden. Ja, dass Ihnen (rechts) das unangenehm ist, das macht uns Freude. „Dem einen sin Uhl ist dem andern sin Nachtigall." Schon deshalb mag man die Arbeiter bei uns nicht. Aber ganz allgemein wird – besonders in Preußen – allen denjenigen die Naturalisation versagt, die sich irgendwie verdächtig gemacht haben, politisch oder religiös unbequemen Bestrebungen nachzugehen. Man braucht dabei nicht Sozialdemokrat zu sein. Das ist ja selbstverständlich, dass bei uns in Deutschland bei der jetzigen Rechtslage ein Sozialdemokrat niemals darauf rechnen kann, insbesondere in Preußen nicht, naturalisiert zu werden. Aber das gleiche gilt bereits von solchen, die sich nur gewerkschaftlich organisieren; denen wird die Aufnahme in den deutschen Staatsverband fast grundsätzlich verweigert. Ja, man geht noch weiter: Mit Rücksicht darauf, dass die Angehörigen gewisser auswärtiger Staaten an und für sich als politisch bedenklich gelten, wird ihnen als Angehörigen dieser Staaten fast allgemein, selbst wenn sie wohlhabend sind, und selbst wenn sie eine gewisse Fürsprache aufweisen können, dennoch die Naturalisation verweigert. Das gilt insbesondere von den Angehörigen des russischen Staates; mögen sie selbst Angehörige der sogenannten besseren Stände, der wohlhabenden Stände sein, sie bekommen in den allerseltensten Fällen die Aufnahme.

Es wäre sehr wünschenswert, wenn die Reichsregierung uns eine Statistik über die Zahl der Naturalisationsgesuche und über die Art, wie diese Naturalisationsgesuche behandelt worden sind, vorlegen würde. Dann würden wir sehen, wie die Behörden dem ungeheuren Bedarf nach Naturalisation in Deutschland kaltlächelnd ablehnend gegenüberstehen.

Aber ich kann noch auf etwas anderes aufmerksam machen, was von großem Interesse ist. Ich habe einen Fall kennengelernt, der sich in Charlottenburg abgespielt hat. Da handelte es sich auch um einen russischen Angehörigen, der in den deutschen Staatsverband aufgenommen worden ist. Was waren es für Qualitäten, die ihn dazu geeignet erscheinen ließen? Wie wir aus dem Studium der Akten entnahmen, handelte es sich um einen Ausländer, der der deutschen Polizei Spitzel- und Denunziantendienste geleistet hatte,

(Lebhafte Rufe: „Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

der von der deutschen Polizei ausgehalten wurde. Dieser russische Staatsangehörige war würdig, deutscher Reichsangehöriger zu werden. „Civis germanus sum" – kann der Herr jetzt sagen,

(Lebhafte Zurufe von den Sozialdemokraten.)

der Polizeispitzel! „Civis germanus sum!" Ich bin überzeugt, dass die Reichsregierung auf diesen Staatsbürger stolz ist.

Ich habe hier auf diese Missstände hingewiesen. Sie deuten darauf hin, wo in der Tat vor allem Abhilfe not tut.

Meine Herren, unser jetziges Gesetz ist gar nicht so schlecht; es ist so schlecht, wie es die Praxis zeigt, nicht durch sich selbst, sondern durch die Anwendung, die es von Seiten unserer Regierung, unserer Behörden gefunden hat.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Wenn der Grundsatz des Paragraphen 26, der Grundsatz des Paragraphen 7, von dem ich vorhin sprach, – wie man uns heute glauben machen möchte – bereits den deutschen Staatsregierungen in Fleisch und Blut übergegangen ist, so dass sie nun endlich dem dringenden Bedürfnis und dem inneren Drange gehorchend sich entschlossen haben, das Gesetz vorzulegen – ei, sie waren ja bereits in der Lage, in jedem einzelnen Falle aus ihrer eigenen Befugnis heraus die Aufnahme in den deutschen Staatsverband zu erteilen; es lag an ihnen, wenn sie es versagt haben. 2All die Kleinlichkeiten, die ich vorhin erwähnte, sind nicht auf Grund eines gesetzlichen Zwanges ausgeübt worden, sondern auf Grund der Willkür der Verwaltungsbehörden in den verschiedenen deutschen Bundesstaaten.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Deshalb sehen wir darin die Wurzel des Übels. Es gilt, die magistratliche Willkür, die Willkür der Verwaltungsbehörden in diesem Gesetz nach Möglichkeit auszuschalten, und zwar einmal auf armenpflegerisch-fiskalischem Gebiet und dann auf dem Gebiet der Politik, Sozialpolitik usw.

Meine Herren, das ist das Allerwesentlichste, was uns bei der Durcharbeitung des Gesetzes beschäftigen muss. Es ist allerdings verteufelt schwer – das gebe ich gern zu –, Kautelen zu treffen; denn es ist natürlich nicht möglich, alle Einzelfälle kasuistisch gesetzlich zu regeln. Aber wir haben nun einmal eine solche Polizei bei uns in Deutschland und speziell in Preußen, der wir nicht über den Weg trauen können. Wenn wir in einem freien Staate lebten, in einem Staate, der nicht Polizeistaat ist wie der unsrige, so würden wir nicht nötig haben, auf derartige Bestimmungen zu dringen. Es wird gerade um deswillen nötig sein, dafür zu sorgen, dass wir generelle Rechte bezüglich des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit schaffen.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Es wird nötig sein, dass wir insbesondere denen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, auch wenn sie Kinder von Ausländern sind, ohne weiteres das Recht geben, deutsche Reichsangehörige zu werden. Dann würde endlich auch einmal aufgeräumt werden mit dem so außerordentlich traurigen Kapitel der dänischen Heimatlosen und anderen Heimatlosen, von denen wir immer hören. Sie haben sicherlich in der Presse gelesen, wie immer und immer wieder solche armen heimatlosen Leute herum gehetzt werden durch die Polizei in den Ost- und Nordmarken.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Das gerade zeigt von neuem, dass der Feind, den es jetzt durch das neue Gesetz zu bekämpfen gilt, nicht so sehr das frühere Gesetz ist, als die Verwaltungswillkür in Deutschland, insbesondere in Preußen.

Meine Herren, es muss nicht minder eine Bestimmung getroffen werden, wonach diejenigen, die in Deutschland ihrer Militärpflicht genügt haben und an Kriegen teilgenommen haben, das Recht haben, deutsche Staatsangehörige zu werden. Es ist das eine ständige Klage – ich habe eine Anzahl Fälle bei mir; die Leute haben in Deutschland gedient, haben oft gar einen Krieg mitgemacht – und sie bekommen keine deutsche Reichsangehörigkeit.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Natürlich verlieren sie auch das Recht der Veteranenbeihilfe und alle solche Dinge. Das ist eine solche Kleinlichkeit,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

die geradezu zum Himmel schreit. In einem der mir soeben vorliegenden Fälle tritt klar zutage, dass die Versagung wesentlich deswegen erfolgt, weil der Betreffende irgendwie politisch verdächtig ist. Jemand, der sein Blut verspritzt hat oder zu verspritzen bereit war für das Deutsche Reich, der sollte schon dadurch allein das Recht erwerben,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

dass er nunmehr auch deutscher Reichsangehöriger wird; und ein Staat, der so die Dienste des Betreffenden an Gut und Blut angenommen hat, sollte es als nobile officium ansehen, dem Betreffenden den Weg zu ebnen, und sollte nicht aus kleinlichen politischen Gesichtspunkten und aus Ranküne heraus ihm die Möglichkeit versagen, deutscher Reichsangehöriger zu werden, ja, ihn gar ausweisen.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Selbstverständlich ist auch, dass wir in noch weiterem Umfange, als ich es eben bereits gesagt habe, fordern, dass Ausländern ein Recht gegeben wird. Es müssten meiner Ansicht nach die Versagungsgründe genau festgelegt werden, und zwar so, dass sie nicht allzu sehr durch Verwaltungswillkür, auch nicht einmal in Preußen, wo man ja nach dieser Richtung hin besonders talentiert ist,

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

gebeugt und gedeutelt werden können. Es wird auch wichtig sein, zu bestimmen, dass, sofern diese Versagungsgründe nicht vorliegen, ein Recht besteht, ein generelles Recht auf Erwerb der deutschen Reichsangehörigkeit; sonst werden wir mit dem jetzigen Zustand bei uns in Deutschland einfach nicht fertig.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Hierfür einen Weg zu finden, ist natürlich schwer; aber ich hoffe, dass in der Kommission die Möglichkeit gegeben sein wird.

Besonders wichtig ist, dass wir Bestimmungen treffen, durch die auch die Instanzen, die das Gesetz vorsieht, anders gestaltet werden. Es ist hier ungeheuer viel in die Hände des Reichskanzlers, irgendeiner Verwaltungsbehörde der Bundesstaaten oder dergleichen gelegt. Es wird zu prüfen sein, ob nicht gerichtliche Instanzen, von der Verwaltung unabhängige Instanzen, zu schaffen sind, die die hier fraglichen Entscheidungen zu treffen haben.

Meines Erachtens sollte auch die Bestimmung des Paragraphen 23 ausgeschaltet werden, wonach die Militärbehörde bei einer etwaigen Wiederaufnahme in den Staatsverband mitzuwirken unbedingt berechtigt ist, sofern es sich um einen früheren Militärflüchtigen handelt. Meine Herren, das bedeutet doch eine Kapitulation unserer Zivilbehörden gegenüber den Militärbehörden.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Soll man denn unseren Zivilbehörden nicht zutrauen, dass sie selbst imstande sein werden, das Interesse des Reiches und Staates genügend in Rücksicht zu ziehen? Es ist doch höchst bedauerlich, dass die Zivilbehörden nicht den Stolz besitzen, den sie besitzen müssten, dass sie sich nicht selbst für Manns genug halten, derartige Dinge zu entscheiden.

Ich will noch einen Punkt in diesem Zusammenhange erwähnen, nämlich den Kostenpunkt. Gegenwärtig ist es ja den einzelnen Bundesstaaten überlassen, welche Kosten sie für die Naturalisation erheben. In mancher Beziehung sind im gegenwärtigen Gesetz Bestimmungen getroffen, aber gerade nicht in Bezug auf die wesentlichsten Kosten. Vielfach bildet schon der hohe Kostenbetrag, den die Naturalisation erfordert, eine unübersteigbare plutokratische Schranke für die Ausländer, die deutsche Reichsangehörigkeit zu erwerben.

Dann komme ich zu einem Punkt, der von allergrößter Bedeutung ist. Ich kann fast sagen, ich habe mich etwas gewundert, dass der Herr Staatssekretär bei seinen Ausführungen auf diesen Punkt eingegangen ist, weil ich geglaubt hatte, die Reichsregierung würde den Versuch machen, in dieser Beziehung ein klein wenig Versteck zu spielen.

Meine Herren, nach Paragraph 7 ist die Aufnahme in den deutschen Reichsverband künftig dem einzelnen Bundesstaat nur gestattet bei Zustimmung des Bundesrats. Meine Herren, eine deutsche Reichsangehörigkeit zu schaffen wagt man nicht; man behilft sich mit der Halbheit der Staatsangehörigkeit, durch die die Reichsangehörigkeit erworben wird. Aber hier sucht man auf dem Umweg dennoch eine Zentralisation einzuführen.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, der Reichsgedanke ist ja bei der Reichsregierung einigermaßen beliebt, aber doch auch nicht mehr, als diejenigen Grenzen ihr vorschreiben, die ihr von Preußen gesetzt werden,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

und in Preußen ist der Reichsgedanke sehr wenig beliebt.

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

Dann und wann wird ja der Reichsgedanke durchgeführt, zum Beispiel wenn es sich um die Lotteriegemeinschaft handelt;

(Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.)

da wird die preußische Lotterie nach Süddeutschland übertragen, – eine ungeheure kulturelle Errungenschaft, an der wir natürlich unser größtes Vergnügen haben. Aber wenn es sich darum handelt, eine Reichseisenbahngemeinschaft durchzuführen, da erhebt sich im preußischen Abgeordnetenhaus sofort eine Opposition von geradezu leidenschaftlicher Gewalt. Man will eben die Sicherheit der eigenen preußischen Finanzen aufrechterhalten, man will von dem sicheren Port der gut geordneten preußischen Finanzen aus den Reichsgedanken beschießen und berennen können. Und so ist sogar die preußisch-hessische Eisenbahngemeinschaft in Preußen, besonders bei den preußischen Konservativen, sehr unbeliebt, ja geradezu verhasst. Ebenso wenig gelingt es, eine deutsche Reichsgemeinschaft in Bezug auf das Wahlrecht durchzuführen. Es wäre doch wahrhaftig dringend notwendig, dass wir entsprechend den Anregungen, die von verschiedenen Parteien gegeben sind, endlich einmal dafür sorgen, dass eine Einheitlichkeit des Deutschen Reiches hinsichtlich des Wahlrechts geschaffen wird.

Wenn wir nun plötzlich bei der jetzigen Vorlage sehen, dass die Reichsregierung dem Reichsgedanken in gewissem Sinne, wenn auch verklausuliert, Rechnung trägt, da kommen wir notwendig auf den Gedanken, es müsse etwas nicht ganz stimmen, das habe eine Hintertür. Meine Herren, das ist ja auch vollkommen klar, das fühlt ein Blinder mit dem Krückstock, was die Reichsregierung mit dieser Bestimmung gewollt hat. Es handelt sich nicht etwa darum, dass vielleicht aus Süddeutschland an Preußen die Anforderung gestellt ist, Preußen möge künftig nicht mehr ohne Einwilligung Süddeutschlands Ausländer aufnehmen, sondern es handelt sich kurz gesagt um eine weitere Verpreußung Deutschlands. Preußen wünscht, dass die Einfallspforte für Ausländer geschlossen werde, die bisher in Süddeutschland bestanden hat. Die preußische Regierung kann sich nicht abfinden mit dem Gedanken, dass ihr trotz ihrer besseren Fähigkeit zur Beurteilung der politischen Stubenreinheit irgendein Ausländer von Süddeutschland aus in den Pelz hineingesetzt werden kann, der dann nicht mehr aus Preußen ausgewiesen werden kann. Das liegt ganz klar auf der Hand, und alles Bestreiten von selten der Reichsregierung würde nicht das geringste beweisen; wir können uns selbst den Vers darauf machen. Es ist auch eine Verpreußung Deutschlands, die in dieser Beziehung angestrebt wird. Denn schließlich läuft die ganze Sache darauf hinaus, dass künftig die kleineren deutschen Bundesstaaten nicht, mehr das Recht haben sollen, ohne Zustimmung der preußischen Zentralregierung Ausländer zu naturalisieren. Diese Bestimmung muss unbedingt ausgeschaltet werden. Wenn diese Bestimmung nicht ausgeschaltet wird, dann mag das ganze Gesetz fallen. Das sind wir geradezu unserm Ansehen in der Welt schuldig.

Ebenso halte ich, und zwar aus einem verwandten Gesichtspunkt, die Bestimmung des Paragraphen 22 für höchst bedenklich, die die Gleichzeitigkeit der Staatsangehörigkeit in verschiedenen Bundesstaaten beseitigen will. Diese Mehrstaatlichkeit hat natürlich gewisse Unzuträglichkeiten im Gefolge, das gebe ich gern zu. Ich selbst habe das Vergnügen, zwei verschiedenen deutschen Bundesstaaten anzugehören, und weiß daher Bescheid. Aber wir haben in den verschiedenen deutschen Bundesstaaten so ungeheuer verschiedene politische Zustände im Punkte Polizeiwirtschaft, Wahlrecht und dergleichen, dass wir es nicht übers Herz bringen können, den Vorteil, den gegenwärtig die Angehörigen anderer Bundesstaaten haben, ihnen zu entziehen, wenn sie nach Preußen übersiedeln und die preußische Staatsangehörigkeit erwerben. Besonders wichtig wird es sein, diese Bestimmung um deswillen zu modifizieren, weil es ja in unsern deutschen Bundesstaaten bisher keineswegs durchgeführt ist, dass alle Deutschen, auch die Angehörigen anderer deutscher Staaten, auf Grund des gemeinschaftlichen deutschen Indigenats berechtigt sind, alle staatsbürgerlichen Rechte, zum Beispiel das Staats- und Gemeindewahlrecht, auszuüben. Es gibt ja einige Bundesstaaten, die auch die deutschen „Ausländer" an diesem Recht teilnehmen lassen, zum Beispiel Oldenburg; aber es ist durchaus nicht allgemein durchgeführt, und schon um deswillen, meine ich, soll man diese Entrechtung – darauf läuft es hinaus – vermeiden. Auch wegen des unausgesetzten Arbeiterwechsels über die verschiedenen deutschen Grenzen lässt sich diese Bestimmung mit Rücksicht auf die Interessen der Arbeiter kaum rechtfertigen.

Es ist ja nun allerdings nicht bestimmt, dass der Verlust unbedingt eintreten muss, man kann ja durch eine bestimmte Manipulation erreichen, dass man doch noch Angehöriger in mehreren Bundesstaaten bleibt. Aber solche Manipulationen sind nicht sehr bequem, und gerade die unteren Schichten der Bevölkerung, die wir in erster Linie zu vertreten haben, sind in der Erledigung solcher Formalitäten nicht so bewandert; sie würden am schlechtesten dabei wegkommen. Deshalb können wir uns mit dieser verklausulierten Abschaffung der gleichzeitigen Staatsangehörigkeit in verschiedenen deutschen Bundesstaaten nicht einverstanden erklären.

Ich bin damit am Ende meiner Ausführungen angelangt, die ich auf das Allerwesentlichste beschränkt habe. Die Prinzipien, die wir in Bezug auf dieses Gesetz vertreten, glaube ich mit gehöriger Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht zu haben. Es wird notwendig sein, zur Beratung des Entwurfs eine Kommission einzusetzen, und ich möchte mir erlauben, Ihnen zu diesem Behufe eine Kommission von 28 Mitgliedern vorzuschlagen. Wir hoffen, dass diese Kommission eine Arbeit leisten wird, die es uns ermöglicht, dem Entwurf unsere Zustimmung zu geben. Wir hoffen, dass sie die von mir gekennzeichneten gefährlichen Bestimmungen ausschaltet und ihm andere wichtige Bestimmungen, die der Entwurf nicht enthält, hinzufügt, so dass das Gesetz die Vorschusslorbeeren verdienen wird, die der Herr Staatssekretär heute schon dem Entwurf gespendet hat. Und wir hoffen, dass – durch Ausscheidung aller polizeilich kleinlichen Beimischung – ein wirklich berechtigter Stolz auf die deutsche Reichs- und Staatsangehörigkeit, die so in ihrem Wert beträchtlich steigen könnte, erleichtert werde durch die Gestalt, die der Entwurf in der Kommission erhält.

(Lebhaftes Bravo bei den Sozialdemokraten.)

1 Im Jahre 1866 wurde Hannover in den preußischen Staat einverleibt. Die Red.

2 Die beiden folgenden Sätze (bis „Wurzel des Übels.“) fehlen in den „Reden und Schriften“

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