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Karl Liebknecht 19121204 Hilfe für die kleinen Winzer

Karl Liebknecht: Hilfe für die kleinen Winzer

Reden im preußischen Abgeordnetenhaus zu einer Interpellation des Zentrums1

I

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, V. Session 1912/13, 6. Bd., Berlin 1913, Sp. 8450-8453, 8460 f. und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 5, S. 435-442]

Meine Herren, ich bin etwas erstaunt darüber, dass dem Herrn Landwirtschaftsminister von verschiedenen Rednern wohlwollende Beurteilung der Frage nachgesagt worden ist, und ich bin nicht minder erstaunt darüber, dass man meint, der Herr Landwirtschaftsminister habe nachgewiesen, dass der Notstand tatsächlich nicht bestehe.

Die Art, wie der Herr Landwirtschaftsminister den letzteren Nachweis zu führen versucht hat, verdient etwas unter die Lupe genommen zu werden. Der Herr Landwirtschaftsminister mag vielleicht ganz zutreffend – ich bin nicht in der Lage, die Grundlage nachzuprüfen – ausgerechnet haben, dass insgesamt etwa 8,1 bis 10,8 Millionen im Bezirk der Mosel usw. herausspringen werden. Er vergleicht nun diesen Betrag ausgerechnet mit dem des Jahres 1909, das er selbst als ein außergewöhnlich ungünstiges Jahr bezeichnet, und kommt zu dem Ergebnis, dass das Jahr 1912 eigentlich gar kein Notstandsjahr sei, da es ja vielleicht schon eine bessere Ernte gebracht hat als – 1909. Es ist um so erstaunlicher, dass der Herr Minister sich zu solchen Schlussfolgerungen bekannt hat, da er ja selbst es für erforderlich gehalten hat, aus den Jahren 1909 bis 1911 einen Durchschnitt zu ziehen, einen Durchschnitt, den er um deswillen als gerecht bezeichnet hat, weil in diesen Zahlen sowohl 1909 als ein sehr schlechtes Jahr wie 1911 als ein sehr günstiges Jahr enthalten seien. Es ergibt sich doch zur Evidenz, dass er die daraus ermittelte Durchschnittszahl allein seiner Beurteilung hätte zugrunde legen können; und wenn er damit die Ziffern 8,1 bis 10,8 Millionen verglichen hätte, dann läge es auf der Hand, dass die Behauptung, dass man einer äußerst ungünstigen Ernte gegenüberstehe, auch durch die Ausführungen des Landwirtschaftsministers bewiesen worden ist.

Meine Herren, es ist von Wichtigkeit, gerade den Zusammenhang der gesamten Wirtschaftslage des Winzerstandes zu betrachten, und die Darlegungen des Herrn Abgeordneten Wallenborn sind ja in dieser Beziehung nahezu erschöpfend gewesen. Es ist richtig, dass es sich hier nicht um eine einmalige, vorübergehende Erscheinung handelt; der Notstand der Winzer ist in diesem Hause bereits recht häufig erörtert worden. Es ist in der Tat eine große Zahl von einzelnen Umständen zusammengekommen, um die wirtschaftlichen Schwierigkeiten für diesen Stand zu steigern. Man darf nicht verkennen, dass alle die einzelnen Nachteile, unter denen der Winzerstand in den letzten Jahren gelitten hat, dazu geführt haben, diesen Stand, den ganzen Erwerbszweig, dermaßen zu schwächen, dass er nicht mehr fest auf den Beinen steht und bei jeder zufälligen Erschütterung, die eintritt, bei jeder Notlage, bei jeder außergewöhnlichen Ungunst der Witterung sofort den Halt verliert und in der Tat in eine außerordentlich kritische Situation gerät. Nur so kann man es verstehen, dass die Hagelschäden des vergangenen Jahres zu dem Antrage Engelsmann geführt haben, den wir im vergangenen Mai hier zu erörtern gehabt haben, und nur so kann man es verstehen, wenn die Frostschäden jetzt zu dieser Interpellation Anlass gegeben haben.

Der Herr Landwirtschaftsminister hat darauf hingewiesen, dass ja auch andere Zweige der Landwirtschaft – um einmal diesen allgemeinen Ausdruck zu gebrauchen – ungünstige Verhältnisse aufweisen und besonders unter dem Frost gelitten hätten. Ja, meine Herren, das will ich vollkommen dahingestellt sein lassen; aber ein besonderer Anlass, gerade für die Winzer eine Aktion einzuleiten, ist gegeben durch die ganz besonderen Erschütterungen der wirtschaftlichen Grundlagen des Winzerstandes, die im Einzelnen dargelegt worden sind. Der Herr Landwirtschaftsminister hat, soviel man gehört hat, früher eine günstigere Haltung zu den Ansprüchen und Wünschen der Winzer eingenommen. Er hat sich heute darauf beschränkt, die Winzer mit der Hoffnung zu trösten, dass sie sich ja aus eigener Kraft aus der schwierigen Situation, in der sie sich gegenwärtig befinden, heraus helfen könnten, und er hat ihnen empfohlen, sich damit zu trösten, dass ja auch in anderen Gebieten die Landwirtschaft an Schwierigkeiten leide. Ja, meine Herren, so wahr es ist, dass nach dem alten Sprichwort geteiltes Leid halbes Leid ist, so wenig kann durch einen derartig wohlfeilen Rat einem wirklich vorhandenen Notstande gesteuert werden. Die Aufforderung an die Winzer, sich selbst zu helfen, dann werde ihnen Gott helfen, ist meiner Ansicht nach deplatziert bei einer landwirtschaftlichen Verwaltung, die keine solche Gleichgültigkeit zeigt, wenn es sich darum handelt, im Interesse derer einzutreten, die es am wenigsten nötig haben, dass ihnen von Staats wegen geholfen wird, der Großgrundbesitzer. Wir haben es bei den Winzern allerdings auch mit gewissen wohlhabenden Kreisen zu tun; es gibt sehr kapitalkräftige Winzer, und es ist ja auch wohl mit Recht in diesem Hause der Staat als der größte preußische Winzer bezeichnet worden. Natürlich wird niemand daran denken, und wir am allerwenigsten, den großen, kapitalkräftigen Winzern irgendwie beistehen zu wollen; die sind imstande, sich selbst zu helfen, und als in der Debatte vom 15. Mai die Regierung darauf hinwies, dass unter den Winzern sehr kapitalkräftige Personen seien und dass man infolgedessen nicht schlechthin nach der Höhe des Schadens unterschiedslos Darlehen, Geschenke usw. gewähren könne, haben wir dem vollkommen beigestimmt. Es kann sich ausschließlich darum handeln, dass den wirtschaftlich schwachen Kreisen innerhalb der Winzerschaft Beistand geleistet werde, und da scheint mir doch, dass die Ablehnung, die der Herr Landwirtschaftsminister heute ausgesprochen hat, sachlich nicht gerechtfertigt ist. Es handelt sich um eine Schädigung, herbeigeführt durch höhere Gewalt, und für solche Schädigung muss nach unserer Auffassung aus öffentlichen Mitteln eingetreten werden; und wir erheben um so mehr Anspruch, dass hier aus öffentlichen Mitteln eingegriffen wird, weil es sich um wirklich wirtschaftlich geschwächte Existenzen handelt, die es dringend notwendig haben, dass ihnen beigestanden wird. Meine Herren, selbstverständlich ist damit die ganze Frage, um die es sich hier handelt, nicht gelöst, denn wenn heute den Winzern beigestanden wird, und im nächsten Jahre kommt Dürre oder Hagelschlag oder Nässe oder Frost, dann kommen sie im nächsten Jahre wieder und sind nicht imstande, sich über Wasser zu halten.

Meine Herren, wie schlimm es in dieser Beziehung bestellt ist, beweist ja die Petition, die uns aus Geisenheim zugegangen ist über die Einschätzung der Winzer. Daraus geht hervor, dass die Winzerschaft sich außerstande fühlt, den Wirkungen unseres gegenwärtigen Einschätzungssystems standhalten zu können, die sich besonders schmerzhaft bei diesem Erwerbszweig äußern, dessen Einnahmen jährlich einem ungeheuren Wechsel unterworfen sind, so dass häufig für ein günstiges Jahr der Vergangenheit in einem gegenwärtigen Jahre ungünstiger wirtschaftlicher Lage hohe Steuern bezahlt werden müssen. Meine Herren, ich will nur bemerken, dass ich diese Petition, soweit für die Bemessung der Steuer ein dreijähriger Durchschnitt gefordert wird, für durchaus gerechtfertigt halte, während ich ihr Im Übrigen nicht beistimmen kann.

Es muss aber, meine Herren, die Frage aufgeworfen werden: Wie kann dieser Erwerbszweig, der für uns notwendig ist, auf die Dauer auf feste Füße gestellt werden? Und in dieser Beziehung, meine Herren, scheint es mir doch an jedem großzügigen Reformvorschlage zu fehlen. Man kann doch durch irgendeine Abänderung des Weingesetzes da nicht Abhilfe schaffen. Wenn daher jetzt aus Winzerkreisen eine Abänderung des Paragraphen 3

(Zuruf.)

ja, vielleicht noch mehr aus Händlerkreisen; aber lassen wir das dahingestellt – im Sinne einer Erweiterung des Rechtes auf Verzuckerung, das heißt, ich will es einmal deutlich sagen: Fälschung des Weines gefordert wird, auf der anderen Seite eine Verschärfung des Paragraphen 7, was eine verschärfte Kontrolle gerade zur Reinhaltung des Weines bedeuten würde, so kann man doch nicht verkennen, dass darin ein Widerspruch liegt; auf der einen Seite wollen diese Kreise eine größere Bewegungsfreiheit im Sinne der Verschlechterung des Weines, auf der anderen Seite durch den Deklarationszwang eine größere Sicherung für reinen Wein.

Meine Herren, wir sind selbstverständlich für eine Verschärfung des Paragraphen 7 zu haben, wie wir überhaupt für jede Verbesserung unserer Nahrungsmittelkontrolle zu haben sind, und wenn im Reichstage solche Anträge kommen werden, so werden wir selbstverständlich bereitwilligst auch dort für solche Abänderungen eintreten. Aber natürlich können wir uns für eine Abänderung des Paragraphen 3 nicht ins Zeug legen, und in dieser Beziehung kann ich mich nur den Ausführungen des Herrn Vorredners anschließen.

Es fragt sich aber, ob man hier eine organische Abhilfe schaffen kann. Im Grunde genommen handelt es sich um ein Stück aus der großen Frage der kleinen Landwirtschaft. Die Sache liegt ja so, dass die kleinen Winzer überschuldet, ohne genügende Kapitalkraft, wenn sie gerade imstande sind, sich von heute auf morgen über Wasser zu halten, irgendeinem Sturm des Wirtschaftslebens nicht trotzen können. Sie müssen also besser fundiert werden. Die wirtschaftlich Schwachen besser zu fundieren durch irgendwelche öffentlichen Maßregeln, öffentliche Abhilfe zur Verbesserung der kleinen und bedürftigen Landwirtschaft zu bewilligen, das hat stets innerhalb des Rahmens des sozialdemokratischen Agrarprogramms gelegen, und wenn in dieser Richtung von irgendeiner Seite Wünsche geäußert und von der Regierung Vorschläge gemacht würden, würden wir selbstverständlich gern einzugreifen bereit sein.

Es handelt sich um die Frage, ob man mit dem Genossenschaftsgedanken hier vielleicht einen Schritt weiter kommt. In Bezug auf die Winzergenossenschaften sind manche schlechten Erfahrungen gemacht worden; sie haben sich mehrfach überspekuliert und den Genossenschaftsgedanken in Bezug auf die Verwertungsgenossenschaften etwas diskreditiert. Ich glaube aber doch, dass die Schwierigkeiten, die sich hier ergeben haben, nicht andauern werden und dass der Genossenschaftsgedanke auch in dem Weinbergsbetriebe und in der Verwertung der Weinbergsprodukte einen immer größeren Anhang gewinnen wird. Ich meine, dass wir nicht nur die Verwertung der Weinbergsprodukte auf genossenschaftlichem Wege zu fördern hätten, sondern dass auch in weitem Umfange genossenschaftlicher Zusammenschluss bei der Weinproduktion selbst am Platze sein würde, dass hier in weitem Umfange das Heil im genossenschaftlichen, gemeinsamen Betriebe liegen dürfte.

Es ist ja bekannt, meine Herren, dass in Süddeutschland, zum Beispiel in Württemberg, die Genossenschaften gerade auf diesem Gebiete – zum Teil wohl aus alten agrarkommunistischen Wurzeln entwachsen – noch ein ziemlich breites Feld haben. Inwieweit bei uns in Preußen besondere Umstände eine einfache Übertragung dieser Einrichtung verhindern, das zu beurteilen entzieht sich meiner Kenntnis. Immerhin wäre es dringend erwünscht, wenn die Regierung aus Anlass dieser verschiedenen Interpellationen, Anträge, Petitionen usw., die immer wieder an das Haus gelangen, endlich einmal zu einer genauen statistischen Erhebung über die gesamte Lage der Winzer und auch speziell der genossenschaftlichen Entwicklung auf diesem Gebiete schreiten würde. Es wird sich dann deutlicher herausstellen, als das bei solchen abrupten Einzelerörterungen der Fall sein kann, wo hier die Wurzel des Übels liegt und wo mit staatlicher Hilf e eingesetzt werden kann, um diesen kleinen Leuten mal kräftig beizustehen, die in der schwersten Arbeit und unter der größten Abhängigkeit von der Witterung eine höchst qualifizierte Arbeit zu leisten versuchen.

Meine Herren, wir können die Beantwortung der Interpellation durch den Herrn Landwirtschaftsminister nicht als eine hinreichende betrachten. Wir sind der Ansicht, dass der Herr Landwirtschaftsminister Veranlassung hätte, sich erheblich entgegenkommender zu zeigen, als er sich tatsächlich gezeigt hat, und wir halten es für durchaus erforderlich, dass der Herr Landwirtschaftsminister auf der Grundlage erneuter Untersuchungen und Erhebungen zu dem Ergebnis kommt, dass die Auffassungen, die bisher seine Stellung bestimmt haben, durchaus nicht gerechtfertigt sind. Ich glaube, dass der Herr Landwirtschaftsminister nötig hat, seine eigenen heutigen Ausführungen noch einmal durchzuprüfen, und dass er dann sofort erkennen wird, wie seine gesamten Schlussfolgerungen aufgebaut sind auf einer durchaus unrichtigen statistischen Erfassung des Übelstandes und dass im Grunde genommen die Zahlen, die er anführt, beweisen, dass die Interpellanten im Recht sind und dass der Herr Landwirtschaftsminister helfen müsste, nicht aber beiseite treten, wie er es heute getan hat.

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

II

Persönliche Bemerkung

Der Herr Landwirtschaftsminister hat mich angegriffen wegen meiner Bemängelung seiner Statistik. Der Herr Landwirtschaftsminister hat, von allem anderen abgesehen, nicht beachtet, dass seit dem Jahre 1909 sich die Verhältnisse in der Winzerei sehr verschlechtert haben, besonders durch die Verschuldung, die von dem Herrn Kollegen Wallenborn genau nachgewiesen worden ist. Der Herr Landwirtschaftsminister hat schließlich das Wort „Gottvertrauen" hier in die Debatte geworfen. Ich weiß nicht, wie er dazu gekommen ist.

(Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident Dr. Porsch: Herr Abgeordneter, das ist doch keine persönliche Bemerkung.

Liebknecht: Gewiss, der Herr Landwirtschaftsminister hat mir persönlich vorgeworfen, dass ich irgendwelche agitatorische Absichten verfolgte, und hat geglaubt, den Winzerstand meinen Verlockungsversuchen gegenüber dadurch als gefeit bezeichnen zu können, dass er ihm ein besonderes Gottvertrauen attributierte. Ich möchte nur das eine bemerken, dass es sich hier nicht um Gottvertrauen handelt, sondern um das fehlende Vertrauen zum Landwirtschaftsministerium.

(Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident Dr. Porsch: Das ist keine persönliche Bemerkung; das sind sachliche Ausführungen. Das kann ich als persönliche Bemerkung nicht zulassen.

Abgeordneter Liebknecht: Dann zur Geschäftsordnung!

Dasselbe dürfen Sie auch zur Geschäftsordnung nicht sagen. Nachdem die Debatte geschlossen ist, dürfen Sie sachlich die Debatte nicht wieder aufnehmen.

Liebknecht: Ich will nur das eine bemerken, dass ich nicht annehmen kann, dass der Herr Landwirtschaftsminister sich selbst Gottähnlichkeit beilegt.

(Rufe rechts: „Pfui!“)

Vizepräsident Dr. Porsch: Herr Abgeordneter, das war nicht persönlich.

1 Die Anfrage lautete: „Welche Feststellungen hat die Königliche Staatsregierung vorgenommen über den Umfang des Notstandes, der in rheinischen Winzerkreisen infolge der jüngsten Frostschäden eingetreten ist? Was gedenkt die Königliche Staatsregierung zu tun, um diesem Notstande abzuhelfen?" Die Red.

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