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Karl Liebknecht 19120502 Künstlerisches Schaffen von Fesseln befreien!

Karl Liebknecht: Künstlerisches Schaffen von Fesseln befreien!

Rede im preußischen Abgeordnetenhaus in der zweiten Lesung des Etats der Bauverwaltung über den Neubau des Königlichen Opernhauses1

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, V. Session 1912/13, 4. Bd., Berlin 1912, Sp. 5157-5163 und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 5, S. 315-326]

Meine Herren, wir haben aus berufenem Munde soviel Ernstes, Gewichtiges und Einleuchtendes zu dieser Angelegenheit gehört, dass es vermessen sein würde, wenn wir uns bemühen wollten, dazu noch Wesentliches beizutragen. Indessen handelt es sich um eine Angelegenheit, die die Allgemeinheit, die das deutsche Volk interessiert, so dass wir nicht schlechthin sagen dürfen: Wir überlassen diese Sache den künstlerischen Fachleuten. Wir sind vielmehr berufen und verpflichtet, dazu auch unsere Meinung zu äußern. Wenn die Künstler für ihre Anschauungen nicht Resonanz in den breiten Massen der Bevölkerung und auch in den Parlamenten fänden, dann würden sie über den Wolken schweben und nicht erwarten können, dass ihre Stimme gehört wird.

Meine Herren, jeder von uns, die wir die bisherigen Entwürfe betrachtet haben, wird zunächst erstaunt vor der Uniformität dieser Entwürfe gestanden haben, die man sich anfangs gar nicht erklären konnte. Wenn man einigermaßen hinter die Kulissen zu sehen gewöhnt ist, kam man alsbald auf den Gedanken, dass ein zu eng gestellter Auftrag verhindert hat, dass die dazu berufenen Künstler sich einigermaßen frei betätigen konnten; in dem Vortrag, den Herr Geheimrat Saran uns am 6. März hier im Hause gehalten hat, ist das ja auch deutlich zum Ausdruck gekommen, und die unausgesetzten Klagen, die von den verschiedenen Künstlervereinigungen über den allzu engen ministeriellen Bauplan ausgesprochen worden sind, haben uns zur vollen Deutlichkeit gebracht, dass die Entwürfe in der Tat um deswillen so uniform ausgefallen sind, weil den Künstlern eine nennenswerte Bewegungsfreiheit in größerem Zuge überhaupt gar nicht gelassen war. Offenbar hat der Hof, hat die Krone hier von vornherein ihre künstlerischen Anschauungen aufoktroyiert, und dagegen haben wir allerdings mit allem Nachdruck zu protestieren.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Es sind ganz drollige Argumentationen vorgebracht worden, um uns klarzumachen, dass wir mit unserem beschränkten Untertanenverstande hier überhaupt gar nicht mitzureden hätten. Einmal ist auf die großen Schwierigkeiten hingewiesen worden, mit den künstlerischen Aufgaben des Opernhauses auch die Repräsentationsaufgaben zu verbinden; dann auf den außergewöhnlich großen Umfang, den das Haus wegen der großen Zahl der Zuhörer und Zuschauer haben müsse, und schließlich ist auf die Schwierigkeit hingewiesen worden, durch ein solches Gebäude die Aufgaben einer Wagner-Bühne zu erfüllen. Meine Herren, ich wüsste kein modernes Theater, das die Aufgaben der Wagner-Bühne nicht zu erfüllen hätte. Ich glaube, es wird heutzutage kein Theater mehr gebaut, wahrscheinlich schon seit mindestens einem Jahrzehnt und länger nicht mehr, das nicht die Aufgaben der Wagner-Bühne zu erfüllen hätte.

Das sind alles Argumente, die uns nur darin bestärken können, dass irgendwelche höfische Rücksichten und irgendwelche engherzige Auffassungen, die zunächst im Ministerium obgewaltet haben, zu dieser Gestaltung der Vorbereitungen geführt haben, die ja nun ziemlich allgemeine Verurteilung erfahren hat.

Wenn der Herr Minister heute gesagt hat, dass die Entwürfe eine sehr verschiedenartige Beurteilung gefunden hätten, bald lobend, bald absprechend, so kann man doch wohl die lobenden und die absprechenden Urteile nicht als gleichwertig betrachten: Weit überwiegend sind doch die absprechenden Urteile, und sie sind der Regel nach so grundsätzlich absprechend, so leidenschaftlich absprechend, dass wir darauf das allergrößte Gewicht zu legen haben, und wir dürfen wohl sagen: Gerade die Stimmen, die wir als die berufensten anzusehen haben, warnen davor, auf dem bisher von dem Ministerium der öffentlichen Arbeiten gegangenen Wege weiter zu schreiten.

Meine Herren, besonders charakteristisch an diesen Entwürfen – ich kann wohl sagen, dass es zu einer kulturellen Blamage Deutschlands führen müsste, wenn dieser Gedanke ausgeführt würde – ist der Versuch, die Mietshäuser an den Seiten anzuhängen. Der Herr Vorredner hat bereits darüber gesprochen, und auch die Künstlervereinigungen haben sich darüber ausgelassen, aber ich muss wahrhaftig sagen, da standen mir die Haare zu Berge,

(Heiterkeit.)

obwohl das bei mir nicht gar so leicht ist –, als ich schließlich herausbekam, was man mit den Bauten an den Seiten, deren Zweck mir zunächst gar nicht ersichtlich war, bezweckte.

Man sagt: Für Kulturaufgaben sind die nötigen Mittel vorhanden, Kulturaufgaben leiden nicht. Ja, meine Herren, hier ist eine Kulturaufgabe gestellt, an deren Erfüllung selbstverständlich alle Kreise der Bevölkerung, auch die von uns vertretenen, ein großes Interesse haben, und wenn die Staatsregierung sich entschließt, die künstlerischen Kräfte der Zeit voll zu entfalten, und etwas Großes, Bedeutsames zu schaffen, so wird sie die ganze Bevölkerung hinter sich sehen.

Es ist also ganz unzweifelhaft vollkommen unbegründet, hier in krämerhafter Weise an den Kosten zu sparen und zu versuchen, so wie man früher gelegentlich einmal Kirchen mit Würstelhäusern – Sie kennen ja das bekannte Nürnberger Bratwurstglöckli – verbunden hat, hier das Theater mit Mietskasernen zu verbinden. Es kann nur auf das Dringendste davor gewarnt werden, dass man solche vorgetäuschten Blendwände dem Publikum präsentiert; denn darauf läuft es hinaus, wenn man die Mietshäuser daneben in demselben Stile zu gestalten versucht, in dem das Theater gebaut ist. Es ist so recht eigentlich ein künstlerisches Sakrileg, das dabei begangen wird. Ein Kunstwerk muss aus seinem Zweck selbst herauswachsen und sich gestalten, und das Theater muss daraus seine Formen schöpfen; und nun sehen wir, wie daneben Mietskasernen mit vollkommen anderen Zwecken stehen, die dieselben Stilformen haben und sich in eine künstlerische Einheit zusammenfassen sollen mit dem Opernhaus. Das ist ein künstlerisches Sakrileg, und ich meine, dass man davon unter allen Umständen wird Abstand nehmen müssen. Die Kostenfrage hat dabei keine Rolle zu spielen.

Meine Herren, ich erinnere auch daran, wie in der Versammlung des Bundes der Architekten und anderwärts die ungenügende Breite der bisher zur Verfügung gestellten Fläche bemängelt ist. Es wird gerade durch die Beseitigung dieser Mietshäuser an den Seiten die Möglichkeit geschaffen werden, auch in Bezug auf die technische Erfüllung der Aufgaben des Opernhauses Besseres zu leisten, als das bisher bei dem beschränkten Platze möglich gewesen ist.

Meine Herren, wenn man vielfach an dem Platz Kritik geübt hat, so möchte ich meine unmaßgebliche Meinung dahin aussprechen, dass der Platz an sich ganz vortrefflich ist. Die vielfach in den Zeitungen geäußerten Auffassungen, dass durch das gegenüberstehende gewaltige Reichstagsgebäude gar leicht dieses Opernhaus erdrückt werden könnte, das niemals so massig wird gemacht werden können, kann ich als zutreffend nicht anerkennen. Meine Herren, wir müssen uns doch vergegenwärtigen, dass sich das Reichstagsgebäude in recht großer Entfernung von dem künftigen Opernhause befindet. Also ein Platz, bei dem die einzelnen Gebäude dermaßen aufeinander wirken würden, liegt bei den großen Dimensionen gar nicht vor.Dann aber soll ja das Opernhaus nicht allein stehen. Es ist ein Fehler, wenn man das Gebäude allein betrachtet, es soll hinein komponiert werden in den Tiergarten, und dieser prachtvolle Tiergarten mit seinen wundervollen Bäumen ist ein Gegenstück von ästhetisch mindestens gleichem Werte wie auf der anderen Seite das Reichstagsgebäude. Es wird infolgedessen durchaus kein Anlass vorliegen, etwa um des Interesses künstlerischer Symmetrie willen, Mietskasernen auf der Seite anzuklecksen oder irgendwelche anderen unkünstlerischen Manipulationen vorzunehmen.

Meine Herren, ich will mir versagen, hier davon zu sprechen, dass wir in Deutschland doch wahrhaftig auch noch andere Künstler haben als die hier zum Wettbewerb aufgefordert gewesenen, die sich bereits im Bau von Theatern bewährt haben: Ich will die Namen der Bruno Schmitz, Martin Düfer-Dresden, Oskar Kaufmann-Berlin, Birkenholz-München, Billing-Karlsruhe, Paul Trost-München hier nur eben in die Debatte hineinwerfen.

Sie entsinnen sich vielleicht, dass im Jahre 1908 beim Hoftheater-Bau in Stuttgart alle die künstlerischen Fragen, die gegenwärtig hier auftauchen, ausführlich erörtert worden sind, besonders in einer sehr interessanten Artikelserie in der „Württembergischen Zeitung". Meine Herren, diese Theaterfrage ist nicht nur eine technische Frage, wie sie leider von Seiten des Staatsministeriums bisher behandelt worden ist, sondern eine kulturelle und eine städtebauliche Frage ersten Ranges. Es ist die erste Forderung, die wir zu stellen haben, dass den Künstlern volle Stilfreiheit gewährt werden muss, volle Freiheit, sich in ihrer künstlerischen Auffassung auszuleben und zu gestalten, so dass Entwürfe geschaffen werden, die aus der Fülle der künstlerischen Kraft unserer Zeit geboren sind. Nicht aber darf von vornherein eine gebundene Marschroute gegeben werden, so dass die Künstler überhaupt nicht imstande sind, sich frei in ihren künstlerischen Individualitäten zu entfalten. Es ist natürlich auch notwendig, das Opernhaus in das allgemeine Stadtbild hinein zu konstruieren, und das wird – soweit bei dem verpfuschten gesamten Stadtbild von Berlin möglich – vortrefflich geschehen können auf dem Platze, der gewählt worden ist. Für die Masse des deutschen Volkes, speziell die Berliner Bevölkerung, ist es eine ernste Notwendigkeit, und es ist das auch eine soziale Aufgabe, die die herrschenden Klassen, die Staatsregierung zu erfüllen haben, dass dem Volke durch schöne Bauten, die es tagtäglich vor sich sehen kann, Freude und Genuss verschafft werde. Eine sehr bedeutsame ästhetische Schulung der Bevölkerung kann gerade durch wertvolle Bauten herbeigeführt werden. Meine Herren, unsere Museen erfüllen natürlich auch diese Aufgabe in gewissem Umfange. Aber die öffentlichen Bauten, die auf dem Markt, an der Straße stehen, an denen jeder vorübergeht, das Städtebild, wie es sich präsentiert, die Bauten, die jedem jederzeit vor Augen treten, beeinflussen das künstlerische Empfinden von Kind auf so bedeutsam, dass eine große kulturelle Aufgabe darin zu erblicken ist, jedes öffentliche Gebäude derart zu gestalten, dass der Beschauer veredelt wird, in seinem künstlerischen Empfinden gebildet und nach oben geführt werde.

Wichtig ist natürlich, dass die Architektur entsprechend dem Geiste unserer Zeit gestaltet wird und dass kein neuer Fremdkörper in unsere heutige Kultur, in unser Städtebild hineingesetzt wird, irgendein griechischer oder römischer Tempel, der Stile der Vergangenheit sklavisch nachahmt und deshalb nicht als eine Schöpfung unserer Zeit betrachtet werden kann. Die Pläne, die uns vorgelegt worden sind, atmen, rein künstlerisch betrachtet, einen reaktionären, einen durchaus rückständigen Geist.

Meine Herren, es ist in hohem Grade wichtig, dass man den Umstand gänzlich ausschaltet, dass es sich um ein Hoftheater handelt. Da das größte deutsche Theater in Frage steht, ein Theater, das zwar formell leider den Charakter des Hoftheaters besitzt, das aber eine Bildungsstätte ersten Ranges für das ganze deutsche Volk sein soll, muss die Auffassung dieses Gebäudes als eine allgemeine Bildungsstätte, als ein Nationaltheater, möchte ich sagen, allein maßgebend sein. Von diesem Gesichtspunkte muss die Frage aufgefasst werden. Es dürfen höfische Repräsentationszwecke nicht überwuchern, es darf kein aufgeblasener Prunkbau entstehen. Wir haben derartige Gebäude leider in Berlin genug. Sehr viele von Ihnen sind ja im Reichstag; und viele von Ihnen werden schon empfunden haben, wie die übermäßige Betonung des Prunkbaucharakters dieses Gebäude so wenig wohnlich, so wenig behaglich gestaltet hat, so unpraktisch nach den verschiedensten Richtungen hin, dass wir sogar unser Abgeordnetenhaus als Muster vorhalten können. Solche Dinge müssen auf das Energischste vermieden werden. Aus dem hohen, idealen Kulturzwecke heraus, aus dem Zwecke, dem Volke an geweihter Stätte die gewaltigsten, feinsten und lieblichsten Schöpfungen unserer Poesie und Musik durch die Schauspielkunst und die anderen reproduktiven Künste und ihre Hilfskünste zu vermitteln, muss das Gebäude wachsen in seiner inneren künstlerischen Gestaltung, aber auch in seiner architektonischen Gestaltung nach außen. Das Gebäude muss nach außen hin die steinerne, architektonische Form des Gedankens sein, der sich aus der Bestimmung des Gebäudes ergibt.

Meine Herren, es ist richtig, wenn der Herr Minister betont, dass eine Anknüpfung an frühere Stilarten keineswegs von der Hand zu weisen sei: Ich gehe viel weiter. Wir haben doch keine frei schwebenden Künstler, sondern alle Künstler und alle künstlerischen Auffassungen unserer Zeit sind aus den künstlerischen Leistungen der Vergangenheit herausgewachsen; eine Anknüpfung an frühere Stilarten ist selbstverständlich. Nicht dagegen wenden wir uns, dass an frühere Stilarten angeknüpft ist, sondern dagegen, dass das in einer sinn- und geistlosen, schematischen Weise geschehen ist. Wenn ein großer Künstler imstande ist, die alten griechisch-römischen Formen umzugestalten, so dass sie zum Ausdrucke des Zweckes, des Gedankens dienen, dem dieses Gebäude dienen soll, dann, meine Herren, à la bonne heure, wir sind ja alle so klassisch geschult, dass wir an und für sich eine instinktive Vorliebe für die alten griechischen und römischen Formen haben. Auch wir werden also, wenn ein Künstler diesen künstlerisch-architektonischen Gedanken neu zu formen und dem Zwecke anzupassen versteht, gerne zugreifen und einen Theaterbau in diesem Sinne akzeptieren. – Ich möchte an das eine erinnern, was uns allen aufgefallen ist, wie der Portikus, der in den Entwürfen geformt ist, obwohl er doch, ästhetisch betrachtet, von großer Bedeutung, von großem Gewicht ist, vom Standpunkt des Zweckes, den dieses Gebäude erfüllt, aus betrachtet, geradezu sinnlos wirkt, wie eine Kaschierung des wirklichen Zweckes der Front.

Es ist also meiner Ansicht nach außerordentlich vieles zu erwägen, was in diesen Entwürfen in gar keiner Weise beachtet ist – ein Beweis dafür, dass eben nicht geschaffen worden ist aus dem Gedanken heraus, das Gebäude auch in der äußeren Form als den Ausdruck seines Zweckes erscheinen zu lassen.

Meine Herren, was die Innenarchitektur anlangt, so sind die Entwürfe, die uns bisher vorgelegt worden sind, ja auch in dieser Hinsicht von künstlerischer Seite außerordentlich ungünstig beurteilt worden. – Auf das rein Technische und Sicherheitspolizeiliche will ich gar nicht einmal eingehen. Da ist das Nötige bereits in den Leitsätzen niedergelegt, die uns heute gewissermaßen paragraphiert vorgelegt worden sind. – Aber ich meine, dass wir heute an solcher Prunkentfaltung im Innern gar keine Freude mehr haben. Es wird ja wohl manchem von uns so gehen, dass ihm das Innere dieses Saales weit besser gefällt als das Innere des Reichstagssitzungssaales mit seiner ungeheuer überladenen Pracht, und so sind wir heute im Allgemeinen geneigt, auf einfache Innenarchitektur zu halten. Die Königliche Staatsregierung hätte es ja außerordentlich leicht, in Bezug auf die Frage der Innenarchitektur einen Künstler von Weltruf in Anspruch zu nehmen, nämlich Herrn Bruno Paul, der ja in Berlin sitzt und der gerade auf diesem Gebiete, wie mir wenigstens von sehr sachverständiger Seite versichert worden ist, Ausgezeichnetes geleistet hat.

Wenn freilich immer wieder gesagt wird, das Theater solle ein künstlerischer Ausdruck unserer Zeit sein, so ist das eine etwas bedenkliche Wendung. Was heißt „künstlerischer Ausdruck unserer Zeit"? – unserer Zeit, die geradezu die Stillosigkeit selbst ist, die so unsicher und zerfahren ist in ihrem künstlerischen Wesen wie keine andere Zeit zuvor, ein Abbild der politischen und sozialen Zerklüftung und des Voranstürmens unserer Zeit, die nicht einen Augenblick ruhen und rasten will, und nicht die Muße besitzt, irgendwelche ästhetische Empfindungen ausreifen zu lassen. Dieser Charakter erschwert es natürlich außerordentlich, ja verhindert es, etwas zu schaffen, was man als künstlerischen Ausdruck unserer Zeit bezeichnen könnte. Man kann beinahe sagen, dass noch keine Zeit so wenig den Beruf gehabt hat zur Schöpfung monumentaler Werke, die die großen Eigenschaften und Leistungen der Zeit künstlerisch zusammenfassen wie gerade unsere Zeit. Aber trotz alledem, wenn auch dieser „künstlerische Ausdruck unserer Zeit" in vieler Beziehung eine Illusion ist, muss doch nach Möglichkeit danach gestrebt werden, dass die besten Kräfte unserer Zeit in diesem Bau ihren Ausdruck finden, und es sollte alles mobilisiert werden, was irgendwie mobilisiert werden kann. Es besteht die außerordentlich große Gefahr – da über das Bauwerk schließlich nur ein „Bauherr", die „nutznießende Instanz", wie sie dann und wann bezeichnet worden ist, zu befinden hat, obwohl wir hier das Geld zu bewilligen haben –, dass nicht der künstlerische Ausdruck irgendeiner maßgeblichen künstlerischen Stimmung und Auffassung unserer Zeit oder der besten Kräfte unserer Zeit gefunden werden wird, sondern dass schließlich nur die künstlerische Stimmung und Auffassung einer einzigen Person entscheidet.

(Abgeordneter Hoffmann: „Sehr wahr!")

Je mehr diese Gefahr besteht – und wir sehen ja, wie die Künstler in allen ihren Emanationen immer wieder darauf hinweisen, wie gebunden sie sich durch die höfischen Rücksichten fühlen –, um so mehr ist es notwendig, dass die beratende Instanz wenigstens recht gründlich ausgebaut werde, und die beratende Instanz ist eben schließlich die ganze deutsche Künstlerschaft, die angerufen werden muss.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Nachdem sich die Königliche Staatsregierung mit einem Vorgehen entsprechend der Resolution einverstanden erklärt hat, ist ja die Hauptdifferenz, die bisher bestand, beseitigt. Ich finde die Resolution etwas sehr zahm; sie könnte entschieden weiter gehen. Es ist verkehrt zu betonen, dass die bisherigen Entwürfe als geeignete Grundlagen auch nur in gewissem Sinne anzuerkennen seien, dass nur eine etwas freiere Gestaltung, eine gewisse Abweichung von dem ministeriellen Plane gestattet werden möge, sondern es müsste gesagt werden – dann wäre diese Resolution viel schmackhafter –, dass bei dem freien Wettbewerb oder bei der freiwilligen Beteiligung aller künstlerischen Kreise an diesem großen Werke jedem Künstler die Freiheit gegeben werden müsse, aus dem Vollen seiner Empfindungen und Anschauungen heraus nach der Stilart zu schaffen, die ihm selbst am meisten kongenial erscheint. Nur dann werden wir um diese bürokratischen Hemmnisse herumkommen, die gegenwärtig noch der freien Entfaltung der künstlerischen Kräfte aller künstlerischen Kreise entgegenstehen.

(„Sehr wahr!")

Es ist ja für uns unzweifelhaft, dass es sich bei dieser Schöpfung, wie auch immer sie gestaltet werde, um eine Schöpfung für die oberen Zehntausend handeln wird.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Wenn wir sehen, wie das Opernhaus, das ja jetzt bereits eine bedeutsame Rolle im künstlerischen Leben Deutschlands spielt, bisher in Bezug auf seine Eintrittspreise so engherzig und fiskalisch ist, dass man wirklich recht wohlhabend sein muss, wenn man einmal hineinkommen will, oder aber, dass man sich um ein Billet den Hals brechen, dass man nächtelang stehen muss, wenn man mal einen billigeren Platz haben oder sich bei einer besonders bedeutsamen Aufführung einen Platz verschaffen will. Wenn man an alles das denkt, dann wird die Besorgnis nicht von der Hand gewiesen werden können, dass, selbst wenn 2500 und mehr Plätze geschaffen werden, doch die Billettpreispolitik der Verwaltung der Königlichen Hofbühnen wiederum die Möglichkeit für die breiten Massen beseitigen wird, sich in größerem Umfange künstlerische Genüsse zu verschaffen, künstlerische Genüsse, die das Opernhaus doch dem ganzen Volke nach allen Kräften vermitteln sollte.

(„Sehr wahr!")

Deshalb ist es von unserem Standpunkt aus selbstverständlich, dass wir den ganz besonderen Wunsch hegen, dass das gesamte Haus einer möglichst großen Zahl von Zuhörern und Zuschauern Raum geben möge. Ich bin fest überzeugt, dass man bei einer guten Ausnützung der akustischen Errungenschaften unserer Zeit die Raumverhältnisse durchaus nicht zu eng zu bemessen braucht. Es können unter Umständen, wie ja zum Beispiel der Crystal Palace in London beweist, ganz kolossale Räume künstlerisch ausgestaltet werden und einer bei weitem größeren Zahl von Zuhörern Platz geboten werden, als dies hier im Opernhause beabsichtigt ist. Ich meine daher, wir müssen auch die Forderung und Erwartung aussprechen, dass das Gebäude größer gestaltet werden und einer noch größeren Zahl von Personen Raum geben möge als bisher vorgesehen und dass eine soziale Billettpreispolitik von der Verwaltung der Königlichen Theater ausgeübt werde,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

damit die große Masse der Bevölkerung an dem Bau eine möglichst ungemischte Freude haben und auch möglichst hohen künstlerischen Profit daraus ziehen kann.

Meine Herren, es ist zweifellos, dass wir hier eine Aufgabe haben, die trotz aller Gegensätze das ganze deutsche Volk aus einer gewissen Kultursolidarität heraus gemeinschaftlich interessiert und zu der Hoffnung und dem Wunsche veranlasst, dass etwas Großes und Bedeutsames geschaffen werde. Wir werden niemals zurückstehen, auch unsere Bereitwilligkeit zu zeigen, an derartigen Arbeiten mitzuwirken, und wir werden niemals zögern, unsere Freude und Befriedigung zum Ausdruck zu bringen, wenn wirklich einmal etwas Großes, Wertvolles, Bedeutsames geschaffen werden soll.

Es ist notwendig, meine Herren, dass die Künstlerschaft, die ja jetzt das Wort hat, ihre Aufgabe, die zu erfüllen sie sich selbst anheischig gemacht hat, nunmehr aber auch voll erfüllt und dass die Konkurrenz, die sich entwickeln wird, aller Welt zeigen wird, dass sich die deutsche architektonische Kunst vor aller Welt sehen lassen kann, dass sie wirklich Achtunggebietendes zu schaffen vermag. Wenn wir dann auch eine einsichtige Staatsregierung und einen einsichtigen Landtag haben werden, dann werden wir erleben, dass ein so bedeutsames Werk geschaffen wird, wie wir es im Interesse des ganzen deutschen Volkes und der ganzen Kulturwelt erwarten.

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

1 Der geplante Neubau des Königlichen Opernhauses in Berlin an Stelle der alten Kroll-Oper hatte die Forderung der Künstlerschaft und der gesamten Öffentlichkeit nach einem allgemeinen Wettbewerb um die beste Gestaltung des Bauvorhabens wachgerufen. Die Entwürfe einer kleinen Gruppe von Fachleuten, die auf der Grundlage einer regierungsamtlichen Grundkonzeption ausgearbeitet worden waren, hatten sich als völlig unzureichend erwiesen.

Der Minister der öffentlichen Arbeiten von Breitenbach lehnte einen allgemeinen Wettbewerb zwar ab, räumte jedoch ein, dass die Regierung gemäß einer Resolution der Nationalliberalen Partei noch weiteren Kreisen der deutschen Künstlerschaft Gelegenheit geben werde, „auf der Grundlage der amtlichen Programmskizzen Beiträge zur künstlerischen Lösung der Aufgabe zu liefern". Das Ergebnis dieses Wettbewerbes behandelt Karl Liebknecht am gleichen Ort in seiner Rede am 13. Februar 1913. Das Projekt kam infolge des ersten Weltkrieges nicht zustande. Die Red.

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