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Karl Liebknecht 19120509 Polizeisäbel und Pickelhauben gegen Volksvertreter

Karl Liebknecht: Polizeisäbel und Pickelhauben gegen Volksvertreter

Rede zur Geschäftsordnung im preußischen Abgeordnetenhaus zum Fall Borchardt1

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, V. Session 1912/13, 5. Bd., Berlin 1912, Sp. 5708-5710 und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 5, S. 341-344]

Meine Herren, dieser Beifall zu den Worten des Herrn Abgeordneten von Kröcher beweist, dass Sie in dieser ganzen Angelegenheit von dem allersubalternsten Kommissgeist beseelt sind,

(Heiterkeit.)

der in preußischen Polizeiwachstuben zu Haus zu sein pflegt. Meine Herren, Sie verwechseln nur den Landtag mit einer preußischen Polizeiwachstube. Aber ich gebe Ihnen recht: Sie dürfen ihn verwechseln. Wenn wir die Art, wie Sie sich heute hier aufgeführt haben

(Große Unruhe.)

betrachten, so haben Sie ein gutes Recht zu dieser Verwechslung.

(Glocke des Präsidenten.)

Meine Herren, es ist vom Herrn Präsidenten und vom Herrn Abgeordneten von Kröcher gemeint: Sobald die Polizei im Hause ist, schweigt der Herr Präsident, die Polizei hat das Wort, und die Polizei hat die Macht, die Macht des Herrn Präsidenten ist erledigt. Meine Herren, dieser Standpunkt, wonach die Ordnung des Hauses aufrechtzuerhalten Aufgabe des Polizeileutnants wird in dem Augenblick, wo er ins Haus tritt, und der geschäftsordnungsmäßig zur Aufrechterhaltung der Ordnung berufene Präsident kapituliert vor dem Polizeisäbel und der Pickelhaube – meine Herren, diese Auffassung ist, wenn Sie sie vertreten wollen, Ihrer würdig; aber mit der Geschäftsordnung und mit der Verfassung ist diese Auffassung nicht verträglich.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, wir haben natürlich gar keine Veranlassung, die Würde dieses Hauses gegen Sie selbst zu verteidigen. Sie mögen die Würde dieses Hauses in den Kot ziehen, soviel Sie wollen – –

(„Pfui! Pfui!" rechts. Glocke des Präsidenten.)

Präsident Dr. Freiherr von Erffa: Herr Abgeordneter Liebknecht, ich rufe Sie zur Ordnung.

Liebknecht: Meine Herren, der Herr Präsident hat auf den Einwurf meines Freundes Leinert, dass er von der Polizei angefasst worden sei2, gesagt: Ich habe die Anordnung nicht getroffen! Der Herr Präsident hat aber darüber, dass er diese Aktion der Polizei gegen Leinert gesehen hat, keinen Zweifel gelassen; dass diese Aktion gegen den Abgeordneten Leinert von ihm für verfassungsmäßig, gesetzmäßig und geschäftsordnungsmäßig gehalten werde, hat der Herr Präsident bisher mit keinem Wort zum Ausdruck gebracht. Der Herr Präsident stellt sich also, wie es scheint, auf den Standpunkt: Sobald die Polizei hier im Saale ist, haben die Gesetze zu schweigen, hat die Verfassung zu schweigen, hat die Geschäftsordnung zu schweigen, und es regiert ausschließlich noch die Willkür der Polizei. Meine Herren, ich glaube, dass wir Sozialdemokraten keinen Zweifel darüber obwalten lassen dürfen, dass wir irgendeine freie Disposition irgendeines Polizeibeamten hier in diesem Hause unter keinen Umständen anerkennen können.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Selbst unter der Voraussetzung, dass dieser Geschäftsordnungsparagraph, dieser Maulkorbparagraph, dieser Hausknechtsparagraph gültig sein sollte, selbst dann, meine Herren, würde der Standpunkt, den Sie eingenommen haben, nicht zutreffen.

Nun haben aber die Herren, und der Herr Präsident insbesondere, sich auf den unglaublichen Standpunkt gestellt, dass unser Freund Leinert die Aufgabe gehabt habe, der Polizei zu helfen, als freiwilliger Büttel der Polizei seinen Fraktionskollegen Borchardt aus dem Saale gewaltsam hinauszubringen. Ja, meine Herren, dass ein solches Ansinnen, gerichtet an unseren Fraktionsfreund Leinert, wiederum einmal das geistige, moralische und politische Niveau dieses Hauses glänzend illustriert, darüber noch ein Wort zu verlieren ist überflüssig.

(Lachen rechts.)

Meine Herren, auch darüber soll für Sie kein Zweifel bestehen, dass wir alle zusammen uns niemals freiwillig aus dem Hause entfernen werden,

(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.)

wenn wir wider Gesetz und Verfassung3 etwa hinausgeworfen werden sollten auf Grund dieses Hausknechtsparagraphen; da können Sie lange warten, ehe wir uns fügen werden; eher können Sie uns alle zusammen aus dem Hause tragen lassen.

(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.)

Es soll uns ein Vergnügen sein. Sie werden aber immer weiter in den Morast der Verachtung hinein sinken, in den Sie gehören.

(Erneuter lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten. – Großer Lärm und andauernde Unruhe auf allen Seiten des Hauses.)

Meine Herren, haben Sie denn so wenig Gefühl für Ihre eigene Würde, dass Sie es als selbstverständlich hinnehmen, dass das ganze Haus hier mit einem Schutzmannskordon umgeben ist, dass es hier in allen Gängen des Hauses von Pickelhauben wimmelt, dass die Polizeioffiziere da draußen stehen und man in diesem Hause geradezu unter Polizeiaufsicht steht? Eine Volksvertretung, eine sogenannte Volksvertretung unter Polizeiaufsicht!

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten. – Große Unruhe auf allen Seiten des Hauses.)

Ich muss offen gestehen: Wenn dieser Vorgang heute von dem Herrn Präsidenten als widerwärtig bezeichnet worden ist,

(Lebhafte Rufe rechts: „Sehr wahr!")

meine Herren, das ist unsere Auffassung auch.

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

Nur scheint uns dieses Urteil noch viel zu milde zu sein nicht nur angesichts des Vorgehens gegen unseren Freund Borchardt, sondern auch angesichts des geradezu unerhörten Verhaltens gegenüber unserem Freunde Leinert, angesichts der Tatsache, dass der Präsident nicht seine elementarste Pflicht getan hat,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten. – Erneuter großer Lärm und große Unruhe auf allen Seiten des Hauses.)

um den Abgeordneten Leinert gegen ein solches Vorgehen zu schützen. Meine Herren, das war nicht nur widerwärtig, das war ein Skandal ohnegleichen.

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten. – Große anhaltende Unruhe auf allen Seiten des Hauses. Glocke des Präsidenten.)

Präsident: Herr Abgeordneter Liebknecht, ich rufe Sie zum dritten Male zur Ordnung und entziehe Ihnen hiermit das Wort.

Liebknecht: Sie sind blamiert bis auf die Knochen; Sie sitzen im tiefsten Moraste drin, und wir sind die lachenden Dritten.

(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten. Große andauernde Unruhe.)

1 Am 9. Mai 1912 wurde der linke Sozialdemokrat Julian Borchardt auf Veranlassung des Präsidenten des preußischen Abgeordnetenhauses auf der Grundlage des Paragraphen 64 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses (der dem Präsidenten das Recht zusprach, einen aus der Sitzung ausgeschlossenen Abgeordneten, hier J. Borchardt, durch die Polizei aus dem Saale entfernen zu lassen) durch einen Polizeioffizier und einige Polizisten zweimal gewaltsam aus dem Sitzungssaal geschleppt. Borchardt war am Tage zuvor als sozialdemokratischer Hauptredner gegen das reaktionäre sogenannte Besitzbefestigungsgesetz aufgetreten. Bei der Polizeiaktion wurde auch der sozialdemokratische Abgeordnete Leinert von den Polizisten gewaltsam von seinem Platze gedrängt. In einer längeren Geschäftsordnungsdebatte protestierten die sozialdemokratischen Abgeordneten gegen die brutale Anwendung des Paragraphen 64, des sogenannten Hausknechtsparagraphen. Die Berliner Sozialdemokratie nutzte diesen Vorfall zu einer breiten Agitation gegen den Polizeiterror im Junkerparlament aus.

Am 10. Mai sprachen alle sechs Sozialdemokraten in Berlin in stark besuchten Massenversammlungen.

2 Leinert war auf seinem Platz sitzengeblieben. Die Polizeibeamten entfernten ihn gewaltsam, um zum Abgeordneten Borchardt zu gelangen. Die Red.

3 Die Paragraphen 105 und 106 des Reichsstrafgesetzbuches drohten demjenigen Zuchthausstrafe nicht unter fünf Jahren an, der einen Abgeordneten gewaltsam hinderte, seine Pflicht als Volksvertreter auszuüben. Die Red.

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