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Karl Liebknecht 19121113 Wasser ist Nationalreichtum!

Karl Liebknecht: Wasser ist Nationalreichtum!

Aus Reden im preußischen Abgeordnetenhaus in der zweiten und dritten Lesung des Entwurfs eines Wassergesetzes

[Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, V. Session 1912/13, 6. Bd., Berlin 1913, Sp. 7963-7966 u. 8522-8528. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 5, S. 410-423]

I

13. November 1912

Für Gemeineigentum an Wasserläufen1

Meine Herren, ich möchte mein Bedauern darüber vorausschicken, dass Sie von Ihrer Absicht, den Entwurf in der jetzt beschlossenen Weise geschäftlich zu behandeln, uns vorher keinerlei Mitteilung gemacht haben, so dass wir vollkommen überrumpelt worden sind. Es kann meiner Ansicht nach kaum einem Bedenken unterliegen, dass ein solches Verfahren nicht billigenswert ist und dass man auch uns hätte Gelegenheit geben müssen, in diesem Falle uns vorher zu überlegen, ob wir solche geschäftliche Behandlung für zweckmäßig halten. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Es ist in Bezug auf das Eigentum an Fluss- oder Wasserläufen ja eine außerordentlich große Schwierigkeit, sich darüber schlüssig zu machen, ob man einen der festgefügten Rechtsbegriffe anwenden will, die in unserem Privatrecht geschaffen worden sind. Selbstverständlich, nach der ganzen Art der juristischen Schulung, die wir nun seit Jahrhunderten genossen haben, sind wir an derartige fest geschlossene Rechtsbegriffe, die dem Privatrecht entnommen und für das Privatrecht möglich sind, dermaßen gewöhnt, dass wir uns in etwas allgemeinere juristische Vorstellungen von minder festem Gefüge gar nicht mehr hineinzudenken verstehen. Tatsache ist es aber, dass das eigentlich nur eine besondere Denkmethode ist, die wir uns angeeignet haben. Wenn wir sehen, wie sich die Regierung in den Motiven zu dem Entwurf bemüht, darzulegen, dass zwar das Privateigentum vorzuziehen sei gegenüber dem öffentlichen Eigentum, dass man aber im Schlussresultat auf dasselbe hinauskommt bei beiden Konstruktionen, weil man auf der einen Seite das Privateigentum im öffentlichen Interesse einschränken und auf der anderen Seite wiederum das öffentliche Eigentum nach der privatrechtlichen Seite einschränken könne, so erkennt man schon daraus, dass wir es hier offenbar mit einem Gebiete zu tun haben, das sich gar nicht einfügen lässt in das enge Prokrustesbett unserer dem Privatrecht entnommenen rechtlichen Konstruktionen.

Es laboriert ja an der juristischen Erfassung des Rechts am Wasser eigentlich die Jurisprudenz schon seit dem Römischen Recht. Schon damals hat man sich den Kopf vergeblich über eine befriedigende Konstruktion zerbrochen.

Es ist meiner Ansicht nach richtig, dass man dieser Eigenart der Verhältnisse Rechnung trägt, indem man auch einen besonderen Begriff in das Gesetz hineinsetzt, dass man der Eigenart der Bedürfnisse in Bezug auf die Rechte am Wasser dadurch Rechnung trägt, dass man ein Gemeineigentum schafft, sie dem Privateigentum entzieht und auf diese Weise freie Hand schafft, um durch positive Regelung je nach den einzelnen Bedürfnissen, nach den verschiedenen Richtungen hin gesetzlich vorzugehen, ohne dass man gebunden ist durch irgendeinen Urbegriff, von dem man ausgeht und der schließlich doch zu irgendwelchen Nachwirkungen führt bei der weiteren Auslegung des Gesetzes, die vielleicht vom Gesetzgeber gar nicht gewollt sind.

Wenn es richtig wäre, dass wir auch von der Grundlage des Privateigentums ausgehend praktisch zu demselben Resultat kommen können, wie von der Grundlage des Gemeineigentums ausgehend, dann, will ich Ihnen gerne zugeben, hieße es ein Streit um des Kaisers Bart, wenn man sich lange den Kopf darüber zerbrechen wollte, ob man diese oder jene Konstruktion bevorzugen solle. Aber so liegt es in der Tat doch nicht. Es ist einmal eine Gewaltsamkeit, das privatrechtliche Eigentum hier überhaupt anzuwenden und nachher künstlich zu beschränken, und zwar wiederum mit Begriffen, die auch in keiner Weise juristisch üblich und fest umgrenzt sind, wie gemeinüblich, Gemeingebrauch usw. Auf der anderen Seite ergibt bereits gegenwärtig die Fassung des Gesetzes, dass allerdings diese privatrechtliche Auffassung des Rechts am Wasserlaufe erhebliche und bedenkliche Konsequenzen in der gesetzgeberischen Gestaltung ziehen kann und gezogen hat. Ich mache Sie auf die Rechte des Eigentümers, zum Beispiel auf Schadenersatz gegenüber dem Beliehenen beziehungsweise dem sonst mit irgendeinem Recht an dem Wasserlauf Versehenen aufmerksam, vor allem auf Paragraph 46.

Der Gemeingebrauch ist vorbehalten für die Allgemeinheit. Dieser Gemeingebrauch ist aber ein Begriff, der gleichfalls in unserer Gesetzgebung nirgends klar und fest definiert ist. Es ist auch unmöglich, in dem Wassergesetz eine klare Definition des Begriffs Gemeingebrauch zu finden; allerdings versucht man, in den Paragraphen 25ff. eine Aufzählung der einzelnen Inhalte des Gemeingebrauchs zu geben, aber dass das eine erschöpfende Aufzählung sei, besonders mit Rücksicht auf die Verhältnisse der Schifffahrt, davon kann man kaum sprechen. Es ist also von vornherein bereits ein unbestimmter Begriff, der sonst dem Recht nicht bekannt ist, in das Gesetz hineingebracht, und warum soll man nun, wo man auf der einen Seite den Gemeingebrauch als eine Rechtsinstitution schafft, nicht auch die Institution des Gemeineigentums anwenden!

Wir sehen bei der Art, wie der Gemeingebrauch und die Wahrung des öffentlichen Wohls im einzelnen im Gesetz geregelt ist, dass das Gesetz durchdrungen ist von der zivilrechtlichen Auffassung des Privatrechts am Wasserlaufe. Es wird bei einer späteren Gelegenheit noch näher darauf zurückzukommen sein, in welch bedenklicher Weise überall im Entwurf gegenüber irgendwelchen Privatrechten das Recht zum Gemeingebrauch zurückgesetzt wird und wie es der privatrechtlichen Willkür unterworfen ist. Man wird daraus schließen können, dass die Konstruktion, die von dem Privateigentum ausgeht, gefährlicher ist, als es nach den Bemerkungen in den Motiven und nach den heutigen Darlegungen des Regierungsvertreters den Anschein haben könnte.

Wenn wir den Antrag zum Paragraphen 7, der eben zur Verlesung gebracht ist, gestellt haben, der nicht nur, entsprechend dem Antrag der Fortschrittlichen Volkspartei, das Gemeineigentum an den Wasserläufen erster Ordnung wünscht, sondern das Gemeineigentum „an allen in natürlichen oder künstlichen Betten ständig fließenden Gewässern", so ist das durchaus nicht allzu exzessiv. Es ist zwar ein Gedanke, der bereits in der Kommission als ein im gewissen Sinn sozialistischer Gedanke perhorresziert worden ist; aber dass es ein Gedanke ist, der in früheren Jahrhunderten selbst in Deutschland in weitem Umfange Anerkennung gefunden hatte, darüber ist bereits von dem Abgeordneten Büchtemann gesprochen worden.

Wir brauchen aber nicht so weit zurückzugreifen, wir können uns auf die gegenwärtige Rechtslage beziehen. Der Wortlaut dieses Antrags ist nicht etwa entnommen dem Programm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, sondern dem württembergischen Gesetz. („Hört! Hört!") In Württemberg und einigen anderen süddeutschen Staaten, speziell in Hessen und Elsass-Lothringen, ist im weitesten Sinne der Gedanke des Gemeineigentums durchgeführt worden. Auf Seite 14 und 15 der Motive zum Gesetz ist Ihnen von der Regierung in dankenswerter Weise das Material in der Richtung zusammengetragen worden. Warum sollen wir nicht können, was Süddeutschland kann?

Es ist natürlich richtig, dass man in demselben Moment, wo man die Konstruktion des Gesamteigentums einführen würde, das Gesetz in vielen Beziehungen würde umgestalten müssen. Aber so gern ich anerkenne, dass in der Kommission eine außerordentlich fleißige und in vieler Beziehung wertvolle Arbeit geleistet worden ist und dass auch der Entwurf der Regierung sicherlich nach vielen Richtungen hin eine sehr dankenswerte Vorlage vorstellt, so wenig kann ich doch anerkennen, dass die Regelung, die die Sache jetzt in dem letzten Entwurf der Kommission gefunden hat, in wesentlichen Punkten zufriedenstellend ist. Überall werden Beschwerden erhoben werden müssen, und die Zahl der Bedenken gegen den Entwurf ist durch die Arbeit der Kommission nicht wesentlich geringer geworden. Wir werden noch bei späterer Gelegenheit darauf zurückkommen.

Die von mir gemeinten Bedenken haben allerdings in der Öffentlichkeit nicht einen so starken Ausdruck gefunden wie die Bedenken derjenigen, die stets imstande sind, die öffentliche Meinung auch der herrschenden Klassen lebhaft zu bewegen und auf die Regierung und die gesetzgebenden Faktoren einen starken Einfluss zu üben, wie zum Beispiel unsere industriellen Kreise, unsere landwirtschaftlichen Kreise usw. Die Bedenken der Kreise, deren Interessen durch die Arbeit der Kommission vielfach in recht erheblicher Weise verletzt worden sind, sind so erheblich, dass es meiner Überzeugung nach durchaus nicht ungerechtfertigt sein würde, wenn der Entwurf einer vollkommenen Umarbeitung nach den Gesichtspunkten des Gemeinwohls unterzogen würde.

Der Gesetzentwurf geht bisher von dem Gesichtspunkt des Privateigentums und von dem Gedanken aus, das Wasser nach Möglichkeit nutzbar zu machen, indem er sich allerdings Mühe gibt, dabei die Interessen der Allgemeinheit in einem gewissen Umfang zu schützen. Meiner Ansicht nach müsste aber ein ganz anderer Standpunkt zur Grundlage dieses Gesetzes gemacht werden, und zwar der Standpunkt, der gerade in der Fassung des Rechts an dem Wasserlauf im Sinne eines Gemeineigentums am besten juristisch zum Ausdruck käme. Es müsste das wohl allgemein für alle einzelnen Regelungen zur Grundlage gemacht werden, und es müsste von diesem Gesichtspunkt aus auch dem Eigentum an den Flüssen, soweit man es irgend aufrechterhalten will, sowie dem Recht der Benutzung der Flüsse, der Wasserläufe usw. von vornherein die Grenze gezogen werden.

Wenn unser Antrag auch erst in der zweiten Lesung kommt, so meine ich doch, dass er noch nicht verspätet ist. Es dürfte sich nicht empfehlen, dies Gesetz über das Knie zu brechen. Wir alle haben ein Interesse daran, dass es zustande kommt; denn ich verkenne durchaus nicht, dass es eine außerordentliche Bedeutung hat, das Wasserrecht zu kodifizieren. Je mehr es sich aber um ein Gesetz von weitest tragender Bedeutung handelt, das auf längere Zeit hinaus doch als Grundlage für unser gesamtes Wasserrecht dienen soll, und je mehr man anerkennt, dass die zu regelnde Materie ungemein schwierig ist, um so weniger wird man Bedenken tragen können, die bisherige Prüfung der Dinge noch nicht für ausreichend zu erachten. Gründe, die für eine nochmalige Revision des Gesetzes außer den soeben vorgetragenen geltend zu machen sind, werden noch bei anderen Paragraphen vorgeführt werden müssen. Ich begnüge mich im Augenblick damit und möchte darum bitten, von vornherein durch die Feststellung, dass an den Flüssen nicht ein Privateigentum, sondern ein Gesamteigentum besteht, dafür zu sorgen, dass der wesentlichste Gesichtspunkt für die Behandlung des gesamten Wasserrechts als eines Gegenstandes, der dem öffentlichen Interesse und nicht dem Privatinteresse zu dienen hat, an die Spitze des Gesetzes gestellt wird.

Ich bin ja allerdings überzeugt, dass Sie unseren Antrag ebenso wie den der Herren Freisinnigen ablehnen werden. Wir haben es aber doch für erforderlich gehalten, gleich beim Beginn der Beratung des Gesetzes unseren prinzipiellen Standpunkt zu dieser Frage durch die Einbringung unseres Antrages deutlich zu machen, damit man von vornherein den Gesichtspunkt, aus dem wir auch die späteren Bestimmungen des Gesetzes betrachten werden, versteht und auch begreift, dass wir dem Gesetz einen dem Gemeinwohl durchaus nicht gerecht werdenden Charakter vorzuwerfen haben. Die Einzelheiten unserer Kritik werden noch bei anderer Gelegenheit vorzutragen sein. (Beifall bei den Sozialdemokraten.)

II

5. Dezember 1912

Das Gesetz muss dem Allgemeinwohl dienen

Meine Herren, der Herr Landwirtschaftsminister hat, einem alten Gebrauch entsprechend, es für zweckmäßig gehalten, seine Bemerkungen zu machen, ohne dass er vorher auch den Sozialdemokraten angehört hat. Es ist das eine alte Gewohnheit, eine schlechte Gewohnheit, aber eine Gewohnheit, über die ich gar keine Veranlassung habe, weiter zu reden, zumal in diesem Falle noch ein besonderer Grund, weshalb der Herr Landwirtschaftsminister mich nicht erst angehört hat, auf der Hand liegt.

Der Herr Landwirtschaftsminister hat wesentlich um deswillen das Wort ergriffen, um seine Stellung zu der bekannten Resolution über die mehrstaatlichen Wasserläufe zum Ausdruck zu bringen. Wenn der Herr Landwirtschaftsminister erst nach mir geredet hätte, dann hätte er dazu Stellung nehmen müssen, dass ich inzwischen im Reichstage eine Anfrage an den Herrn Reichskanzler gerichtet habe, wie sich der Bundesrat zu dieser Resolution des Abgeordnetenhauses stellt, und dass wir voraussichtlich morgen Vormittag im Reichstage darauf eine Antwort bekommen werden. Das wollte natürlich der Herr Landwirtschaftsminister hier nicht gern erwähnen, und da er sich überhaupt nicht gern mit der Sozialdemokratie abgibt, wie er ja gestern hier, in jener eigentümlichen Verwirrung irgendwelcher verworrenen religiösen Vorstellungen mit seiner politischen Aufgabe, deutlich hat zutage treten lassen, so war es ganz naturgemäß, dass er vor mir das Wort ergriff. Aber das wird mich nicht im allermindesten abhalten, dasjenige zu sagen, was ich für erforderlich halte, auch wenn mir darauf eine Erwiderung vom Ministertische nicht zuteil wird.

Meine Herren, der Gegenstand dieses Gesetzes, die Wasserläufe nicht nur, sondern auch die stehenden Gewässer und das Grundwasser, ist ein so gewaltiges Stück des Nationalreichtums, dass ein Gesetz, welches sich mit der Verfügung darüber befasst, naturgemäß von sehr weittragender Bedeutung ist und das Interesse der gesamten Bevölkerung beanspruchen kann. Und selbstverständlich haben auch wir, bei der Größe des Bevölkerungsteils, der durch die Sozialdemokratie vertreten wird, ein außerordentlich ernstes Interesse, uns mit diesem Gesetze eingehend zu befassen. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Wir haben unsere Stellungnahme nun im Allgemeinen schon in der zweiten Lesung zu kennzeichnen vermocht. Es ist heute nur nötig, noch einmal in Kürze das Allgemeine an Grundsätzen zusammenzufassen, das in der Spezialdebatte der zweiten Lesung zerstückelt worden ist, und damit können wir dann unser doch noch bejahendes Schlussvotum begründen.

Meine Herren, es ist kein Zweifel, dass, wenn vom Gesetz das Gemeineigentum an den Wasserläufen, am Grundwasser und an den stehenden Gewässern zur Grundlage gewählt wäre, ein korrekterer und dem Gemeinwohl dienlicherer Ausgangspunkt für die ganze gesetzgeberische Regelung gefunden worden wäre.

Meine Herren, das ist nicht gekommen. Man hat das Privateigentum zur Grundlage genommen und sich bemüht, von Fall zu Fall zu verhüten, dass sich aus dem Privateigentum gewisse Missstände weiter entwickeln, als den Interessen der Staatsregierung, den Interessen der großen einflussreichen Klassen unseres Staates wünschenswert erscheint.

Meine Herren, es ist von dem Herrn Vorredner in sehr einleuchtender und klarer Weise dargelegt worden, dass wir nicht unrecht haben, wenn wir die Kämpfe, die sich um dieses Gesetz abgespielt haben und noch abspielen, als Interessenkämpfe, man kann fast sagen, als Klassenkämpfe bezeichnen. Meine Herren, der Vorredner hat aber mit vollem Recht darauf hingewiesen, dass man die Gegensätze nicht erschöpfend charakterisiert, wenn man von der Landwirtschaft auf der einen Seite, von der Industrie auf der anderen Seite spricht. Naturgemäß ist die Industrie mannigfaltig interessiert, einmal als Wasserverbraucherin, andererseits als Abwässerentsenderin; insoweit ergeben sich innerhalb der Industrie naturgemäß Interessengegensätze, zwei Seelen sind in ihrer Brust.

Bei der Landwirtschaft ist es nicht sehr viel anders; auch die Landwirtschaft ist, allerdings in außerordentlich hohem Maße mehr als die Industrie, als Wasserverbraucherin, sei es auch nur in Form des Grundwassers, der Vorflut usw. interessiert. Aber sie ist auch zweifellos ein wesentlicher Faktor bei der Beschmutzung der Gewässer, und insbesondere in der Form der landwirtschaftlichen Nebenbetriebe wird ja ungeheuer viel gesündigt gegen die Reinheit der Gewässer. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, wir müssen auch weiter ins Auge fassen, dass sich in weitem Umfange eine Personalunion zwischen dem landwirtschaftlichen und industriellen Kapital vollzogen hat in unseren Tagen; unsere größten Junker und Großgrundbesitzer sind gleichzeitig lebhaft industriell beteiligt, und die großen Industriellen sind gar nicht ganz selten auch Rittergutsbesitzer usw. und haben also auch eine landwirtschaftliche Herzkammer in ihrem Busen. Also, naturgemäß kann man so ganz einfach mit einem Federstrich nicht eine Grenze ziehen zwischen Landwirtschaft und Industrie.

Aber gerade je mehr man der Sache nachgeht, um so mehr erkennt man, dass es sich de facto eben doch um Interessenkämpfe handelt, die nur komplizierter sind, als dass man sie einfach auf die Formel bringen könnte: Industrie hier, Landwirtschaft dort.

Es kommt auch noch ein weiteres in Betracht: die wichtigen Interessen der Kommunen, der Gemeinwesen. Auch an gewissen Dingen der öffentlichen Gesundheitspflege sind die Kreise, die persönlich nicht unmittelbar betroffen werden, dennoch interessiert; denn schließlich unterliegt es ja keinem Zweifel, worauf auch in der zweiten Lesung hingewiesen worden ist, dass, wenn die rücksichtslose Ausnutzung der Wasserläufe, zum Beispiel für die Interessen der Industrie, zur Beschmutzung, zur Verseuchung ganzer Gegenden führt, darunter schließlich die ganze Bevölkerung leidet und auch die herrschenden Klassen sich nicht recht wohl dabei fühlen können. Insofern als das Volksganze durch diese Missstände betroffen wird, werden auch, trotz aller Interessengegensätze, die herrschenden Klassen mit berührt, und einen gewissen Grad der Verletzung der Interessen der großen Masse der Bevölkerung kann die Regierung, können auch die großen Parteien dieses Hauses nicht dulden, weil dann das fressende Übel notwendigerweise auch auf sie mit übergreift. Und so erleben wir es denn, dass sich in dem Entwurf auch, ebenso wie ja in den Wünschen der großen Parteien, vielfach das Bedürfnis findet, das sogenannte öffentliche Wohl zum Leitstern der gesetzlichen Regelung zu machen.

Ja, meine Herren, es ist mit dem öffentlichen Wohl, dem Gemeinwohl eine eigentümliche Sache, und es ist zunächst wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass das Gemeinwohl, von dem hier immer wieder gesprochen wird, das in dem Gesetz, ich weiß nicht wie viel dutzendmal, erwähnt wird – dass dieses Gemeinwohl doch nirgends klar definiert ist, dass die Auslegung der Frage, wo das Gemeinwohl beginnt und wo es aufhört, nicht einmal zum überwiegenden Maße in die Hände irgendwelcher unabhängiger Instanzen zur richterlichen Nachprüfung gelegt ist, sondern in die Hände der Verwaltungsorgane, die ihrerseits wiederum nahezu absolutistisch zu entscheiden berufen sind, weil ihre Entscheidungen zu einem ganz wesentlichen Teile jeder Nachprüfung entzogen sind, wenigstens jeder Nachprüfung in einem geordneten Rechtsmittelverfahren, das allein den Bedürfnissen genügen könnte. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) …

Meine Herren, genauso steht es mit der weiteren so ungemein wichtigen Frage der rückwirkenden Kraft, wie sie nach Paragraph 349a des Entwurfs geregelt ist. Auch dort müsste, wenn das Gesetz seine Wirksamkeit entfalten will, als wesentliches Bestimmungsmoment für den Umfang der rückwirkenden Kraft das gemeine, das öffentliche Wohl angeführt werden. Aber auch gerade dort fehlt wiederum dieses Wort, mit dem sonst wahrhaftig in dem Gesetzentwurf nicht gespart wird. Und so sieht man in der Tat, dass der Pelz hier gewaschen werden soll, ohne dass er nass gemacht wird, und dass eine ernstliche Absicht, das Gemeinwohl zum Leitstern der gesamten gesetzgeberischen Regelung und der Durchführung des Gesetzes zu machen, nicht besteht. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, ich kann mich in Bezug hierauf auch noch auf die Regelung des Gemeingebrauchs berufen. Meine Herren, der Gemeingebrauch, der in dem Gesetz ja in nicht zu verkennender liberaler Weise umgrenzt worden ist, ist dennoch ein vollkommen unzureichendes Institut, und zwar um deswillen, weil alle die Bestimmungen über den Gemeingebrauch im Gesetze nichts weiter sind als eine lex imperfecta, weil in dem Gesetz keinerlei Bestimmungen gegeben sind, die die Durchführung des Gemeingebrauchs sichern. Meine Herren, es sind in Bezug auf den Gemeingebrauch den Verwaltungsbehörden in wenig erfreulicher Reminiszenz an den aufgeklärten Despotismus alle Einflüsse, alle Rechte ausschließlich übertragen; landesväterlich soll für den Gemeingebrauch gesorgt werden; es soll dem Untertanen gar nicht erst einfallen, sich zu wehren, wenn er in Bezug auf den Gemeingebrauch benachteiligt wird; es soll dem Untertanen gar nicht beikommen, dass die Obrigkeit in der Fülle ihrer Liebe nicht vollkommen zureichend und jede Beschwerde ausschließend auch für ihn und seinen Gemeingebrauch sorge – meine Herren, für den Gemeingebrauch, der gerade für das Wohl der breiten Masse der Bevölkerung von so eminenter Bedeutung ist, den wir gar nicht entbehren können, wenn wir die gesundheitlichen Interessen der breiten Massen der Bevölkerung betrachten, die die Möglichkeit haben müssen, all die unerhörten gesundheitlichen Schädigungen, die die heutige Wirtschaftsweise mit sich bringt, etwas durch eine nähere Fühlung mit der Natur, wenigstens an Sonn- und Feiertagen, ausgleichen zu können! Bei der ungemeinen Wichtigkeit dieses Gemeingebrauches müsste für seine Sicherung gesorgt werden, er müsste mit Stacheldraht umgeben sein, und jedem Gemeingebrauchberechtigten müsste das Recht gegeben werden, sich gegen die Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs zu wehren …

Von großem Interesse ist die Frage, in welcher Weise die privaten Rechte nun im Einzelnen geregelt werden. Meine Herren, wir wollen nicht haben, dass das private Eigentum, wenn es schon einmal besteht, allzu schrankenlos bleibe; infolgedessen sind wir mit allen Vorschriften des Gesetzentwurfs einverstanden, durch welche Privatrechte im Interesse des öffentlichen Wohls eingeschränkt werden. (Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Insoweit sind wir natürlich auch mit dem Institut der Verleihung einverstanden, durch das ja eine gewisse Konfiskation, eine Expropriation aus den Privatrechten des Eigentümers ermöglicht wird. Meine Herren, wir müssen uns jedoch vergegenwärtigen, dass unter keinen Umständen eine Besserung im Sinne des Gemeinwohls geschaffen wird, wenn man den einzelnen Eigentümer – das kann unter Umständen eine ganze Anzahl kleiner Leute sein –, wenn man zum Beispiel die Anlieger eines Wasserlaufs, deren Wohl und Wehe naturgemäß auch Anspruch auf Berücksichtigung hat, in ihren Privatrechten nur deswegen einschränkt, damit neue Privatrechte für irgendeinen Großindustriellen und dergleichen geschaffen werden, die dann von diesem in seinem rein privaten Interesse zum Schaden der Allgemeinheit ausgenutzt werden.

Es soll nicht das private Monopol der Wasserlaufeigentümer und -berechtigten durch Monopol der mit den Rechten Beliehenen verdrängt werden. Das könnte in der Tat häufig dazu führen, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben. Infolgedessen ist es notwendig, dass wir dafür sorgen, dass die Bestimmungen, nach denen das verliehene Recht wiederum entzogen werden kann, möglichst weit ausgedehnt werden. Wir haben uns bemüht, in dieser Richtung auch an dem Entwurf der Kommission Abänderungen vorzuschlagen; auch hier sind unsere Bemühungen vergeblich gewesen.

Wir können nicht anerkennen, dass die Art, wie bisher das Gesetz geregelt ist, vollkommen zufriedenstellend ist, wenn ich auch wiederum hier betonen will, dass die Regierung bereits in ihrem Entwurf es sich hat angelegen sein lassen, nach Möglichkeit zu verhindern, dass die Bäume dieser verliehenen Monopole allzu sehr in den Himmel wachsen können. Wir meinen, dass auf alle Fälle die Grenzen für die Rechte, die verliehen werden können, überall dort, wo das allgemeine Interesse in Frage kommt, möglichst eng gezogen werden müssen, und dass infolgedessen nirgends der Begriff des sogenannten Gemeinüblichen als Grenze gesetzt werden dürfe. Denn, meine Herren, das Gemeinübliche ist in der Tat außerordentlich häufig gleichzeitig das Gemeingefährliche. Und es gilt, die ganzen bisherigen Zustände in Bezug auf unsere Wasserverhältnisse ein für allemal aus der Welt zu schaffen, soweit sie dem öffentlichen Wohle widerstreben, und von der Grundlage des öffentlichen Wohles ausgehend radikal, energisch eine Neuregelung der Dinge im allgemeinen Wohl vorzunehmen. Leider ist die Regierung und auch die Kommission von einem solchen Radikalismus recht weit entfernt, und man muss daher befürchten, dass aus dem Verleihungsrecht schließlich doch Nachteile für das allgemeine Wohl entstehen, die sich im Moment noch nicht übersehen lassen …

Es sind der preußischen Regierung durch dieses Gesetz außerordentlich ernste Aufgaben gestellt. Wir wollen hoffen und fordern, dass die Regierung sich mehr als bisher gewachsen und gewillt zeigt, der Aufgabe zu genügen, die in den Vordergrund des Gesetzes gestellt werden muss, der Aufgabe, im Interesse des öffentlichen Wohles zu sorgen, dass das gewaltige Stück des Nationalreichtums, das in den Wassern aller Art besteht, im Interesse der gesamten Nation, im Interesse der gesamten Bevölkerung verwertet werde, dass die Regierung sich die größte Mühe gibt, achtzuhaben darauf, dass Missstände, wie sie bisher bestehen, energisch beseitigt werden, und dass künftig dergleichen Missstände nicht mehr einreißen können.

Meine Herren, Salus publica suprema lex muss der Grundsatz für die Regierung sein, von dem sie bei der Ausführung des Gesetzes immer mehr wird ausgehen müssen, je mehr ihr absolutistische Befugnisse übertragen sind, je weniger die Bevölkerung in der Lage ist, sich selbst zu helfen gegen Nachteile. Leider haben wir bei der Regierung oft – man kann sagen, der Regel nach – vermissen müssen, dass die salus publica von ihr als das höchste Gesetz anerkannt werde. Wir haben der Regel nach beobachten müssen, dass sie den Einflüsterungen einseitiger Interessenvertretungen, Einflüssen gewisser einflussreicher, dem Gemeinwohl entgegenarbeitender Kreise unterlegen ist. Wir wollen abwarten, ob die Regierung mit dem Pfund, das hier in ihre Hand gelegt wird, besser wuchern wird, als sie bisher mit dem Gemeinwohl und mit dem Volksreichtum zu wuchern gewusst hat. („Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

1 Die sozialdemokratische Fraktion hatte beantragt, den Paragraph 7, der die Besitzverhältnisse an Wasserläufen umriss und damit grundsätzliche Bedeutung hatte, folgendermaßen zu formulieren: „Alle in natürlichen oder künstlichen Betten ständig fließenden Gewässer sind öffentliche Gewässer und dem Privateigentum entzogen." Der junkerlich-bourgeoise Gesetzgeber tastete jedoch das Privateigentum nicht an, sondern schränkte es nur in den erforderlichen Fällen ein. Die Red.

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