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Karl Liebknecht 19120529 Zum „Jubelfest" der Hohenzollern

Karl Liebknecht: Zum „Jubelfest" der Hohenzollern

Aus einem Zeitungsbericht über die Rede in einer Massenversammlung in Brandenburg/Havel

[Brandenburger Zeitung Nr. 124 vom 31. Mai 1912. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 5, S. 387-393]

Das war eine riesige, imposante Kundgebung, die gestern Abend auf Veranlassung der hiesigen Parteileitung im Volkshause veranstaltet wurde. Noch nie hat der große, geräumige Garten solche Menschenmassen gefasst, wie sich gestern Abend dort eingefunden hatten … Wer wollte die Zahl der Herbeigeströmten schätzen. Es mögen 5000, es mögen auch mehr gewesen sein … Es war eine gelungene Riesendemonstration der Brandenburger Arbeiterschaft, die so bald nicht aus dem Gedächtnis schwinden wird.

Kurz nach acht Uhr eröffnete Genosse Roßmann die Versammlung unter freiem Himmel mit der Warnung vor unüberlegten Äußerungen seitens der Versammelten, da sich anscheinend Spitzel in die Versammlung gedrängt hatten. Nach dem Kampfgesang unserer Arbeitersänger: „Das heilige Feuer schüren wir!" erhielt, durch Händeklatschen begrüßt, Reichstags- und Landtagsabgeordneter Dr. Karl Liebknecht das Wort. Der Redner führte, häufig von Zustimmungs- und Entrüstungskundgebungen unterbrochen, unter anderem etwa folgendes aus:

Parteigenossinnen und Parteigenossen! Ein Hohenzollernjubelfest soll drei Tage lang in Brandenburg gefeiert werden. Die Spießer der Stadt, die da im Augenblick glauben, den Nabel der Welt zu bilden, wollen morgen einen Hohenzollern empfangen, aus Anlass des Einzuges eines Hohenzollern von „Gottes Gnaden" vor 500 Jahren, der dem brandenburgischen Volke das Heil bringen sollte.

Trotz dieses Heilbringers war aber das Unglück des Dreißigjährigen Krieges und die Volksbedrückung bis auf den heutigen Tag möglich.

Wo wird denn auch bei dem Jubelfest das eigentliche Volk sein, das an den Wurzeln des preußischen Staates „bohrt" und ihn zu „stürzen" trachtet? Wo werden die Massen der Sozialdemokratie, wo die Vertreter des Volkes, wo der Vertreter im Reichstage, Heinrich Peus, sein? Das sind die „vaterlandslosen Gesellen", als die man die sozialdemokratische Arbeiterschaft schlechtweg bezeichnet. Sie sind von jenem Jubelfest ausgeschlossen, sie werden an jenem „Volks"fest nicht teilnehmen. Was in der preußischen Geschichtsschreibung und was in den Jubelartikeln aller Art als Historie geschildert wird, ist nichts als Lüge, geschrieben, um den bislang in Preußen herrschenden Zustand zu erhalten.

Der Einzug des Hohenzollern vor 500 Jahren geschah keineswegs zu dem Zweck, das märkische Volk zu beglücken, sondern um aus ihm für den Kaiser Sigismund herauszupressen, was herauszupressen war, damit dieser ein standesgemäßes Leben führen konnte. Der Kampf mit den preußischen Junkern, den die Hohenzollern führen sollten, ist ohne Erfolg geblieben, die Junker sind nicht niedergerungen worden, sie haben niemals mehr geherrscht als zur Zeit der Hohenzollern, und die Raubritter von damals, die Quitzows und die Köckeritze, herrschen noch heute so wie ehemals.

Es ist nur eine Legende, wenn behauptet wird, die Hohenzollern hätten das Volk aus den gierigen Händen des Raubrittertums befreit. Preußen ist groß geworden durch Raub und Gewalt, wie unter anderem der Historiker Franz Mehring es treffend nachgewiesen hat. Preußen ist kolonisiert worden, wie man auch heute noch fremde Völker mit blutiger Gewalt unterwirft. Zwar wissen auch wir Sozialdemokraten, dass der preußische Staat nicht unter Anwendung von Rosenwasser werden konnte, aber seine Entstehung verdankt er dem Gegenteil von christlicher und tugendhafter Art. Idealismus war es auch nicht, der die preußischen Machthaber bestimmte, den Protestantismus einzuführen, vielmehr geschah auch dies nach langem, zähem Kampf gegen ihn, um sich an den fetten Pfründen und Kirchengütern des Klerus zu bereichern; auch hier war Gewalt das Mittel zum Zweck.

Unter allen Hohenzollern wird besonders Friedrich II. als Volkskönig gepriesen. Aber auch seine Versprechungen größerer Freiheiten waren leicht hingeworfen und haben niemals feste Form erlangen können, sind niemals in Preußen Grundsatz geworden. Wie bei diesem, so herrschte auch bei den anderen „Soldatenkönigen" der Grundsatz der Gewalt vor, der in dem Ausspruch Friedrichs II. seinen treffenden Ausdruck fand: „Die Soldaten müssen den Stock des Offiziers mehr fürchten als den Feind!" Das ist das bis heute erhaltene Gewaltprinzip in der preußischen Armee.

Man hat die Hohenzollern als die „hohen Wächter von Tugend und Sitte" gepriesen. Wie es damit bestellt war, illustriert drastisch das Bündnis Friedrichs II. mit Russland bei der zweiten Teilung Polens, wobei Polen nach scheinbaren Freundschaftsbezeugungen durch Preußen verraten wurde. Es sei ferner erinnert an jene Zeit der Schmach, als die Hohenzollern und die preußischen Junker vor Napoleon flohen und die letzteren schmählich vor ihm kapitulierten. Wer war es ferner, der beim Aufruf zum Befreiungskrieg dem Volke die Verfassung versprach und sein Versprechen nicht einlöste, als ihn das Volk mit seinem Blute aus der Herrschaft des Korsen befreit hatte? Ein Hohenzoller! Wer war es, der trotz ernsten Drängens des Volkes an die Einlösung dieses Versprechens nicht dachte, bevor das Volk sich 1848 sein Recht erzwang? Ein Hohenzoller! Und derselbe Hohenzoller, Friedrich Wilhelm IV., war es, der die vom deutschen Volke angestrebte Einigung und die angebotene Kaiserkrone ablehnte. Als dann das Volk für die Einheit der deutschen Nation aufstand, da wurde es gewaltsam und blutig niedergezwungen und ein Hohenzoller verdiente sich dabei den Namen „Kartätschenprinz".

So hat sich damals wie bisher Preußen als der Gendarm Deutschlands erwiesen und jedes Streben nach deutscher Einheit im Blute erstickt. Daran muss man bei dem Hohenzollern-Jubelfest denken und an vieles andere mehr. Mit preußischen Bajonetten beantwortete man das Einheitsstreben, mit preußischen Bajonetten trieb man 1848 die Volksvertretung auseinander, als sich das Volk gegen die Aufzwingung des preußischen Dreiklassenwahlrechts wehrte. Wie dieses noch heute geltende Dreiklassenwahlrecht entstanden ist, wie diese Tragödie sich abspielte, sollte während des Hohenzollern-Jubelfestes überall angeschlagen werden. Es war dies ein unverkennbarer Staatsstreich der preußischen Krone. So gewaltsam wie seine Entstehung ist das Wesen des oktroyierten Dreiklassenwahlrechtes. Durch Staatsstreich und Hochverrat von oben ist es entstanden, und es besteht zu „Recht", weil Verfassungsbruch und Staatsstreich als das Recht der herrschenden Klasse in Preußen betrachtet wird.

Auch die deutsche Kaiserkrone ist nicht aus Liebe zum Deutschen Reich entstanden. Wilhelm I. sträubte sich gewaltig gegen die Reichsgründung und wollte sie nur in dem Sinne, dass das Reich ein großes Preußen werde. Damals sträubten sich der Hohenzoller und die Junker mit aller Macht gegen jede aus der Reichsgründung zu erwartende Demokratisierung Preußens, wie ja auch heute noch Preußen das stärkste Schutzmittel gegen jede Demokratisierung in Deutschland ist. Denken wir daran, dass erst in jüngster Zeit Süddeutschland mit Preußen gedroht wurde, und denken wir an Elsass-Lothringen, das wegen seiner „Unbotmäßigkeit" in Preußen eingesperrt werden sollte.1 Diese Vorkommnisse haben deutlich gezeigt, dass Preußen drauf und dran ist, freiheitlicher geleitete Teile des Reiches zu verschlucken.

Das Reichstagswahlrecht ist nicht, wie man es hinzustellen beliebt, freiwillig gegeben worden; es war nur ein Mittel zum Zweck in der Bismarckschen Blut- und Eisenpolitik. Bismarck selbst hat bedauert, es nicht rechtzeitig wieder abgeschafft zu haben, und auch jetzt noch wird offen und versteckt dagegen Sturm gelaufen. Hat sich doch erst in diesen Tagen der hiesige „Anzeiger" als ein Feind des Reichstagswahlrechts entpuppt, da in einem seiner Artikel gegen das Reichstagswahlrecht und für ein verschärftes Sozialistengesetz in unverhohlener Weise Stimmung gemacht wurde. Mit Ausnahmegesetzen aber kann man heute nicht mehr regieren.

In einer Zeit, in der Preußen noch neben Russland genannt wird, ist es wahrlich nicht an der Zeit, preußische Jubelfeste zu feiern; die Arbeiterschaft feiert ihr Kampfesfest, das der baldigen Befreiung Preußens gilt. Wir hassen dieses Preußen, das Preußen der Junker und des persönlichen Regimentes. Das persönliche Regiment aber ist auf der preußischen Dynastie aufgebaut.

Der Redner erörtert die bekannten Auslassungen des deutschen Kaisers über seine staatsrechtlichen Auffassungen, die für die Behauptung des persönlichen Regiments sprechen und fährt dann fort: Preußen gilt als absoluter Militärstaat, und die letzten Ereignisse im preußischen Abgeordnetenhause und im Reichstag haben bewiesen, dass die im Polizeistaat Preußen herrschenden Verhältnisse erhalten werden sollen. Militär und Polizei schickt man bei Arbeiterkämpfen gegen die Proletarier vor, die es wagen, sich gegen ihre Unternehmer aufzulehnen; mit Militär und Polizei versucht man das Aufwärtsstreben des Volkes gewaltsam niederzuhalten. Alle diese Zustände, einschließlich des elenden Dreiklassenwahlsystems, die das Volk bis jetzt noch knirschend erträgt, bestehen weiter, trotz eines Königswortes, trotz des von einem Hohenzollern 1908 gegebenen Versprechens, ein besseres Wahlrecht zu schaffen. Als eine Verhöhnung des preußischen Volkes ist es anzusehen, wenn die Einlösung dieses Versprechens auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird. Zwar war auch jenes Versprechen in der Thronrede nicht aus freiem Willen heraus gegeben; vorher hatten die gewaltigen Demonstrationen der Arbeiterschaft und die Wahl von sechs Abgeordneten in die preußische Duma stattgefunden. Diese Dinge zeigten dem Träger der Krone, dass dem Willen des Volkes Rechnung getragen werden müsse.

Inzwischen haben sich die politischen Zustände verschoben. Das verräterische Zentrum hat sich mit den Konservativen, den Todfeinden jedes Fortschritts, zusammengefunden, um die Einlösung jenes Versprechens zu verhindern. Wir wissen aber, wie es möglich war, dass jenes Versprechen abgegeben wurde, und deshalb muss das Volk, gestützt auf seine eigene Kraft, zäh an seinen Forderungen festhalten.

Nicht aber kann man der Hohenzollerndynastie Vertrauen zum Ausdruck bringen. Nicht gegen den einzelnen Träger dieser Dynastie kann sich die Volksstimmung richten, der augenblicklich besser und fortschrittlicher denkt als das Junkertum, sondern diesem Junkertum, das am Marke des preußischen Volkes saugt, gilt der Kampf.

Wir können nicht mit dem Selbstgefühl wie andere Völker sagen: Ich bin ein Preuße. Wenn andere Völker sich auf ihre Nationalität berufen, so, weil sie sich als Staatsbürger fühlen. Wenn man aber von Preußen spricht, so denkt man an die preußischen Pickelhauben, an Polizei und Militär, da denkt man an den 9. Mai, an dem mit Waffengewalt gegen preußische Volksvertreter im Abgeordnetenhause vorgegangen wurde.2 Das ist das Preußen wie es leibt und lebt, das ist das Dreiklassenhaus in seinem innersten Wesen. In dieser gesetzgebenden Körperschaft vermögen die sechs Volksvertreter nicht mit sanftem Säuseln etwas zu erreichen, sondern dort muss ein kräftiges Wort mit den Beherrschern Preußens geredet werden. Dort muss ihnen all die Empörung, die gegen sie besteht, ins Gesicht geschleudert werden.

Wenn über den schlechten Ton der sechs Sozialdemokraten geredet wird, so sei zu bedenken, dass diese von den Junkern mit den niedrigsten Redensarten bedacht werden. Da fällt dann allerdings in berechtigter Abwehr manch scharfes Wort.

Es gilt nach wie vor den Kampf zu führen gegen alles, was wir in Preußen hassen. Solange dieser Kampf nicht zum guten Ende geführt ist, können wir nicht sagen, dass es eine Freude ist, ein Preuße zu sein. Wir können keine Jubelfeiern begehen, solange dem Volke nicht sein Recht geworden ist. Bis dahin heißt es rücksichtslosen Kampf führen. Heute müssen wir uns aufs Neue geloben, diesen Kampf um die Befreiung Preußens unablässig weiterzuführen und uns darin durch keinen patriotischen Klimbim abhalten zu lassen. Rastlos und unverzagt müssen wir ohne Rücksicht auf die Opfer, die es fordern sollte, für die Schaffung eines freien Preußen ringen, eines Preußen, in dem nicht von Gottes Gnaden regiert wird, sondern in dem des Volkes Wille das höchste Gesetz ist.

Als der Redner mit diesen Worten endete, brach ein Sturm des Beifalls der Tausende los, der orkanartig zum dunklen Abendhimmel brauste und weit hinausgetragen wurde … Nach einem gewaltig in die Lüfte strebenden dreifachen donnernden Hoch auf die internationale Sozialdemokratie und ein freies Preußen schloss der Vorsitzende die Versammlung.

Langsam, wie es bei den ungeheuren Menschenmassen nur möglich war, leerte sich der Garten und gab die Menschen der Straße wieder, wo der ungestörte Abzug der Massen in langen, schwarzen Menschenreihen sich vollzog. Und jeder ging mit dem Gedanken nach Hause: Es war eine überwältigende Kundgebung!

1 Durch Reichstagsbeschluss vom 26. Mai 1911 war Elsass-Lothringen das allgemeine und gleiche Wahlrecht zuerkannt worden. Die herrschende Reaktion in Preußen verfolgte misstrauisch die bescheidenen demokratischen Regungen in diesem „Reichslande". Nachdem die elsässische Kammer es gewagt hatte, einen preußischen Regierungsvertreter scharf zu kritisieren, weil die preußische Regierung im sogenannten Grafenstadener Falle in unverschämter Weise in die Belange Elsass-Lothringens eingegriffen hatte (die preußische Regierung hatte der Elsässischen Maschinenfabrik in Grafenstaden wichtige Lieferaufträge gesperrt und an ihre Wiedererteilung die Bedingung geknüpft, dass der Direktor dieses Werkes entlassen wird, da er sich „deutschfeindlich betätige"), äußerte Wilhelm II. am 13. Mai 1912 bei einem Besuch in Straßburg gegenüber dem Bürgermeister unter anderem: „Wenn dies so fortgeht, schlage ich Ihre Verfassung in Scherben … wenn es nicht anders wird, machen wir aus Elsass-Lothringen eine preußische Provinz."

2 Am 9. Mai 1912 wurde der linke Sozialdemokrat Julian Borchardt auf Veranlassung des Präsidenten des preußischen Abgeordnetenhauses auf der Grundlage des Paragraphen 64 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses (der dem Präsidenten das Recht zusprach, einen aus der Sitzung ausgeschlossenen Abgeordneten, hier J. Borchardt, durch die Polizei aus dem Saale entfernen zu lassen) durch einen Polizeioffizier und einige Polizisten zweimal gewaltsam aus dem Sitzungssaal geschleppt. Borchardt war am Tage zuvor als sozialdemokratischer Hauptredner gegen das reaktionäre sogenannte Besitzbefestigungsgesetz aufgetreten. Bei der Polizeiaktion wurde auch der sozialdemokratische Abgeordnete Leinert von den Polizisten gewaltsam von seinem Platze gedrängt. In einer längeren Geschäftsordnungsdebatte protestierten die sozialdemokratischen Abgeordneten gegen die brutale Anwendung des Paragraphen 64, des sogenannten Hausknechtsparagraphen. Die Berliner Sozialdemokratie nutzte diesen Vorfall zu einer breiten Agitation gegen den Polizeiterror im Junkerparlament aus.

Am 10. Mai sprachen alle sechs Sozialdemokraten in Berlin in stark besuchten Massenversammlungen.

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