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Karl Liebknecht 19130302 Die Kriegsschreier auf Jugendfang

Die Kriegsschreier auf Jugendfang

Zeitungsbericht über eine Rede auf einer Massenversammlung im Zirkus in Stuttgart

[Schwäbische Tagwacht Nr. 51 vom 3. März 1913. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 6, S. 140-149]

Reichstagsabgeordneter Liebknecht führt, oft von lebhaften Beifalls- und Zustimmungskundgebungen unterbrochen, aus:

Auf dem großen Platz, an dem ich vorbeigefahren bin, war ein lebhaftes Gepränge. Es glitzerte und glänzte, dazwischen sah man viele Khakiuniformen, so dass man den Eindruck gewann, es handle sich um ein militärisches Schauspiel. Man musste sich jedoch belehren lassen, dass Jungdeutschland1 heute eine „Parade" abhalte. Die Polizei war lediglich dazu da, Platz zu schaffen, und die Offiziere fungierten als Führer für die bürgerliche Jugend. Was könnten wir Sozialdemokraten uns Besseres wünschen, als dass unsere heranwachsende Generation von frühester Jugend an erzogen würde zu einem Volksheer, das unantastbar sein würde für jeden Feind, der es wagen sollte, über das freie deutsche Volk herzufallen. Kehrt man den schwarzweißen Grenzpfählen den Rücken, so ist man versucht, erleichtert aufzuatmen, in der Annahme, dass die preußische Reaktion nirgends sonst im Reich in dem hohen Maße anzutreffen ist. Doch auch hier zeigt sich, dass die Polizei sich in allerhand Dinge einmischt, die sie eigentlich nichts angehen sollten.

Die Jungdeutschlandveranstaltung ist das Gegenstück zu unseren Versammlungen, die wir heute hier abhalten. Da drüben sieht's glänzender aus als bei uns, äußerlich allerdings nur. Wir wollen aber einmal fragen, wo sieht's innerlich glänzender aus, hier bei uns oder im Lager der bürgerlichen Jugend? (Stürmische Zurufe: „Hier!") Dort finden wir nur Begeisterung für Heer, Marine, Polizei, Kolonialpolitik.

Eine Menge Verführter befinden sich in diesem Lager. Jede Uniform hat für sie eine Anziehungskraft. Sie sollen erzogen werden zum Byzantinismus. Wenn die zahlreichen Verführten sich von dem gefährlichen Firlefanz, mit dem sie in diesen Reihen bedacht werden, losgerissen haben, dann werden die Jungdeutschlandleute sich lediglich zusammensetzen aus Gymnasiasten, Studenten usw. Man sollte allerdings annehmen, jeder Proletarier würde es unter seiner Würde halten, in den Reihen zu sein, die es als ihre Aufgabe betrachten, die Jugend abzuhalten von ihrer eigentlichen Aufgabe. Man heuchelt der proletarischen Jugend Kameradschaftlichkeit vor, und im Grunde denkt man an etwas ganz anderes. Man braucht gerade gegenwärtig das Proletariat für die Interessen der herrschenden Klassen, für den Imperialismus nach außen und für die Aufrechterhaltung der Herrschaft der herrschenden Klassen im Innern, die niemals so bedroht war wie gerade gegenwärtig.

Die Schuld, die die kapitalistische Gesellschaftsordnung gegenüber der Jugend des Proletariats auf sich geladen hat, hat sich bergehoch gehäuft. Weshalb sind in neuerer Zeit unsere herrschenden Klassen zu der Auffassung gekommen, dass ein vermehrter Säuglings-, Kinder- und Mutterschutz Platz greifen muss? Da liegt, wie man zu sagen pflegt, der Knüppel beim Hunde. Die Regierungen und die herrschenden Klassen haben erkannt, was es für eine Gefahr bedeutet für die wirtschaftliche und militärische Kraft Deutschlands, wenn die Zustände in Bezug auf Säuglings- und Kindersterblichkeit sich nicht bessern. Hinzugekommen ist noch der Rückgang der Geburtenziffern. Wenn man das alles zusammennimmt, so ergeben sich schwere Gefahren für Deutschlands Zukunft. Was gibt Deutschland die größere Überlegenheit gegen Frankreich? Lediglich die große Einwohnerzahl. Wer ist es, der das Gold aus der Erde zum Licht empor schafft, auf dessen Schultern nicht nur die ganze Arbeitslast der kapitalistischen Gesellschaftsordnung liegt, sondern der auch das Menschenmaterial liefert, aus dem dann das Gold gemünzt und außerdem das Kanonenfutter geschaffen wird für die herrschenden Klassen? Das ist das Proletariat. Diese Erwägungen sind für die Besitzenden der Ansporn gewesen, um die Bestrebungen für einen erhöhten Schutz der Säuglinge, Kinder und Mütter zu unterstützen.

Die Kirche hat sich schon lange um die proletarische Jugend gekümmert und sie in konfessionellen Vereinen zusammengefasst. Man hat die Schule dazu missbraucht, um den religiösen und patriotischen Geist in unserer Jugend zu züchten. Das war das Vorrecht der Staatsgewalt.

Und nun begann endlich die Jugend sich selbst zu regen, in allen Ländern, gegen die geistige und wirtschaftliche Not, die schwerer auf ihr lastet als auf jedem anderen Teil des Proletariats. Denn die Jugend ist schwächer und hilfloser als die Erwachsenen. Arbeiterorganisationen für sie waren noch nicht vorhanden, und so erwuchs für die proletarische Jugend die Notwendigkeit, sich ihrer Haut selbst zu wehren gegen die Missstände der bürgerlichen Gesellschaft. So trat die proletarische Jugendbewegung in das Licht der Welt, zunächst unpolitisch; wo sie politisch sein konnte, wurde sie natürlich politisch. Denn es ist klar, dass der jugendliche Proletarier nicht anders als politisch denken kann.

Man sagt, die Jugend soll ferngehalten werden von jeder Politik. Wenn aber der junge Mann sieht, was es heißt, die Verbesserung der Lebenslage mit Streiks durchsetzen zu müssen, wenn er weiß, was es heißt, wenn Vater und Mutter zur Arbeit gehen müssen, um gemeinsam den kärglichen Unterhalt für die Familie zu verdienen, wenn er sieht, dass die Lasten durch direkte und indirekte Besteuerung immer größer werden, dass die Nahrungsmittel und alle Bedarfsartikel immer teurer werden, dass bei Demonstrationen für ein besseres Wahlrecht die Arbeiter von der Polizei brutal auseinandergetrieben werden, wenn er sieht, dass die Jugend mit Polizeischikanen verfolgt wird, auch wenn sie nur den zehnten Teil von dem Recht in Anspruch nimmt, was man täglich der bürgerlichen Jugend gewährt – wie soll ein solcher junger Mann unpolitisch bleiben? Und in diesen Erfahrungen vollzieht sich doch das Leben des Proletarierkindes. Es sieht täglich den Gegensatz zwischen seinen eigenen Verhältnissen und denjenigen der reichen Leute, den Gegensatz zwischen Vorderhaus und Hinterhaus, zwischen den Proletariervierteln und den Wohnquartieren der Reichen. Dieser Gegensatz muss die Augen des Proletarierkindes frühzeitig öffnen und seine Sinne auf das politische Leben lenken. Aber die Jugend ist nicht genötigt, in ihren Organisationen politisch zu sein, und so ist sie denn unpolitisch überall dort, wo das notwendig ist.

Bis zum Jahr 1908 hatten wir im ganzen Reich, sogar in Preußen, die Möglichkeit, die Jugend wenn nicht politisch zu organisieren, so doch in Versammlungen aufzuklären. Da kam das Vereinsgesetz2, diese famose liberal-konservative Blockfrucht, und hat der Jugend jede politische Betätigung verboten. Wie es schon immer war, wenn sich die herrschenden Klassen um die Arbeiterschaft kümmerten, so hat sie auch für die Jugendbewegung nur das uralte Rezept: Zuckerbrot und Peitsche. Das Zuckerbrot in diesem Falle in der Form von Korruptionsgeldern, durch die die bürgerlichen Jugendvereine gehätschelt und gewissermaßen wie Champignons auf einem Mistbeet künstlich gezüchtet werden. Der preußische Staat hat für dieses Jahr allein drei Millionen für die Jugendpflege ausgesetzt. Aber nicht nur in Preußen, überall im Reich werden zur Hebung der bürgerlichen Jugendvereine und zur Bekämpfung der freien Jugendorganisationen Gelder zur Verfügung gestellt. Da ist es dann kein Wunder, wenn die bürgerlichen Jugendvereine einen großen Umfang angenommen haben.

Wie es gemacht wird, um Jungdeutschland groß zu machen, zeigt ein Beispiel aus der Provinz Schlesien. Dort haben sich alle Jugendvereine – natürlich ohne vorheriges Befragen der Mitglieder – dem Jungdeutschlandbund angeschlossen. Man fragt sich unwillkürlich: Warum macht man sich denn so viel Mühe. Es wäre doch das zweckmäßigste, wenn durch einen Erlass des Reichskanzlers ganz Deutschland gezwungen würde, dem Jungdeutschlandbund beizutreten. (Heiterkeit.)

Zusammengehalten werden die Leute durch militärischen Klimbim, militärisches Gepränge und – durch den Herrn General von der Goltz, den großen Schweiger, wie er immer genannt wird. Ich will die Frage nicht untersuchen, ob General von der Goltz, wie vielfach behauptet wird, schuldig ist an Kirkkilisse3 und den sonstigen großen Niederlagen, die die Türkei sich geholt hat. Jedenfalls trägt er daran die Schuld nicht. Aber weil General von der Goltz ein guter preußischer Offizier ist, ergibt sich noch lange nicht, dass er auch ein gescheiter Politiker ist und dass er mit der Jugend dauernd etwas zustande bringt. Seine reformatorische Tätigkeit in der Türkei ist gescheitert an den inneren Widerständen; nun, sollten die inneren Widerstände hier in Deutschland nicht ebenso groß sein wie in der Türkei? Die Methode des Generals von der Goltz bedeutet nichts anderes als Täuschungsversuche. Und das ganze Proletariat müsste sich aufbäumen gegen den Versuch, die ganze deutsche Jugend in das Fahrwasser zu leiten, das den herrschenden Klassen passt. Diese Stimmung ist auch in der Masse der deutschen Bevölkerung vorhanden, wenn auch allerdings noch nicht in dem Umfang, wie wir Sozialdemokraten es wünschen.

In diesen Jahren glaubt man eine besonders gute Gelegenheit zu haben, die bürgerliche Jugendbewegung zu fördern und die proletarische zu hemmen und zu schädigen. Durch das 25jährige Regierungsjubiläum des Kaisers, die Geburtstagsfeier der Königin Luise, die Gedenktage, die sich anschließen sollen an die hundertste Wiederkehr des Tages, an dem der Aufruf des Preußenkönigs „An mein Volk" erlassen wurde. Wenn wir sehen, dass alle diese Feiern in die Hand genommen worden sind von den Kriegsschreiern, dann wissen wir auch, wozu sie ausgenützt werden sollen.

Die Lage Deutschlands ist in der Welt nicht gerade rosig, aber das ist sie auch nicht für andere Staaten. Das sind eben die Geschenke des herrlichen Kapitalismus. Wer kann sich beklagen über die Zuspitzung dieser Gegensätze und gleichzeitig ein Lobpreiser der kapitalistischen Weltordnung sein. Eines hängt am anderen. Wer die kapitalistische Weltordnung will, der muss auch diese internationale Entwicklung wollen. Das Proletariat, das nicht die gleichen Interessen verfolgt wie die kapitalistische Gesellschaft, sondern das durch eine Umwälzung der Gesinnung und allmähliche Umgestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse im Schoße der jetzigen Gesellschaft nach und nach eine neue Gesellschaft aufzubauen bestrebt ist, kann man für diese Erscheinungen nicht verantwortlich machen.4

Allerdings bedeutet innerhalb der jetzigen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung ein Krieg nicht gerade etwas Angenehmes. Die herrschende Klasse weiß, wie ungeheuer schädigend für unsere Gesellschaftsordnung – ganz abgesehen von allen revolutionären Gesichtspunkten – ein Massenaufgebot von Soldaten, die Vernichtung des inneren Marktes, der Gütererzeugung, die Lahmlegung von Handel und Wandel und andere Begleiterscheinungen sein müssten. Die herrschenden Klassen wissen auch genau, wie schwer der bewaffnete Frieden zu ertragen ist. Aber das kann sie nicht abhalten, die provozierende Rüstungspolitik fortzusetzen.

Die Schürer dieser wahnsinnigen Politik sind die Rüstungsinteressenten, die Panzerplattenpatrioten, die Vertreter der Schwerindustrie in Rheinland-Westfalen, die ein großes Wort zu sprechen haben. Das sind die Leute, die das Ohr sehr hochgestellter Personen haben, die sich eine besondere Kriegspartei geschaffen haben. Wer war es, der vor einiger Zeit in einem scharfmacherischen Blatt schrieb: Herr gib uns wieder Krieg? Und wer war es, der in einer Versammlung der deutschen Burschenschaften, als er vom deutschen Heere sprach, ausrief: Wahrlich, man möchte sagen, wenn es doch endlich einmal wieder losginge! Das war der Herr General von der Goltz! (Lebhafte Pfui-Rufe.) Er war es auch, der sofort mit einem Dementi auf den Plan trat, als ihm nachgesagt wurde, er habe einem französischen Interviewer gegenüber den Gedanken einer Annäherung zwischen Frankreich und Deutschland vertreten. Ihm gilt es offenbar nur als edel und menschenfreundlich, die Luft für den barbarischen Völkermord zu züchten.

Als im Jahre 1813 Napoleon seine Hand schwer auf Preußen und ganz Deutschland legte, da waren die herrschenden Klassen und auch die Fürsten, die 1806 schleunigst Frieden mit Napoleon gemacht hatten, recht unzufrieden. Und als 1812 Napoleon, der bisher als unbesiegbar gegolten hatte, sich im Krieg mit Russland eine Niederlage zugezogen hatte, und der preußische König immer noch nicht die Fahne der Auflehnung gegen ihn zu erheben sich getraute, da war es die Masse der Bevölkerung, die in einer besonders durch die Reden Fichtes hervorgerufenen ungeheuren Begeisterung sich erhob und diesen König zwang, sich an die Spitze der Nation zu stellen. In einem allgemeinen Taumel der Begeisterung wollte sich das Volk von seinen Feinden befreien und ein Reich der Freiheit und Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt, begründen.

In diesem Jahr bemüht man sich, die Gedenkfeier der Freiheitskriege zu einem Hohenzollernjubelfest zu machen. Das Volk, das Gut und Blut für die Befreiung des Vaterlandes hingegeben, wurde um seinen Anteil an den Errungenschaften des Jahres 1813 betrogen. Es suchte sich seinen Anteil in der großen Erhebung des Jahres 1848 zu holen, allein durch die Gegenrevolution wurden ihm auch die Früchte dieser Erhebung genommen und ihm in Preußen das Dreiklassenwahlrecht und das Herrenhaus beschert. So war das Resultat der Freiheitskriege für Preußen und Deutschland ein Verrat der Volksinteressen. Die einzigen, die Früchte zogen aus der Erhebung von 1813, waren die Fürsten, denen die Leichen der gefallenen Volksgenossen gerade gut genug waren, um sie als Sockel zu benützen, worauf sie ihre alte Herrlichkeit wieder aufrichten konnten. Diese Tatsachen liegen klipp und klar zutage, und deshalb werden wir uns nie und nimmer dazu verleiten lassen, die Gedenktage in diesem Jahr als ein Hohenzollernfest zu feiern. Wir werden es zu feiern haben, indem wir geloben, den Freiheitskampf des Proletariats weiterzukämpfen, um einmal wahrzumachen, was im Jahre 1813 versprochen, aber verraten worden war von den Fürsten und den herrschenden Klassen.

Jetzt sind wir in einer Zeit des Rüstungswahnsinns, der alle Grenzen übersteigt. Eine neue Heeresvorlage von ungeheurer Tragweite wird dem deutschen Volk beschert werden. Eine Marinevorlage werden wir in diesem Jahr nicht bekommen, weil mit England ein Übereinkommen getroffen wurde. 10:16 lautet die Zauberformel.5 Diese wird wohl keinen dauernden Bestand haben. Man will nur Ruhe haben mit der Flotte, um das Landheer und die Luftflotte desto energischer verstärken zu können. Immerhin wird diese Formel 10:16 uns eine Grundlage abgeben müssen in unserem Bestreben, eine internationale Verständigung herbeizuführen. Tag für Tag befinden wir uns in einer fieberhaften Ungewissheit. Große wirtschaftliche Werte gehen zugrunde wegen der Unsicherheit der internationalen Lage. Ungeheure Geldmittel erfordert die neue Vorlage. Man nannte 100 Millionen Mark – furchtbar. Nein, es sollen mehr sein: 150 Millionen Mark – unerträglich. Es ist viel, viel mehr 250 Millionen. Das Volk weiß nicht, was es sagen soll zu diesen ungeheuren Meldungen. Heute hören wir von einer Milliarde, sogar von 1200 Millionen.

Auch Frankreich plant eine Heeresvorlage, 500 Millionen werden genannt, dazu die Wiedereinführung der dreijährigen Dienstzeit. Die übrigen Staaten folgen. Überall Rüstung, Rüstung, Rüstung! Die ganze Welt starrt in Waffen! Was soll das für ein Ende nehmen?

Das Jahr 1813 ist das Beispiel eines Falles, in dem ein Krieg etwas Notwendiges sein kann, und damit etwas Heiliges, wie eine Revolution. Aber nicht um seiner selbst willen. Es muss das Höchste, das Lebensinteresse eines ganzen Volkes auf dem Spiel stehen, wenn es zu diesem äußersten Mittel greifen soll.

Aber welche Volksinteressen kommen heute in Frage? Haben die Völker der ganzen Welt nicht das gemeinsame Interesse, zusammenzuarbeiten in einer einheitlichen Kulturgemeinschaft? Es ist der Wahnsinn der Herrschenden, der die Völker in den Krieg treibt! Im alten Rom und Griechenland lautete ein Sprichwort: Wenn die Könige rasen, so werden die Völker geschlagen. Heute kann man sagen: Wenn die kapitalistischen Gesellschaften rasen, wenn sie um die Beute kämpfen, dann werden die Völker geschlagen, dann sollen sie in den Krieg getrieben werden.

Wir sagen: Nein, die Völker sind mündig geworden, und die Masse der Bevölkerung hat die Überzeugung, dass es nicht das Ziel der Kulturentwicklung ist, Kriege anzufachen, dass nicht die Kruppschen Kanonen als das höchste Ideal menschlicher Entwicklung zu betrachten sind. Wenn die Kapitalistenklassen für die Durchsetzung ihrer Interessen einen Krieg für notwendig halten, so sagen wir: Eure Interessen sind nicht unsere Interessen, und unsere Interessen sind nicht eure Interessen. Die Völker reichen sich die Hände, und wenn ihr kriegerische Verwicklungen herbeizuführen sucht, so stoßen wir euch beiseite, und wenn nicht mit euch, so wollen wir gegen euch die internationale Kultur aufrechterhalten. (Stürmischer Beifall.)

Dass es uns ernst ist mit unserer Friedensliebe, das beweist wohl am besten das Manifest, das die deutschen und französischen sozialdemokratischen Volksvertreter gemeinschaftlich erlassen haben, das sich so wohltuend abhebt von dem Artikel der „Post" von gestern, in dem gesagt wird, dass es mit Frankreich „losgehen" müsse, wenn der Balkankrieg vorüber sei!

Es ist eine Lüge, wenn behauptet wird, das deutsche Volk sei kriegsbegeistert. Wahrheit ist, dass das deutsche Volk aufrichtig den Frieden will, sogar gegen den Willen der herrschenden Klassen. („Sehr richtig!") Es gilt mit aller Entschiedenheit zu betonen und auch den Jugendwehrjünglingen klarzumachen, dass das deutsche Proletariat aus den Kinderschuhen heraus ist und nicht mit sich spielen lässt. Der Wille des deutschen Proletariats ist der unbedingte Wille zum Frieden.

Die Jugend hat eine besondere Aufgabe zu erfüllen: Mit Begeisterung für die Ideale der Völkerfreiheit und des Völkerfriedens einzutreten und diese Ideale weiter zu verbreiten. Die Begeisterung für alles Ideale muss die Massen des Volkes zusammenscharen, die Begeisterung für den Befreiungskampf des Proletariats zur Herbeiführung wirtschaftlicher Gerechtigkeit, zur Befreiung der Bevölkerung von wirtschaftlicher Ausbeutung, zur Beseitigung der Kriegsgefahren, zur Herstellung des großen Ideales: Eine einzige große Kulturgesellschaft aller Völker zum friedlichen Wettbewerb, zur Herstellung und dauernden Sicherung des Völkerfriedens, zum Heil der ganzen Menschheit. (Stürmischer, lang anhaltender Beifall.)

1 Der Jungdeutschlandbund wurde 1911 durch den preußischen Generalfeldmarschall von der Goltz gegründet. Es handelt sich um eine vom imperialistischen Staat systematisch geförderte chauvinistisch-militaristische Dachorganisation, in der die Mehrheit der bürgerlichen Jugendvereine unter dem Deckmantel der „Jugendpflege" zusammengefasst wurde. Er richtete sich gegen die proletarische Jugendbewegung und diente der chauvinistischen Verhetzung und militaristischen Erziehung der Jugend.

2 Gemeint ist das Reichsvereinsgesetz vom 19. April 1908. Die Red.

3 In der Schlacht bei Kirkkilisse am 23./24. Oktober 1912 errangen die Bulgaren im ersten Balkankrieg den ersten Sieg über die Türken. Die Red.

4 Da es sich um einen Zeitungsbericht handelt, steht nicht fest, ob der genaue Wortlaut der Liebknechtschen Äußerung an dieser Stelle wiedergegeben ist. Das gesamte Wirken Karl Liebknechts beweist eindeutig, dass er für eine revolutionäre Umgestaltung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung kämpfte und nicht eine solche reformistische Konzeption vertrat. Die Red.

5 Der englische Marineminister Churchill erklärte im März 1912, dass ein Verhältnis von 10:16 zwischen der deutschen und englischen Schlachtflotte akzeptabel sei. Die Red.

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