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Karl Liebknecht 19130204 Die Polizei mobilisiert gegen den inneren Feind

Karl Liebknecht: Die Polizei mobilisiert gegen den inneren Feind

Aus der Rede im preußischen Abgeordnetenhaus in der zweiten Lesung des Etats des Ministeriums des Innern

[Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, V. Session 1912/13, 8. Bd., Berlin 1913, Sp. 10 701-10708. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 6, S. 111-114]

Zum Schluss möchte ich noch einen Punkt erwähnen: die Reform der Berliner Polizeiorganisation. Meine Herren, die Berliner Polizei ist bisher in über hundert kleine Reviere eingeteilt; sie soll nunmehr in 42 Polizeigroßreviere gegliedert werden. Bisher ist diese Neuorganisation erst in zwei oder drei Revieren ausgeführt oder in der Ausführung begriffen. Verwaltungsmäßig betrachtet mag diese Reform nicht unzweckmäßig sein. Wir haben über diese Umorganisation in der Berliner Stadtverordnetenversammlung am vergangenen Donnerstag gesprochen, und es ist da die Meinung der Berliner Bürgerschaft oder ihrer Vertretung mit ziemlicher Deutlichkeit zum Ausdruck gekommen.

Wie man sich nun auch zu der Zweckmäßigkeit dieser Organisation stellen mag, über die ich mich nicht äußern möchte, weil ich mich nicht imstande fühle, darüber ein sicheres Urteil zu gewinnen, das eine ist gewiss: Auch die Vorteile, die nach der Auffassung des Herrn Polizeipräsidenten aus der Neuorganisation entspringen, werden nur dann wirklich eintreten können, wenn die neuen Revierbüros wirklich in die Zentren der neuen Großreviere kommen. Dass das geschieht, dafür hat sich in einem gewissen Sinne der Polizeipräsident in seinem Schreiben an den Berliner Magistrat verbürgt, und wir hegen die dringende Erwartung, dass der Versicherung, die in diesem Schreiben liegt, nunmehr auch entsprochen werden wird.

Dass aber der Herr Polizeipräsident die Umorganisation, die doch immerhin tief in die Interessen der Bürger Berlins einschneidet, vorgenommen hat, ohne überhaupt Fühlung zu nehmen mit der Berliner Bürgerschaft, mit der Stadtverordnetenversammlung, mit dem Magistrat, ja auch nur mit dem Bürgermeister von Berlin, müssen wir auf das Allerschärfste verurteilen. Diese Rücksicht wäre selbstverständlich gewesen. Obwohl die Berliner Polizei ja eine Königliche Polizei ist und Berlin nur zu bezahlen, nicht aber mitzureden hat, soviel Rücksicht sollte vom Berliner Polizeipräsidium immerhin genommen werden. Berlin ist allerdings nicht daran gewöhnt, vom Polizeipräsidium rücksichtsvoll behandelt zu werden. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) Das hat ja auch die Angelegenheit der Wohnungspolizei, trotz alledem, trotz aller Erklärungen, die inzwischen abgegeben worden sind, auf das Deutlichste gezeigt.

In dem Schreiben, das der Herr Polizeipräsident unter dem 14. Dezember vorigen Jahres an den Magistrat zu Berlin gesandt hat, finden Sie zur Rechtfertigung der Umorganisation unter anderem auch folgendes: „Die Reform erstrebt die Beseitigung gewisser Mängel und wesentliche Verbesserungen in der Verwendung der Mannschaften … nach folgenden Richtlinien: Erhöhung der Bereitschaft, Schlagfertigkeit, Geschlossenheit, Wucht und Stoßkraft des einzelnen Reviers durch Zusammenlegung einheitlich zu verwendender etwa dreifach größerer Mannschaft mit 120 bis 130 Mann."

Meine Herren, diese Bemerkung des Herrn Polizeipräsidenten, die sich dem Sinne nach später wiederholt in Worten wie „Erhöhung der Schlagfertigkeit der Exekutive" und dergleichen, deutet darauf hin, dass der Herr Polizeipräsident es für nötig hält, Einschüchterungsversuche gegen die Bevölkerung von Berlin zu unternehmen; denn diese geschlossenen Massen von 120 bis 130 Mann kommen natürlich nicht für die Kriminalpolizei, nicht für die gewöhnliche Ordnungspolizei in Betracht; sie sollen vielmehr in Betracht kommen bei sozialdemokratischen oder sonstigen Arbeiterdemonstrationen.

Meine Herren, hat sich denn in Berlin auch trotz der wesentlich durch die Polizei und die Hintzegarde provozierten Moabiter Vorgänge1 irgend etwas ereignet, was die Polizei berechtigte anzunehmen, dass die Berliner Bevölkerung, dass speziell die Berliner Arbeiterschaft Neigung zur Anstiftung von Unruhen hätte? Davon ist doch gar keine Rede. Sie können keine besser disziplinierte, keine ruhigere Bevölkerung, keine auch ihrer staatlichen Aufgaben sich mehr bewusste Bevölkerung finden als die Berliner Bevölkerung.

Ich meine wahrhaftig, wenn einmal der Polizeipräsident von Paris, Herr Lépine, oder der Polizeipräsident von London hierher kämen und die Berliner Bevölkerung kennen lernten, sie würden Ihnen sagen: Eine solche ideale, ruhige, besonnene Bevölkerung hätten sie ihr Lebtag überhaupt noch nicht gesehen. Einer solchen Bevölkerung, die so gezeigt hat, wie sie Disziplin und Ordnung zu halten weiß, die sich auch trotz aller Polizeiprovokationen nicht provozieren lässt, schleudert man ins Gesicht, die Stoßkraft, Schlagfertigkeit, Wucht usw. der Polizei müsse gegen sie gestärkt werden!

Meine Herren, es sind das gewissermaßen Mobilisierungsvorbereitungen des Herrn Polizeipräsidenten gegen den inneren Feind. Der Herr Polizeipräsident scheint sich mit Revolutionsphantasien zu plagen, und daraus scheinen derartige Erzeugnisse geboren. Der Herr Polizeipräsident verfolgt offenbar ein wenig die Politik des Herrn von Oldenburg-Januschau, der vor kurzem in einer viel kommentierten Rede in Marienburg bei der westpreußischen Provinzialversammlung des Bundes der Landwirte2 unter anderem gesagt hat, es sei notwendig, immer kräftig dazwischen zu hauen Der Kardinalfehler der Konservativen sei, dass sie längst nicht rücksichtslos genug vorgingen. („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.) „Wenn wir so rücksichtslos auftreten wie unsere politischen Gegner, dann werden sie Angst vor uns haben, und Angst ist die Mutter großer Taten." („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.) Vielleicht denkt auch der Herr Polizeipräsident: Angst ist die Mutter großer Taten. Er möchte uns durch derartige Dinge in Angst jagen, genauso, wie sich ja in den letzten Tagen die Herren Kardorff und Genossen bemüht haben, uns in Angst zu jagen, worauf wir natürlich nur die bekannte Antwort geben können: Da lachen wir drüber, dor lach ick öwer.

Die Begründung, die der Herr Polizeipräsident der Neuorganisation der Berliner Polizei gegeben hat, beweist auf das Schlagendste, von welcher hinterwäldlerischen Beschränktheit dieser Polizeigewaltige Berlins ist. Meine Herren, wir müssen auch dem Herrn von Jagow – trotz der Herren von Zedlitz und von Kardorff – das Zeugnis ausstellen, dass er in der nicht gar so langen Zeit seiner Amtstätigkeit bereits ganz erkleckliches zur Agitation für die Sozialdemokratie und zur Blamierung des preußischen Geistes geleistet hat, der ja über kurz oder lang verschwinden wird und einem freieren Geist Platz machen muss, ob nun die Herren von der Rechten wollen oder nicht. („Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

1 Als im September 1910 Streikbrecher des Streikbrechervermittlers Hintze unter dem Schutz der Polizei provokatorisch gegen die streikenden Arbeiter der Firma Kupfer und Co., eine dem Stinnes-Konzern angeschlossene Kohlengroßhandlung in Berlin-Moabit, auftraten, kam es zu blutigen Zusammenstößen zwischen der Bevölkerung und der Polizei. Das brutale Vorgehen der Polizei forderte zwei Todesopfer und zahlreiche Verwundete. In zwei großen Prozessen vom November 1910 bis Januar 1911 wurden vierzehn Angeklagte zu 67½ Monaten Gefängnis verurteilt.

2 Eine 1893 in Berlin gegründete Organisation zur wirtschaftlichen und politischen Interessenvertretung der preußischen Junker. Der preußische Junker Freiherr von Wangenheim enthüllte in einem Aufruf, der der Gründung des Bundes vorausging, dessen reaktionären Charakter: „Der deutsche Osten ist der Fels, auf welchem der Thron der Hohenzollern begründet ward und noch heute fest ruht, mit ihm stehen, mit ihm stürzen Thron und Altar. Fluch über uns, wenn wir es dulden, dass die von allen Seiten ihn umbrandenden Wogen ihn unterspülen." Der Bund gewann rasch erheblichen politischen Einfluss. Seit dem 1. September 1894 erschien die „Deutsche Tageszeitung" als Hauptorgan des Bundes der Landwirte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts trat besonders der Junker von Oldenburg-Januschau als führender Vertreter des Bundes auf. Ende 1920 verwandelte sich der Bund der Landwirte in den Reichslandbund.

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