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Karl Liebknecht 19130121 Gegen die Kriegshetzer, für die Krieg wie Frieden ein Geschäft ist

Karl Liebknecht: Gegen die Kriegshetzer, für die Krieg wie Frieden ein Geschäft ist

Reden im preußischen Abgeordnetenhaus zum Etat des Ministeriums der Auswärtigen Angelegenheiten

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, V. Session 1912/13, 7. Bd., Berlin 1913, Sp. 9770–9778, 9783–9785 und 9788 und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 6, S. 64-77]

I

Meine Herren, Anfang Dezember 1912 ging durch die Presse die Nachricht, dass der Herr Reichskanzler und Ministerpräsident die Abberufung des Gesandten beim Vatikan erwogen habe, und zwar aus Anlass der Gewerkschaftsenzyklika1 und der daran geknüpften Auseinandersetzungen mit der Kurie. Inzwischen ist es wieder still geworden über den Gewässern, und es scheint beinahe, besonders nach der Rede des Herrn Staatssekretärs Delbrück im Reichstag, als ob wieder Friede eingekehrt sei. Meine Herren, was der Gesandte beim Vatikan zu tun hat, ist natürlich schwer zu definieren. Man liest in den Zeitungsberichten, von Leuten, die es eigentlich wissen müssen, dass merkwürdigerweise gerade am Vatikan in hohem Grade eine Politik des Unterrocks getrieben würde,

(Lachen im Zentrum.)

obwohl es nicht recht verständlich ist, wo da die Unterröcke herkommen sollen.

(Zurufe im Zentrum: „Gibt es ja nicht!")

Ja, das frage ich ja gerade; vielleicht ist dabei an männliche Unterröcke gedacht.

(Lachen.)

Tatsache ist, dass hier ein eigentümliches Verhältnis besteht. Ein vatikanischer Gesandter ist nicht in Berlin, aber ein preußischer Gesandter ist beim Vatikan. Ich bin ja fest überzeugt, dass der Gesandte beim Vatikan ungeheuer wichtige Dinge zu verrichten hat. Er empfängt sicherlich in weitem Umfange seine Instruktionen für die preußische Regierung vom Vatikan.

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

Bei der gewaltigen Rolle, die die Kurie heutzutage spielt, bei dem Einfluss, den sie durch ihren gewaltigen politischen Arm, den das Zentrum in Deutschland darstellt, ausübt

(Lachen rechts und im Zentrum. – „Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

und den sie sich nicht scheut, bei jeder möglichen Gelegenheit dazu zu benutzen, um der deutschen Regierung durch einen sanften Druck auf die Gurgel zu zeigen, dass sie Herr nicht nur überhaupt in der Welt, sondern besonders auch in Preußen ist, ist zweifellos eine genügende Motivierung dafür vorhanden, dass Preußen sich auch am Vatikan einen Gesandten hält.

Meine Herren, wir wollen uns durchaus nicht auf den formellen Standpunkt stellen, dass der Papst nach den Grundsätzen des Völkerrechts vielleicht nicht Anspruch auf einen Gesandten hätte. Wir fragen ganz realistisch: Was haben Gesandte für einen Zweck? Sie haben die Aufgabe, sich bei fremden Mächten zu orientieren und dort allerlei Verrichtungen durchzuführen, die allerdings unter Umständen das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen haben. Ich bin überzeugt, dass die Bedeutung eines Gesandten am Vatikan sich mit der Bedeutung eines Gesandten bei irgendeiner beliebigen Großmacht messen kann. Es ist freilich deutlich erkennbar, wie in dem einseitigen Entgegenkommen des Deutschen Reiches gegenüber dem Vatikan in dieser Frage die Superiorität des Vatikans über den preußischen Staat und die Inferiorität des preußischen Staates unter den Vatikan zutage tritt.

(Lachen rechts und im Zentrum. – „Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

Wir haben keine Veranlassung zu erwarten, dass von Ihrer Seite die Anregung auf Aufhebung der Gesandtschaft beim Vatikan kommen wird. Denn ob die preußische Regierung bei der Borromäus-Enzyklika2 oder beim Motuproprio3 oder bei dem Modernisteneid4 oder bei der Gewerkschaftsenzyklika singulari quadam sanfte Fußtritte vom Vatikan bekommt – die diplomatischen Beziehungen werden nicht abgebrochen werden, diese Fußtritte werden eingesteckt. Und dann muss man immer wieder hören, dass die preußische Regierung sich stark fühle, dass sie durchaus nicht zugeben will, wie sie, die die Lehre von den göttlichen Abhängigkeiten für ihre Untertanen in besonders schöner Weise formuliert hat, auch ihrerseits solchen Abhängigkeiten nicht nur von inneren „Freunden" und „Feinden", sondern auch von äußeren, sogar von halb transzendentalen Mächten unterworfen ist.

Abgesehen von der Gesandtschaft am Vatikan, mit der ich mich jetzt nicht weiter befassen will, ist die Frage der Gesandtschaften Preußens in Deutschland wert, dass ein Wort darüber gesprochen wird. In früheren Jahren ist ja auch schon darüber verhandelt worden.

Meine Herren, wenn irgend etwas Sinn und Verstand verloren hat, dann sind es die preußischen Gesandtschaften in Deutschland.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten und der Fortschrittlichen Volkspartei.)

Was sollen denn diese Gesandtschaften? Wir sind ein einheitliches deutsches Reich – angeblich nur allerdings zu einem guten Teil –; wir haben die Möglichkeit, uns durch die zahlreichen Mittel des modernen Verkehrs jederzeit in Verbindung zu setzen; wir haben einen Bundesrat, in dem sämtliche Regierungen vertreten sind und in dem sie ständig über alle erdenklichen wichtigen Angelegenheiten Fühlung miteinander nehmen können. Meine Herren, was sollen diese preußischen auswärtigen Gesandtschaften in Deutschland, außer dass sie Repräsentationszwecken dienen! Das ist ja auch vor einiger Zeit ganz unverhüllt in der badischen Kammer ausgesprochen worden. Die badische Kammer hat den Beschluss gefasst und durchgeführt, die Kosten der Gesandtschaft Badens in München zu streichen, gegen den schroffen Protest der Regierung, und die Regierung hat nachgeben müssen.

Meine Herren, wenn Baden, dieser kleine Staat, diese „diplomatischen Beziehungen" zu dem größeren Bayern hat „abbrechen" können, dann wird es doch wahrscheinlich auch Preußen möglich sein, mit dieser Unsitte der innerdeutschen Gesandten endlich aufzuräumen.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, wir meinen, dass diese Gesandtschaften außer Repräsentationszwecken nur noch dem Zwecke des politischen Intrigenspiels dienen können und dem Zwecke, die Verpreußungspolitik über ganz Deutschland hinaus zu intensivieren. Meine Herren, das ist offenbar einer der Gesichtspunkte: einen festen Stützpunkt in jedem größeren Bundesstaat zu haben, von wo aus der Wille der preußischen Politik den kleineren Staaten aufgezwungen werden kann, zum Schaden der politischen Gesamtentwicklung Deutschlands. Von diesem Gedanken ist offenbar in erster Linie auch die Mehrheit dieses Hohen Hauses getragen, wenn sie diese Position immer wieder bewilligt. Wir halten das für Unfug und werden natürlich ablehnen.

Meine Herren, nun hat Herr Abgeordneter vom Rath einen kleinen Exkurs in die hohe Politik unternommen, und sowenig wir dergleichen angeregt hätten, so selbstverständlich ist es, dass wir uns den Mund nicht verbinden lassen, nachdem eine solche Debatte einmal angezettelt worden ist. Formell ist es sicherlich auch das Recht dieses Hauses, über solche Dinge zu sprechen. Darüber kann kaum ein Zweifel obwalten.

Herr Abgeordneter vom Rath war so gnädig anzuerkennen, dass eine Politik des Friedens immerhin noch recht verdienstvoll sei. Er hat allerdings sofort hinzugefügt, dass es in Preußen und Deutschland Kriegshetzer überhaupt nicht gebe. Durch diese zweite Behauptung hat der Abgeordnete vom Rath von vornherein schon erkennen lassen, dass es ihm mit der ersten Behauptung nicht ganz ernst ist; denn, meine Herren, dass es in Preußen, in Deutschland Kriegshetzer bösartigster Sorte gibt, das wissen wir doch wohl alle. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) Meine Herren, wir haben ein Mitglied hier in diesem Hause, dem ich schon einmal alle Veranlassung gehabt habe zuzurufen: „Sie preußischer Oberkriegshetzer", ein Mitglied in diesem Hause, das nicht nur in der Zeit der Marokkopolitik, sondern auch in der letzten Zeit der ungeheuren internationalen Schwierigkeiten kaum einen einzigen Tag hat vorübergehen lassen, ohne in der ihm zur Verfügung stehenden Presse in der unerhörtesten Weise zum Schaden Deutschlands zu hetzen, der kaum eine Nummer vorübergehen lässt, in der er nicht von einem künftigen Krieg als von einer selbstverständlich bevorstehenden Tatsache spricht. Wir haben auch noch andere Herren in der Presse, die den Herren von der äußersten Rechten noch näher stehen, zum Beispiel einen Herrn von Reventlow, der in der neuesten Zeit sich die „Deutsche Tageszeitung" dazu auserkoren hat, um dort geradezu politisch gemeingefährliche Artikel, die an Kriegshetzerei das Erdenkliche leisten, niederzulegen. Ich will nicht davon sprechen, ob nicht der Herr Abgeordnete vom Rath sich durch seine heutigen Ausführungen, auf die ich gleich kommen werde, auch ein wenig mit den Kriegshetzern arrangiert hat. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) Wenn Herr vom Rath gemeint hat, Kriegshetzer gebe es wohl, zum Beispiel den Abgeordneten Wetterle, so habe ich natürlich keine Veranlassung, diesen in Schutz zu nehmen. Aber ich habe wohl Veranlassung, mich darüber zu wundern, dass der Herr Vorredner, der doch, so viel ich weiß, noch immer in einem recht engen organisatorischen Zusammenhange mit dem Abgeordneten Wetterle steht, über den Abgeordneten Wetterle nicht ein Wort gesagt hat, obwohl er einer regierenden Partei angehört.

(Abgeordneter Dr. Dittrich (Braunsberg): „Er gehört nicht zum Zentrum!")

Nun, er gehört zum elsässischen Zentrum.

(Abgeordneter Dr. Dittrich (Braunsberg): „Aber nicht zu unserem!")

Zu Ihrem preußischen Zentrum nicht. Aber sind Sie denn nicht international?

(Lebhafter Widerspruch im Zentrum und Rufe: „Nein, das sind andere Leute!")

Sie sind nicht international? Ei, um alles in der Welt, Sie müssen bedenken, dass es allzu viele Auguren hier in diesem Hause gibt.

(Abgeordneter Dr. Dittrich-Braunsberg: „Wir werden doch wohl wissen, was wir sind!")

Aber Sie sagen nicht immer das, was Sie denken!

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten. – Heiterkeit.)

Meine Herren, es ist besonders interessant, wie sich die konservative Presse zu dem Fall Wetterle gestellt hat, besonders die „Deutsche Tageszeitung", die nur recht sanft abgewiegelt und den Fall nicht mit dem Ernst behandelt hat, der den Herren eigentlich angestanden hätte. Das ist wieder ein deutlicher Beweis dafür, wie der Block zwischen Zentrum und Konservativen dazu geführt hat, dass alle die sogenannten Ideale, für die früher die Konservative Partei eingetreten ist, die sogenannten nationalen politischen Ideale ebenso wie die sogenannten religiösen Ideale, vergessen worden sind. Darüber haben wir ja neulich genug gesagt.

Meine Herren, das Merkwürdige ist ja nun, wie Herr Abgeordneter vom Rath unmittelbar aus seiner Beteuerung der Wichtigkeit einer Friedenspolitik und aus der Brandmarkung etwaiger Kriegshetzer zu seinen Ausführungen über die Notwendigkeit einer starken und aktiven auswärtigen Politik hat hinüber springen können. Diese Ausführungen sind außenpolitische Scharfmacherei!

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten. – Lachen bei den Nationalliberalen.)

Diese Ausführungen bezwecken, den Herrn Reichskanzler und den jetzigen Herrn Staatssekretär des Auswärtigen zu einer Abenteurerpolitik zu veranlassen

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

und von den im Moment zweifellos ruhigen Bahnen abzutreiben, die die deutsche Politik gegenwärtig, soweit erkennbar, innezuhalten versucht, und deren Befolgung die gegenwärtige deutsche Politik vor einer über einen gewissen Umfang hinausgehenden Kritik von Seiten derjenigen Partei gesichert hat, die die größte Masse des deutschen Volkes vertritt. Aber diese Politik, die allerdings meiner festen Überzeugung nach wesentlich einer gewissen saturierten Stimmung in Bezug auf die deutsche Grenzgestaltung und nicht so sehr dem Gedanken an die Interessen der breiten Massen der Bevölkerung entspringt, passt den Herren nicht, die dem Herrn Abgeordneten vom Rath nahestehen.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Und so möchte er die Regierung hinaus jagen zu einer Hansdampf-in-allen-Gassen-Politik

(„Oho!" bei den Nationalliberalen.)

und möchte wieder einmal das eiserne Würfelspiel wagen, nicht im Interesse des deutschen Volkes, sondern im Interesse des deutschen Kapitals im Auslande.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, wenn Herr Abgeordneter vom Rath von der starken auswärtigen Politik und von der bedauerlichen Desinteressiertheit der deutschen Politik bei verschiedenen Umwandlungen auf dem Erdball gesprochen und dann schließlich gesagt hat, dass unser letztes Ziel nicht sein dürfe, nur den Frieden aufrechtzuerhalten,

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

dann sind das Wendungen, die klar und deutlich genug sind,

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

und die, wenn sie als von verantwortlicher Seite gefallen angesehen werden würden, allerdings geradezu den Eindruck von Drohungen nach dem Auslande machen müssten.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten. – Lachen bei den Nationalliberalen.)

Mir scheinen die Wendungen des Herrn Abgeordneten vom Rath in der Beziehung nicht gehörig abgewogen zu sein.

(Abgeordneter von Bülow (Homburg): „Sie haben sie missverstanden!")

Bitte sehr, Herr Abgeordneter vom Rath hat seine Kritik, und das ist noch besonders charakteristisch, nachher weiter ausgedehnt, indem er nicht nur die Regierung, sondern auch „weite Kreise des Volkes" hineingezogen hat, und da, meine Herren, sind wir plötzlich auf den Kern der Sache gekommen. Die „weiten Kreise des Volkes", von denen Herr Abgeordneter vom Rath sprach, waren die Kreise des Großkapitals,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten. Lachen und Widerspruch bei den Nationalliberalen.)

der Großbanken und der Großindustrie. So hat er der Börse einen kleinen Nasenstüber versetzt, indem er zwar anerkannte, dass sie ein gewisses Barometer sei, aber zugleich bemerkte, dass sie im Gegensatz zu der Ruhe und der Entschlossenheit, die seiner Auffassung nach die deutsche Politik zieren müsste, sich unausgesetzt in allzu großer Unruhe befinde. Er hat darauf hingewiesen, wie zielbewusst die nationale Arbeit des französischen und englischen Kapitals sei, und hat nun Vorwürfe gegen das deutsche Kapital gerichtet. Ja, meine Herren, diese Vorwürfe gegen das deutsche Kapital sind gerechtfertigt. Das ist aber auch nahezu das einzig Richtige an den Ausführungen des Abgeordneten vom Rath. Diese Vorwürfe sind aber nicht nur gerechtfertigt gegen das deutsche Kapital; das Kapital ist überall international,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

und möge man noch so viele Einwendungen gegen diese unbedingt zuverlässige Konstatierung richten. Meine Herren, Herr Abgeordneter vom Rath wendet sich gegen diese Internationalität des Kapitals. Ihm stehen ja immerhin die Kreise nahe, die in erster Linie an der Produktion der Kriegswaffen beteiligt sind;

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

die Schwerindustrie, die Panzerplatten- und Waffenindustrie. Diese Kreise stehen den Rechts- und den Altnationalliberalen, zu denen doch wohl Herr vom Rath gehört,

(Lachen bei den Nationalliberalen.)

so nahe, dass man da niemals recht weiß, inwieweit diese Industriekreise von der Freikonservativen Partei oder vom rechten Flügel der Nationalliberalen Partei vertreten werden, die

(Zuruf bei den Sozialdemokraten: „Ist dasselbe!")

ja, die in der Beziehung wohl einfach identisch sind, einander wenigstens wie ein Ei dem anderen gleichen.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, da – in dieser Industrie – finden wir höchste Internationalität, da finden wir eine erstaunliche Fähigkeit, dem Inland und dem Ausland zugleich zu dienen, die Rüstungen aller möglichen verschiedenen Staaten zu verstärken, da finden wir eine moralische Skrupellosigkeit, die in der Tat über alles hinausgeht,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

eine vorbehaltlose Bereitwilligkeit, etwaigen künftigen Feinden des deutschen Vaterlandes die schönsten Kruppschen Kanonen und dergleichen zu liefern.

Meine Herren, Sie sollten wahrlich das Wort national nicht in den Mund nehmen. Sie nehmen es ja natürlich immer wieder in den Mund; aber dadurch, dass Sie das Wort national so viel in den Mund nehmen, ist dieses schöne Wort vollkommen entwertet

(Lachen rechts und bei den Nationalliberalen.)

und in das Gegenteil seiner Bedeutung verkehrt worden.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten. – Wiederholtes Lachen.)

So liegt es, meine Herren, das ist Tatsache.

Also, der Vorwurf der Internationalität, den Herr vom Rath hat abweisen wollen, ist durch seine Ausführungen nur unterstrichen worden.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Wenn Herr Abgeordneter vom Rath einen größeren Patriotismus des Kapitals gewünscht hat, so wird das ein vergebliches Flehen sein. Herr vom Rath: Das Kapital sucht sein Glück in seinem Profit, aber nicht im Patriotismus.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Wenn Sie danach gerufen haben, dann haben Sie danach nur um deswillen gerufen, weil Sie den Moment für günstig halten, für das deutsche Kapital im Auslande mit Hilfe der nationalistisch-patriotischen Maske größeren Profit herauszuschlagen.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Sie halten den Augenblick für gekommen, wo man draußen goldene Berge finden kann. Sie halten den Moment für gekommen, wo das große Kapital im Auslande Schätze anhäufen kann, Schätze rauben kann und wo dann politische Situationen geschaffen werden, die das Deutsche Reich in eine militärisch-politische Zwangslage bringen sollen. Das bringt der Abgeordnete vom Rath in die wunderschöne Phrase, dass er sagt: Dem Kapital folgt die politische Macht. Ja, das haben wir immer gewusst: Dem Kapital folgt die politische Macht, die politische Macht des Deutschen Reiches folgt dem Kapital,

(Heiterkeit.)

folgt den Reichtümern, die in das Ausland hinausgetragen worden sind. Nicht irgendwelche ideale Güter werden mit einer derartigen Politik im Ausland vertreten. Das ist niemals vielleicht so nackt enthüllt worden wie in dieser von seinem Standpunkt so ungemein ungeschickten Rede des Abgeordneten vom Rath.

(Lachen bei den Nationalliberalen.)

Von unserem Standpunkt aus können wir uns nur dazu beglückwünschen, wir sind froh darüber, dass das hier festgenagelt werden kann. Wir haben kein Wort gehört von den heiligsten Gütern der Nation, sondern wir haben gehört von den Kapitalgütern der kapitalistischen Klasse der Nation. Die Kapitalgüter sollen geschützt werden durch die politische Macht, die ihnen in das Ausland folgt. Dies Bekenntnis ist zweifellos ein Ergebnis der heutigen Debatte, mit dem wir sehr zufrieden sein können.

Damit hat der Abgeordnete vom Rath nur dasjenige bestätigt, was wir immer gesagt haben. Ich habe es bereits wiederholt dahin formuliert: Krieg und Frieden sind für unseren Kapitalismus nichts weiter als ein kapitalistisches Geschäft,

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

das je nachdem zu Geschäftszwecken angezettelt wird.

Der Abgeordnete vom Rath hat gemeint, wir müssten eine starke und aktive auswärtige Politik machen. Wir seien stark, wir hätten eine große Armee, die viel Geld kostet und denn doch auch einmal nutzbringend angewendet werden muss.

Die Armee kostet sehr viel Geld, das ist richtig, aber nicht Ihnen, sondern der großen Masse des Volkes.

(Lachen.)

Nutzbringend wollen Sie dieses Instrument, unsere „herrliche schimmernde Wehr", anwenden – nicht für die heiligsten Güter, sondern für den Geldbeutel der herrschenden Parteien, der herrschenden Klassen. Das weiß das Volk draußen bereits. Alle Winkelzüge des Imperialismus werden durchschaut, und deshalb verfangen solche Worte, wie wir sie heute gehört haben, nicht bei der großen Masse der Bevölkerung; die wird sich nicht täuschen lassen. Meine Herren, diese großen „patriotischen" Worte des Herren vom Rath werden keinen Widerhall finden in der breiten Masse des preußischen und des deutschen Volkes. Sie werden nur die Überzeugung stärken, dass jede Politik, die in der Richtung des Herrn vom Rath geht, auf das schärfste und rücksichtsloseste zu bekämpfen ist, dass ihr eine Politik der internationalen Kultursolidarität entgegenzusetzen ist.

(„ Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Wenn von der Stärke des deutschen Volkes gesprochen wird, so möchte ich daran erinnern, dass jedes Volk so stark und so gesichert ist, wie es politisch frei, wirtschaftlich gesund und sozial glücklich ist,

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

dass ein Staat nicht stark sein kann, dessen Bevölkerung politisch unterdrückt, geknechtet und ausgebeutet wird, in dem es infolgedessen gefährlich gärt, der durch politische und wirtschaftliche Klassenkämpfe im Innern zerrüttet wird. Denken Sie an die Lehre, die Österreich zum Beispiel in Bosnien und in der Herzegowina erhält5, wie es wegen der inneren Schwierigkeiten außerstande ist, seine Kräfte voll nach außen zu entfalten. Das sind Dinge, die Ihnen allen zu denken geben sollten, aus denen Sie aber nichts lernen. Denn zur gleichen Zeit, wo es sich von Ihrem Standpunkt darum handeln müsste, das deutsche Volk im Innern zu pazifizieren, um es stark zu machen nach außen, möchten Sie es nicht nur in seiner politischen und wirtschaftlichen Not erhalten, sondern noch dazu mit den Geißeln eines Gesetzes zum Schutz der „Arbeitswilligen" und den Skorpionen eines politischen Ausnahmegesetzes züchtigen.

Die Früchte werden uns zufallen.

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

II

Meine Herren, wenn das Verhältnis zwischen dem elsässischen Zentrum und dem Reichszentrum so harmlos und platonisch ist, wie der Herr Abgeordnete Herold gesagt hat, dann sind mir die starken Kraftanstrengungen nicht ganz verständlich, die immerhin das Zentrum im Reichstag gemacht hat, um mit dem Falle Wetterle fertig zu werden, und die Verdauungsstörungen, an denen offenbar das ganze deutsche Zentrum aus Anlass des Falles Wetterle leidet.

(Lachen im Zentrum.)

Meine Herren, im Übrigen will ich mich mit Wetterle nicht weiter befassen. –

(Ruf im Zentrum: „Das ist auch besser!")

Für Sie ist es besser, wenn ich mich damit nicht näher befasse. Ich will christliche Menschenliebe zeigen, indem ich jetzt mit diesem Fall aufhöre.

(Lachen im Zentrum und rechts.)

Meine Herren, es muss für Sie eine sehr unangenehme Wunde sein, in die ich da den Finger gelegt habe, dass Sie jedes Mal aufschreien, wenn ich davon rede.

Ich habe mich hauptsächlich gemeldet, um dem Herrn Abgeordneten Dr. Friedberg ein paar Worte zu sagen. Der Herr Abgeordnete Dr. Friedberg hat gemeint, dass die deutsche Arbeiterschaft, die breite Masse des Volkes ein Interesse daran habe, dass es den acht Milliarden deutschen Kapitals im Ausland gut gehe. Ja, meine Herren, wer hat denn daran gezweifelt, dass in einem gewissen Umfange die deutsche Arbeiterschaft an der Exportindustrie interessiert ist! Ich will diese Frage nicht näher erörtern; aber Sie haben die Sache von einem ganz schiefen Gesichtswinkel aus angesehen. Ist es denn mit dem Wohlergehen der deutschen Industrie identisch zu wünschen, gegebenenfalls einen Weltbrand zu entfesseln, in dem unsere ganze Kultur vernichtet werden müsste?

(Lachen im Zentrum und rechts.)

Meine Herren, die Sache liegt ja doch so, dass diejenigen Staaten, mit denen wir in allererster Linie auswärtige wirtschaftliche Beziehungen, auswärtigen Handel unterhalten, gerade dieselben Staaten sind, denen gegenüber wir sämtliche Fäden der weltwirtschaftlichen Zusammengehörigkeit im Moment durchschneiden würden, wenn ein Krieg ausbrechen würde.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Unsere Ausfuhr wird fast vollkommen und unsere Einfuhr auch im Wesentlichen absorbiert durch die Namen England, Frankreich usw.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Es ist also direkt eine Irreführung, wenn man den Anschein zu erwecken sucht, dass der deutsche Handel, soweit er im Interesse der Allgemeinheit liegt, durch eine gewalttätige abenteuerliche Weltpolitik gefördert werden könnte. Das Gegenteil ist richtig.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Wenn dann Herr Abgeordneter Dr. Friedberg von unseren Kolonien gesprochen hat, soweit ich ihn verstanden habe, von dem Menschenmaterial, das wir im Überfluss hätten und das in die Kolonien hinaus müsste, wenn da gesprochen worden ist, wir erstickten im Deutschen Reich vor allzu viel Menschen und müssten infolgedessen Kolonien haben, so verweise ich darauf, meine Herren, dass zum Beispiel selbst der Abgeordnete von Liebert im Reichstag ganz ungeniert erklärt hat, dass unsere Kolonien überhaupt nicht für die Ansiedlung der Arbeiter, der breiten Massen der Bevölkerung geeignet sind, sondern dass sie nur für solche Personen in Betracht kommen, die Kapital zur Verfügung haben. Es sind also in der Tat Kolonien für unsere besitzenden Klassen, nicht für die großen Massen der Bevölkerung. Ganz abgesehen davon, dass es durchaus töricht ist zu meinen, dass wir zu viel Menschen hätten, im selben Augenblick, wo geradezu Menschenmassen aus dem Ausland nach Deutschland hinein geschafft werden müssen, um das Bedürfnis, das in Deutschland nach Arbeitskräften besteht, befriedigen zu können. Ich will dazu nichts weiter sagen. Ich will mich auch nicht weiter mit dem General von der Goltz auseinandersetzen, der neulich vor den deutschen Studenten die frivole Redensart hat fallenlassen, man könnte wünschen, dass es bald losgehen möge.

(Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident Dr. Porsch: Herr Abgeordneter, das gehört aber nicht mehr hierher.

Liebknecht: Meine Herren, ich möchte nur noch das eine betonen, dass Herr Abgeordneter Friedberg bei seiner Begründung für das auch von mir anerkannte Recht dieses Hauses, über die auswärtigen Angelegenheiten zu sprechen, von einer meiner Überzeugung nach falschen Voraussetzung ausgegangen ist. Er hat gesagt, dass wir ein Interesse daran hätten – und das hat auch Herr Abgeordneter Pachnicke wiederholt –, dass die Volksvertretung Preußens sich um die auswärtige Politik kümmert, dass sie die Bundesratsbevollmächtigten instruiert beziehungsweise bei ihrer Instruktion mitwirkt. Meine Herren, wir haben in Preußen leider keine Volksvertretung;

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

wenn wir in Preußen eine Volksvertretung hätten, dann würde diese wirkliche Volksvertretung längst die Gelegenheit ergriffen haben, hier in diesem Hause energisch gegen eine solche Art Politik Front zu machen, wie sie Herr Abgeordneter vom Rath empfohlen hat; dann würde auch längst mit den Kriegshetzern aufgeräumt sein, die als Gemeinschädlinge im Deutschen Reich und in Preußen ihr Wesen treiben.

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

III6

Persönliche Bemerkung

Meine Herren, ich habe den Freiherrn von der Goltz nicht, wie mir der Herr Abgeordnete Dr. Strosser vorwirft, „in ungehöriger Weise angegriffen“, sondern meiner Bemerkung, das heißt, einem einzigen Satze, der sich auf ihn bezog, zugrunde gelegt eine in dieser Beziehung meiner Ansicht nach gänzlich unwidersprochen gebliebene Zeitungsnotiz, die nur, soviel ich weiß, in einer kleinen, hier nicht wesentlichen Nuance berichtigt worden ist.

(Abgeordneter Strosser (Breslau): „Frivol?!“.)

1 Die von Pius X. am 24. September 1912 erlassene Enzyklika bezweckte, die katholischen Arbeiter stärker unter den Einfluss und die Kontrolle der katholischen Kirche zu bringen und vor allem den langjährigen Streit im katholischen Lager zwischen der Berliner und Kölner Richtung zu beenden. Die Enzyklika forderte: Alle Christen dürfen „keine Feindschaft und Zwistigkeiten unter den Ständen der bürgerlichen Gesellschaft schüren, sondern müssen untereinander Frieden und wechselseitige Liebe befördern. Die soziale Frage und die mit ihr verknüpften Streitfragen über Charakter und Dauer der Arbeit, über die Lohnzahlung, über den Arbeiterstreik sind nicht rein wirtschaftlicher Natur und somit nicht zu denen zu zählen, die mit Hintansetzung der kirchlichen Obrigkeit beigelegt werden können, da es im Gegenteil außer allem Zweifel steht, dass die soziale Frage in erster Linie eine sittliche und religiöse ist (!) und deshalb vornehmlich nach dem Sittengesetze und vom Standpunkte der Religion gelöst werden muss." Das war eine im Interesse des kapitalistischen Staates ausgesprochene Warnung vor der Teilnahme der katholischen Arbeiter am Klassenkampf. Die Streitfrage, ob reine katholische Arbeiterorganisationen (Berliner Richtung) oder die konfessionell gemischten christlichen Gewerkschaften vorzuziehen seien, beantwortete die Enzyklika zugunsten der reinen katholischen Organisationen. Es sollte aber auch geduldet werden, wenn sich Katholiken den interkonfessionellen christlichen Gewerkschaften anschlössen, allerdings müssten diese katholischen Arbeiter als „Vorsichtsmaßregel" „zugleich jenen katholischen Vereinigungen angehören, welche unter der Bezeichnung Arbeitervereine bekannt sind". Die Enzyklika des Papstes bedeutete einen unerhörten Eingriff in das Koalitionsrecht der deutschen Arbeiterklasse und zugleich eine direkte Kampfansage an die sozialdemokratisch beeinflussten freien Gewerkschaften und auch die christlichen Gewerkschaften, aber den Gewerkschaftsstreit konnte sie nicht beilegen. Sie stieß in der deutschen Arbeiterklasse auf heftigen Protest und rief unter der Kölner Richtung weiteren Widerstand hervor. Auf dem außerordentlichen Kongress der christlichen Gewerkschaften am 25. November 1912 in Essen ließen die deutschen Bischöfe durch den Generalsekretär des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften, Stegerwald, eine die christlichen Gewerkschaften befriedigende Interpretation bekanntgeben.

2 Gemeint ist die vom Papst Pius X. am 26. Mai 1910 zum 300. Jahrestag der Heiligsprechung des Erzbischofs Karl Borromäus von Mailand erlassene Enzyklika. Sie enthält scharfe Ausfälle gegen die evangelische Kirche und ihre Reformatoren und löste besonders im evangelischen Lager der Bourgeoisie Empörung aus.

3 Päpstlicher Erlass vom 9. Oktober 1911, in dem den Katholiken unter Androhung des Kirchenbannes verboten wurde, Personen des geistlichen Standes vor weltlichen Gerichten zu verklagen. Die Red.

4 Der (Anti-)modernisteneid war ein Glaubenseid, der vom Papst von den katholischen Geistlichen und allen staatlichen Lehrern, die zugleich ein Priesteramt als Prediger oder Beichtiger versahen, gefordert wurde. Er sollte dem „Schutz des Glaubens" dienen, richtete sich gegen die um 1900 innerhalb der katholischen Kirche entstandene Bewegung, die versuchte, die katholische Lehre und modernes (naturwissenschaftliches) Denken (Modernismus) zu verbinden. Er richtete sich gegen den Fortschritt in Wissenschaft, Forschung und Erkenntnis und schränkte damit die Lehrtätigkeit der katholischen Lehrer an den staatlichen Hochschulen ein.

5 In den Balkanprovinzen Bosnien und Herzegowina, die seit 1878 von Österreich-Ungarn militärisch besetzt und verwaltet und 1908 vollständig annektiert worden waren, führte der erste Balkankrieg 1912/13 zu einem starken Aufschwung der nationalen Befreiungsbewegung. Als Österreich-Ungarn im November 1912 bedeutende Teile seiner Armee mobilisierte und starke Kräfte an der serbischen Grenze zusammenzog, kam es im Landtag Bosniens und der Herzegowina zu offenen Sympathiekundgebungen für Serbien, das gemeinsam mit Bulgarien gegen die türkische Fremdherrschaft kämpfte.

6 Diese persönliche Bemerkung fehlt in den „Reden und Schriften“.

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