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Karl Liebknecht 19130225 Gegen Übergriffe der Innungen

Karl Liebknecht: Gegen Übergriffe der Innungen

Rede im preußischen Abgeordnetenhaus zum Handels- und Gewerbeetat

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, V. Session 1912/13, 9. Bd., Berlin 1913, Sp. 12.006-12.009, 12.016 und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 6, S. 133-139]

I

Meine Herren, der Herr Minister hat zwar auf die Anfrage des Herrn Dr. Maurer geantwortet, aber nicht ein Wort gefunden auf die Fragen und Mitteilungen meines Freundes Borchardt1, und doch hätte der Herr Minister alle Veranlassung, darauf zu antworten. Es ist mir bekannt, dass er gerade gegenwärtig mit der Prüfung dieser Materie befasst ist.2 Die Vorgänge sind von mir zum Teil bereits im vorigen Jahre zur Sprache gebracht worden. Nicht nur in Magdeburg, sondern auch in anderen Orten, insbesondere Leipzig, Breslau usw., haben die Innungen, unter Terrorisierung ihrer Mitglieder und der Arbeiter, den Weg zu gehen versucht, den die Magdeburger Innung gegangen ist. Es ist gegen die Maßnahmen der Innung, wie sie mein Freund Borchardt vorhin beschrieben hat, leider keinerlei Rechtsschutz gegeben. Diese Maßnahmen der Innung sind nach der Gewerbeordnung ausschließlich anfechtbar im Wege der Beschwerde, und die Schlussinstanz ist dabei der Regierungspräsident, eventuell der Oberpräsident. Man kann sich allerdings darüber hinaus an den Minister für Handel und Gewerbe wenden, aber nur insofern er Aufsichtsinstanz ist, eine in der Gewerbeordnung vorgesehene Instanz ist der Minister nicht.

Dass der Herr Minister sich für zuständig gehalten hat, als Aufsichtsinstanz derartige Maßnahmen zu prüfen, ergibt ein Bescheid, den ich im vergangenen Jahr hier vorgetragen habe, den er mir über die Magdeburger Angelegenheit erteilt hat. Die Möglichkeit, wegen dieser Dinge eine Klage zu erheben, die Sache vor den ordentlichen Richter zu bringen, fehlt jedoch höchstwahrscheinlich. Es wird gegenwärtig noch einmal der Versuch gemacht, auf diese Weise Recht zu finden. In Magdeburg ist ein Zivilprozess angestrengt, das Gericht hat sich in erster Instanz für unzuständig erklärt, indem es sagt, dass nach der Gewerbeordnung der Rechtsweg unzulässig sei. Im Moment schwebt die Sache noch beim Oberlandesgericht Naumburg, das noch nicht zu einem Urteil gelangt ist. Man wird sehen, inwieweit und ob es etwa dennoch den Rechtsweg für zulässig erachtet.

Ich habe im vergangenen Jahr ein Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vorgetragen. Das Landgericht Frankfurt am Main ist zur Erörterung der Sache dadurch gekommen, dass die dortige Innung, die keine Zwangsinnung war, die Ordnungsstrafen nicht im Verwaltungswege beitrieb, sondern im Prozesswege beizutreiben suchte. Dadurch kam die Sache durch die Innung selbst vor das ordentliche Gericht. Das ordentliche Gericht hat damals entschieden, dass der Beschluss der Innung ungesetzlich sei, weil er einen Verstoß gegen Paragraph 153 der Gewerbeordnung3 bilde. Diese Entscheidung des Gerichts wurde dadurch möglich, dass es deduzierte: Der Innungsvorstand hat, indem er das ordentliche Gericht zum Zwecke der Beitreibung der Ordnungsstrafe anrief, damit selbst anerkannt, dass die Innung und der Innungsvorstand in diesem Fall nicht gehandelt hat als Innungsvorstand, sondern als eine besondere Kampfesorganisation. Mit Rücksicht darauf wurde die Kompetenz des ordentlichen Gerichtes angenommen. Das war jedoch ein Ausnahmefall.

Wir bemühen uns gegenwärtig darzulegen, dass entsprechend der Anschauung, die das Landgericht Frankfurt am Main gehabt hat, die Beschlüsse der Innungen nicht als Beschlüsse der Innungen im Sinne der Gewerbeordnung anzusehen sind, dass die Innungen im Augenblick, wo sie derartige Beschlüsse fassen, schlechthin politische, wirtschaftliche Kampfesorganisationen sind, die nicht mehr den Rechtsschutz, die besondere Eximiertheit vom ordentlichen Gerichtsstand beanspruchen können, der den Innungen durch die Privilegien der Gewerbeordnung gewährt ist. Die Gerichte scheinen jedoch auf diesen Standpunkt nicht eingehen zu wollen, und so ergibt sich gegenüber den Maßnahmen der Innungen vollkommene Hilflosigkeit, denn dass der Regierungspräsident versagt, dass die Regierungspräsidenten nach der Pfeife der Innungen tanzen, ist selbstverständlich.

Im vergangenen Jahr hatte der Magistrat von Magdeburg unsere Anfechtung des Innungsbeschlusses für gerechtfertigt erklärt und ihn aufgehoben. Dagegen hat die Innung bei dem Regierungspräsidenten Beschwerde erhoben, und der Regierungspräsident hat den Innungsbeschluss für rechtsgültig erklärt und die Entscheidung des Magdeburger Magistrats aufgehoben. Seitdem wagt natürlich der Magdeburger Magistrat schon gar nicht mehr, seine Ansicht zu äußern, er fügt sich einfach der Entscheidung des Regierungspräsidenten, die damals auch vom Herrn Handelsminister gebilligt worden ist. Diese Entscheidungen sind, wie ja die Ausführungen meines Freundes Borchardt ergeben haben, vollständig unverständlich, wenn man sich mit einiger Objektivität an die Sache heranmacht. Überall findet man die Bemerkung, diese Beschlüsse dienten der „Förderung der Standesehre und des Gemeingeistes", und mit Rücksicht darauf gehörten sie zur Kompetenz der Innungen. Meine Herren, wenn man den Begriff der Förderung der Standesehre und des Gemeingeistes im Sinne der Gewerbeordnung, wie er im Innungsgesetz enthalten ist, in dieser Weise interpretiert, dann ist der Paragraph 153 der Gewerbeordnung einfach aufgehoben.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Dass das nicht die Absicht gewesen ist, dass vielmehr der Paragraph 153 neben dieser Bestimmung des Handwerkergesetzes – neben dem Paragraphen 81a der Gewerbeordnung4 – hat bestehen sollen, darüber sind sich alle Kommentare einig. Es hat von den Verwaltungsinstanzen und von dem Herrn Minister nicht eine einzige Auffassung geltend gemacht werden können, die etwa dahin ginge, dass die Bestimmungen über die Zwangsinnungen, insbesondere Paragraph 81a, den Paragraphen 153 hätten abändern sollen.

Wenn man sich auf den Standpunkt stellt, dass alles, was der Förderung der Standesehre und des Gemeingeistes dient, damit dem Paragraphen 153 begrifflich entzogen sei, dann ergibt sich daraus, dass auch unsere Gewerkschaften mit allen ihren Maßregeln dem Paragraphen 153 nicht mehr unterliegen; dann ist er auch für die Gewerkschaften aus der Welt geschafft. Um was handelt es sich denn schließlich bei den gewerkschaftlichen Kämpfen, bei den Fällen des Paragraphen 153, die zur ständigen Nahrung unserer Justiz gehören? Doch darum, dass die streikenden Arbeiter einen anderen, der die Solidarität bricht, der den Gemeingeist und die Standesehre im Sinne der Arbeiter bricht, veranlassen wollen, der Pflicht gegen die Standesehre und gegen den Gemeingeist nachzukommen. Die ganze gewerkschaftliche Bewegung, die auf die Solidarisierung der Arbeiter gegen die Arbeitgeber hinausläuft, ist nichts anderes als eine Bewegung, in der die Standesehre und der Gemeingeist der Arbeiter zum Ausdruck kommen. Trotz alledem wird gegen jeden lächerlichen Exzess, der einmal vorkommt, sofort mit der größten Energie eingeschritten, während hier in Fällen, wo ganz offensichtlich von den Innungen, den Arbeitgeberverbänden, terrorisiert und gegen den Paragraphen 153 verstoßen wird, mit solchen fadenscheinigen, keinen Menschen mit gesunden fünf Sinnen täuschenden Redensarten die Anwendbarkeit des Paragraphen 153 hinweg interpretiert wird. Diese Art der Ausnutzung der Innungen zur Bekämpfung der Arbeiterklasse und zur Terrorisierung derjenigen Arbeitgeber, die sozial einsichtiger und mehr bereit sind, den Ansprüchen der Arbeiter zu genügen als die schlimmsten Scharfmacher und die rückständigsten Elemente unter den Arbeitgebern, ist zu einer öffentlichen Gefahr geworden. Es ist kein Scherz, was ich hier sage: In Magdeburg sind einige Dutzend Bäckermeister – –

(Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident Dr. Porsch: Sie entfernen sich aber vollständig von dem Titel. Ich möchte Sie bitten, Ihre Ausführungen etwas einzuschränken.

Liebknecht: Dasjenige, was ich hier sage, bezieht sich auf einen Beschluss der Innung in Magdeburg,

(Abgeordneter Ströbel: „Sehr richtig!")

und wir sprechen doch von den Innungen.

Vizepräsident Dr. Porsch: Das gehört doch an sich nicht zu diesem Titel. Ich habe Sie sprechen lassen, weil die Sache vorhin schon berührt worden ist, bitte Sie aber, nicht zu eingehend zu werden.

(Abgeordneter Dr. Liebknecht: „Aber wir sprechen doch nur von den Innungen!")

Der Titel handelt über „Zuschüsse zu den Veranstaltungen der Handwerkskammern und anderer Körperschaften zur Hebung des Kleingewerbes".

(Abgeordneter Ströbel: „Das sind doch Veranstaltungen der Handwerkskammern!")

Liebknecht: Ich bin in der Tat gerade in einem Moment unterbrochen worden, als ich nahe am Schluss war. Meine Herren, ich weise darauf hin, dass in Magdeburg wegen der Innungsbeschlüsse Dutzenden von Bäckermeistern die Existenz untergraben worden ist, dass Geldstrafen über Tausende von Mark gegen einzelne Bäckermeister verhängt worden sind.

(Abgeordneter Ströbel: „Hört! Hört!")

Es wurde für jeden Fall und jeden Tag der Zuwiderhandlung von diesen Leuten die höchste Ordnungsstrafe gefordert, die nach der Gewerbeordnung verhängt werden kann.

Meine Herren, wie weit diese Zustände gehen und wie hier gerade der Mittelstand geschädigt wird, nämlich die einsichtigen Kleinmeister, die einsichtigen Handwerksmeister zugunsten der rückständigen Elemente à la Hammer, das beweist eine Petition, die eine Bäckermeisterorganisation an den Reichstag gerichtet hat und die hoffentlich bald zur Verhandlung gelangen wird. Dort wird im Einzelnen aufgezählt, welche ungeheuerlichen Schädigungen die sozialpolitisch einsichtigen Arbeitgeber durch diese Maßregeln, durch diesen offensichtlichen Missbrauch der Innungen erfahren haben, und wie notwendig es ist, wenn die Zwangsinnungen nicht geradezu für die gesamten Handwerker zu einer Zwangsjacke werden sollen im Interesse der reaktionären Parteien, diesem ungesetzlichen Treiben der Innungen ein energisches „bis hierher und nicht weiter" zuzurufen.

Meine Herren, der Herr Minister wäre der Berufene dazu. Er ist verpflichtet, in diesem Falle einzugreifen.

(Abgeordneter Ströbel: „Sehr wahr!")

Es kann nicht guter Glaube vorgeschützt werden. Meine Herren, der Fall liegt so offenbar und ist so ernst und wichtig, dass man wahrlich eine Antwort erwarten dürfte. Ich hoffe, dass die Antwort vom Herrn Minister noch nachträglich erfolgt.

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

II

Persönliche Bemerkung

Meine Herrn, Sie haben das Talent, immer rechtzeitig Schluss zu machen, wenn Ihnen die Blamage unmittelbar bevorsteht. Ihr Schlussmachen ist immer eine Flucht vor der Blamage.

(Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident Dr. Porsch: Herr Abgeordneter, das ist aber eine Bemerkung, die ich nicht zulassen kann.

Liebknecht: Meine Herren, ich hätte dem Herrn Minister einiges wohl Wichtige erwidern können auf die Mitteilungen, die er uns heute gemacht hat. Sie (nach rechts) haben gewusst, dass es unbequem für Sie werden würde, und so haben Sie mir leider das Wort abgeschnitten. Die Gelegenheit wird sich aber ergeben, und ich werde dann in der Lage sein, Ihnen darzutun, dass der Herr Minister für die Entscheidung, die er in dieser Magdeburger Innungssache gefällt hat, auch nicht vermocht hat, durch die jetzt an den Haaren herbeigezogenen neuen Gründe irgendeine rechtlich verständliche und objektiv haltbare Stütze zu finden.

(„Hört! Hört!" und „Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

1 Borchardt hatte berichtet, dass im März 1912 Magdeburger Bäckermeister durch Beschluss ihrer Innung unter Androhung von Geldstrafen gezwungen worden waren, die mit ihren Arbeitern getroffenen Vereinbarungen über Lohn- und Arbeitsbedingungen rückgängig zu machen. Die Red.

2 Karl Liebknecht selbst hatte dem Minister für Handel und Gewerbe eine Aufsichtsbeschwerde gegen den Beschluss der Magdeburger Bäckerinnung eingereicht. Die Red.

3 „Wer andere durch Anwendung körperlichen Zwanges, durch Drohungen, durch Ehrverletzungen oder durch Verrufserklärungen bestimmt oder zu bestimmen versucht, an solchen Verabredungen (§ 152) teilzunehmen oder ihnen Folge zu leisten, oder andere durch gleiche Mittel hindert oder zu hindern versucht, von solchen Verabredungen zurückzutreten, wird mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft, sofern nach dem allgemeinen Strafgesetze nicht eine härtere Strafe eintritt."

4 „1. die Pflege des Gemeingeistes sowie die Aufrechterhaltung und Stärkung der Standesehre unter den Innungsmitgliedern;

2. die Förderung eines gedeihlichen Verhältnisses zwischen Meistern und Gesellen (Gehilfen) sowie die Fürsorge für das Herbergswesen und den Arbeitsnachweis;

3. die nähere Regelung des Lehrlingswesens und die Fürsorge für die technische, gewerbliche und sittliche Ausbildung der Lehrlinge, vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 103, 126 bis 132a;

4. die Entscheidung von Streitigkeiten der im § 3 des Gewerbegerichtsgesetzes vom 29. Juli 1890 und im § 53a des Krankenversicherungsgesetzes bezeichneten Art zwischen den Innenmitgliedern und ihren Lehrlingen."

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