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Karl Liebknecht 19131028 Heraus aus der preußischen Staatskirche!

Karl Liebknecht: Heraus aus der preußischen Staatskirche!

Aus einem Zeitungsbericht über eine Rede in der „Neuen Welt", Berlin

[Vorwärts Nr. 285 vom 30. Oktober 1913. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 6, S. 397 f.]

Massenstreik gegen die Staatskirche!" So lautete das Thema für vier große Volksversammlungen, die der Groß-Berliner Vertrauensobmann des Komitees Konfessionslos1 zum Dienstag einberufen hatte.

Das Thema, zugleich ein Mahnruf, hatte nach der „Neuen Welt" in der Hasenheide einen Massensturm zur Folge. 3000 bis 4000 Personen beiderlei Geschlechts füllten den Riesensaal, als in der vom Genossen Harndt geleiteten Versammlung der erste Referent, Geheimrat Professor Wilhelm Ostwald2 das Wort nahm …

Dr. Karl Liebknecht, der zweite Referent, sprach als Sozialdemokrat und Politiker und betonte dabei, dass er die reinen Weltanschauungsfragen nicht berühre. Entscheidend sei für ihn, neben der Frage der inneren Reinlichkeit und Ehrlichkeit, dass die Kirche in Preußen keine religiöse Organisation sei, sondern sich wohlüberlegt als ein Instrument der herrschenden Klasse zur Unterdrückung der breiten Massen des Volkes fühle. Andererseits halte der Staat seine Fittiche über die Kirche, um sie sich für jene Aufgabe dauernd zu sichern. Redner kennzeichnete in dieser Richtung die Staatskirche noch näher.

Zur Frage des Kirchenaustritts gipfeln die Anschauungen des Redners in folgendem: Jeder, der ein ehrliches Religionsbedürfnis habe, solle es bewahren. Aber auch er sollte aus der preußischen Staatskirche austreten, da ja die preußische Staatskirche nichts gemein habe mit der Befriedigung seines ehrlichen religiösen Bedürfnisses. Austreten müsste ferner, wer innerlich mit der Kirche gebrochen habe, denn sonst sei er ein Heuchler. Und schließlich: Wer ein Kämpfer sein wolle für wirtschaftliche und politische Befreiung, aufgebaut auf dem Grundsatz: „Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt", der ist verpflichtet, auszutreten aus der Landeskirche, die als Instrument der herrschenden Klassen den preußischen Junkerstaat immer fester zu verankern bestrebt sei.

Der Boykott der Staatskirche, energisch und im weitesten Umfang betrieben, sei ein gutes und vorläufig das bequemste Mittel, den Stiefvater Staat und die herrschenden Klassen minder widerstandsfähig zu machen bei ihrem Widerstand gegen die Freiheitsbestrebungen des Volkes. Heraus aus der Landeskirche! (Stürmischer, anhaltender Beifall.)3

1 eine 1910 gegründete Arbeitsgruppe des Deutschen Monistenbundes (s.u.), die sich speziell für die Trennung von Kirche und Staat einsetzte und den Austritt aus der Kirche propagierte.

2 Der Deutsche Monistenbund war eine im Januar 1906 in Jena von dem bedeutenden deutschen Naturforscher und Philosophen Ernst Haeckel gegründete bürgerliche Freidenkerorganisation. Der von Haeckel begründete Monismus, ein naturphilosophisches System, in dem der biologische Entwicklungsgedanke eine grundlegende Rolle spielte, hatte eine atheistische und kirchenfeindliche Tendenz. Ausdruck hierfür war die Tätigkeit des 1910 gegründeten Komitees Konfessionslos. Anfang 1911 übernahm auf Vorschlag Ernst Haeckels Professor Wilhelm Ostwald, Chemiker und Physiker von Weltruf, die Leitung des Monistenbundes. Professor Ostwalds konsequenter Kampf gegen Gottesglauben und Kirche führte ihn Ende 1913 unmittelbar an die Seite Karl Liebknechts, der in den vom Komitee Konfessionslos einberufenen Massenversammlungen die rein politische Zielsetzung der Kirchenaustrittsbewegung hervorhob.

3 Am Schluss der Veranstaltung wurde bekanntgegeben, dass in dieser Versammlung 582 Kirchenaustrittserklärungen abgegeben wurden. Die Red.

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