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Karl Liebknecht 19130423 Militärischer Terrorismus gegen einen Molkereibesitzer

Karl Liebknecht: Militärischer Terrorismus gegen einen Molkereibesitzer

Reden im Deutschen Reichstag in der zweiten Lesung des Reichsheeresetats

[Nach Verhandlungen des Reichstags, XIII. Legislaturperiode, I. Session, Bd. 289, Berlin 1913, S. 5037-5039. Fehlt in den „Reden und Schriften“]

I

Liebknecht: Meine Herren, der vorliegende Titel setzt für Entschädigungen im Bereiche der Militärverwaltung einen Betrag von 21.000 Mark aus. Ich weiß nicht, ob darunter auch der Ersatz von Schäden begriffen sein soll, die durch militärischen Terrorismus zugefügt werden. Ich möchte jedenfalls einen Fall zur Sprache bringen, in dem ein solcher Ersatz besonders dringende Pflicht wäre. Ich meine dabei jetzt nicht den Fall der bekannten Tanzkünstlerin Erna Offeney in Spandau, über die man durch Verweigerung der Militärkapellen einen lächerlichen und doch schwer verletzenden Militärboykott verhängt hat, weil ihr Vater, ein früherer Militärmusikdirektor mit der Militärverwaltung in Konflikt geraten war.

(„Hört! hört!“ bei den Sozialdemokraten.)

Ich spreche von dem Fall des Molkereibesitzers Arnold in Potsdam, der, wie mir Scheint, zu den krassesten Fällen gehört, die mir bisher in Deutschland erlebt haben. Dieser Molkereibesitzer Arnold in Potsdam bezog auf Grund längerer Kontrakte nicht nur von der Hofgärtnerei Potsdam Gras und lieferte dorthin Dung, er bezog auch von dem 1. Garderegiment zu Fuß und dem Gardeulanenregiment Speisereste zur Fütterung seines Viehs. Dieser Herr Arnold, ein ganz einfacher, schlichter, unpolitischer Mensch, der mit der Sozialdemokratie nicht das Entfernteste zu tun hat, hat sich an ein einmal gegebenes Versprechen für gebunden erachtet und der Sozialdemokratie im Jahre 1912 mehrfach seinen Garten zu Versammlungen zur Verfügung gestellt. Die Wirkung davon war, dass Arnold Knall und Fall nicht nur von der Hofgärtnerei, sondern auch von den genannten Regimentern die Lieferungen, sogar ohne Innehaltung der Kündigungsfristen, entzogen bekam. Es wurde ihm sogar durch Regimentsbefehl des Garderegiments zu Fuß das Betreten der Kasernements dieses Regiments untersagt.

Meine Herren, der Herr Kriegsminister hat in der Kommission, als ich diesen Fall zur Sprache brachte, behauptet, dass dieses Vorgehen der Militärverwaltung keinerlei politische Gründe gehabt habe, sondern aus irgendwelchen, ich weiß nicht welchen, militärischen Gründen erfolgt sei. Demgegenüber bin ich in der Lage, nachzuweisen, dass der Herr Kriegsminister falsch unterrichtet worden ist. Mir liegt hier vor eine Anfrage des Herrn Arnold vom 15. Januar 1912 an das Garderegiment zu Fuß, in der er wegen des Verbots des Betretens der Kasernements anfragt. Darauf ist ihm von dem Regimentskommandeur dieses Schreiben zurückgesandt worden mit dem Randbermerk: „Dem Herrn Einsender mit der anliegenden Annonce zurück", und die Annonce, die der Kommandeur beigelegt hat, ist eine Annonce, in der eine Versammlung, die ich in Potsdam abhalten sollte, angekündigt war. Es ist hiernach außer jedem Zweifel, dass politische Rücksichten für das Vorgehen des 1. Garderegiments zu Fuß maßgebend gewesen sind, und dass mindestens in diesem Fall des krassen militärischen Terrorismus die Militärverwaltung sich auch nicht einmal geniert hat, ihr Vorgehen ganz offen mit politischen Rücksichten zu begründen. Die Schlussfolgerungen für den Fall der Gardeulanen ergeben sich daraus von selbst.

Meine Herren, ich habe weiter Folgendes auszuführen. Nachdem der Herr Arnold durch das Vorgehen der Militärverwaltung geschäftlich nahezu ruiniert worden war, hat er fein Geschäft auf seinen Sohn übertragen, der noch bis zum 1. Oktober v. J. beim 1. Garderegiment zu Fuß als ausgezeichneter Soldat gedient hat. Als sich nun dieser bei zwei verschiedenen militärischen Körperschaften, den Gardehusaren und der Unteroffiziersschule in Potsdam, um die Milchlieferungen bemühte, wurde er abschlägig beschieden. Die Lösung des Rätsels ergibt sich daraus, dass festgestellt ist, dass das Regimentskommando der Gardehusaren und ebenso die Leitung der Unteroffiziersschule sich bei der Potsdamer Polizei telefonisch erkundigt hatten, ob der Bewerber der Sohn des „Sozialdemokraten" Arnold sei. Daraus geht hervor, dass auch in diesen Fällen das Verhalten der Militärbehörden durch politische Gründe bestimmt worden ist, und dass die Informationen des Herrn Kriegsministers durchaus unzutreffend gewesen sind. Man muss annehmen, dass die Informationen, die der Herr Kriegsminister bekommen hat, ihm von Offizieren zuteil geworden sind, und ich meine, dass Offiziere doch in erster Linie die Pflicht zur Wahrheit haben sollten. Es ist im höchsten Maße bedauerlich, dass wir feststellen müssen, dass hier eine so geringe Wahrheitsliebe bei diesen Offizieren zutage getreten ist. Der dokumentarische Nachweis, dass dem Herrn Kriegsminister von Offizieren objektive und subjektive Unrichtigkeiten mitgeteilt worden sind, liegt hier vor mir.

Es hat in Preußen schon einmal einen Fall Arnold gegeben, in dem gegenüber dem Widerstand pflichtvergessener Behörden der Gerechtigkeit Genüge geschehen ist, und der immer als ein Beispiel preußischer Gerechtigkeit angeführt wird, an dem sich die preußischen Patrioten berauschen. Ich bin neugierig, welchen Ausgang dieser neue Fall Arnold nehmen wird, der schlimmer ist als der alte Fall Arnold. Der Herr Kriegsminister hat meiner Meinung nach etwas Besseres zu tun, als durch seine Erklärungen das durchaus gesetzwidrige terroristische Vorgehen der Potsdamer MiIitärbehörden zu decken.

(„Bravo!“ bei den Sozialdemokraten.)

II.

Liebknecht: Meine Herren, in Bezug auf die Milchlieferungen möchte ich das eine bemerken. Arnold war hier nachweislich bei weitem der billigste Lieferant. Entgegen der sonstigen Übung ist ihm, obwohl er eine vollkommen einwandfreie Milch liefert, die Lieferung nicht übertragen worden. Die Militärverwaltung hat sich bei der PoIizei danach erkundigt, ob der Bewerber Sohn des „Sozialdemokraten" Arnold sei.

(„Hört! hört!“ bei den Sozialdemokraten.)

Wenn dies dem Herrn Kriegsminister nicht berichtet worden ist, so ist ihm einfach das Wesentlichste verschwiegen worden. Ich stelle fest, dass der Herr Kriegsminister bzw. sein Herr Vertreter jetzt gegenüber meinen Anschuldigungen eine andere Taktik einschlägt als vorher, Nachdem ich den Herren dokumentarisch in dem einen Falle habe nachweisen können, dass ihre Behauptungen in der Kommission unrichtig sind, dass, tatsächlich ein politischer Boykott vorliegt, wird jetzt offen zugegeben, dass mindestens in dem Falle politische Rücksichten maßgebend gewesen sind, und einfach schroff das Recht in Anspruch genommen, in dieser Weise politischen Terrorismus auszuüben. Es ist sehr wertvoll, diese Erklärung zu haben. Wir wissen nun, dass die Militärverwaltung in voller Überlegung ein derartiges terroristisches Vorgehen der militärischen Körperschaften billigt. Das ist ein Zugeständnis von prinzipaler Bedeutung, das für die Zukunft für uns Früchte tragen und für den Herrn Kriegsminister recht unangenehm werden wird.

Was soll das heißen, dass Gründe der militärischen Disziplin berechtigt hätten, diesem Manne das Betreten und Befahren der Kasernements zu verbieten? Was konnte da in der militärischen Disziplin gelockert werden? Welche kleinliche Auffassung der militärischen Disziplin einer derartigen Maßnahme zu erkennen!

In Bezug auf die wirtschaftliche Lage des Herrn Arnold möchte ich Folgendes sagen. Herr Arnold ist noch nicht vollständig wirtschaftlich ruiniert; er wird aber wirtschaftlich ruiniert, wenn von der Militärverwaltung künftig nicht in anderer Weise verfahren wird. Soll denn die Militärverwaltung warten, bis der Mann ruiniert wird, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist? Will sie nicht vielmehr eingreifen, solange noch etwas gutzumachen ist? Schwere Schäden sind diesem Manne zugefügt worden, das kann nicht bestritten werden, und daraus ergibt sich die Verpflichtung der Militärverwaltung, einzugreifen.

Wenn aber die Militärverwaltung Untersuchungen anstellen will, die zu einem Resultat führen sollen, dann darf sie sich nicht damit begnügen, Berichte von den Regimentern einzufordern, dann muss sie vor allen Dingen dafür sorgen, dass auch dritte Personen, Zivilisten gehört werden, und dass auch Herr Arnold und seine Zeugen vernommen werden. Sonst gibt es keine Klarheit. Solange die Militärverwaltung sich nicht bemüht, in dieser Art Klarheit zu schaffen, können wir an den guten Willen der Militärverwaltung nicht glauben. Jedenfalls aber ist durch das heutige Eingeständnis, dass der Terrorismus, der tatsächlich geübt worden ist, gebilligt wird, für uns soviel erzielt worden, dass wir das Kriegsministerium anklagen können, dass es ein solches pflichtwidriges Verfahren, ein solches gesetzwidriges Verfahren, bei dem nicht einmal ernsthafte Gründe sogenannter militärischer Disziplin in Frage kommen, mit vollem Bewusstsein billigt.

(„Bravo!“ bei den Sozialdemokraten.)

III.

Vizepräsident Dr. Paasche: Es ist hier nicht verstanden worden, dass der Herr Abgeordnete Dr. Liebknecht von gesetzwidrigem Verhalten gesprochen hätte. Ich werde das Stenogramm nachsehen und, sollte das der Fall sein, nachträglich meine Maßnahmen treffen.

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Liebknecht.

Liebknecht: Meine Herren, dass das Vorgehen der Militärverwaltung ein gesetzwidriges ist – –

(Glocke des Präsidenten)

Vizepräsident Dr. Paasche: Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, das Wort, das ich eben schon bedingungsweise gerügt habe, nicht zu wiederholen!

(Bravo!)

Liebknecht: Dass es ein unzulässiges Verfahren ist, ein objektiv gesetzwidriges, ist meiner Ansicht nach gar nicht zu verkennen. Die Militärverwaltung hat die Verpflichtung, die Staatsbürger in ihren allgemeinen Rechten nicht durch ihr Eingreifen zu stören und sie nicht durch einen Terrorismus, der durch diese Art des Boykotts ausgeübt wird, wirtschaftlich zu schädigen. Am wenigsten aus politischen Gründen. Das lässt sich in gar keiner Weise rechtfertigen, und wenn der Herr Kriegsminister mit seinen Ausführungen hat sagen wollen, dass er diese Art Boykott generell für gesetzmäßig hält, vielleicht sogar für die Pflicht der Militärverwaltung, dann hat er damit noch weit über das von seinem Herrn Vertreter Ausgesprochene hinaus ein prinzipielles Bekenntnis zum systematischen politischen Terrorismus abgelegt und die Militärverwaltung zu einer Filiale des Reichsverbandes gestempelt. Damit ist uns eine Waffe in die Hand gegeben, die der Militärverwaltung noch sehr unangenehm werden wird.

(Beifall bei den Sozialdemokraten. – Lachen und Zurufe rechts.)

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