Karl Liebknecht‎ > ‎1913‎ > ‎

Karl Liebknecht 19130608 Wehrvorlage und Steuerfrage

Karl Liebknecht: Wehrvorlage und Steuerfrage

Aus einem Zeitungsbericht über die Generalversammlung des Sozialdemokratischen Wahlvereins des Kreises Potsdam-Spandau-Osthavelland im Friedrichsgarten in Potsdam

[Vorwärts, Nr. 143 vom 10. Juni 1913. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 6, S. 303 f.]

Als erster Diskussionsredner beschäftigte sich Genosse Liebknecht zunächst mit den unbefriedigenden Agitationsergebnissen, die auch in Berlin und anderwärts zu beobachten seien. Die Aufstellung eines Staatsarbeiters für die Landtagswahl sei ein geschickter Schachzug der Liberalen gewesen. Solchen Verwirrungsversuchen hätten wir mit aller Energie entgegenzutreten. Was unsere Resultate anbelangt, so hebe uns die erzielte Stimmenzunahme weit über alle anderen Parteien hinaus. Wir können nun nach der Wahl nur erneut die Tatsache feststellen, dass wir im Wahlkampf auf dem Boden der indirekten Wahl das Wahlunrecht nicht aus den Angeln zu heben vermögen. Daher müssten wir daran denken, dass der Druck von außen kommen müsse. Mit allen außerparlamentarischen Mitteln habe das Volk seinen Willen zur Geltung zu bringen. Die letzte Landtagswahl habe unser Interesse am Wahlkampf nicht etwa erschöpft, sondern wir müssen betonen, dass wir nun erst recht und mit allen gesetzlichen Mitteln eine Wahlreform anstreben, die den Bedürfnissen des Volkes entspricht. (Beifall.) …

Ein Referat über den Parteitag in Jena ist dem Genossen Liebknecht übertragen, der in den Mittelpunkt seiner Ausführungen die Militärvorlage stellt, die als Steuerfrage auf dem Parteitag wahrscheinlich eine eingehende Behandlung zu erwarten habe. Zur Wehrvorlage werde unsere Fraktion, wenn sie angenommen ist, bei der Deckungsvorlage die Politik des kleineren Übels wählen und für die den Besitz belastenden Steuern stimmen. Vor allen Dingen jedoch gelte der Kampf zunächst der Wehrvorlage selbst.

Wenn der Fraktion in der Stuttgarter Resolution1 der Vorwurf gemacht werde, sie trete nicht energisch genug gegen dieselbe auf, so müsse zwar anerkannt werden, dass diese Resolution von dem guten Willen getragen werde, alles zu tun, was gegen die Vorlage getan werden könne, aber man dürfe zur Fraktion das Vertrauen haben, dass sie schon bisher in diesem Sinne gehandelt habe und es auch ferner an nichts fehlen lassen werde …

Angenommen wird eine Resolution des Genossen Liebknecht, die zur Landtagswahl feststellt, dass das preußische Dreiklassenrecht seine gemeingefährliche Aufgabe, den Volkswillen zu strangulieren, bei den jetzigen Landtagswahlen wiederum erfüllt habe.

Der Wahlrechtskampf des preußischen Proletariats müsste gegebenenfalls auch unter rücksichtslosester Anwendung der stärksten außerparlamentarischen Mittel geführt werden. Das belgische Proletariat wird durch die Resolution zu seiner ausgezeichneten Führung des Wahlrechtskampfes2 aufs Wärmste beglückwünscht …

1Auf einer Generalversammlung des 1. württembergischen Reichstagswahlkreises (Stuttgart), die am 25. Mai 1913 in Stuttgart stattfand, wurde einstimmig folgende Resolution angenommen: „Die Generalversammlung des 1. württembergischen Reichstagswahlkreises spricht ihr Bedauern darüber aus, dass der Kampf gegen die Militärvorlage im Parlament nicht energischer geführt wird. Sie ist der Meinung, dass diesem brutalen Beutezug des Rüstungskapitals mit allen zu Gebote stehenden Mitteln entgegengetreten werden sollte. Die Kreisgeneralversammlung erwartet daher von der sozialdemokratischen Fraktion des Reichstags, dass bei den Verhandlungen im Plenum der Kampf in schärfster Form einsetzt, wenn nötig durch Obstruktion. Die Versammlung hält aber auch den seitherigen, außerhalb des Parlaments geführten Kampf für ungenügend; sie verlangt von dem Parteivorstand, dass er eine die ganze arbeitende Bevölkerung erfassende Aktion, eventuell den Massenstreik, in die Wege leiten soll." Diese Resolution bildete den Anstoß für eine Diskussion über die Taktik der Fraktion und über den Massenstreik in den Parteiorganisationen und in der Presse. Die Red.

2 Vom 14. bis 24. April 1913 kam es in Belgien zu einem Generalstreik, an dem 400.000–500.000 Arbeiter teilnahmen. Es war der erste umfassende, systematisch vorbereitete und organisierte Massenstreik, der nach der ersten russischen Revolution von 1905-1907 in einem westeuropäischen Land zur Erkämpfung unmittelbar politischer Ziele, für die Durchsetzung des allgemeinen, gleichen Wahlrechts, geführt wurde. Das belgische Proletariat errang einen Teilerfolg.

Kommentare