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Karl Liebknecht 19130826 Wir bleiben Todfeinde des Militarismus. Diesem System keinen Mann und keinen Groschen!

Karl Liebknecht: Wir bleiben Todfeinde des Militarismus. Diesem System keinen Mann und keinen Groschen!

Aus einem Zeitungsbericht über die Generalversammlung des Sozialdemokratischen Wahlvereins des VI. Berliner Reichstagswahlkreises

[Vorwärts Nr. 222 vom 28. August 1913. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 6, S. 367-370]

An Stelle Ledebours ergriff Genosse Liebknecht das Wort zu seinem Referat „Die Wehr- und Deckungsvorlagen". Er sagte:

Die Verhandlungen standen von vornherein unter einer gewissen Mutlosigkeit, denn es stand fest, dass die Wehrvorlage eine große Mehrheit finden werde. Als dann die Frage laut wurde, ob es möglich sei, außerparlamentarische Kräfte gegen die Militärvorlagen zu entfesseln, zeigte sich auch hier die gleiche Mutlosigkeit. Der Vorschlag fand kein Echo in den Massen. Desto mehr hatte die Fraktion die Pflicht, durch eine rücksichtslose Taktik die Stimmung der Massen zu beleben. Feuerfunken schlagen musste die Taktik. Wenn ich auch weiß, dass Obstruktion nicht möglich ist, bin ich doch der Meinung, der Kampf konnte rücksichtsloser geführt werden, und wir hätten es darauf ankommen lassen sollen, ob man uns vergewaltigt hätte. Die passive Resistenz der bürgerlichen Parteien mussten wir durchkreuzen, sie zwingen, sich uns zu stellen.

Es soll durchaus nicht unterschätzt werden, dass die Fraktion bei der zweiten Lesung tüchtige Arbeit geleistet hat, aber dass man sich einverstanden erklärte, sofort in die zweite Lesung einzutreten, das halte ich für falsch, weil es dem Wesen des Bewilligungsrechts widersprach, Ausgaben ohne Deckung zu bewilligen. Ich fürchte sehr, der gefasste Beschluss wird uns in Zukunft Schwierigkeiten bereiten.

Man fürchtete, ausgeschaltet zu werden und ging von der Annahme aus, dass nur durch den Druck der 110 indirekte Steuern verhindert würden. Dieser Standpunkt ist meines Erachtens falsch. Bürgerliche Mehrheit und Regierung haben den direkten Steuern, besonders der Vermögenszuwachssteuer, zugestimmt, gedrängt durch die Stimmung der Massen, die, ausgelöst durch die Finanzreform von 19091, in den Wahlen 1912 sich widerspiegelt. Wir hätten also ruhig eine andere Taktik einschlagen und es den bürgerlichen Parteien überlassen können, ob sie die Brüskierung wagen würden, dem Volk weitere indirekte Steuern aufzubürden. Die Millionen Stimmen waren ein Trumpf in unserer Hand, über den die Gegner nicht hinweggehen konnten. Die Fraktion war sich doch einig, wären Wehr- und Deckungsvorlagen durch ein Mantelgesetz verbunden gewesen, so hätten wir dagegen gestimmt. Die Mehrheit stand auch zu dem alten Grundsatz: Diesem System keinen Mann und keinen Groschen, wenngleich er von einer Seite als veraltete Formel bezeichnet wurde.

Nun tauchte jedoch die Frage auf, wie wir uns zur Deckungsvorlage stellen sollen, wenn die Wehrvorlage bereits angenommen ist. Würde die Deckungsvorlage zuerst zur Abstimmung gestanden haben, wir hätten dagegen stimmen müssen, da dann das Prinzip des kleineren Übels gar nicht in Frage kam. Welcher Fall eintreten würde, ließ sich aber nicht voraussehen. Wir durften keineswegs durch unsere Taktik dazu beitragen, dass das Übel überhaupt erst geschaffen wurde, und als es da war, hätten wir nur dafür stimmen dürfen, sofern es zur Abwendung des größeren unbedingt notwendig war, anderenfalls mussten wir dagegen protestieren oder uns doch der Stimme enthalten. Niemals durfte unsere Abstimmung davon abhängig gemacht werden, ob eine Mehrheit für die Vorlage gesichert war. Stimmenthaltung ist durchaus keine Feigheit, wie das glorreiche Beispiel von 18702 beweist.

Das Gerede von der Reichstagsauflösung war meiner Meinung nichts als Klatscherei. Gerade das Zentrum fühlt sich im gegenwärtigen Reichstage sehr wohl. Wir aber haben niemals eine Reichstagsauflösung zu fürchten, dürfen es auch nicht, denn das wäre ein bedenkliches Zeichen der Schwäche. Stimmten wir der Deckungsvorlage zu, dann konnte es leicht geschehen, dass sie einstimmig angenommen wurde, und das hätte ein unvergleichliches Hallo in der ganzen Welt gegeben, die Sozialdemokratie als Teil des einmütigen Rüstungsparlaments zu sehen.

Nun hat sich die Diskussion darauf zugespitzt, ob der Verwendungszweck eine Rolle spielen dürfe. Ich halte die Auffassung für eine ganz unmögliche, dass wir Steuern, die an und für sich gut sind, zustimmen sollen, gleichviel wofür sie verwendet werden. Die Reichsvermögenszuwachssteuer, obgleich die Erbschaftssteuer hineingearbeitet ist, ist die miserabelste direkte Reichssteuer, die man sich denken kann; doch möchte ich ihre Bedeutung für die preußischen Finanzen nicht unterschätzt wissen. Sie expropriiert gewissermaßen einen Teil der preußischen Steuerquellen, ist also ein nicht ganz wertloses Stück Schwächung der preußischen Reaktion. Aber Steuern bewilligen heißt einer feindlichen Regierung Macht in die Hand geben und den Militarismus stärken. Steuern sind Mittel zum Zweck, und deshalb kann der Verwendungszweck nicht ausgeschaltet werden. Was für die Budgetbewilligung gilt, trifft auch auf die Steuerbewilligung zu. Der Nürnberger Beschluss3 ist maßgebend.

Wir werden, um Klarheit zu schaffen, die Frage auf dem Parteitag ruhig diskutieren. Die Thesen des Genossen Wurm4 halte ich für eine einwandfreie Unterlage dafür, und der Parteitag wird sich sicher auf diesen Standpunkt stellen.

Unsere grundsätzliche Haltung gegenüber dem Militarismus werden wir um kein Jota abschwächen. Der Fraktion aber muss zugerufen werden: Wir bleiben Todfeinde des Militarismus, und diesem System keinen Mann und keinen Groschen!

1 Die deutsche Reichsregierung des sogenannten Bülow-Blocks von Konservativen und Liberalen strebte 1908/09 eine Reform der Reichsfinanzen an, um der unaufhörlichen Verschuldung des Reiches – in erster Linie eine Folge der imperialistischen Aufrüstung – entgegenzuwirken. Ihr Ziel war ein jährlicher Mehrbetrag an Steuereinnahmen von 500 Millionen Mark. Ein Fünftel der Mehreinnahmen sollte aus einer neuen Erbschaftssteuer gewonnen werden, der Hauptteil durch die Erhöhung bzw. Neuschaffung von indirekten Steuern (auf Branntwein, Tabak, Bier, Gas und Elektrizität).

Die konservativen Parteien und das Zentrum traten gegen die Erbschaftssteuer auf. Am 10. Juni 1909 nahm eine Reichstagsmehrheit aus Konservativen, Zentrum und Polen ein nach den Wünschen der Konservativen verändertes Steuergesetz an.

2 Karl Liebknecht bezieht sich hier auf die Haltung August Bebels und Wilhelm Liebknechts in der ersten Abstimmung über die Kriegskredite im Reichstag des Norddeutschen Bundes unmittelbar nach Beginn des Deutsch-Französischen Krieges.

Beide enthielten sich als einzige der Stimme, da sie sowohl in Bismarck als auch in Napoleon III. Kriegsschuldige sahen. Marx und Engels billigten diese Entscheidung. Bei der zweiten Abstimmung, als der Krieg nach der Einnahme Sedans und der Gefangennahme Napoleons III. von deutscher Seite als reiner Eroberungskrieg weitergeführt wurde, lehnten August Bebel und Wilhelm Liebknecht strikt weitere Kriegskredite ab.

3 Es handelt sich um die Resolution des Parteivorstandes und der Kontrollkommission zur Budgetbewilligung:, die auf dem Nürnberger Parteitag 1908 mit 258 gegen 119 Stimmen angenommen wurde. In ihr wurde verlangt, „jeder gegnerischen Regierung das Staatsbudget… zu verweigern, es sei denn, dass die Ablehnung desselben… die Annahme eines für die Arbeiterklasse ungünstigeren Budgets zur Folge haben würde." (Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten in Nürnberg vom 13. bis 19. September 1908, Berlin 1908, S. 189.) Die Red.

4 Die Leitsätze Wurms zur Steuerfrage gingen davon aus, dass die Verteilung der Steuerlast in der kapitalistischen Gesellschaft eine politische Machtfrage ist: „Die politisch stärkere Klasse legt die Steuern auf die politisch schwächere und vergrößert dadurch noch die im Wesen des Kapitalismus liegende Ausbeutung der Arbeiterklasse." Nicht die Erhebungsform der Steuer, ob direkt oder indirekt, sei entscheidend für ihre Wirkung. Der Kerngedanke der Leitsätze war, dass ausschließlich der Mehrwert (Grundrente, Leihzins, Unternehmergewinn) besteuert werden dürfe. (Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten in Jena vom 14. bis 20. September 1913, Berlin 1913, S. 183 bis 186.) Die Red.

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