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Karl Liebknecht 19130222 Zu den Forderungen der Binnenschiffer

Karl Liebknecht: Zu den Forderungen der Binnenschiffer

Rede im preußischen Abgeordnetenhaus zum Handels- und Gewerbeetat

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, V. Session 1912/13, 9. Bd., Berlin 1913, Sp. 11.911-11.913 und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 6, S. 128-132]

Meine Herren, ich will auch in diesem Jahre diesen Titel benutzen, um mich ein wenig mit den Verhältnissen der Binnenschiffer zu befassen. Zunächst ein Wort zu der Lage der Schifffahrtsangestellten. Sie wissen davon, dass die Schifffahrtsangestellten eine lebhafte Bewegung zur Einführung der Sonntags- und Nachtruhe geführt haben und führen. Es ist Ihnen auch bekannt, dass im Reichstag vor nicht langer Zeit über eine diesbezügliche Petition beraten worden ist und dass der Reichstag damals ebenso wie schon oft vorher sich für eine reichsgesetzliche Einführung sowohl der Sonntags- wie einer Nachtruhe ausgesprochen hat. Meine Herren, dass eine solche Ruhezeit möglich ist, auch in diesem Berufe, dafür ist der Beweis besonders in der Rheinschifffahrt geliefert, in der mit einer größeren Anzahl großer Reedereien bereits Tarifverträge abgeschlossen worden sind, die eine solche Ruhe vorsehen.

Meine Herren, es darf darauf hingewiesen werden, dass diese Forderungen von den kleinen Schiffseignern eigentlich gar nicht bekämpft werden. Wiederholt bereits haben sich Versammlungen der kleinen Schiffseigner geradezu mit diesen Forderungen einverstanden erklärt, auch zum Teil mit den Forderungen auf Lohnerhöhung der Schifffahrtsangestellten Das hat seinen Grund darin, dass der kleine Privatschiffer, der selbst fährt, nicht nur Eigentümer seines Kahnes, sondern auch gleichzeitig Arbeiter für sich selbst ist, der die Stellung desjenigen vertritt, der sonst von einer Reederei, von einem kapitalistischen Unternehmen angestellt werden müsste. Wenn nun insgesamt, also auch in den großen Reedereien, die Nacht- und Sonntagsruhe eingeführt wird, dann können auch die kleinen Binnenschiffer, die Privatschiffer, die Sonntags- und Nachtruhe durchführen, und der Vorteil, den die Angestellten der Reedereien aus einer Lohnaufbesserung haben, fällt dann dem Privatschiffer selbst zu, weil er ja eben wirtschaftlich die Funktionen des von der Reederei Angestellten ausübt und auch seine Frachten steigen müssen. So ergibt sich zum Teil eine Interessensolidarität zwischen den Schifffahrtsangestellten und den kleinen Binnenschiffern, und aus dieser Interessensolidarität heraus ergibt sich dann das in dieser Beziehung zu konstatierende Zusammenarbeiten.

Die Verhältnisse sowohl in Bezug auf die Sonntags- und Nachtruhe wie auch zum Teil auf die sonstigen Arbeitsbedingungen sind besonders auf den märkischen Wasserstraßen so wenig günstig, dass wir gegenwärtig vor der Gefahr eines allgemeinen Streiks stehen, der auch bereits auszubrechen beginnt. Es war bereits so weit, dass man den allgemeinen Streik für den 15. dieses Monats erwarten musste.

Vielleicht ist es möglich, dass die Königliche Staatsregierung ihren Einfluss dahin ausübt, dass den Ansprüchen der Angestellten in irgendeiner Weise entgegengekommen wird. Sie hat ja das Recht und in einem gewissen Sinne die Pflicht der Vermittlung. Jedenfalls aber möchte ich bei dieser Gelegenheit das dringende Ersuchen an die Königliche Staatsregierung richten – sie ist ja die Hauptverantwortliche für die Ausgestaltung der Reichsgesetzgebung –, dass sie ihr Gewicht dafür in die Waagschale wirft, dass der wiederholt erhobenen Forderung des Reichstages Genüge geschieht und die Sonntags- und Nachtruhe in der von den Schifffahrtsangestellten geforderten Weise eingeführt wird.

Nun, meine Herren, einige Worte zu der Lage der Privatschiffer selbst. Die Privatschiffer haben vor kurzem eine Vorlesung von einem Kommerzienrat Tonne-Magdeburg gehalten bekommen, die darauf hinausläuft, dass ihre schlimme Lage sich im Wesentlichen erkläre aus ihrer Unfähigkeit zu rechnen. Meine Herren, nun mag es ja vielleicht richtig sein, dass bei den Binnenschiffern, ebenso wie im Handwerk und wie ja auch bei den kleinen Bauern, mancher wirtschaftliche Mangel sich aus ihrer Unbeholfenheit im Rechnen erklärt. Das aber als die Hauptursache des Niedergangs des Binnenschiffergewerbes zu betrachten ist doch in der Tat ungewöhnlich kurzsichtig. Über die wirklichen Gründe habe ich mich bereits oft genug ausgelassen. Ich habe keine Ursache, da noch ein Wort hinzuzufügen. Ein Beispiel möchte ich hervorheben.

Vor etwa elf Jahren wurde mit auf Veranlassung dieses selben Herrn Tonne eine Regelung für die Elbschifffahrt getroffen, die in ihrem Wesen und in ihrem Ausgang außerordentlich charakteristisch ist. Es wurde damals die Mehrzahl der Privatschiffer bewogen, ihre Fahrzeuge den vereinigten Reedereien zur Tonnenmiete auf zehn Jahre zu vermieten. Meine Herren, das war eine Art Unselbständigkeitserklärung dieser bisher für selbständig gehaltenen Privatschiffer. Es war natürlich gleichzeitig eine Art Sicherung ihrer Lage, denn sie hatten nun statt der bisherigen Ungewissheit ein festes Einkommen. Wenn man aber dachte, dass damit noch nicht das Ende der selbständigen Elbschiff fahrt gekommen sei, weil der Vertrag ja nur auf zehn Jahre geschlossen sei, so wurde man alsbald eines Besseren belehrt.

Vor Abschluss der Vereinbarung gab es noch private Schleppdampfer auf der Elbe, deren sich diese Privatschiffer bedienen konnten. Während des zehnjährigen vertragsmäßigen Monopols der Reedereien haben diese Reedereien die Privatdampfer fast vollkommen aufgekauft. Das Resultat ist, dass jetzt, nach Ablauf dieser zehn Jahre – die Zeit steht unmittelbar bevor –, die Privatschiffer gar keine Schleppgelegenheit mehr haben, weil sie vollständig monopolisiert ist. Das ist viel charakteristischer für die Entwicklung der Zustände in dem Gewerbe der Privatschiffer als die allgemeinen Redewendungen, die der Herr Kommerzienrat Tonne zum besten gegeben hat.

Meine Herren, die Bevorzugung der großkapitalistischen Unternehmungen auf dem Wasser ist unzweifelhaft auch gegenwärtig noch vorhanden und scheint geradezu Fortschritte zu machen. Immer wieder hört man Klagen darüber, dass die Kähne der Reedereien an den Umschlagplätzen bevorzugt werden, so dass sie schließlich imstande sind, in derselben Zeit, in der der Privatschiffer nur eine einzige Reise machen kann, zwei Reisen zu machen. Für die Strecke von Magdeburg bis Berlin heißt es, dass einer Anzahl großer Reedereien ein Vorschleuserecht gewährt wird, wenigstens praktisch, weil sie eigene Lageplätze haben. Das Ergebnis dieser Handhabung ist, dass in dem Flauer Kanal an allen Schleusen die Privatschiffer, die kleinen Leute, Sonntagsruhe halten müssen, während die Großreedereien nicht in eine solche Verlegenheit kommen. Die Privatschiffer müssen da in verschiedenen Rängen liegen und warten, bis sie durchgeschleust werden, und haben dabei nur allzu gute Gelegenheit, über die beste aller Welten nachzudenken.

Ein charakteristisches Beispiel ist auch der von der Berliner Kaufmannschaft gegründete Berliner Lloyd, der Eildampfer und Schleppkähne usw. besitzt. Sie sollen in erster Linie zwischen Hamburg und Berlin verkehren. Seit einigen Jahren verkehren sie allerdings auch von Berlin oder Hamburg bis nach Cosel (Oberschlesien). In Cosel, wird mir geschrieben, ist am Umschlagplatz der Andrang von Ladungen so groß, dass die Privatschiffer dort öfters zehn bis zwanzig Tage auf Entladung warten müssen. Der Berliner Lloyd kommt auch hier nicht in Verlegenheit. Es ist ihm auf längere Zeit ein Vorzugsrecht gegeben worden, vor den Privatschiffern abgefertigt zu werden. Ich möchte doch einmal gerne hören, wodurch die Gewährung dieses Vorzugsrechts gerechtfertigt wird. Dieses Vorzugsrecht besteht im Augenblick ja nicht mehr, es ist entzogen, aber es ist ein neuer Antrag des Berliner Lloyds eingereicht worden, es ihm wiederum zu gewähren, und die Binnenschiffer sind nach der Erfahrung aus der Vergangenheit überzeugt, dass dem Lloyd diese Bevorzugung dem Antrag entsprechend, wieder gewährt werden wird. Das sind meiner Meinung nach Ungerechtigkeiten. Wir setzen uns nicht dafür ein, dass irgendwelche künstliche Hemmung der natürlichen, notwendigen und im Interesse der Gesamtheit liegenden Verkehrsentwicklung stattfindet, im Interesse technisch rückständiger Teile des Verkehrswesens. Aber hier handelt es sich direkt darum, dass sachlich vollkommen unbegründete Bevorzugungen gewährt werden, die das Großkapital nicht zu beanspruchen hat. Das Großkapital mag sich dem kleinen Kapital gegenüber durchsetzen – man wird diese Konkurrenz nicht unterbinden können –, vermöge derjenigen Kampfmethoden, die nun einmal mit unserem Wirtschaftsleben untrennbar verbunden sind; aber ihm, wo es doch den kleinen Leuten gegenüber schon eine allzu leichte Position hat, den Kampf zu erleichtern durch Bevorzugungen, die in der Sache keine Begründung haben, dafür können wir uns schon aus Gerechtigkeitsgründen nicht einsetzen.

(Abgeordneter Hoffmann: „Sehr wahr!")

Meine Herren, ich würde sehr erfreut sein, wenn ich auf diese Frage, die ich hier zuletzt angeregt habe und die ja wohl auch die Handels- und Gewerbeverwaltung angeht, etwas hören könnte. Es ist ja sehr schwer, sich hier über die Schifffahrtsdinge näher zu äußern, weil man nicht recht weiß, wohin sie gehören; sie gehören, soweit es sich um das Bauliche handelt, zum Bauetat, soweit es sich um das Gewerbliche handelt, zum Gewerbeetat. Beides aber hängt wiederum so eng aneinander, ist so eng miteinander verschlungen, dass man wirklich in den einzelnen Fällen oft nicht weiß, was zum Handelsressort gehört. Ich hoffe, dass ich diesmal zufällig im Handelsministerium das zuständige Ressort getroffen habe, und ich möchte dringend darum bitten, im Interesse der Aufklärung der Schiffer und im Interesse der Behebung ihrer Nöte, auf das eine Antwort zu geben, was ich mir vorzutragen gestattet habe.

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