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Karl Liebknecht 19130307 Zur Genossenschaftsfrage

Karl Liebknecht: Zur Genossenschaftsfrage

Aus Reden im preußischen Abgeordnetenhaus zum Etat der Preußischen Zentral-Genossenschaftskasse

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, V. Session 1912/13, 9. Bd., Berlin, 1913, Sp. 12.739-12.748, 12 764 f. und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 6, S. 150-167]

I

7. März 1913

Meine Herren, es könnte scheinen, als ob die Sozialdemokratie einer Institution wie der Preußischen Zentral-Genossenschaftskasse mit unbedingter Begeisterung gegenüberstehen müsste, weil mit ihr eine Forderung erfüllt sei, die mit an der Wiege der deutschen Sozialdemokratie gestanden hat: die Staatshilfe für die Genossenschaften. Allerdings wird man, sobald man sich mit der Verwirklichung dieses Gedankens näher befasst, die wir in der Preußenkasse vor uns sehen, erkennen, dass diese Art Staatshilfe von ganz anderen Gesichtspunkten ausgeht, als die einst von der Sozialdemokratie verlangte. Ich darf auch sagen, dass sich die deutsche Sozialdemokratie in den letzten Jahrzehnten von jener Forderung los gerungen hat, dass sie sich inzwischen längst an die Selbsthilfe gewöhnt hat und nicht mehr auf irgendeine nennenswerte Unterstützung von Staats wegen bei den Bestrebungen rechnet, insbesondere nicht bei den genossenschaftlichen Bestrebungen, soweit sie das unmittelbare Interesse der Arbeiterklasse bilden.

Allerdings, der Staat, der so vielfach helfend eingreift, wenn es sich um die Interessen der besitzenden Klassen handelt, hätte an und für sich wohl die Verpflichtung, auch energisch und mit allen Mitteln für die Interessen der Ärmsten einzugreifen, ja er hätte es doppelt nötig, viel nötiger als für die wohlhabenden Schichten. Jedoch die Art, in der der preußische Staat bisher seine soziale Aufgabe erfasst hat, lässt erkennen, dass nicht zu erwarten steht, dass das Ideal, welches einst das Ideal der deutschen Arbeiterklasse war, in dem preußischen Staate, wie er heute gestaltet ist, verwirklicht werden kann.

Meine Herren, die staatliche Bevormundung, die sich vielfach zu einer politischen Beeinflussung auswächst, die die Preußische Zentral-Genossenschaftskasse ausübt, will ich hier nicht eingehender betrachten. Ich will mich auch nicht eingehender mit jener bekannten Ausschließlichkeitserklärung befassen, die in der Tat sehr viel Bedenkliches an sich hat und meiner Ansicht nach durch all die Erwägungen, die zu ihrer Rechtfertigung hier vorgebracht worden sind, nicht gerechtfertigt werden kann. Ich will mich auch mit der Frage der Konkurrenz der Sparkassen hier nicht näher befassen. Es ist recht eigentümlich, wenn in erster Linie gerade von einer Seite, die sonst überall so sehr die Selbsthilfe betont, von der Fortschrittlichen Volkspartei, nach obrigkeitlichem Eingreifen gegen die Konkurrenz der Sparkassen gerufen worden ist. Es mag ja wohl sein, dass die Art, in der die Sparkassen Kunden anzuziehen suchen, nicht gerade sehr billigenswert ist. Aber der Kampf mag auf dem Wege der Selbsthilfe ausgefochten werden, ein obrigkeitliches Eingreifen scheint uns nicht am Platze zu sein.

Meine Herren, der Charakter der Preußenkasse zeigt sich am deutlichsten darin, dass mit ihr ländliche Genossenschaften mit ungefähr 800.000 Mitgliedern und gewerbliche Genossenschaften mit ungefähr 175.000 Mitgliedern in Verbindung stehen, aber nicht eine einzige Arbeiterkonsumgenossenschaft. Meine Herren, das theoretische Hauptinteresse hat bei der Betrachtung der Preußenkasse der Zustand der landwirtschaftlichen Genossenschaften zu beanspruchen. Die landwirtschaftlichen Genossenschaften sind Gebilde immerhin recht neuen Datums, wenn auch die Raiffeisenorganisationen1 bereits vor erheblich mehr als einem Menschenalter begonnen haben. Aber der gewaltige Aufschwung der landwirtschaftlichen Genossenschaften ist in der Tat eine Erscheinung der neuen und der allerneuesten Zeit.

In welchem Umfange dieser Aufschwung sich vollzogen hat, dafür gibt einen interessanten Anhalt die Schrift des Geschäftsführers des Ausschusses für Genossenschaften bei der Landwirtschaftskammer für die Provinz Pommern, Herrn Sparr. Ich habe hier die zweite Auflage in meinen Händen. Daraus ergibt sich, dass die genossenschaftliche Entwicklung geradezu ungeheuerlich gewesen ist. Die Genossenschaften haben sich in den letzten Jahren um das Vielfältige vermehrt; und nicht nur ihre Zahl und Größe sind so gewaltig gestiegen, sondern auch das Interesse an ihnen hat eine ganz erstaunliche Kraft angenommen. Wenn in Pommern speziell seit dem Jahre 1902 bereits Lehrgänge über landwirtschaftliches Genossenschaftswesen an den landwirtschaftlichen Winterschulen abgehalten wurden, so ist seit dem Jahre 1905 das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen als besonderes Unterrichtsfach in den Lehrplan der landwirtschaftlichen Winterschulen aufgenommen, und es sind dafür mindestens vierzehn Unterrichtsstunden vorgeschrieben worden.

Meine Herren, der hohe Grad der Begeisterung für das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen zeigt sich in allen Schriften, die von landwirtschaftlichen Genossenschaftlern herausgegeben werden. Wenn Herr Sparr im Jahre 1907 davon spricht, dass er seine ganze Kraft dareinsetze, den Genossenschaftsgedanken in der Provinz zu verallgemeinern, zu vertiefen, „die heranwachsende Jugend zu tüchtigen Genossenschaftlern heranzuziehen" usw., dann zeigt es sich, dass sich hier ein an und für sich dem Wesen des Privatkapitals fremdes wirtschaftliches Prinzip in der Landwirtschaft bereits eine Anerkennung errungen hat, die man noch vor wenigen Jahren für ein Ding der Unmöglichkeit gehalten hätte.

Meine Herren, die Entwicklung der landwirtschaftlichen Genossenschaften wird sich am besten durch ein paar kurze Zahlen charakterisieren lassen. Der Generalverband der landwirtschaftlichen Genossenschaften in Deutschland, der ja im Wesentlichen die Zusammenfassung der Neuwieder, der Raiffeisenorganisationen, bildet, hat im Jahre 1880 nur 113 Vereine umfasst, im Jahre 1890 bereits 725, im Jahre 1900 3544, im Jahre 1912 5287. Es ist also besonders seit dem Jahre 1890 eine ganz rapide Steigerung erfolgt und seit dem Jahre 1900 eine weitere Steigerung, die selbst prozentual auch noch eine gewaltige Rolle spielt. Unter den letzteren 5287 haben die Raiffeisenvereine (Darlehnskassen) noch den größeren Teil gebildet, und zwar 4373; aber die Betriebsgenossenschaften waren auch bereits auf 914 angewachsen, und gerade auf dem Gebiet der Betriebsgenossenschaften vollzieht sich eine ungemein interessante Entwicklung.

Meine Herren, die Entwicklung zeigt sich sowohl in der Vergrößerung der Zahl dieser Genossenschaften und ihrer Ausdehnung über das gesamte Reichsgebiet wie auch in der Vermehrung der Zwecke, zu denen diese Genossenschaften gegründet und betrieben werden. Es nehmen in immer größerem Maße zu die Elektrizitätsgenossenschaften, die Verwertungsgenossenschaften als Molkerei-, Winzerei-, Brennerei-, Eierverwertungsgenossenschaften usw. und die ländlichen Baugenossenschaften; auch die Arbeitsgenossenschaften, wie zum Beispiel die Dreschgenossenschaften und die Maschinengenossenschaften. Alles das sind Dinge, die sich außerordentlich entwickeln. Dass die Elektrizitätsgenossenschaften die stärkste Entwicklung zu verzeichnen haben, ist, wie mir scheint, ganz besonders charakteristisch. Es ist kennzeichnend für die Entwicklung der Technik in der Landwirtschaft, dass die durch die moderne Technik gegebene Dezentralisationsmöglichkeit in Bezug auf die Verteilung der elektrischen Kraft dazu geführt hat, die elektrische Kraft immer mehr auch dem kleineren und mittleren Betrieb in der Landwirtschaft zuzuführen. Diese Entwicklung ist natürlich nicht am Ende angelangt, sondern steht erst am Beginn.

Nach unserer Überzeugung hat gerade das Genossenschaftswesen auf dem Lande ungeheuer wichtige wirtschaftliche Aufgaben zu erfüllen. Allerdings wird dabei die Frage aufzuwerfen sein, inwieweit gegenwärtig an diesen Genossenschaften die verschiedenen Betriebsgrößen beteiligt sind. Leider haben wir darüber ein zusammenfassendes statistisches Material vorläufig nicht. Es gehören zu diesen Genossenschaften ja auch in nicht geringem Umfange größere Betriebe und Großbetriebe. Es wäre sehr erwünscht, wenn wir einmal darüber eine ausführliche Denkschrift mit statistischen Darstellungen über die landwirtschaftlichen Genossenschaften erhielten, um festzustellen, welche Betriebsgröße, welche wirtschaftliche Situation bei den Mitgliedern der einzelnen Genossenschaften zu verzeichnen ist. Daraus erst würde sich die soziale Bedeutung und die Entwicklungsfähigkeit ergeben können, ebenso die künftigen Aufgaben dieser landwirtschaftlichen Genossenschaften. Soweit sie die Kleinbetriebe und die mittleren Betriebe zusammenfassen, ihnen durch den Genossenschaftsgedanken verstärkte wirtschaftliche Kraft geben, insoweit sind sie etwas so ungemein sozialpolitisch Wertvolles, dass sie natürlich nur jede Förderung, die im Bereiche der Möglichkeit liegt, verdienen.

Meine Herren, der Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften hat im Brennpunkt der Debatte in der Budgetkommission gestanden und ist ja auch heute in der Debatte wiederholt erwähnt worden. Dieser Reichsverband ist nach anfänglichem Kampf mit den Neuwiedern zusammengeschweißt worden, indem im Jahre 1905 der Generalverband dem Reichsverband beigetreten ist. Insofern kann man den Generalverband, die Neuwieder, mit dem Reichsverband solidarisch behandeln; denn selbstverständlich haben die dem Generalverband angeschlossen gewesenen Organisationen im Reichsverband seit 1905 eine gewaltige Rolle gespielt. Man wird also das Debakel, das den Reichsverband, wenigstens in Bezug auf die Reichsgenossenschaftsbank, betroffen hat, auch der Neuwieder Organisation wesentlich mit zur Last legen können.

(Zuruf rechts.)

Meine Herren, es mag ja sein, dass ich keine Ahnung davon habe. Belehren Sie mich, ich bin jeder Belehrung sehr zugänglich! Ich trage hier meine Auffassung vor, und jedenfalls verstehe ich davon noch ebenso viel, wie Sie von Sozialpolitik verstehen, über die Sie hier immer reden.

Tatsache ist jedenfalls, dass im Jahre 1905 die Verbindung zwischen dem Generalverband und dem Reichsverband hergestellt worden ist. Soweit ich unterrichtet bin, stand oder steht der Reichsverband der Kalibezugsgenossenschaft nahe, ebenso der Bezugsvereinigung der deutschen Landwirte. Es kann wohl die Frage aufgeworfen werden – ich möchte bitten, dass darüber vielleicht einmal Auskunft gegeben wird –, inwieweit das Debakel der Reichsgenossenschaftsbank auf verlustbringende Geschäfte zurückzuführen ist, die von der Reichsgenossenschaftsbank vorgenommen worden sind, und wieweit dieses Debakel vielleicht in irgendeinem Zusammenhang mit den Kaligeschäften des Bundes der Landwirte2 steht.

(Zuruf rechts: „In gar keinem!")

Ich habe von diesen Sachen gar keine Ahnung, und es wäre sehr wünschenswert, wenn Sie uns darüber Klarheit geben würden. Nur aus diesem Grunde bitte ich Sie mit diesen Bemerkungen, Klarheit darüber zu verschaffen, und wenn Sie in der Lage sein werden, uns darzutun, dass der Bund der Landwirte mit seinen sehr abenteuerlichen Kaligeschäften keinerlei Einfluss auf alle diese Dinge gehabt hat, um so besser. Ich werde dann durchaus bereit sein anzuerkennen, dass jeder Gedanke in dieser Richtung, der mir im Moment nicht ganz fern liegt, als unbegründet anzusehen ist. Nach den Informationen, die ich allerhand Broschüren und sonstigem Material habe entnehmen können, ist die Art, wie die Preußenkasse sich zu der Reichsgenossenschaftsbank gestellt hat, in der Tat in mancher Beziehung eigentümlich. Es ist anscheinend ein außerordentlich rücksichtsloser Konkurrenzkampf geführt worden. Im Jahre 1904 soll die Reichsgenossenschaftsbank gezwungen worden sein, ihren Geschäftsverkehr auf außerpreußische Verbandskassen zu beschränken, während die preußischen der Preußenkasse vorbehalten bleiben sollten. Es wird speziell von Ackermann in der Broschüre, die Ihnen allen zugegangen ist, wesentlich auch mit darauf der Zusammenbruch der Reichsgenossenschaftsbank zurückgeführt und registriert, dass ein Teil des Kundenkreises der Reichsgenossenschaftsbank der Preußenkasse zugeführt und ihr damit die Gelegenheit gegeben worden sei, zum ersten mal in großem Umfange auf außerpreußisches Gebiet überzugreifen.

Ich habe selbstverständlich keinerlei Veranlassung, mich den kleinlichen partikularistischen Anregungen anzuschließen, die auch in der Budgetkommission gehört worden sind, wonach die Staatsverwaltung und die Leitung der Preußenkasse energisch davor gewarnt worden sind, ihre Geschäftsbeziehungen in großem Umfange auf außerpreußische Kassen und Genossenschaften auszudehnen. Ich bin der Ansicht, dass man hier jede Kleinlichkeit beiseite lassen sollte, dass jede Kleinlichkeit nur vom Übel sein kann. Ich stehe auch dem Gedanken einer reichsgenossenschaftlichen Organisation durchaus sympathisch gegenüber. Ich meine, es müsste hier allenthalben jede partikularistische Engherzigkeit beiseite geschoben werden. Inwieweit und unter welchen Voraussetzungen sich das verwirklichen lässt, das ist natürlich eine Sache für sich, ich will mir darüber selbstverständlich ein Urteil nicht gestatten. Aber dass man den Gedanken einer solchen Zusammenfassung der Genossenschaften über das ganze Reich hin an und für sich begrüßen sollte, darüber sollte ein Streit gar nicht obwalten.

Ich möchte in Bezug auf die landwirtschaftlichen Genossenschaften noch eins bemerken. Von großem Interesse war in dieser Beziehung die Kösliner Gewerbeausstellung vom vergangenen Sommer.

Ich hatte Gelegenheit, sie zu betrachten. Dort war mit viel Sorgfalt eine Spezialausstellung des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens zusammengestellt, die lehrreiches Material ergab und die Bedeutung des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens, wenn auch zunächst für die Provinz Pommern, in sehr eindringlicher Weise vor Augen führte. Aber das kann natürlich nicht genügen. Es wird darüber geklagt, dass wir für ganz Preußen und das Deutsche Reich zusammenfassendes statistisches oder sonstiges Denkschriftenmaterial über das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen nicht haben. Es scheint mir außerordentlich wichtig zu sein, dass uns in der Beziehung weitere Unterlagen gegeben werden.

Dass die Kreditförderung in einem gewissen Umfange als eine allgemeine Staatsaufgabe anerkannt worden ist, nicht nur in der Gründung der Preußenkasse, sondern auch durch zahlreiche andere staatliche Einrichtungen, speziell in Preußen, ist ein volkswirtschaftlich ungemein interessanter Vorgang. Durch diese Kreditförderung, besonders durch die Gewährung öffentlicher Kredite und auch durch die Gewährung genossenschaftlichen Kredits, wird im Grunde genommen – während der Anschein erweckt wird, als würden damit die privaten Existenzen gestützt – tatsächlich ein ganz neues Prinzip, und zwar das Sozialisierungsprinzip, in die kapitalistischen Einzelwirtschaften hineingetragen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass der Arbeitgeber, der mit staatlichem Kredit oder mit genossenschaftlichem Kredit arbeitet, insoweit das der Fall ist, sozial betrachtet! – juristisch liegt das natürlich anders – nur noch scheinbar Privateigentümer an den Arbeitsmitteln ist. Jedenfalls ist diese Eigenschaft wesentlich modifiziert, er ist bei Ausnutzung der Arbeitsmittel in einem gewissen Sinne nur noch der Funktionär für eine größere Gemeinschaft, sei es für den Staat, sei es für die Genossenschaft – allerdings ein Funktionär, der in dem weitesten Umfange nun die Vorteile der Ausnutzung der öffentlichen Mittel oder der Genossenschaftsmittel rein für sich persönlich, nach seinem Gustum verwerten kann: denn die Ausnutzung der Arbeitsmittel vollzieht sich in diesen Fällen durchaus weiter nach den Regeln des Individualkapitalismus. Es ist vielleicht das stärkste Stück an innerer Umwandlung, das sich in unserem heutigen sozialen Wesen in der Richtung der Sozialisierung der Produktion vollzieht, das gerade auf dem Gebiet des Kreditwesens sich zeigt, die anderen Formen treten demgegenüber im Gebiet der Produktion an prinzipieller Bedeutung, wie mir scheint, zurück.

Von großem Interesse sind die Baugenossenschaften, und es ist wichtig festzustellen, wie auch auf diesem Gebiet eine rapide Entwicklung stattfindet. Während zum Beispiel 1900 53 dem allgemeinen Verband angeschlossene derartige Genossenschaften existierten, sind 1912 bereits 208 solcher Genossenschaften vorhanden gewesen, die zudem noch an Bedeutung und Umfang sehr zugenommen haben. Das ist um deswillen besonders charakteristisch, weil es eine Abwehrbewegung zeigt gegen das Wohnungselend, insbesondere gegen die Bauspekulation, den Wohnungswucher. Die Baugenossenschaften verdienen deshalb auch die allgemeinste Beachtung, und es wäre von großem Wert, wenn wir über die Entwicklung des Baugenossenschaftswesens auch einmal speziellere Auskünfte erhalten könnten.

Nun komme ich auf das Schmerzenskind aller Reaktionäre, auch derer, die dem Genossenschaftswesen, soweit es sich um landwirtschaftliche Genossenschaften handelt, freundlich gegenüberstehen. Das ist es ja, was den bürgerlichen Genossenschaftern, auch den landwirtschaftlichen Genossenschaftern außer dem heiteren auch ein nasses Auge macht, weil sie sehen, wie der Genossenschaftsgedanke, den sie propagieren, den sie für so außerordentlich wichtig halten, dass sie seine Betätigung und Verwirklichung für sich mit einer absoluten Selbstverständlichkeit in Anspruch nehmen, schließlich doch auch der breiten Masse der Bevölkerung speziell auch in den Städten nicht verwehrt werden kann, in denen er übrigens auch geboren worden ist.

(Zuruf rechts.)

Ach, meine Herren, gestatten Sie doch mal, die Feindschaft gegen die Konsumgenossenschaftsbewegung ist doch bei Ihnen geradezu Parteisache; darüber braucht doch gar kein Wort verloren zu werden. Sie werden doch jedes Mal mit vollster Aufwendung Ihrer Stimmgewalt, mit Begeisterung jedem Angriff gegen die Konsumvereine zustimmen, mögen Sie von Herrn Hammer oder von sonst wem erhoben werden, und Sie sind es doch, die fortwährend gesetzgeberische Eingriffe gegen die Konsumgenossenschaften fordern.

Meine Herren, die Konsumvereine werden allerdings nicht staatlich gefördert, sondern sie werden staatlich verfolgt. Und doch sind diese Konsumgenossenschaften die bisher noch bedeutsamsten Genossenschaften, die wir in Deutschland haben. Sie sind die Genossenschaften, die bisher die größte Zahl von Mitgliedern umfassen, sie haben ja auch in der letzten Zeit eine außerordentlich geschwinde Entwicklung erfahren. Im Jahre 1901 bestanden 685 Vereine mit 575.000 Mitgliedern, im Jahre 1911 bereits 1183 Vereine mit 1.325.000 Mitgliedern. Es ist also mehr als eine Verdoppelung der Mitglieder eingetreten in diesen etwa acht Jahren; die Zahl der Vereine hat sich dabei nicht verdoppelt, weil die Größe der einzelnen Vereine erheblich zugenommen hat, weil eine starke Zentralisierungstendenz sich in den Konsumvereinen geltend gemacht und durchgesetzt hat.

Meine Herren, diese Konsumvereine, die in einer geradezu mustergültigen Weise arbeiten und die um so mehr Förderung und Unterstützung verdienen, als sie das wesentlichste genossenschaftliche Mittel bilden gerade für die Ärmsten und Bedrücktesten, die am meisten Veranlasung haben, sich aus den heutigen Zuständen heraus zu helfen, meine Herren, deren Selbsthilfe auch deshalb mehr Anerkennung verdient, weil sie die Schwachen sind, die sich nun in diesen gewaltigen Organisationen zusammengeschlossen haben. Diese Konsumvereine werden dennoch – ich wiederhole es – nicht nur nicht gefördert, sondern mit allen Mitteln unausgesetzt schikaniert und verfolgt.

Meine Herren, wie außerordentlich feindlich die Stimmung gegen die Konsumvereine ist, dafür bildet auch ein besonderes Exempel das Schicksal der Volksfürsorge, die ja zum Teil als eine Gründung des Zentralverbandes der deutschen Konsumvereine erscheint, und gegen die von allen Seiten, die sich als staatstreu zu bezeichnen pflegen, mit Schärfe Sturm gelaufen wird, als handle es sich darum, den Staat vor seinem Zusammenbruch zu erretten.

Meine Herren, diese verschiedene Stellung des Staates und der Preußenkasse zu den verschiedenen Genossenschaftsarten, wie ich sie eben charakterisiert habe, ist von Wichtigkeit für das Verständnis der ganzen Art, in der gegenwärtig in Preußen das Genossenschaftswesen gefördert wird, und auch wesentlich für den Gedanken, ob es möglich ist, eine Einigung aller Genossenschaften herbeizuführen, einen Gedanken, der insbesondere vom Herrn Abgeordneten Dr. Crüger vorhin ventiliert worden ist.

Meine Herren, wir müssen zunächst einmal festhalten, dass vorläufig das Genossenschaftswesen noch von den verschiedenen Klassen der Bevölkerung als ein wirtschaftliches Kampfmittel ausgenutzt wird, wobei diese Klassen ziemlich schroff voneinander getrennt sind. Wenn wir auf der einen Seite die landwirtschaftlichen Genossenschaften in ihren verschiedenen Arten betrachten, so werden wir allerdings nicht verkennen können, dass viele kleine und mittlere Landwirte ihnen angegliedert sind. Aber ich bin der Überzeugung, dass eine Statistik ergeben würde, dass die allerkleinsten und ärmsten Bauern kaum in der Lage sind, sich den Genossenschaften in größerem Umfange anzuschließen. Der landwirtschaftliche Zwergbesitz dürfte also schwerlich für diese Genossenschaft bisher nennenswert in Frage kommen.

(Zuruf.)

Natürlich nicht gänzlich ausgeschlossen! Möglich, dass ich mich irre, meine Herren, ich behaupte auch hier nicht bestimmt, mit meiner Vermutung das Richtige zu treffen. Ich wünschte nur, dass wir in der Lage wären, einen klaren Einblick in die soziale Zusammensetzung der Genossenschaften zu gewinnen, weil wir dann erst in der Lage sind, diese wichtige wirtschaftliche und soziale Erscheinung in ihrem Wesen genügend erkennen und beurteilen zu können.

Auf der anderen Seite, meine Herren, haben Sie Genossenschaften, deren sich in erster Linie die Handwerker bedienen. Dazu gehören ja insbesondere die Kreditgenossenschaften, die ja auch den kleinen Landwirten zugutekommen. Es sind das also Genossenschaften, wenn ich mich so ausdrücken soll, für den Mittelstand. Schließlich haben Sie die Konsumgenossenschaften, die Konsumentengenossenschaften, wozu in einem gewissen Sinne ja auch die Baugenossenschaften gehören, die allerdings zum Teil auch den Charakter der Produktivgenossenschaften besitzen. Diese Konsumgenossenschaften sind unzweifelhaft zum überwiegenden Teil Organisationen des Proletariats, der ärmsten Schichten der Bevölkerung, und wenn sich diese Genossenschaften seit etwa zehn Jahren und in immer größerem Umfange in den letzten Jahren von dem allgemeinen deutschen Verbände abgezweigt haben, so erklärt sich das daraus, dass diese Konsumgenossenschaften in der Hauptsache proletarische Organisationen sind. Das wird man festhalten müssen, um zu erkennen, dass ein Zusammengehen aller Genossenschaften gegenwärtig nahezu als eine Utopie erscheinen muss. Man wird schwerlich in der Lage sein, die vielfach geradezu als Kampfmittel der Klassen untereinander benutzten Genossenschaften, die damit scharfe soziale Gegensätze repräsentieren, mit einem Bande zu umfassen. Die Preußenkasse hat ja auch schon durch die ganze Art, in der sie die Staatsmittel für die einzelnen Arten der Genossenschaften verteilt hat, gewählt, und sie hat sich für die Unterstützung derjenigen Genossenschaften entschieden, die dem Proletariat im Allgemeinen nicht wesentlich zugutekommen, wenn wir auch ihre soziale Bedeutung keineswegs verkennen wollen. Meine Herren, die Preußenkasse kommt schon aus allgemein politischen Gesichtspunkten für die Konsumgenossenschaften nicht wesentlich oder kaum in Betracht. Es würde wahrscheinlich auch ein Ding der Unmöglichkeit sein, sich mit der Preußenkasse in Verbindung zu setzen mit Rücksicht auf die Bevormundungssucht, die unzweifelhaft in der Leitung der Preußenkasse vorherrscht. Die erforderlichen Details sind ja zum Teil von den Vorrednern angeführt worden. Meine Herren, mit allem Nachdruck müssen wir allerdings darauf dringen, dass das Geld der Steuerzahler, das hier für Genossenschaftszwecke Verwendung findet, nicht ausgenützt wird für die Interessen von besitzenden, von potenten Kreisen. Um den genügenden Einblick darüber zu bekommen, inwieweit etwa an der Preußenkasse auch agrarische Interessentenkreise profitieren, inwieweit die Preußenkasse sich auch zu einer Art Liebesgabe, zu einem Subventionsinstitut herausgebildet hat für das Agrariertum,

(Lachen rechts.)

um einen genügend klaren Einblick dahinein zu erhalten, ist es notwendig, dass wir die Statistik erhalten, von der ich an verschiedenen Stellen meiner Ausführungen bereits gesprochen habe.

(Lachen rechts.)

Sie lachen dabei, speziell Herr Kreth lacht, wenn ich davon spreche, dass man daran denken könne, ob nicht die Preußenkasse auch in agrarischem Interesse wirke. Meine Herren, ich habe keine bestimmte Behauptung aufgestellt, aber dass man in Preußen bei jedem Pfennig, der ausgegeben wird, mag es sein unter welcher Etikette es will, dringenden Verdacht haben muss, dass dieser Pfennig ausgegeben wird in erster Linie im Interesse Ihrer Freunde, im Interesse der agrarisch-junkerlichen Koterie, die den preußischen Staat regiert, darüber können Sie doch wahrlich keinen Zweifel aufkommen lassen, das weiß doch jedes Kind in Preußen, und deshalb ist mein Misstrauen, das ich mir geltend zu machen gestattete, nur allzu berechtigt. Sie beweisen durch Ihr Lachen im Grunde genommen doch nur Ihre Verlegenheit.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, im Übrigen gibt es ein ausgezeichnetes Mittel, um alle diese Bedenken aus der Welt zu schaffen und diesem Misstrauen jeden Boden zu nehmen: wenn wir eine Denkschrift mit dem erforderlichen statistischen Material erhalten.

Meine Herren, ich habe vorhin von der erstaunlichen Begeisterung, von dem Enthusiasmus gesprochen, der sich für die landwirtschaftliche Genossenschaftsbewegung geltend macht. Auch Herr Abgeordneter Oertel war ein sehr interessantes Beispiel für diesen Enthusiasmus. Seine Rede zeugte von einer wahren Prophetenbegeisterung, und ich kann nur sagen, dass die Schriften, die ich darüber gelesen habe, diesen selben erstaunlichen Genossenschaftsenthusiasmus aufweisen. Wenn Herr Oertel sagte, dass das Wesentliche für die Stärke der landwirtschaftlichen Genossenschaften die Organisation und der Geist sei, der diese Organisation beseelt, hat er damit durchaus das Richtige getroffen. Das Verständnis für das Wesen der Organisation, das er hierbei gezeigt hat, wünschten wir nur übertragen zu sehen auf die Organisation der Arbeiterklasse, die doch sicherlich, wenn die landwirtschaftlichen Genossenschaften notwendig und wertvoll sind, dreimal so viel Recht zum genossenschaftlichen und sonstigen Organisationszusammenschluss haben. Wenn der Herr Abgeordnete Oertel gesagt hat, wir glauben an die Bedeutung der landwirtschaftlichen Genossenschaften, und wenn er selbst zugegeben hat, dieser Glaube habe etwas Dogmenhaftes an sich, wenn er also gewissermaßen gesagt hat: Raiffeisen ist groß, und wir sind seine Propheten! – dann muss ich gestehen, hat er dabei ein Maß von gläubiger Begeisterung für ein sozialpolitisches Ideal gezeigt, das im höchsten Maße sympathisch anmutet, wenn die Dogmenhaftigkeit uns auch durchaus nicht gefällt. Wir wünschten nur, dass die Herren aus ihrer Haut heraus könnten und dass der Herr Oertel, nachdem er diese begeisternden Worte für die landwirtschaftlichen Organisationen gefunden hat, sich in die Konsumgenossenschaften und in das Wesen der sonstigen Arbeiterorganisationen vertiefte; dann könnten wir vielleicht einmal von ihm ähnlich begeisterte Töne über diese Organisationen hören.

Statt dessen hat Herr Abgeordneter Oertel den Anschluss an die landwirtschaftlichen Genossenschaften gewissermaßen als ein Mittel empfohlen, staatstreue Elemente zu erhalten und vor einem Hineinstürzen in den Strudel der Unzufriedenheit zu schützen. Er hat sich sogar zu dem großen Wort aufgeschwungen, dass die genossenschaftlich geschulten Landwirte dereinst den sichersten Rückhalt bilden würden für die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung, sie würden die zuverlässigsten Triarier Seiner Majestät sein. Meine Herren, das Merkwürdige ist ja nun dabei, dass die Personen, in denen er Triarier Seiner Majestät züchten will, als Stützen der heutigen Staats- und Gesellschaftsordnung erhalten werden sollen unter dem Scheine der wirtschaftlichen Selbständigkeit im Sinne des Privatkapitalismus durch das dem Privatkapitalismus ganz wesensfremde genossenschaftliche Prinzip. Meine Herren, es wäre doch wünschenswert, dass sich Herr Kollege Oertel darüber klar wäre, dass den landwirtschaftlichen Genossenschaften ebenso wie den anderen Genossenschaften ein sozialistischer Gedanke zugrunde liegt und dass die folgerichtige Fortentwicklung des genossenschaftlichen Gedankens notwendig zu denjenigen Konsequenzen führt, die die Sozialdemokratie vertritt. Wir sehen in jenen Worten des Abgeordneten Oertel eine der, wie es scheint, notwendigen historischen Selbsttäuschungen: Der Privatkapitalist, der einzelne Privatlandwirt ist äußerlich noch derselbe, auch wenn er erst durch die Genossenschaft erhalten und ermöglicht wird, und so meinen Sie, er sei auch sozial-wirtschaftlich derselbe. Er ist aber sozial und wirtschaftlich nicht mehr derselbe. Die gesamte Entwicklung zum landwirtschaftlich-genossenschaftlichen Betrieb bedeutet einmal eine Verschiebung des wirtschaftlichen und politischen Kräfteverhältnisses zwischen den Kleinen und den Großen zugunsten der Kleinen und eröffnet damit interessante Ausblicke. Auf der anderen Seite bedeutet sie die allmähliche Unterhöhlung des privatkapitalistischen Gedankens. Meine Herren, das Abhilfsmittel gegen das Herabstürzen in den Strudel der Unzufriedenheit, das Herr Oertel in den Genossenschaften empfiehlt, heißt in der Tat das Ende der – sei es landwirtschaftlich, sei es industriell – privatkapitalistischen Wirtschaft, und es zeigt sich hier eben, dass die kapitalistische Gesellschaftsordnung auch auf dem Gebiet der Landwirtschaft nur am Sozialismus genesen kann.

Meine Herren, von diesem Gesichtspunkte aus betrachten wir die Entwicklung des Genossenschaftswesens, auch des landwirtschaftlichen, mit größtem Interesse, und wir können nur sagen, dass wir, so sehr im Moment die landwirtschaftlichen Genossenschaften gewissermaßen als ein Kampfmittel gegen die Ausbreitung der Sozialdemokratie von Ihnen gefördert werden, trotz alledem die Entwicklung dieser Gebilde gern unterstützen, weil wir wissen, dass schließlich doch die Bedeutung des Genossenschaftswesens darauf beruht, dass es der heutigen Gesellschaftsordnung ein fremdes Wesen einimpft, sie innerlich organisch umgestaltet und Ihnen damit diejenigen Feinde erzeugt, die schließlich Ihre wirtschaftliche und politische Herrschaft umstürzen müssen.

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

II

8. März 1913

Ich möchte nur ein paar Bemerkungen machen. Ich habe den Charakter der Zentralkasse als einer Kasse, die sich hauptsächlich mit landwirtschaftlichen Genossenschaften beschäftigt, rein tatsächlich festgestellt, und an dieser Tatsache kann nicht gerüttelt werden. Natürlich spielen auch die Handwerkergenossenschaften eine erhebliche Rolle. Das Wesentlichste, was ich betonte, dass Konsumvereine, Konsumgenossenschaften, also in der Hauptsache Arbeitergenossenschaften mit der Zentralkasse in keinerlei Verbindung stehen, ist unstreitig richtig. Das erklärt sich sicherlich zu einem guten Teil daraus, dass die Art, in der die Zentralkasse verwaltet wird, nicht den Interessen entspricht, die von diesen Arbeiterkonsumgenossenschaften verfolgt werden. Es erklärt sich zum anderen Teil daraus, dass sich diese Arbeiterorganisationen von dem Gedanken, irgendwoher von außen Hilfe zu bekommen, überhaupt frei gemacht und sich entschlossen auf eigene Füße gestellt haben, auf denen sie sich kräftig und wertvoll entwickeln. Sicherlich beruht es aber auch zu einem guten Teil darauf, dass von der Zentralkasse kaum jemals der Versuch gemacht sein dürfte, sich mit der Konsumgenossenschaftsbewegung in Verbindung zu setzen. Ich möchte eine ausdrückliche Auskunft darüber hören, ob derartige Versuche je unternommen sind und ob nicht vielmehr geradezu schroffe Abneigung dagegen besteht, sich mit dieser Art Genossenschaften in Verbindung zu setzen. Ich zweifle nicht, dass das letztere zutrifft; denn der Geist, der in diesem Hause und bei der preußischen Regierung gegenüber den Konsumgenossenschaften herrscht, ist nichts weniger als freundlich und wird wohl auch einigermaßen auf die Leitung der Preußenkasse abgefärbt haben. Das war das, was ich betont hatte.

In Bezug auf meine statistischen Wünsche ist, glaube ich, dem Herrn Regierungsvertreter auch ein Missverständnis unterlaufen. Es lag mir nicht so sehr daran, eine Statistik zu erhalten über den allgemeinen Charakter der Genossenschaften, die angeschlossen sind, sondern eine Statistik über die innere Zusammensetzung der Genossenschaften selbst, die angeschlossen sind, möglichst auch darüber hinaus alle – auch die der Kasse nicht angeschlossenen – landwirtschaftlichen und mittelständlerischen Genossenschaften, Baugenossenschaften usw., und zwar besonders nach der sozialen Lage, dem wirtschaftlichen Typus der einzelnen Genossenschafter, weil mir das besonders wichtig zu sein scheint zur Erkenntnis der Bedeutung, die diese Genossenschaften durch die Zusammenfassung der heute zersplitterten wirtschaftlichen Kräfte voraussichtlich in der künftigen weiteren Entwicklung unserer Wirtschaftsverhältnisse bereits besitzen und weiter erwerben werden. In der Beziehung fehlt uns leider ein hinreichend zuverlässiges und erschöpfendes statistisches Material. Es scheint mir am Platz zu sein, dass es beschafft wird.

Dass die Mittelstandsfrage auf dem Gebiet der Genossenschaften eine große Rolle spielt, halten wir für so selbstverständlich, dass wir es für töricht halten würden, gegen eine Genossenschaftspolitik zu polemisieren, die sich mit dem Mittelstand befasst. Es ist gerade eine Anschauung, die die Sozialdemokratie seit jeher vertreten hat, dass, wenn es überhaupt ein Mittel gibt, den Mittelstand vor der Proletarisierung zu retten, nur die genossenschaftliche Zusammenfassung in Frage kommt. Wir haben infolgedessen nichts dagegen einzuwenden, wenn die Mittelstandsgenossenschaften – insbesondere der Landwirtschaft und des Handwerks – gefördert werden. Aber ich habe mir gestattet, den Gegensatz dieser Förderung zu der Art, wie man die Arbeitergenossenschaften behandelt,

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

herauszuarbeiten und habe es für notwendig gehalten, gerade auch an der Entwicklung der Mittelstandsgenossenschaften darzulegen, wie dem Mittelstand im Grunde genommen nur dadurch geholfen werden kann, dass er sich in seinem sozialen Wesen organisch umgestaltet, dass er das Prinzip des Individualkapitalismus wenigstens zum Teil aufgibt, und damit darzulegen, wie der heutigen privatkapitalistischen Gesellschaft trotz allen Sträubens der Sozialismus bereits in allen Gliedern sitzt.

1 Kreditgenossenschafts-, Spar- u. Darlehnskassen für kleinere landwirtschaftliche Betriebe, gegründet 1862 von Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Die Red.

2 Eine 1893 in Berlin gegründete Organisation zur wirtschaftlichen und politischen Interessenvertretung der preußischen Junker. Der preußische Junker Freiherr von Wangenheim enthüllte in einem Aufruf, der der Gründung des Bundes vorausging, dessen reaktionären Charakter: „Der deutsche Osten ist der Fels, auf welchem der Thron der Hohenzollern begründet ward und noch heute fest ruht, mit ihm stehen, mit ihm stürzen Thron und Altar. Fluch über uns, wenn wir es dulden, dass die von allen Seiten ihn umbrandenden Wogen ihn unterspülen." Der Bund gewann rasch erheblichen politischen Einfluss. Seit dem 1. September 1894 erschien die „Deutsche Tageszeitung" als Hauptorgan des Bundes der Landwirte.

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