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Karl Liebknecht 19130222 Zur Lage der Bäckereiarbeiter

Karl Liebknecht: Zur Lage der Bäckereiarbeiter

Rede im preußischen Abgeordnetenhaus zum Handels- und Gewerbeetat

[Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, V. Session 1912/13, 9. Bd., Berlin 1913, Sp. 11 884-11 890. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 6, S. 115-123]

Meine Herren, wenn mein Freund Borchardt gesagt hat, dass die Tuberkulose bei den Bäckereiarbeitern vielfach durch ihren Beruf herbeigeführt werde, so hat er natürlich nicht gesagt, dass die Tuberkulose ausschließlich durch die Berufsarbeit herbeigeführt wird. (Abgeordneter Dr. Mugdan: „Gesagt hat er es; sehen Sie den stenographischen Bericht an!") – Um alles in der Welt, man kann doch die Worte nicht gewaltsam missverstehen, der Sinn war vollkommen klar. Es ist bekannt, dass gerade die Tuberkulose eine der Berufskrankheiten der Bäckereiarbeiter ist. Darauf hat mein Freund Borchardt hingewiesen, und mit Rücksicht auf diese Tatsache ist es besonders notwendig, in Bäckereien für solche baulichen Zustände zu sorgen, dass die Gefahren der Tuberkuloseerkrankung und auch die Gefahren, die aus diesen Krankheiten für die Konsumenten entstehen, nach Möglichkeit vermindert werden. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.) Die Bäckereien, in denen tuberkulöse Bäckergesellen arbeiten, sind geradezu Seuchenherde für die ganze Bevölkerung.

Es ist uns natürlich niemals eingefallen zu bestreiten, dass die Tuberkulose, wenn sie als eine soziale Krankheit, als eine Proletarierkrankheit im eigentlichen Sinne des Wortes bezeichnet wird, darum doch keineswegs ihre Wurzeln allein in den Schäden der Arbeit, sondern zu einem großen Teil auch noch in anderen Schädigungen hat, denen der Proletarier kraft seiner sozialen Lage unterworfen ist, im Wohnungselend, in der schlechten Ernährung und anderem. Der Herr Abgeordnete Mugdan hat sich über ein Salto mortale meines Freundes Borchardt gewundert. Er hat aber selbst ein Salto mortale gemacht, das viel halsbrecherischer war als das meines Freundes Borchardt, indem er plötzlich in „die sozialdemokratischen Bäckereien" übergesprungen ist und die – wie soll man sich da ausdrücken? – an zirkusakrobatische Künste erinnernde Behauptung aufgestellt hat, dass in „sozialdemokratischen Bäckereien" der größte Schmutz herrsche. (Widerspruch des Abgeordneten Dr. Mugdan.) In sozialdemokratischen Bäckereien herrsche der größte Schmutz! Und auf diese Bemerkung, die ebenso unrichtig wie kühn, vielleicht noch kühner als unrichtig ist, hört man im ganzen Hause ein „Sehr wahr!", „Sehr richtig!", als ob die Herren ihr Lebtag einmal in eine sozialdemokratische Bäckerei hineingesehen hätten, als ob die Mehrzahl der Herren überhaupt eine Ahnung davon hätte, dass es sozialdemokratische Bäckereien gibt. Nur weil das Wort Sozialdemokratie in einer unangenehmen Verbindung erwähnt ist, kommt ihre Begeisterung zum Ausdruck, und sie blamieren sich damit so gründlich, wie es nur wünschenswert ist. (Abgeordneter Borchardt, Berlin: „Sehr wahr!")

.Was hat denn der Herr Abgeordnete Dr. Mugdan in dieser Beziehung anführen können? Es ist ein unbestrittenes Verdienst unseres Parteifreundes Bebel, dass er in den neunziger Jahren jene bekannte kleine Broschüre geschrieben hat über die sanitären Zustände in den Bäckereien1, die in der ganzen Öffentlichkeit das größte Aufsehen erregt hat und die unmittelbarer Anlass zu dem gesetzlichen Eingreifen in die Bäckereien geworden ist. Der Herr Abgeordnete Dr. Mugdan wird nicht bestreiten können, dass dieses damals nur in der Eile zusammengetragene schlagende Material von außerordentlicher Bedeutung geworden ist für die sanitäre Gestaltung der Bäckereien und damit überhaupt für die sanitären Verhältnisse in unserer Bevölkerung.

Wenn etwa, was ich bestreiten möchte, der Abgeordnete Bebel – und das hat ja der Herr Abgeordnete Dr. Mugdan gesagt – bei dieser Gelegenheit auch auf schlechte sanitäre Zustände in einer etwa einem Konsumverein oder dergleichen angehörenden Bäckerei hingewiesen haben sollte, so würde das erstens keine sozialdemokratische Bäckerei sein und zweitens doch unserer Partei alle Ehre machen, dass sie sich nicht scheut, solche Missstände, wo sie sie auch findet, aufzudecken. Wir sind niemals pharisäisch genug gewesen, bestreiten zu wollen, dass auch bei uns zu bessern ist. Ich bestreite aber, dass der Herr Abgeordnete Mugdan mit seiner Behauptung recht hat. Es wird ihm irgendeine Verwechselung unterlaufen sein. Ich vermute, dass er den Schmutz in den sozialdemokratischen Bäckereien mit dem Schmutz in den sonstigen Bäckereien verwechselt, der von dem sozialdemokratischen Abgeordneten Bebel aufgedeckt worden ist.

Ich möchte dem Herrn Abgeordneten Dr. Mugdan raten, sich einmal etwas genauer mit den Materialien zu befassen, die der Bäckerverband in seiner Zeitung aufgedeckt hat und noch fortwährend aufdeckt. Da kann er fast in jeder Nummer ein reichhaltiges Material finden über den Schmutz und die ungenügenden sanitären Zustände, die heute noch gar vielfach in den Bäckereien bestehen.

Ich habe selbst oft genug Gelegenheit gehabt, für den Bäckerverband tätig zu sein, mich mit seinen Materialien zu beschäftigen, so dass ich genau unterrichtet bin, dass auch heute noch bei weitem nicht alle Missstände beseitigt sind. Ich könnte Ihnen Beispiele genug anführen – es ist zum Teil zu ekelhaft, als dass man darüber sprechen kann – über die Anlage der Abortvorrichtungen, über den Schmutz, der da in den Teig hineinkommt, über die Verunreinigung des Mehls, die Schlafräume, die Lüftung usw. (Abgeordneter Karow: „Das machen doch die Arbeiter! Die Arbeiter sollen doch alles sauber halten!") – So, die Arbeiter sollen alles sauber halten? (Abgeordneter Karow: „Die werden doch dafür bezahlt!") Was für eine Vorstellung haben Sie davon, wenn Sie meinen, dass man dem Arbeiter, dem schlecht bezahlten Bäckergesellen, nun gar noch die Verantwortung auferlegen soll für den Schmutz in den Betrieben, der durch falsche Organisation, durch unzureichende Vorkehrungen verursacht ist! Das wäre noch schöner! Das ist eine ganz neue Nuance, die Sie in die Sache hineingebracht haben! Das wird unser Bäckerverband aufzugreifen und vortrefflich auszunutzen wissen. – Sie wissen selbst genug, dass zahlreiche Prozesse geführt worden sind, zum Teil angestrengt von Bäckermeistern, die sich beleidigt gefühlt haben durch die Vorwürfe des Organs der Bäckergesellen (Zuruf des Abgeordneten Karow.), und Sie wissen, wie es in zahlreichen Fällen gelungen ist, die Freisprechung zu erzielen, weil der Beweis der Wahrheit geführt war. Ich habe hier in Berlin unter anderem einen Fall gehabt, in dem, nachdem der Bäckermeister die Strafanzeige erstattet hat, nicht nur der wegen Beleidigung angeklagte Redakteur freigesprochen worden ist, sondern – ein außergewöhnlicher Fall – dem anzeigenden Bäckermeister noch die gesamten Kosten auferlegt worden sind, weil er den Strafantrag in frivoler Weise gestellt hatte. Meine Herren, mit Material darüber kann Ihnen aufgewartet werden, wenn Sie Lust haben, einmal ein Tänzchen zu wagen! (Abgeordneter Karow: „Haben Sie sich einmal erkundigt, wie es in der Konsumbäckerei in Hamburg zugegangen ist? Kennen Sie das, Herr Abgeordneter?") – Ich habe vorhin schon erklärt, dass, wenn irgendwo Missstände vorgekommen sind, wenn sie in Konsumvereinen usw. vorgekommen sind – aber Sie verstehen ja überhaupt nicht, worüber wir reden, verehrter Herr! Unterrichten Sie sich doch erst einmal darüber. Habe ich denn jetzt hier „die sozialdemokratischen Bäckereien" zu verteidigen, die es gar nicht gibt? (Zuruf des Abgeordneten Karow.) Wenn Sie wissen wollen, worüber wir sprechen, dann orientieren Sie sich vielleicht einmal vorläufig außerhalb des Saales, ehe Sie hereinkommen und fortgesetzt die Debatte unterbrechen und damit beweisen, dass Sie nicht wissen, worüber wir reden. (Heiterkeit. „Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, ich habe vorhin mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass, wenn etwa in Konsumvereinsbäckereien oder dergleichen unzuträgliche Zustände bestanden haben, wie sie ja in früheren Jahren auch in Bezug auf die Arbeitsverhältnisse zum Teil in den Konsumvereinen bestanden haben, wir das dann in keiner Weise billigen, und dass in erster Linie gerade die Sozialdemokratie es gewesen ist, die hier Remedur geschaffen hat. Wir sind doch nicht identisch mit den Konsumvereinen. Die Konsumvereine dürfen ja in gar keinen organisatorischen Beziehungen zur Sozialdemokratie stehen. (Widerspruch des Abgeordneten Karow.) – Gott, verehrter Herr, Sie haben so viel Verständnis davon wie der Blinde von der Farbe. (Abgeordneter Karow: „Sie bezahlen aber in die Parteikasse!") – Wenn Sie in allen Ihren Angelegenheiten so Bescheid wissen wie hier, dann sind Sie ein ganz besonderes Exemplar.

Präsident Dr. Graf von Schwerin-Läwitz: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, ich bitte, derartige Bezeichnungen zu unterlassen.

Liebknecht: Es sind diese fortgesetzten, durch Sachkunde ungetrübten Zwischenrufe, die mich veranlassen, auf den Herrn einzugehen.

Meine Herren, die Sache liegt ja doch so: Die Sozialdemokratie hat mit Konsumvereinen nichts zu tun und darf mit ihnen nichts zu tun haben. Sie wissen, dass die Sozialdemokratische Partei sich zu einem Teile sogar in kritischer Befehdung der Konsumvereine befindet, weil diese in Deutschland nicht so geleitet werden, wie die Sozialdemokratie meint, dass sie geleitet werden müssten. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.) Kennen Sie nicht die Konflikte, die sich in dieser Beziehung mit dem Herrn Kaufmann entwickelt haben, die in der Presse überall zum Ausdruck kommen, auf den Konsumgenossenschaftstagen, überall?

Natürlich besteht eine gewisse Beziehung insofern, als sich die Konsumvereine zum großen Teile aus Arbeitern zusammensetzen. Aber diese Arbeiter repräsentieren nicht den Konsumverein, und die Sozialdemokratie kann nur insofern auf die Konsumvereine einen Einfluss üben, als sie sich bemüht zu erreichen, dass von innen heraus in diesen Konsumvereinen alle diejenigen Einrichtungen geschaffen werden, die wir für erforderlich halten.

Im Übrigen weise ich auch wieder darauf hin, dass ein einzelner Fall irgendeiner Verfehlung selbst innerhalb der Sozialdemokratischen Partei, wenn sie vorgekommen ist, von uns ruhig preisgegeben wird. Wir rügen dergleichen Fehler auch dann ganz ohne Rücksicht. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) Das hat doch nicht das Geringste mit der Richtigkeit unserer Anschauungen zu tun. Wir behaupten doch nicht, dass bei uns alles in schönster Weise bestellt ist. Wenn Sie das doch nur einmal einsehen wollten. Wenn Sie uns beweisen könnten, dass in der sozialdemokratischen Presse die Zustände in einer Konsumvereinsbäckerei, die miserabel waren, verteidigt würden, dass gefordert wurde: diese Zustände dürfen nicht gebessert werden; in den Konsumvereinen darf es schmutzig, unhygienisch hergehen, dann könnten Sie sagen: Da seht, die Sozialdemokratie! Aber Sie werden das Gegenteil finden. Sie können versichert sein, dass diese Zustände in erster Linie von der Sozialdemokratie befehdet worden sind.

Herr Abgeordneter Mugdan hat sich schließlich zu der Behauptung verstiegen, dass er die Keller für geeignetere Räume halte, weil dort die rheumatischen Krankheiten in geringerer Zahl vorkämen als in Parterreräumlichkeiten. Das ist mir nicht recht verständlich. Es mag ja vielleicht sein, dass in Kellerräumlichkeiten die Zugluft etwas mehr vermieden werden kann als in Parterreräumlichkeiten, obwohl meine Erfahrung dafür nicht spricht. Es muss eine stärkere Ventilation da unten stattfinden, und dadurch wird der Zug um so leichter herbeigeführt. Aber auf alle Fälle ist doch die Gefahr der Feuchtigkeit in den Kellerräumen besonders groß, und das ist doch die Hauptsache. Die Schwierigkeiten der Zufuhr frischer Luft und dergleichen sind doch unzweifelhaft, und daraus ergeben sich die schwersten gesundheitlichen Gefahren. Und gerade Feuchtigkeit bildet doch eine besonders große Gefahr für rheumatische Erkrankungen, das weiß doch jedes Kind. Deshalb scheint mir diese Ansicht des Herrn Abgeordneten Mugdan unzutreffend zu sein.

Herr Abgeordneter Mugdan hat gemeint, er habe sich in der bekannten Versammlung nur darüber beschwert, dass bei den Räumlichkeiten, wenn sie um fünf oder zehn cm zu niedrig oder zu tief unter der Erdoberfläche seien, rücksichtslos eingegriffen würde.

Es mag ja vielleicht sein, dass die Polizeibehörde hier und da ein klein wenig zu mathematisch genau vorgeht; es ist natürlich eine große Schwierigkeit, die sanitären Zustände in einem Räume nach Maßgabe zu berechnen. An und für sich wäre ja das Ideal, wenn jeder Einzelfall ganz individuell behandelt würde, weil in der Tat die Umstände sehr verschieden sein können. Aber wie soll die Behörde schließlich vorgehen? Sie muss in irgendeiner Weise schematisieren, und die Größe der Räume, die Tiefe unter der Erdoberfläche sind wichtige Anzeichen dafür, ob die Voraussetzungen für den notwendigen Gesundheitsschutz vorliegen oder nicht. Da muss irgendwo eine Grenze gemacht werden. Wenn man sagt: Es kommt auf fünf cm, zehn cm nicht an, wo ist dann die Grenze? Wenn man dem Gesetz überhaupt Nachachtung verschaffen will, muss eben eine Grenze gesetzt werden.

Nun hat Herr Abgeordneter Mugdan gemeint, dass die befristeten Dispense eine besonders unzuträgliche Einrichtung seien. Er hat die Sache so dargestellt, als ob sich seine Polemik in jener Versammlung ausschließlich gegen die befristeten Dispense gerichtet hätte. Das ist nicht wahr. Es mag sein, dass es der Fall war, aber der Bericht, den wir bekommen haben, erwähnt überhaupt kein Wort von befristeten Dispensen. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) Wenn Herr Abgeordneter Mugdan meint, dass mein Freund Borchardt die befristeten Dispense hätte verteidigen wollen, während er selbst sie bekämpft habe, so ist das doch wahrhaftig eine Art Polemik, die man lieber vermeiden sollte. Mein Freund Borchardt hat von befristeten Dispensen mit keiner Silbe gesprochen; ich bin überzeugt, dass er vielleicht gar nicht weiß, dass es solche befristeten Dispense gegeben hat. Jedenfalls liegt die Sache so, dass Herr Abgeordneter Mugdan all dies an den Haaren herbeigezogen hat, um sich als Verteidiger der bürgerlichen Freiheit gegen Verwaltungswillkür und den Sozialdemokraten als einen Plädeur für Verwaltungswillkür hinzustellen. Das ist eine vollständige Verschiebung der Sache, und Herr Abgeordneter Mugdan hätte besser diesen Bocksprung nicht unternommen.

Nun hat Herr Abgeordneter Mugdan die Gelegenheit benutzt, auf die Vorgänge in der Berliner Stadtverordnetenversammlung2 einzugehen. Ich denke natürlich nicht daran, diese Vorgänge etwa einer längeren Erörterung zu unterziehen; das darf ja auch in diesem Zusammenhang gar nicht sein. Ich möchte nur dagegen Verwahrung einlegen, dass man diese Vorgänge in der Weise fälscht, wie es in der Presse vielfach geschehen ist, und den Sinn des Verhaltens der Sozialdemokratie in solch offensichtlicher Weise entstellt, wie es auch der Herr Vorredner getan hat.

Meine Herren, die Sozialdemokratie hat selbstverständlich das tiefste Verständnis für einen Befreiungskrieg, wie er vor hundert Jahren geführt worden ist, und hat volles Empfinden für die Größe der damaligen Zeit, gerade weil sie von einer gewaltigen Volkserhebung erfüllt war, die sich aus sich selbst heraus entwickelt hat gegen die widerstrebenden Herrschenden und Mächtigen im Lande. Aber sie hat eher das Gefühl der Trauer in der Erinnerung an jene Zeit als das Bedürfnis, Jubiläen und Feste zu feiern („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.), weil sie daran denkt: Welch großer Aufwand und welch edles Blut, welch heilige Gefühle sind damals nutzlos vertan worden, nutzlos vertan und verschwendet worden von den preußischen Feinden des preußischen Volkes!

Was ist alles an Gutem und Großem und Herrlichem verraten worden in den späteren Jahren und wird verraten bis zum heutigen Tag! Meine Herren, wir meinen, dass heute eher ein Wartburgfest gefeiert werden müsste als eine Hundertjahr-Jubelfeier. (Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident Dr. Porsch: Herr Abgeordneter, ich gebe zu, dass Sie darauf erwidern können, möchte Sie aber bitten, nicht zu weit zu gehen.

Liebknecht: Ich bin auch bereits am Ende. – So muss die Haltung der Sozialdemokratie verstanden werden. Das preußische Volk hat keinerlei Veranlassung, in diesem Jahre ein höfisch-dynastisches Fest zu feiern. (Lebhafte Rufe: „Oh!" rechts. Unruhe.) Es hat allerdings alle Veranlassung, in diesem Jahre – (Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Herr Abgeordneter, ich bitte jetzt doch, das Gebiet zu verlassen.

Liebknecht: Ich bin am Schluss. Ich will nur den einen Satz noch zu Ende führen: Das preußische Volk hat alle Veranlassung, dieses Jahr würdig zu begehen, indem es in diesem Jahre einen neuen Freiheitskrieg gegen das Junkertum, gegen die preußische Reaktion und gegen die politische Heuchelei kämpft (Unruhe und lebhafte Zurufe rechts und bei der Fortschrittlichen Volkspartei.), die sich vorgestern in der Berliner Stadtverordnetenversammlung breitgemacht hat.

1 August Bebel: Zur Lage der Arbeiter in den Bäckereien, Stuttgart 1890. Die Red.

2Um 20. Februar 1913 befasste sich die Berliner Stadtverordnetenversammlung; mit dem Vorschlag des Magistrats, aus Anlass des hundertsten Jahrestages des Aufrufs des preußischen Königs vom 17. März 1813 „An mein Volk!" einen öffentlichen Kirchgang mit anschließendem Gottesdienst in der Nikolaikirche durchzuführen. Die sozialdemokratische Fraktion lehnte diesen Vorschlag ab. In ihrer Erklärung wies sie unter anderem darauf hin, dass der König von Preußen sein in der Not gegebenes Versprechen einer freiheitlichen Verfassung für Preußen nicht eingelöst habe. Die Haltung der sozialdemokratischen Fraktion löste bei den bürgerlichen Parteien tumultartige Szenen aus. Die Red.

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