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Karl Liebknecht 19140206 Wir fordern gleiches Recht für alle

Karl Liebknecht: Wir fordern gleiches Recht für alle

Rede im preußischen Abgeordnetenhaus zum Justizetat 6. Februar 1914

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 22. Legislaturperiode, II. Session 1914/15, 2. Bd., Berlin 1914, Sp. 1586-1590 und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 7, S. 93-98]

Meine Herren, mich wundert, dass der Herr Abgeordnete von Campe nicht weiß oder im Moment nicht gewusst hat, ein wie unzureichendes Rechtsmittel die Revision ist,

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

und dass derjenige, der die Revision nicht einlegt oder die bereits eingelegte Revision wieder zurückzieht, damit weit davon entfernt ist, das Urteil zu billigen.

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

Die Ausführungen des Herrn Abgeordneten von Campe, die er uns am Schluss gemacht hat, beweisen also gar nichts, außer dass er die Geringwertigkeit des Rechtsmittels der Revision anscheinend nicht in vollem Umfange erfasst hat.

Meine Herren, der Herr Abgeordnete von Campe hat sich darüber gewundert, dass mein Freund Haenisch Beschwerde erhoben hat über die Schnellfeuerjustiz, die auf den Ruhrstreik gefolgt ist1, und er hat gefragt: Kann denn rasche Justiz auch Klassenjustiz sein? Es sei das erste Mal, dass ihm eine Beschwerde über zu schnelle Justiz entgegengetreten sei. Meine Herren, der Herr Abgeordnete von Campe muss den Debatten über den Justizetat im vorigen Jahr nicht zugehört haben, er muss auch die Debatten des Reichstages im vorigen Jahre nicht verfolgt haben, sonst wüsste er, dass wir ja gerade über die Schnellfeuerjustiz, die aus Anlass des letzten Ruhrstreiks stattfand, die lebhaftesten Beschwerden erhoben haben,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

die begründetsten Beschwerden,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

und dass wir gerade in dieser durchaus die Grundrechte des Angeklagten schädigenden Durchpeitschung der Prozesse Akte der krassesten Klassenjustiz erblicken. Es ist Ihnen wohl bekannt, dass man die Verdächtigten systematisch in Untersuchungshaft nahm; auch wenn es sich nur um Beleidigung, um geringfügige Delikte handelte. Es ist Ihnen bekannt, dass man die in Untersuchungshaft Befindlichen, wehrlos Gewordenen, zum Verzicht auf die Innehaltung der gesetzlichen Fristen formularmäßig veranlasst hat,

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

dass man ihnen damit die Möglichkeit der notwendigen Vorbereitungen der Verhandlung, dass man ihnen damit weiter auch die Möglichkeit, sich rechtzeitig Verteidiger zu nehmen, entzogen hat

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

und dass auf diese Weise die Rechtsprechung einfach wie ein Verwaltungsakt willkürlichster Art

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

gegen die Streikenden wirkte und überall empfunden wurde.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Der Vorwurf der Klassenjustiz wurde mit Fug und Recht gegen diese Art der Justiz erhoben.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Im vergangenen Jahre habe ich Anlass gehabt, mich näher damit zu beschäftigen; mein Freund Hué wird vielleicht in diesem Jahre Gelegenheit haben, noch darauf einzugehen. Es ist aber ein Beweis der vollkommenen Verständnislosigkeit eines Herrn wie des Herrn Abgeordneten von Campe, der selbst Richter ist, für unsere Beschwerden über Klassenjustiz und für das lebendige Volksempfinden,

(Zuruf.)

dass er sich in dieser Sache so äußern konnte, für die vollkommene – Weltfremdheit kann man da nicht sagen, aber Fremdheit gegenüber dem Volk, Volksfremdheit, will ich sagen, unserer Justizbeamten, die in seiner Person einen klassischen Ausdruck gefunden hat.

Meine Herren, Herr Abgeordneter Gronowski hat ebenso wie der Abgeordnete Dr. Bell und auch der Herr Vertreter der Regierung von einem Eingriff in ein schwebendes Verfahren gesprochen. In dieser Richtung hat schon Herr Abgeordneter von Campe manches sehr Beherzigenswerte gesagt. Ich möchte nur noch auf eins hinweisen.

Es handelt sich hier um das Stadium des Verfahrens, in dem die Sache in den Händen der Staatsanwaltschaft liegt.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Die Staatsanwaltschaft aber ist eine reine Verwaltungsbehörde,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

die dem Herrn Minister untergeben und ad nutum verpflichtet ist, den Willen des Herrn Ministers auszuführen. Diese Verwaltungsbehörde zu kritisieren und den Herrn Minister darum zu ersuchen, in die Amtsführung dieser Verwaltungsbehörde einzugreifen, das ist jederzeit unser gutes Recht.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Die Bedenken gegen den Eingriff in ein schwebendes Verfahren richten sich gegen den Eingriff in ein schwebendes Gerichtsverfahren, wenn die sozusagen unabhängigen Richter die Sache in den Händen haben. Schon darum erledigen sich alle diese Einwendungen.

Herr Abgeordneter Gronowski hat, vom Himmel durch die Welt zur Hölle schreitend, seine Polemik gegen die Sozialdemokratie, die ja im Grunde genommen wiederum das Hersagen des von uns bereits häufig gehörten Reichsverbandflugblattes war, mit dem Erfurter Programm begonnen und behauptet, dort stehe, dass mit dem 14. Lebensjahre das Kind seine Religion frei bestimmen solle. Herr Abgeordneter Gronowski, Sie haben ja natürlich unser Programm Ihr Lebtag nicht gelesen, nicht einmal die Überschrift haben Sie gelesen. Das wissen wir ja. Aber derartiges Zeug über unser Programm reden Sie doch besser, wenn keine Sozialdemokraten, sondern Leute dabei sind, die Ihnen glauben.

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

Herr Abgeordneter Gronowski weiß natürlich ganz genau, dass das 14. Lebensjahr als Unterscheidungsjahr im Allgemeinen Landrecht festgesetzt ist und dass sich unser Programm über diese Frage ganz und gar nicht auslässt.

Meine Herren, Herr Abgeordneter Gronowski hat von einem sozialdemokratischen Doppelspiel gesprochen, das getrieben worden sei. Solche Klagen aus dem Munde des Herrn Abgeordneten Gronowski,

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

der das personifizierte politische Doppelspiel ist,

(Lachen im Zentrum.)

der in dem Jesuitismus seiner Argumentation nicht überboten werden kann,

(Lachen im Zentrum.)

der in der Skrupellosigkeit seiner Argumentation seinesgleichen in der Welt nicht hat,

(Lachen im Zentrum.)

der nur brauchbar ist, meine Herren, als Zentrumshetzagitator.

(Glocke des Präsidenten.)

Präsident Dr. Graf von Schwerin-Läwitz: Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, solche Ausdrücke zu vermeiden. Dass er ein Hetzagitator ist, dürfen Sie keinem Kollegen vorwerfen.

Liebknecht: Meine Herren, der Abgeordnete Gronowski ist natürlich auf das „alte Märchen von der sozialdemokratischen Geistesfreiheit" eingegangen.

(Zuruf: „Das ist also ein Märchen!" – Große Heiterkeit.)

Selbstverständlich, Sie nennen das das Märchen von der sozialdemokratischen Geistesfreiheit.

(Erneute Heiterkeit.)

Meine Herren, so hat Herr Gronowski gesagt; er hat von der „sozialdemokratischen Geistesfreiheit" gesprochen.

(Zurufe: „Ironisch!")

Sie haben davon gesprochen, Herr Gronowski, und da sage ich, was Herr Gronowski von der „sozialdemokratischen Geistesfreiheit" sagt, ist ein Märchen. Denn diese Geistesfreiheit existiert allerdings.

(Zurufe.)

Meine Herren, soll man denn diese abgeleierten Debatten

(Große Heiterkeit. – „Sehr richtig!" rechts.)

lachen Sie tüchtig, meine Herren, lachen Sie weiter, lachen Sie immerfort; es macht mir sehr großes Vergnügen, zu sehen, wie Sie lachen. Meine Herren, die Rede, die Herr Gronowski gehalten hat, ist doch wahrhaftig so abgeleiert, dass, wenn er sie auf einem Leierkasten hätte, dieser längst verstummt wäre und versagt hätte. Aber er bekommt es fertig, diese seine Rede immer wieder mit demselben Munde und derselben Zunge und denselben Worten zu halten. Meine Herren, über „sozialdemokratische Geistesfreiheit" werden wir bei anderer Gelegenheit wieder einmal mit Ihnen diskutieren. Quis tulerit Gracchos: Meine Herren, Sie wagen es, von Geistesfreiheit zu reden! Wir sind aber beim Justizetat. Mir liegt nicht daran, diese Debatten, die bei anderer Gelegenheit mit Ihnen wahrhaftig doch mit dem besten Erfolge geführt worden sind, in diesem Zusammenhange weiter auszuspinnen.

(Lachen im Zentrum.)

Herr Gronowski hat am Schlusse seiner Rede gesagt, er würde lieber zu der allerreaktionärsten Partei gehen als zur Sozialdemokratie. Meine Herren, ich hebe hervor, dass das das einzig Richtige und Wahre in der Rede des Herrn Gronowski sein würde, wenn er nicht bereits zur reaktionärsten Partei gehörte: Wir aber würden natürlich für den Herrn unsererseits danken.

Die Ausführungen meines Freundes Haenisch haben einen ganz klaren Sinn gehabt, sie haben von alledem, was man ihm nachträglich anzudichten versucht hat, durchaus gar nichts enthalten. Mein Freund Haenisch hat mit kurzen Worten gefordert, dass gleiches Recht für alle gelten soll. Er hat darauf hingewiesen, wie dieselbe Justizbehörde in gewissen Fällen rücksichtslos schnell unter Missachtung der Interessen der Angeschuldigten vorgeht, während sie bei anderen Gelegenheiten ihre Tätigkeit merkwürdig schleichend, schleppend entwickelt.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Er hat seine Verwunderung darüber ausgesprochen, dass in diesem Fall nicht schneller vorgegangen wird. Meine Herren, wir kommen immer wieder in die Verlegenheit zu fordern, dass dieselbe Schärfe, die gegen die Sozialdemokratie angewendet wird, auch gegen die bürgerlichen Parteien in gleicherweise angewendet werde. Ebenso recht wäre es uns natürlich, wenn man gegen die Sozialdemokratie nicht so scharf vorgehen, gerechter urteilen würde. Meine Herren, wir fordern nichts als Rechtsgleichheit, sei es, indem man die Sozialdemokraten gerecht behandelt, sei es, indem man die bürgerlichen Parteien in gleicher Weise wie die Sozialdemokratie rücksichtslos und energisch anfasst. In dem Gegensatz, der in dieser Beziehung besteht, finden wir einen großen Teil des Klassenjustizcharakters unserer heutigen Jurisdiktion. Wenn Sie diesen Sinn der Ausführungen meines Kollegen Haenisch als das Wesentliche seiner Ausführungen betrachten, dann werden Sie alsbald sehen, wie gänzlich verkehrt die Angriffe waren, die von Ihnen gegen ihn gerichtet waren. Gänzlich aussichtslos ist Ihr heißes Bemühen, aus diesem Anlass eine Kulturkampfhetze zu schüren und die Sozialdemokratie als den schwarzen Mann hinzustellen.

(Zuruf.)

Da Sie die schwarzen Männer sind, begreife ich, dass Sie vor schwarzen Männern keine Angst haben. Das sind ja Ihre Leute. Es ist ein ganz vergebliches Bemühen, dass Sie soeben mit der üblichen demagogischen Geschicklichkeit unternommen haben, aus den Ausführungen meines Freundes Haenisch im Sinne Ihrer lebhaften Kulturkampfbedürfnisse Kapital zu schlagen. Mein Freund Haenisch hat nur Gerechtigkeit gefordert und nichts weiter, und all Ihr Gerede war ein Versuch, an den Ausführungen meines Freundes Haenisch herumzudrehen und ihren ehrlichen Sinn in sein Gegenteil zu verkehren.

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

1 Während des Ruhrbergarbeiterstreiks vom 11. bis 19. März 1912 gingen Militär- und Polizeieinheiten brutal gegen die Streikenden vor. Dabei wurden in verschiedenen Orten des Ruhrgebietes vier Arbeiter getötet und viele verletzt. In den darauffolgenden Prozessen wurden hohe Gefängnis- und Zuchthausstrafen gegen an den Zusammenstößen beteiligte Streikende ausgesprochen.

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