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Karl Liebknecht 19151028 Brief an Wilhelm Liebknecht

Karl Liebknecht: Brief an Wilhelm Liebknecht1

[Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Zentrales Parteiarchiv, NL-1/35, 33, 65. Nach Gesammelte Reden und Schriften, Band 8, S. 354-359]

28. Oktober 1915

Liebster Wims!

Zuvörderst politisch u. anwaltlich: I. a) Aus der Presse ersehe ich, dass in der Sache wegen der Eingabe vom 9. 6. 15 Heine der Verteidiger Wiegands2 ist. Ich bitte Dich nun, das Anliegende A (Reihenfolge I, II, III) Heine sofort in genauer, gut durchgesehener Abschrift zugehen zu lassen; u. zwar mit der Einleitungsfloskel:

Auf Veranlassung meines Bruders Karl, der aus der Presse erfuhr, dass Sie der Verteidiger Wiegands sind, erhalten Sie anbei einige Abschriften zur Orientierung."

b) Eine 2. Abschrift bitte ich zu nehmen u. eine Akte: „Strafsache gegen Dr. K. L." anzulegen – büromäßig!!

c) Das anliegende Originaldokument bitte ich Dich aufs aller-dringendste.- 1. ganz sorglich zu bewahren – auch, dass es nicht unleserlich wird! 2. nach Entnahme der Abschrift an Sonja persönlich zur Verwahrung für mich zu geben.

II. a) Das Anliegende B3 bitte ich gleichfalls kopieren zu lassen;

u. mit einer Kopie ein Aktenstück: „Strafsache gegen Dr. K. L." büromäßig anzulegen.

b) Das Original gleichfalls sorglich bewahren u. Sonja persönlich zur sorglichen Bewahrung zu übergeben.

Nun persönlich:

Wir haben seit dem Rückzug der Russen über die Düna andre Quartiere (in Unterständen im Wald) u. andre Arbeit. Ich bin marode geworden u. seit einigen Tagen wieder mal im Revier des Bat., wo man recht ängstlich mit mir ist. Ich gedenke doch noch, vor Antritt des Urlaubs wieder in Dienst zu gehen.

Alles verschneit, unwegsam – keine Post – so malerisch, so verzweifelt. Und das wird vielleicht noch schlimmer; freilich das Übergangswetter macht die meisten Schwierigkeiten. Da werde ich wohl schon um den 15. 11. herum losgondeln müssen.

Von Th.4 bekam ich erfreuliche Nachrichten; er will versuchen, nach Berlin zu kommen.

Von Sonja fehlt mir alles. Pakete hab ich – von einigen wenigen Briefen mit Tabak zu geschweigen (ca. 3 mit je 50 gr.) – nicht, absolut nicht erhalten. Das ist zum Auswachsen. Warum erfüllt man mir die geringsten Wünsche nicht? Die Post läuft bald 6 Tage, bald 15, bald setzt sie ganz aus. Um so regelmäßiger und öfter muss geschickt werden. Mach doch mal Dampf – wenn's jetzt auch wohl zu spät ist.

Lasst mir telegraphisch – ich denke das geht – sofort 30 Mk. zugehen. Bis zum 15. müssten sie bestimmt bei mir sein; sonst hat's keinen Zweck.

Sag Dr. Fr., dass ich mit der Gr. korrespondiere. Wie stehst Du militärisch? Neuestens meine ich! Ich küsse Dich u. grüße alles, alles

Dein Karl

Zu C und D sorglich durch Sonja verwahren zu lassen.

Osten, den 12. Oktober 1915

A

I. Am 11. d. M. wurden mir auf Ersuchen des Gerichtsherrn, des Stabsoffiziers der Pioniere bei der Njemen-Armee, Oberst Kahns, vom Kompanieführer folgende drei Fragen vorgelegt:

1. Ist mir von der Protesteingabe vom 9. Juni 1915 etwas bekannt?

2. Habe ich sie verfasst?

3. Habe ich sie unterzeichnet und verbreitet u. wann verbreitet? Es war weiter um einen Bericht über meine Führung ersucht. II. Meine Erklärung zu Protokoll vom 11. Oktober lautet etwa: Nach der Bestimmung der Reichsverfassung, die auch meiner Disposition nicht unterliegt, ist meine Verfolgung wegen irgendwelcher strafbaren Handlungen z. Zt. unzulässig. Indem ich den hieraus folgenden grundsätzlichen Standpunkt nachdrücklich betone, will ich doch, um zu verhindern, dass ohne Grund gegen andere Personen an meiner Statt vorgegangen wird, und weil ich mich der Verantwortung für mein politisches Tun mit allen Konsequenzen nie entzogen habe u. nie entziehen werde, zu den drei mir vorgelegten Fragen folgendes bemerken:

Ich bejahe diese 3 Fragen. Es hat keine Verbreitung an einen unbegrenzten Personenkreis, sondern nur eine solche an Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei und der freien Gewerkschaften stattgefunden; u. zw. im Juni d. J. Übrigens steht meine Unterschrift ausdrücklich unter dem in den Händen der Behörde befindlichen Abdruck des fraglichen Schriftstückes, und ich habe bereits im Juni d. J. – zur Vermeidung der Inanspruchnahme dritter Personen – veranlasst, dass das Berliner Polizeipräsidium von meiner vollen Verantwortlichkeit unterrichtet worden ist.

K. Liebknecht

Armierungssoldat

III. Ferner habe ich am 12. Oktober an den Gerichtsherrn geschrieben :

In der Angelegenheit betreffend den Protest vom 9. Juni d. J. usw. bemerke ich zu meiner gestrigen Erklärung noch folgendes:

Was ich getan habe, war meine politische Pflicht im höchsten Sinne. Den Versuch, mich darum behördlich zur Verantwortung zu ziehen, weise ich zurück.

Eine irgendwie strafbare Handlung liegt nicht vor. Ich gebe jedoch anheim, beim Reichstag die Genehmigung zur Strafverfolgung in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise nachzusuchen. Ich werde mich diesem Antrag anschließen, so dass die Genehmigung nach dem Gebrauch des Reichstags voraussichtlich erteilt werden wird.

Nach einer anscheinend offiziösen Pressmeldung ist in der gleichen Sache der Geschäftsführer der Buchdruckerei Noster (Wiegand) verhaftet, von dem ich versichern kann, dass er weder von mir noch m. W. von anderer Seite über die hier etwa in Betracht kommende Bedeutung der Druckschriften irgend unterrichtet worden ist; er musste insbesondere annehmen, dass es sich nur um den – von einigen Besonderheiten abgesehen – dokumentarisch möglichst genauen Wiederabdruck handle, der nicht zur öffentlichen Verbreitung bestimmt war; eine Annahme, die auch objektiv zutrifft. Er hat unter dem Einfluss seiner persönlichen Gesinnung zu mir unbesehen, im Vertrauen zu mir, der auch Rechtsanwalt ist, meinen Bitten entsprochen und ist meiner Überzeugung nach nicht einmal pressrechtlich, weder objektiv noch auch subjektiv, straffällig. Für alles von ihm etwa Gefehlte trifft ausschließlich mich die Verantwortung.

Ich bitte, Sorge tragen zu wollen, dass meine vorstehende Äußerung über Wiegand der mit dessen Verfolgung betrauten – mir unbekannten – Staatsanwaltschaft so schnell wie möglich zur Kenntnis gebracht wird.

Karl Liebknecht

Armierungssoldat

C

Notizen – nicht während des Krieges verwerten! sorgfältig aufbewahren! (Durch Sonja!)

Am 25. 10. 15 bittet mich der Bat.arzt Dr. Rossie aus der Bat.-revierstube heraus u. teilt mir mit: „Es ist beim Bat. gemeldet, dass Sie Propaganda für den Kirchenaustritt unter den Kameraden im Revier treiben. Das darf ich nicht dulden, das Revier ist neutraler Boden. Ich muss Sie ersuchen, es einzustellen (bis dahin dienstlich). Sie sollen die Aufforderung zum Austritt auch damit begründet haben, dass so ein Druck auf Beendigung des Kriegs geübt werden könne u. solle – das könnte leicht als Aufruhr ausgedeutet werden (ich widerspreche). Ich sage Ihnen das in bester Absicht – wie ich sonst dem Austritt gegenüberstehe, tut hier nichts zur Sache. Ich stehe Ihnen in der Auffassung des Kriegs gar nicht fern u. huldige stark pazifistischen Neigungen usw. (Worte scharfer Kritik). Sie können sich denken, dass Sie von Spionen umgeben sind, die stets alles hinterbringen; also Vorsicht. Übrigens weiß ich, dass der Stabsoffizier der Pioniere (Oberst Kahns) Ihnen nicht gewogen ist. Ich habe selbst aus seinem Munde gehört, dass er – bei Gelegenheit Ihres jüngsten Urlaubs – sagte: ,Wenn Sie dort in Zivil gehen würden, würde er Sie unweigerlich einsperren!' Seien Sie auf der Hut."

Am 26. 10. kommt der Bat.kom. (Rittmeister Simon) u. ruft mich: Er habe von der Prop. für Kirchenaustritt gehört. Das gehe nicht. Er lege Gewicht darauf, mit mir in aller Güte durchzukommen u. sagen zu können, dass ich tadellos gewesen sei; er werde diese Sache nicht weitergeben – er fasse sie nur als privat zu seinen Ohren gekommen auf. Ich solle nicht vergessen, dass eine ganze Zahl von den Kameraden ins Gesicht gut Freund zu mir seien u. dann doch hinter dem Rücken gegen mich redeten u. hetzten u. mich denunzierten. Dass ich mit einzelnen mich unterhielte usw., deren Gesinnung ich zu kennen glaubte, dagegen sei nichts zu sagen – er selbst habe sich ja so mit mir unterhalten u. werde mich bei Gelegenheit wieder fragen, wenn ich vom Reichstag kommen werde usw. Nur keine „Agitation"!

Der Arzt sagte noch: ich solle auch nicht vergessen, dass Briefe geöffnet werden könnten! Es bestehe dazu die bes. Befugnis (zur Verhinderung u. Aufdeckung von Aufruhr etc.). Ob bei mir schon geschehen, wisse er nicht. Ich müsse mit allem rechnen.

Es sei einmal die Rede davon gewesen (im Bat.stab), dass meine Frau im Ausland sei u. ich durch eine Deckadresse mit ihr korrespondierte usw.

1 Wilhelm Liebknecht, einer der jüngeren Brüder Karl Liebknechts. Siehe S. 189.

2 Am 14. September 1915 wurden Ernst Meyer und Hugo Eberlein als Auftraggeber der von der Gruppe Internationale herausgegebenen Flugschriften „Wer hat die Schuld am Kriege?", „Der Annexionswahnsinn" (verfasst von Hermann Duncker) und „Krieg und Proletariat" sowie Richard Wiegand als Hersteller der genannten Druckschriften und des von Karl Liebknecht in Auftrag gegebenen „Unterschriftenflugblattes" vom 9. Juni 1915 verhaftet und der Berliner Staatsanwaltschaft I übergeben. Gegen Karl Liebknecht wurde ebenfalls ein Strafverfahren eingeleitet. (Siehe auch Dokumente und Materialien, Reihe II, Bd. 1, S. 241 bis 242.)

3 Diese Anlage liegt dem Brief in der Quelle nicht bei. Vermutlich handelt es sich um die Schriftstücke, die Karl Liebknecht Mitte Dezember 1915 für seine Denkschrift an den Reichstag über die gegen ihn eingeleiteten militärgerichtlichen Untersuchungsverfahren verwandt hat.

4 Theodor Liebknecht, der ältere Bruder Karl Liebknechts.

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