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Karl Liebknecht 19150820 Verzicht auf Annexionen – sofortige Friedensverhandlungen

Karl Liebknecht: Verzicht auf Annexionen – sofortige Friedensverhandlungen

Kleine Anfrage1 im Deutschen Reichstag (20. August 1915)

[Nach Verhandlungen des Reichstags, XIII. Legislaturperiode, II. Session, Bd. 306, Berlin 1916, S. 221 und nach Gesammelte Reden und Schriften, Band 8, S. 297]

Liebknecht: Ist die Regierung bei entsprechender Bereitschaft der anderen Kriegführenden bereit, auf der Grundlage des Verzichts auf Annexionen aller Art in sofortige Friedensverhandlungen einzutreten?

(Zurufe.)

Präsident: Zur Beantwortung dieser Anfrage hat das Wort der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Jagow.

von Jagow (Staatsminister, Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Bevollmächtigter zum Bundesrat): Meine Herren, ich glaube dem Einverständnis der großen Mehrheit des Hauses zu begegnen, wenn ich auf die Anfrage des Abgeordneten Dr. Liebknecht eine Antwort als zur Zeit unzweckmäßig zu erteilen ablehne.

(Lebhaftes anhaltendes „Bravo".)

Liebknecht: Das ist eine Zweideutigkeit – –

(Anhaltendes ironisches „Bravo" und Lachen.)

Es ist ein Bekenntnis – –

(Erneutes anhaltendes ironisches „Bravo" und Lachen. – Glocke des Präsidenten.)

1Die Kleinen Anfragen – Das parlamentarische Mittel der Kleinen Anfrage war 1912 unter dem Druck einer Reichstagsmehrheit nach dem Vorbild des englischen Parlaments in die Geschäftsordnung des Reichstages aufgenommen worden. Damit bekamen die Abgeordneten eine Handhabe, um kurzfristig von der Regierung Auskünfte über wichtige politische Fragen zu erlangen, ohne den umständlichen Weg über eine Interpellation gehen zu müssen, zu der die Unterschrift von 30 Abgeordneten erforderlich war. Die Anfragen mussten schriftlich eingereicht werden. Eine Besprechung der Antwort des Reichskanzlers oder seines Vertreters war nicht möglich, Anträge zur Sache waren unzulässig. (Siehe Die Geschäftsordnung für den Reichstag mit Anmerkungen. Hrsg. von E. Jungheim, Berlin 1916, S. 80 bis 82.)

Zur Geschichte seiner ersten Anfrage schreibt Karl Liebknecht: „Die erste meiner ,Anfragen', die ich beim Schippen konzipierte, schickte ich am 31. Juli 1915 unter gleichzeitiger Benachrichtigung an den Fraktionsvorstand und Ledebour, mit dem sich während meines Mai/Juni-Urlaubs ein gutes Verhältnis entwickelt hatte. Ich zweifelte damals, ob ich mit Reichstagsbeginn bei der Entfernung meines Aufenthalts in Berlin sein würde. Schon wegen dieser Entfernung kam eine vorherige Verständigung mit anderen über die Anfrage nicht in Betracht. Später wurde der Beginn der Tagung um einige Tage verschoben.

In Berlin angekommen (am 12. August), unterrichtete mich das Reichstagsbüro, Haase habe die Verschiebung der Drucklegung weiterer Geschäftsbehandlung der Anfrage bis nach einer geplanten Rücksprache mit mir veranlasst. Ich protestierte und ersuchte um sofortige Erledigung. Mehring und Duncker, mit denen ich mich kurz beriet, billigten mein Vorgehen. Von Haase erfuhr ich, dass er auf Parteivorstandsbeschluss gehandelt habe. Bei einer Besprechung Groß-Berliner Oppositionsvertreter und auswärtiger Parteiausschussmitglieder wurden mir von mehreren, besonders Ledebour, lebhafte Vorwürfe gemacht, die sich mit denen vom Januar 1916 (vgl. ,Spartakusbrief') deckten. Ströbel legte sich leidenschaftlich für mich ins Zeug. – Ich bat vergeblich, sich der Anfrage anzuschließen, erklärte mich auch vergeblich bereit, die gestellte Anfrage zurückzuziehen, wenn andere bereit seien, eine inhaltlich gleiche neue Anfrage sogleich mit mir zusammen zu stellen. Die geforderte bedingungslose Zurückziehung lehnte ich ab.

In der Fraktion wurde ich gleichfalls zur Zurückziehung aufgefordert und scharf angegriffen. Ledebour rückte auch hier von mir ab." (Karl Liebknecht: Betrachtungen und Erinnerungen aus „großer Zeit".)

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