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Karl Liebknecht 19160219 Brief an Joseph Herzfeld

Karl Liebknecht: Brief an Joseph Herzfeld1

Teil eines Informationsmaterials der Spartakusgruppe vom 24. Februar 1916

[Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Zentrales Parteiarchiv, NL-1/33. Nach Gesammelte Reden und Schriften, Band 8, S. 481-483]

19. Februar 1916

Werter Genosse!

Um jeder Legendenbildung entgegenzutreten, halte ich für nötig, zu der Sitzung vom Dienstag2 und dem Beschluss:

diejenigen zurückzuweisen, die an der Januarbesprechung3 teilgenommen haben, hinter den „Leitsätzen" und ihrer Versendung nach Bern4 und hinter den Spartakusbriefen stehen,

folgendes feststellen:

Ein Überblick über die Tätigkeit der „Opposition" bis zum Juni vorigen Jahres und seit Einrichtung unserer Zusammenkünfte5 zeigt unsere Mitwirkung für gemeinsame Zwecke zur Genüge. Wir haben uns auch bis zum letzten Augenblick stets zur weiteren Zusammenarbeit überall dort bereit erklärt, wo Übereinstimmung der wesentlichen grundsätzlichen und taktischen Anschauungen besteht. Wir haben andererseits nie Zweifel über unsere Anschauungen gelassen, wiederholt mit allem Nachdruck auf die wichtigen prinzipiellen und taktischen Meinungsverschiedenheiten hingewiesen, die sich in den letzten Monaten immer deutlicher herausbildeten und in Anknüpfung an den 21. Dezember und die Beschickung der Schweizer Konferenz zuspitzten. Mehr wie einmal haben wir betont, dass wir uns auf den Gebieten unserer Differenzen Freiheit der Vertretung und Betätigung unserer Anschauungen unbedingt vorbehalten müssten – im Interesse der Klärung der Bewegung, im Interesse der künftigen Parteientwicklung und auch, um so die Basis festzuhalten, auf der allein ein Zusammenwirken im Bereich unserer Übereinstimmung möglich war und ist. Gerade in Bezug auf Bern haben wir das in der Sitzung vom 15. Januar – wie auch in der vorangegangenen engeren Besprechung – mit aller erdenklichen Schärfe gesagt; am Schluss dieser Sitzung konstatierte der Genosse Ledebour unsren Vorbehalt noch ausdrücklich. Wir haben den Plan, auf Grund einer nebelhaft-unklaren Parole zunächst eine nebelhaft-unklare „Mehrheit" und dann erst Klarheit und Übereinstimmung anzustreben, als widersinnig und verderblich verworfen und den umgekehrten Weg als den allein für uns gangbaren bezeichnet. Dass wir in einer scharf-kritischen Haltung gerade auch zu den Schwächen der „Opposition" eine unserer hauptsächlichen taktischen Aufgaben erblicken, hoben wir unzweideutig hervor.

Entsprechend diesen Erklärungen haben wir gehandelt.

Ich bitte Sie, von diesem Brief den übrigen Genossen Kenntnis

zu geben.

Mit Parteigruß

Ihr K. Liebknecht

PS. Dass ich für irgendwelche unzureichende Information anderer über Zimmerwald usw. nicht verantwortlich bin, ist am Dienstag dargelegt. Die „Leitsätze" sind Ihnen sofort nach ihrer Vervielfältigung unter dem 3. Februar zugestellt. Wegen der zahlreichen übrigen unrichtigen Behauptungen und Kombinationen, die am Dienstag auftauchten, beziehe ich mich auf den damals von uns erhobenen allgemeinen Widerspruch.

D. O.

1 Dieses Schreiben Karl Liebknechts an Herzfeld, der unter den zentristischen Kräften in der Opposition eine führende Rolle spielte (später einer der Führer der USPD in Berlin), ist Bestandteil eines Informationsmaterials der Spartakusgruppe. Das gesamte Dokument trägt das Datum „Berlin, den 24. Februar 1916". Es enthält einen Brief Franz Mehrings vom 19. Februar 1916, den hier abgedruckten Brief Karl Liebknechts und schließlich ein kürzeres Schreiben Ernst Meyers, alle an Herzfeld. Das uns als Quelle vorliegende Original eines hektographierten Exemplars dieses Spartakusdokuments ist von Karl Liebknecht handschriftlich überschrieben: „Zur Information!" Es ist bisher nur in der Zeitschrift „Die Kommunistische Internationale" (1925, Heft 9) veröffentlicht. In der Neuauflage der Spartakusbriefe, Dietz Verlag, Berlin 1958, fehlt dieses Informationsmaterial.

2 15. Februar 1916. Siehe politischer Brief vom 9. März 1916.

3 Es handelt sich um die illegale Reichskonferenz der Gruppe Internationale am 1. Januar 1916 im Rechtsanwaltsbüro Karl Liebknechts. Zu den Teilnehmern gehörten: Karl Liebknecht, Franz Mehring, Ernst Meyer, Hugo Eberlein, Käte Duncker, Wilhelm Pieck (alle Berlin), Berta Thalheimer (Stuttgart-Cannstatt), Fritz Rück (Stuttgart), Johann Knief (Bremen), Georg Schumann (Leipzig), August Thalheimer (Braunschweig), Rudolf Lindau (Hamburg), Otto Rühle (Dresden), Karl Minster (Duisburg). Rosa Luxemburg war wegen Gefängnishaft, Clara Zetkin wegen Krankheit an der Teilnahme verhindert. Liebknecht sprach über die politische und innerparteiliche Lage, insbesondere über das Verhältnis der Gruppe Internationale zu den zentristischen Kräften. Es wurden die von Luxemburg entworfenen „Leitsätze über die Aufgaben der internationalen Sozialdemokratie" beraten und im Prinzip gebilligt, wenn sich auch z. B. Knief und Lindau nicht für die Annahme aller Punkte erklärten. Die Konferenz beschloss weiter, regelmäßig Politische Briefe (Spartakusbriefe) herauszugeben.

4 Vom 5. bis 8. Februar 1916 fand in Bern eine erweiterte Beratung der Internationalen Sozialistischen Kommission statt. Sie diente der Vorbereitung der zweiten internationalen Konferenz der Zimmerwalder Bewegung (vom 24. bis 30. April 1916 in Kienthal/Schweiz). Beschlossen wurde die Tagesordnung und ein Appell der ISK an alle angeschlossenen Parteien und Gruppen. In dem Rundschreiben waren wichtige Teile der Leitsätze der Spartakusgruppe enthalten. Wesentlichen Anteil an der Vorbereitung und Durchführung der Beratung hatte Lenin. Die Spartakusgruppe war durch B. Thalheimer vertreten. Als weiterer deutscher Vertreter nahm G. Laukant an der Beratung teil.

5 Seit dem Sommer 1915 („Unterschriftenflugblatt" vom 9. Juni 1915) trafen sich die führenden Berliner Vertreter der Parteiopposition regelmäßig, um über prinzipielle und taktische Fragen der Parteiarbeit zu beraten. Die Gruppe Internationale wurde in diesem „Oppositionszirkel" von Karl Liebknecht, Franz Mehring, Hermann Duncker, Ernst Meyer und Fritz Ohlhoff vertreten.

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