Karl Liebknecht 19160626 Erklärung

Karl Liebknecht: Erklärung vom 26. Juni 1916

in der Hauptverhandlung überreicht

[Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 9, S. 70-73]

In der Strafsache gegen mich werde ich in der Hauptverhandlung erklären:

Das Flugblatt „Auf zur Maifeier!" und den Handzettel habe ich Ende April und auch noch am 1. Mai d. J. in Berlin und Umgebung verteilt – das Flugblatt in zwei Ausgaben mit fingiertem Drucker.

Außerhalb Berlins habe ich nicht selbst verteilt, doch war mir diese Verteilung bekannt und dringend erwünscht. Ich trage dafür die Verantwortung.

Auch für den Inhalt des Flugblattes und der Handzettel trage ich volle Verantwortung; über die Entstehung des Flugblattes und der Handzettel verweigere ich die Auskunft.

Ich war in den Ostertagen in Jena. Näheres darüber sage ich nicht aus.

An Soldaten habe ich nicht verteilt. Ich war aber damit einverstanden, erwartete und wünschte dringend, dass Flugblatt und Handzettel auch in die Hände von Soldaten kommen würden.

An der Demonstration auf dem Potsdamer Platz nahmen mehrere (wohl 10) Tausend Personen teil, die von der Polizei in drei Züge getrennt und in die Linkstraße, die Köthener und die Königgrätzer Straße gedrängt wurden.

Auch Soldaten waren anwesend.

Ich rief mehrfach: „Nieder mit der Regierung! Nieder mit dem Krieg!" Auch noch, nachdem ich polizeilich festgenommen war.

Der Festnahme fügte ich mich nicht ohne weiteres, weil ich keine Lust hatte, mich durch irgendwelche Polizeifäuste von der weiteren Beteiligung an der Kundgebung abhalten zu lassen.

Ich weiß, und es entspricht meinem Willen, dass Demonstration und Flugblatt im Auslande bekannt geworden sind.

Anfang Februar 1915 – bei meiner Einstellung ins Heer – ist mir auf dem Bezirkskommando V Berlin vom Bezirkskommandeur das Verbot, an revolutionären Versammlungen usw. teilzunehmen, revolutionäre Propaganda in Wort und Schrift zu treiben, revolutionäre Rufe auszustoßen, sowie das Verbot, Uniform zu tragen und Berlin zu verlassen, eröffnet worden. Auf jenes Verbot verwies mich Ende März 1915 Oberstleutnant v. Lindstedt, Kommandeur des Armierungsbataillons Dieuze (Nr. 45), dem ich zugeteilt war; ich bemerkte ihm, dass mir das Verbot bereits bekanntgemacht sei. Ein paar Redewendungen über dieses Verbot mag auch noch mein Kompanieführer Oberleutnant Hänicke im März und April 1915 haben fallen lassen.

Dieser Vorgänge und meiner Soldaten-Eigenschaft war ich mir durchaus bewusst, als ich die inkriminierten Handlungen ausführte.

Dem Verbot habe ich zuwider gehandelt, weil es mir meine politische und soziale Pflicht gebot.

Ich wusste, dass über Berlin und Umgebung der Belagerungszustand noch verhängt ist. Freilich ist dieser Belagerungszustand verfassungswidrig – vgl. u. a. „Vorwärts" vom 28. Mai d. J. –; aber eines der traurigsten Symptome der militärischen Allmacht und der Zerrüttung unserer sogenannten Rechtsgrundlagen ist es, dass sich noch kein Gericht gefunden hat, das gewagt hätte, wider diesen Stachel der Militärdiktatur zu löcken.

Im übrigen wiederhole ich den Inhalt meiner Schriftsätze.

Den Sinn der Ausrufe: „Nieder mit der Regierung! Nieder mit dem Krieg!" habe ich am 5. Mai gezeigt.

Dazu und zu dem Inhalt des Flugblattes ist unter dem 3., 10., 11. und 24. Juni Näheres ausgeführt. Dort sind auch die patriotischen Legenden der Anklage zerpflückt.

Die Macht der kapitalistischen Regierung und der herrschenden Klassen Deutschlands wie aller anderen Länder auf allen Gebieten, auch in erster Reihe ihre militärische Macht zu schwächen, zu brechen und durch die bestimmende Macht des sozialistischen Proletariats zu ersetzen: das ist das politische Ziel des internationalen Sozialismus.

Im proletarischen Kampf um den Frieden, um einen Frieden im sozialistischen Geist – ohne Eroberung und Vergewaltigung – vollzieht sich heute – im Einklang mit den Beschlüssen unseres Stuttgarter Kongresses – der Kampf um jenes allgemeine Ziel der sozialen Revolution.

Diesem Ziel, diesem Kampf gelten nach meinem Willen die Demonstrationen, das Flugblatt, die Rufe.

Die höchste sozialistische Aufgabe ist es, das gesamte Proletariat für dieses Ziel, für diesen Kampf zu gewinnen; auch die proletarischen Soldaten, die trotz Montur, Gewaltdisziplin und Kriegsartikeln proletarische Klassenkämpfer bleiben müssen, internationale Klassenkämpfer, auch und gerade im Kriege; auch die proletarischen Soldaten, denen die Pflichten der internationalen Solidarität und des Klassenkampfes über alle militärischen Befehle gehen müssen.

Die höchste sozialistische Aufgabe ist es, dafür zu wirken, dass in naher Zeit dem imperialistischen Mordkommando – im Staatenkriege und im Bürgerkriege – hunderttausendfältig der trotzige Ruf antwortet: „Wir werden nicht schießen!"

Die höchste sozialistische Aufgabe ist es, alles zu tun, damit die große Masse des Volks von der Gesinnung und dem Mute erfüllt werde, der dem bonapartistischen: „Plutôt la guerre que l'insurrection!"1 entgegensetzt das sozialistische: „Plutôt l'insurrection, plutôt la révolution que la guerre!"2

Das ist das Hauptstück des Antimilitarismus.

Im preußischen Abgeordnetenhause sagte ich am 16. März d. J.: „Auch die geistige Befreiung der Arbeiterklasse … kann nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein. Und es ist unsere Aufgabe, der Arbeiterklasse aller Länder zuzurufen: Ans Werk! Sowohl die in den Schützengräben wie die im Lande – sie sollen die Waffen senken und sich gegen den gemeinsamen Feind kehren, der ihnen Licht und Luft nimmt."

In diesem Sinne begrüße ich es, in diesem Sinne entspringt es nur meinem dringenden Willen, wenn das Flugblatt und der Handzettel auch unter den Soldaten Verbreitung fanden.

Aber den Vorwurf des Landesverrats schleudere ich denen zurück, die diesen räuberischsten aller Raubkriege in schnöder Weise und unter einer infamen Regie um ihrer wirtschaftlichen und politischen Interessen willen entfesselt haben und weiterführen; denen die Verelendung ganz Europas zur Last fällt; an deren Händen das Blut von Millionen klebt: der deutschen Regierung, den deutschen Imperialisten; denen, die sich bei ihrer Anklage gegen mich in der Kumpanei der schlimmsten Kriegshetzer des feindlichen Auslandes befinden und die noch immer nicht einmal den Mut aufbringen, die Konsequenz ihrer eigenen Beschuldigung gegen mich zu ziehen. Wo heute noch die wirklichen Landesverräter sitzen – nicht auf der Anklagebank! –, das habe ich am 3. Juni gezeigt.

Ich beharre bei meiner politischen, bei meiner internationalen sozialistischen Überzeugung, gleichviel, wie das Gericht entscheiden wird.

Ich werde meinen politischen Kampf, meinen internationalen sozialistischen Kampf, unbeirrt nach meinen Kräften fortsetzen, mag das Urteil lauten, wie es will.

Armierungssoldat Liebknecht

1 Lieber Krieg als Aufstand!

2 Lieber Aufstand, lieber Revolution als Krieg!

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