Protokoll der Hauptverhandlung zweiter Instanz

Anhang

Protokoll der Hauptverhandlung zweiter Instanz

[Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 9, S. 253-259]

Protokoll der Hauptverhandlung zweiter Instanz1

Öffentliche Sitzung des Oberkriegsgerichts des Gouvernements der Residenz Berlin

Berlin, den 23. August 1916

Gegenwärtig als Richter:

1. Fregattenkapitän von Gohren, Vorsitzender,

2. Geh. und Oberkriegsgerichtsrat Dr. von Glasewald, Verhandlungsführer,

3. Kriegsgerichtsrat K. A. Boeckh,

4. Major Graf von Kalkreuth,

5. Major Grieser,

6. Hauptmann Sobotta,

7. Oberleutnant Block;

als Vertreter der Anklage: Militärhilfsrichter Zeitschel;

als Militärgerichtsschreiber: Oberkriegsgerichtssekretär Westphal.

In der Untersuchungssache gegen den Armierungssoldaten Karl Liebknecht vom Armierungs-Ersatz-Kommando Thorn, zur Zeit in Untersuchungshaft in der Nördl. Militärarrestanstalt Berlin wegen versuchten Kriegsverrats, erschwerten Ungehorsams und Widerstandes gegen die Staatsgewalt, erschienen zur Hauptverhandlung über die von dem Angeklagten sowie dem Gerichtsherrn eingelegte Berufung gegen das Urteil des Kriegsgerichts der Kommandantur der Residenz Berlin vom 28. Juni 19162 nach Aufruf:

1. Der Angeklagte und der von ihm gewählte Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Bracke aus Braunschweig,

2. als Dolmetscher:

1. Prof. Dibelius,

2. Hauptmann Frhr. v. Maitzahn,

3. Dr. Osten,

4. Prof. Rühl.

Der Vorsitzende verlas die Namen der zur Hauptverhandlung berufenen Richter und wies den Angeklagten auf die Bestimmung des § 125 Abs. 1 der MStGO hin, worauf der die Verhandlung führende Oberkriegsgerichtsrat die Beeidigung des vorstehend unter 1 aufgeführten Richters vornahm.

Der Vorsitzende wies darauf hin, dass die unter 4-7 aufgeführten Richter als ständige bestellt und vereidigt seien.

Der Vertreter der Anklage beantragte Ausschluss der Öffentlichkeit.

Der Verteidiger hatte auf Befragen nichts zu erklären.

Der Angeklagte wurde gehört, er widersprach einem Ausschluss der Öffentlichkeit.

Die Öffentlichkeit wurde ausgeschlossen.

Der Vertreter der Anklage beantragte, die Öffentlichkeit für die ganze Dauer der Verhandlung auszuschließen wegen Gefährdung der Staatssicherheit und militärischer Interessen.

Über den Antrag wurde verhandelt.

Der Angeklagte und der Verteidiger hatten auf Befragen nichts zu erklären.

Das Gericht zog sich zur Beratung und Beschlussfassung zurück. Es wurde beschlossen und nach Wiederherstellung der Öffentlichkeit verkündet:

Die Öffentlichkeit wird für die ganze Dauer der Verhandlung wegen Gefährdung der Staatssicherheit, militärdienstlicher Interessen und der öffentlichen Ordnung und Disziplin ausgeschlossen.

Der Vorsitzende gestattete die Anwesenheit auch während des Ausschlusses der Öffentlichkeit auf ihren bezüglichen Antrag: dem Geheimrat Kleeberger vom Kriegsministerium, dem Hauptmann Grau vom Kriegsministerium, dem Hauptmann Wiebe vom stellv. Generalstab, dem Major Deutelmoser vom Kriegspresseamt, dem Hauptmann Rosbund vom Kriegspresseamt, dem Hilfsmarineintendanturassessor Dr. Schwandt vom Admiralstab, dem Major von Leetow vom Oberkommando in den Marken.

Der Gerichtsbeschluss wurde ausgeführt und die Öffentlichkeit ausgeschlossen.

Der Vertreter der Anklage beantragte nunmehr, allen in der Sitzung anwesenden Personen Schweigegebot über die durch die Verhandlung zu ihrer Kenntnis gelangten Tatsachen aufzuerlegen.

§ 18 EGMStGO wurde bekanntgegeben.

Auf Antrag des Angeklagten und des Verteidigers begründete der Vertreter der Anklage seinen Antrag.

Der Verteidiger widersprach dem Antrage und stellte anheim, höchstens den anwesenden Dolmetschern ein Schweigegebot aufzuerlegen.

Angeklagter, befragt, erwiderte und widersprach einem Schweigegebot.

Der Vertreter der Anklage erwiderte.

Angeklagter und Verteidiger hielten ihren Einspruch aufrecht. Das Gericht zog sich zur Beratung und Beschlussfassung zurück. Es wurde beschlossen und verkündet:

Allen anwesenden Personen wird die Geheimhaltung der während des Ausschlusses der Öffentlichkeit zu ihrer Kenntnis gelangten Tatsachen zur Pflicht gemacht sowie der Tatsachen, welche durch die Verhandlung, durch die Anklageschrift oder durch amtliche Schriftstücke des Prozesses zu ihrer Kenntnis gelangen.

§ 18 EGMStGO wurde bekanntgegeben.

Hierauf erstattete der Geh. und Oberkriegsgerichtsrat Dr. Glasewald Bericht über das Ergebnis des bisherigen Verfahrens.

Bei der Berichterstattung wurden verlesen: das Urteil erster Instanz, die Berufung des Angeklagten und des Gerichtsherrn.

Auf Befragen über seine persönlichen Verhältnisse erklärte der Angeklagte :

Mein mir vorgelegtes Nationale und die Vorstrafe erkenne ich als richtig an.

Auf Antrag des Vertreters der Anklage und mit Einverständnis des Angeklagten wurde beschlossen und verkündet: Das Flugblatt „Auf zur Maifeier!" sowie den verteilten Handzettel zu verlesen.

Das Flugblatt wurde verlesen, ebenso ein Handzettel betr. Aufforderung zur Versammlung am 1. Mai 1916, abends 8 Uhr, auf dem Potsdamer Platz.

Nach Verlesung eines jeden Schriftstücks wurde § 311 MStGO3 beachtet.

Angeklagter, hierzu befragt und was er auf die Anklage zu erwidern habe, erklärte: Ich gebe zu, das Flugblatt in zwei, möglicherweise auch mehr Ausgaben mit fingierten Druckern und die Handzettel verteilt zu haben.

Meine Soldateneigenschaft und das Verbot zur Betätigung sozialdemokratischer Gesinnung war mir dabei bekannt; ich habe mit voller Überlegung gegen dieses Verbot gehandelt. Ebenso gebe ich zu, den Schutzleuten bei meiner Festnahme Widerstand geleistet zu haben, weil ich mich weiter an der Kundgebung beteiligen wollte.

Ich gebe also den Tatbestand der Anklageverfügung zu. Ich erstrebte dabei bewusst die Schwächung und Brechung der Kriegsmacht des Deutschen Reichs, zugleich aber auch derjenigen der anderen kriegführenden Staaten sowie aller anderen kapitalistischen Regierungen.

Trotzdem bestreite ich den Vorwurf des versuchten Landes- oder Kriegsverrats und gebe die Strafbarkeit meiner Handlungen nicht zu, weil ich nur getan habe, was mir meine politische und soziale Pflicht gebot. Ich nehme hierzu Bezug auf meinen Schriftsatz vom 8. Mai d. J.

Im Einzelnen sagte der Angeklagte weiter dasselbe aus wie in I. Instanz und wie er es in der von ihm hiermit überreichten Verteidigungsschrift für die Hauptverhandlung II. Instanz wörtlich niedergelegt hat.

Auf Befragen: Auch die Verbreitung des Flugblattes außerhalb Berlins und im Auslande ist mit meinem Willen geschehen, und übernehme ich dafür die volle Verantwortung.

Hierauf ordnete der Vorsitzende eine Pause von zehn Minuten an.

Nach Wiederaufnahme der Verhandlung erklärte der Angeklagte: Die Ausführungen im Urteil I. Instanz über die Verbreitung des Flugblattes im Auslande und die Besprechung desselben sowie der Demonstration vom 1. Mai 1916 in den Zeitungen der feindlichen und anderer Länder gebe ich als richtig an. Ich verzichte auf die Verlesung solcher Zeitungen.

Mit Einverständnis aller Parteien wurden die Dolmetscher Dibelius, Frhr. v. Maitzahn, Dr. Osten und Rühl um 11 Uhr 45 unvernommen entlassen, nachdem auf Antrag des Vertreters der Anklage, des Verteidigers und des Angeklagten beschlossen und verkündet war, von weiterer Beweisaufnahme Abstand zu nehmen, da das Sachverhältnis durch die Angaben des Angeklagten ausreichend feststeht. Dies auch insbesondere durch sein Zugeständnis betreffs des Inhalts der Artikel, welche die zur Anklage stehenden Vorgänge behandeln, in den Zeitungen und Zeitschriften: „Le Bonnet rouge", „Humanité", „Tribuna", „Gazette de Holland", „Labour Leader", „Liberté", „The Daily Telegraph", „Berner Tagwacht", „La Domenica Illustrata".

Nunmehr erhielten der Verteidiger und sodann der Vertreter der Anklage zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort.

Der Verteidiger beantragte Freisprechung.

Der Vertreter der Anklage beantragte

1. wegen versuchten Kriegsverrats in Tateinheit mit erschwertem Ungehorsam: 6 Jahre Zuchthaus, Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von 10 Jahren und Unbrauchbarmachung der Formen und Platten des Flugblattes;

2. wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt 1 Jahr Gefängnis.

Gesamtstrafe: 6 Jahre 6 Monate Zuchthaus, Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von 10 Jahren sowie Unbrauchbarmachung der Formen und Platten des Flugblatts.

Der Angeklagte, befragt, ob noch etwas anzuführen sei, erklärte: Ich verbleibe bei meinen Angaben und beantrage Freisprechung.

Der Angeklagte hatte das letzte Wort.

Das Gericht zog sich nunmehr zur Urteilsberatung und Abstimmung zurück.

Es wurde das Urteil nach Wiederherstellung der Öffentlichkeit von dem die Verhandlung führenden Oberkriegsgerichtsrat durch Verlesung der Urteilsformel in Anwesenheit des Angeklagten dahin verkündet:

Die Berufung des Angeklagten gegen das kriegsgerichtliche Urteil der Kommandantur der Residenz Berlin vom 28. Juni 1916 wird verworfen; auf die Berufung des Gerichtsherrn gegen das genannte Urteil wird dasselbe bezüglich der erkannten Einzelstrafen und der Gesamtstrafe aufgehoben; der Angeklagte wird wegen versuchten Kriegsverrats in Tateinheit mit erschwertem Ungehorsam im Felde sowie wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt mit 4 – vier – Jahren und 1 – ein – Monat Zuchthaus bestraft. Zugleich wird auf Entfernung aus dem Heere, Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von 6 Jahren sowie Unbrauchbarmachung der Exemplare des Flugblattes „Auf zur Maifeier!" und der zu deren Herstellung benutzten Platten und Formen erkannt.

Auf die erkannte Freiheitsstrafe wird 1 Monat der erlittenen Untersuchungshaft angerechnet.

Der Vertreter der Anklage beantragte, auch während der Verkündung der Urteilsgründe die Öffentlichkeit auszuschließen wegen Gefährdung der Staatssicherheit und militärdienstlicher Interessen.

Der Angeklagte und der Verteidiger widersprachen dem Antrage.

Die Öffentlichkeit wurde ausgeschlossen.

Der Vertreter der Anklage wiederholte seinen Antrag. Es wurde über denselben verhandelt.

Der Angeklagte stellte keinen Antrag. Der Verteidiger widersprach dem Antrage.

Das Gericht zog sich zur Beratung zurück.

Beschlossen und – nachdem die Öffentlichkeit wiederhergestellt war – verkündet:

Für die Verkündung der Urteilsgründe wird die Öffentlichkeit ausgeschlossen, weil sie eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung, insbesondere der Staatssicherheit, und eine Gefährdung militärdienstlicher Interessen besorgen lässt und wegen Gefährdung der Disziplin.

Der Vorsitzende gestattete dem Geheimrat Kleeberger, Hauptmann Grau, Hauptmann Wiebe, Hauptmann Rosbund und Hilfsmarineintendanturassessor Dr. Schwandt das Verbleiben während der Verkündung.

Die Öffentlichkeit wurde solange ausgeschlossen. Der Verhandlungsführer verkündete hierauf den wesentlichen Inhalt der Urteilsgründe in Anwesenheit des Angeklagten.

Der Angeklagte wurde über die Zulässigkeit der Revision belehrt, er erklärte nichts.

Schluss 11 Uhr 35.

gez. v. Gohren

Fregattenkapitän, als Vorsitzender

gez. Dr. Glasewald

Geh. und Oberkriegsgerichtsrat,

als Führer der Verhandlung

gez. Westphal

Oberkriegsgerichtssekretär,

als Militärgerichtsschreiber

1 Karl Liebknecht berichtigte am 14. Oktober 1916 in einer Eingabe einige erhebliche Inkorrektheiten des Protokolls der Hauptverhandlung vom 23. August, nahm diese Richtigstellung jedoch nicht in die Veröffentlichung auf (siehe S. 247). Die Red.

2 In der Quelle: 28. Juli. Die Red.

3 Nach § 311 der Militärstrafgerichtsordnung war der Angeklagte nach Verlesung eines Schriftstücks zu fragen, ob er etwas zu erklären habe. Die Red.

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