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Karl Liebknecht 19160303 „Hinter der Binde der Justiz grinst der Militarismus"

Karl Liebknecht: „Hinter der Binde der Justiz grinst der Militarismus"

Reden im preußischen Abgeordnetenhaus zum Justizetat

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 22. Legislaturperiode, III. Session 1916/17, 2. Bd., Berlin 1917, Sp. 1317-1337, 1345f. Und nach Gesammelte Reden und Schriften, Band 8, S. 484-516]

I

Meine Herren, die juristischen Kriegswirkungen zu erkennen ist außerordentlich erschwert durch den fast vollständigen Mangel an Statistik. So fehlt uns leider der klare Einblick, wie sich wichtige wirtschaftliche, soziale und politische Erscheinungen im Weltkriege widerspiegeln im Spiegel der Justiz. In der Kommission bekamen wir ein Stück Konkursstatistik, aber nur über die während des Krieges eröffneten Konkurse, nicht darüber, wie viele Konkurse nicht eröffnet werden konnten wegen Mangels an Masse oder wegen Einberufung zur Fahne, und diese Zahl ist sicher sehr groß. Es fehlt eine Statistik, die in ähnlicher Weise die Versteigerungsanträge erfasst. Es fehlt die Statistik über Mietsklagen, Exmissionen und Klagen aus Abzahlungsgeschäften, bei denen bekanntlich die arme Bevölkerung schwere Verluste an Gebrauchswerten zu erleiden pflegt. Es fehlt jede Klarheit über den Umfang solcher richterlichen Akte gegenüber Kriegsteilnehmern. Es fehlt das Material über die leider zulässige Bestellung von Vertretern für Kriegsteilnehmer im Zivilprozess, die nach Presse und Praxis häufig sehr unsozial erfolgt. Es fehlt die Statistik über die Firmenlöschungen, über die gesamten Vorgänge in den Firmen- und Gesellschaftsregistern, die zeigen würde, in wie außerordentlichem Umfang der Krieg schon bisher und immer steigend kleine Existenzen zugrunde gerichtet hat. Es fehlt Klarheit über die aus den Grundbüchern ersichtlichen Verschiebungen auf dem Grundstücksmarkte, über die Anträge auf Fideikommissgründungen. Es fehlt jede Klarheit – hier greife ich wiederum auf das Handelsregister zurück – über die neuen Gesellschaften und sonstigen Unternehmungen, die speziell zur Ausnutzung der Kriegskonjunktur, zur Ausbeutung des Volkes in der „großen Zeit" gegründet sind. Und es fehlt jede Klarheit über die Kapitalserhöhungen bei den bestehenden großkapitalistischen Gesellschaften, besonders der Kriegsindustrie, Kapitalserhöhungen, die – selbst abgesehen von den riesigen geheimen Aufspeicherungen – bei den großen Unternehmungen der Rüstungsindustrie ins Gigantische wachsen: Unmittelbar nach Ausbruch des Krieges konnte die eine Firma Krupp ihr Kapital um 80 Millionen erhöhen!

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Eine derartige Statistik würde ergeben, dass all die Kriegsnotgesetze und Verordnungen, ähnlich wie die Maßnahmen zur Nahrungsmittelversorgung, nichts sind als ein hilfloses Herumdoktern an der Oberfläche, Versuche mit untauglichen Mitteln. Sie würde ergeben, dass den wirtschaftlichen Kriegsschäden nur abgeholfen werden könnte, indem an die Wurzeln des Kapitalismus gegriffen und der ganze Sinn des jetzigen Kriegs für die bürgerliche Gesellschaft aufgehoben würde;

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

und dass die Kriegsnotgesetze nur dazu dienen, die notleidende, hungernde Bevölkerung möglichst vom Alleräußersten, der Selbsthilfe, zurückzuhalten.

Eine solche Statistik würde ein Röntgenbild sein der ungeheuerlichen Verwundung und Zerstörung, die der Krieg dem kapitalistischen Wirtschaftskörper zugefügt hat und laufend weiter zufügt, und sie würde ein Röntgenbild sein von der Elefantiasis, die der Krieg in den meisten Zweigen des Großkapitals hervorgerufen hat. Eine solche Statistik würde die intensive Zerreibung, Zermahlung des Mittelstandes, die rapide gesteigerte Proletarisierung der Massen und eine gewaltige Konzentration des Großkapitals zeigen. Sie würde ergeben, was es auf sich hat mit dem törichten Wort: „Sozialismus, wohin wir blicken!"

Die wirkliche Kriminalität wird von der Justiz nie voll erfasst. Ihr abschreckendes Gesicht kann nicht voll im Spiegel der Justiz aufgefangen werden. Die Vermutung ist berechtigt, dass heute eine größere Spannung als je zwischen der wirklichen und der von der Justiz erfassten Kriminalität besteht. Auch über die letztere aber ist kein erschöpfendes Urteil möglich, da die statistischen Unterlagen auch hier fehlen und die Strafrechtspflege noch künstlich vor der Bevölkerung versteckt gehalten wird.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Sie verbirgt sich selbst nach Kräften durch Ausschließung der Öffentlichkeit bei allen Verhandlungen, die die Bevölkerung lebhaft erregen könnten. Die Zensur tut das übrige.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, in Berlin und anderwärts ist wenigstens sozialdemokratischen Zeitungen verboten, ohne vorherige Erlaubnis der Zensur über politische Verhaftungen zu berichten

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

und Mitteilungen über Prozesse, deren Bekanntwerden der Regierung und ihrer Kriegspolitik peinlich werden könnte, verhindert die Zensur grundsätzlich.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, vor wenigen Wochen lief die einjährige Gefängnisstrafe ab, die meine Parteifreundin Rosa Luxemburg

(Heiterkeit.)

unter dem Burgfrieden verbüßen musste. Der „Vorwärts" konnte über die bevorstehende Entlassung keine Silbe schreiben

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

und erst hinterher die erfolgte Entlassung melden. Man fürchtete offenbar, eine vorherige Mitteilung würde eine große Menschenmasse zu einer Sympathiekundgebung auf die Beine bringen.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Nun, bekanntlich fand sich trotzdem eine ganz gehörige Zahl von Männern und Frauen, die die Entlassene am Gefängnistor empfing und begrüßte. Meine Herren, in Düsseldorf schwebt, wie Sie wissen, wegen der Zeitschrift „Internationale" ein hochbedeutsamer politischer Prozess, in dem wiederum Rosa Luxemburg, Clara Zetkin, Franz Mehring und andere angeklagt sind; Hauptverhandlung ist auf den 22. März anberaumt. Während in der Provinz teilweise über den bevorstehenden Termin berichtet werden durfte, wurde dem „Vorwärts" untersagt, auch nur ein Wort darüber zu bringen, selbst nachdem in den auswärtigen Zeitungen die Mitteilung gestanden hatte.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, schließlich ist es geradezu ein Prinzip der Zensur, dass von Prozessen über Friedensdemonstrationen und Nahrungsmittelkrawalle so wenig berichtet werden darf wie über solche Vorgänge selbst.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Darüber pflegen allgemeine Verfügungen der Zensurbehörden zu ergehen, so dass die Bevölkerung gar keine Vorstellung hat, in welchem Umfange solche Prozesse stattfinden und welche Strafen darin verhängt werden.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, auch hier ist eine Statistik und die Vorlegung des Materials auf das Dringendste zu fordern.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, sehr wichtig wäre auch eine statistische Spezialisierung der Fälle, in denen verfolgt wird oder abgeurteilt ist: Betrug bei Militärlieferungen,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

ein gerade heute sehr häufiges Delikt, und Bestechung zur Erlangung von Militärlieferungen, ein Delikt, das heute gleichfalls floriert und vielleicht noch mehr floriert hat zu Beginn des Krieges.

Von großem Werte wäre weiter eine Statistik über die Fälle, in denen gegen deutsche Kapitalisten eingeschritten ist wegen Lieferung von Kriegsmaterial an die feindlichen Staaten.

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, Sie erinnern sich, dass im Herbst 1914 amtliche und halbamtliche Verwarnungen ergangen sind gegen die Neigung großkapitalistischer Kreise, auch noch während des Krieges dem Feinde Kriegsmaterial zu liefern

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

auf dem Umweg über das neutrale Ausland. Meine Herren, in den amtlichen Verlautbarungen wurde betont, dass die Verschleierung durch den Umweg über neutrale Länder so durchsichtig sei, dass die betreffenden Kapitalisten sich der Tragweite ihrer Handlungen zweifellos voll bewusst gewesen seien.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, einer der angesehensten Bürger einer bedeutenden deutschen Stadt, der Senator Possehl in Lübeck, sitzt wegen Landesverrats bereits seit Monaten in Haft, weil er über Schweden nach Russland Kupfer geliefert,

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

weil er den Ertrag seiner schwedischen Kupfergruben dem feindlichen Ausland zur Verfügung gestellt hat.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Das ist nicht der einzige Fall; die Fälle müssen sich gehäuft haben, sonst wären die wiederholten öffentlichen amtlichen Verwarnungen nicht verständlich. Und, meine Herren, Sie wissen, wie international versippt unser deutsches Großkapital ist oder gewesen ist. Das „gewesen" gilt allerdings nur sehr formell, denn die Versippung besteht trotz des Krieges meist fort, nur in veränderter Form. Sie wissen, dass diese Versippung gerade auf dem Gebiete der Rüstungsindustrie so weit ging –

(Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident Dr. von Krause (Königsberg): Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, ich habe Ihnen einen sehr weiten Spielraum gelassen; ich vermag aber nicht einzusehen, wie das mit der Justizverwaltung und deren Verantwortung etwas zu tun hat. Wir können jetzt nicht im Allgemeinen, wie Sie das tun, auf die Zensur eingehen; wir können nicht auf kapitalistischen Unfug eingehen, sondern wir haben es mit der Justizverwaltung zu tun.

Liebknecht: Ich fordere eine Statistik darüber, welche Fälle festgestellt sind oder verfolgt werden, in denen Lieferung von Kriegsmaterial an das Ausland den Gegenstand der Beschuldigung, der Anklage, der Verurteilung bildet. Meine Herren, wenn ich in diesem Zusammenhange darauf hinweise, wie nahe dem so ungemein patriotischen Großkapital derartige Verbrechen liegen, schon wegen seiner internationalen Versippung, wegen der früheren kolossalen Kriegslieferungen nach dem heute feindlichen Auslande, wegen der früheren massenhaften Lieferung deutscher Flinten und Kanonen nach dem heute feindlichen Auslande, die nun im Kriege wiederum gegen deutsche Soldaten verwandt werden, so glaube ich, damit im Rahmen dessen zu bleiben, was hier zur Erörterung steht.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, Sie wissen, dass die deutschen Soldaten in Belgien und anderwärts mit Kruppschen Kanonen zusammengeschossen worden sind!

(Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, ein Zusammenhang mit der Justizverwaltung ist für jeden logisch denkenden Menschen nicht erfindlich.

(Lebhafte Zustimmung.)

Ich rufe Sie jetzt zur Sache.

Liebknecht: Meine Herren, die Leistung der Kriminaljustiz während des Krieges ist nur nachprüfbar an der Hand einer Teilstatistik über die Insassen unserer Justizgefängnisse, die die Regierung in der Kommission gab. Leider sind in diesem Jahre die in Friedenszeiten alljährlich erscheinenden Werke über die Strafanstalten der Justiz und des Ministeriums des Innern wieder nicht vorgelegt. Nach den Mitteilungen in der Kommission, die sich auch im schriftlichen Bericht finden, ist die Zahl der Insassen der Justizgefängnisse zurückgegangen, soweit es sich um Männer handelt,

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

sie ist aber gestiegen, soweit es sich um Frauen handelt.

(„Hört! Hört!")

Wir haben weiter gehört, dass die Belegung der Justizgefängnisse größer ist, als diese Zahlen ergeben, weil sich in den Strafanstalten – sicher ist es in denen des Ministeriums des Innern nicht anders! – eine große Zahl von verurteilten Soldaten befindet,

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

die dort untergebracht werden mussten, weil die Militärgefängnisse und Festungsgefängnisse von verurteilten Soldaten vollständig überfüllt sind!

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

In den Gefängnissen der preußischen Justizverwaltung sind nach den Mitteilungen des Herrn Ministers gegenwärtig etwa 5000 Militärgefangene.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Allein in den preußischen Justizgefängnissen! Und die militärischen Strafanstalten sind überfüllt! Und die Strafanstalten des Ministeriums des Innern? Und in den anderen deutschen Bundesstaaten? Und all das, obwohl die militärischen Strafen ungemein oft aufgeschoben werden, damit die Verurteilten – angespornt durch Aussicht auf Begnadigung – weiter Kriegsdienst leisten können!

Meine Herren, die mitgeteilte Gefangenenziffer ist auch darum kein ausreichender Anhaltspunkt für die Kriminalität, weil nach der Erklärung des Herrn Regierungsvertreters ihre Minderung zum guten Teil auf die Amnestien zurückzuführen ist.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, dazu treten noch die sehr zahlreichen Fälle, wo ohne Begnadigung die Strafe aufgeschoben wird, und zwar ohne Antrag,

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

und sogar die Strafe unterbrochen wird – auch ohne Antrag, damit die so Beglückten in die Kaserne oder in den Schützengraben geschickt werden können.

(„Hört! Hört!")

Die Frage der Entlassung von Sträflingen in die Armee und die Frage der Vorbestraften in der Armee ist in der Kommission gestreift worden. Soweit meine Erfahrungen reichen, hat sich im Kriege gezeigt, dass Vorbestrafte, die man im bürgerlichen Leben als Ausgestoßene zu behandeln pflegt, im Felde oftmals die besten Kameraden sind und gerade die Eigenschaften der Menschlichkeit hervorragend zeigen.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Aber, meine Herren, es darf die große Gefahr nicht verkannt werden, die darin liegt, wenn sich Leute von krimineller Labilität, von besonderer Schwäche gegenüber den Versuchungen, die gerade im Kriege an sie herantreten, in der Armee befinden. Die Machtfülle, die die Bewaffnung dem einzelnen Soldaten gegenüber Unbewaffneten in die Hand gibt, der hohe Anreiz, der in der Ausübung des Kriegshandwerks an und für sich liegt, Dinge im Kriege zu tun, die man in Friedenszeiten weit von sich weisen würde, die große Verantwortung gegenüber der wehrlosen Bevölkerung in den besetzten Gebieten, die der Neigung zu Exzessen meist hilflos ausgesetzt ist, muss zu besonderer Vorsicht mahnen. Die Gefahr einer Verschärfung der „normalen" Kriegsgrausamkeit – wenn eine solche Verschärfung überhaupt möglich ist – durch Einzelakte von Personen krimineller Labilität kann nicht von der Hand gewiesen werden.

Meine Herren, wie oft hat es die deutsche Presse gebrandmarkt, wenn im feindlichen Auslande angeblich die Strafanstalten geöffnet wurden, um die Gefangenen in die Armee eintreten zu lassen. Gerade in Deutschland ist das aber in ziemlichem Umfange geschehen. Natürlich will ich nicht behaupten, dass die Mehrzahl der Exzesse, die gegen die wehrlose Zivilbevölkerung besonders in den okkupierten Gebieten vorkommen, dass die Mehrzahl von Grausamkeiten, die über die allgemeine Kriegsgrausamkeit hinaus noch ein besonderes persönliches Gepräge tragen, gerade von Leuten begangen sind, die aus den Strafanstalten entlassen sind. Darüber wäre viel zu sagen, was ich heute hier nicht würde sagen dürfen. Meine Herren, das ist ein Punkt, auf den das ernste Augenmerk zu lenken ist.

Meine Herren, die Strafjustiz der bürgerlichen Gerichte erfasst heute überhaupt nur einen geringen Teil gerade der männlichen Bevölkerung. Die zu den Fahnen einberufenen Millionen unterliegen ja der Militärjustiz! Und dann, meine Herren, gibt es bekanntlich in großen Teilen Deutschlands Militärgerichte auch über die Zivilbevölkerung, besonders in den Grenzprovinzen. In der Kommission wurde erwähnt, dass in Schlesien von 19 Landgerichten nur vier keine außerordentlichen Kriegsgerichte haben. Auch die Leistungen dieser Kriegsgerichte statistisch zu erfassen, fehlt uns bislang jede Möglichkeit.

Der verminderte Bestand an männlichen Gefangenen lässt also keineswegs einen günstigen Rückschluss auf die heutige Kriminalität zu. Die Annahme einer gewaltigen Steigerung der Kriminalität auch der männlichen Bevölkerung während des Kriegs ist vielmehr nur allzu wohlbegründet.

Meine Herren, die Quelle des Verbrechens fließt ohne Unterlass, und die Justiz schöpft mit ihren Eimern hier und da aus dieser Quelle; aber sie schüttet das Geschöpfte wieder vermehrt zurück; denn die ganze Tätigkeit der Strafrechtspflege ist ein circulus vitiosus, ein fehlerhafter Zirkel. Er beginnt – bei den Massendelikten – zumeist mit Not oder Verwahrlosung, führt zum Verbrechen, zur Strafe, zur Verdoppelung der sozialen Schwäche und Demoralisation, zu neuem Verbrechen, zu neuer Strafe und so fort. Die bürgerliche Gesellschaft ist seit je gegenüber dem Verbrechen, dieser konstitutionellen Krankheit der bürgerlichen Gesellschaft, ratlos gewesen.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten. – Lachen bei den übrigen Parteien.)

Meine Herren, wie steht es nun mit den besonderen Wurzeln der Kriegskriminalität? Ihre erste und wichtigste Wurzel ist die Verstärkung der sozialen Ursachen des Verbrechens: die Notlage der Bevölkerung, die Lebensmittelteuerung, die Zerstörung der Familie durch die Einberufung der Väter, durch die Erwerbsarbeit der Mütter und der Jugendlichen und alle sozialen Missstände, die im Kriege doppelt verheerend wirken. Es ist für die Nachprüfung dieser sozialen Wurzeln der Kriegskriminalität besonders zu bedauern, dass wir während des Krieges auch die Berichte der Gewerberäte nicht bekommen, die auf manche Ursachen des Verbrechens, die durch das System des Versteckens und Vertuschens der jetzigen sozialen Missstände leider verborgen werden, wohl einiges Licht werfen könnten. Dadurch, dass die Dinge jetzt in die geheime Dunkelkammer verbannt sind, sind sie aber nicht aus der Welt geschafft, und ich zweifle nicht daran, dass, sobald das Material über diese soziale Geheimgeschichte des Krieges vorgelegt werden wird, die Menschheit über die Furchtbarkeiten, die sich auch hier zeigen, erschrecken wird.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Nun zur zweiten Hauptwurzel der Kriegskriminalität! Herr Abgeordneter Kanzow sagte, das Recht sei eines der heiligsten Güter der Völker. Wir haben seit jeher im Gegensatz dazu gemeint, dass das Recht in der kapitalistischen Gesellschaft nur ein Schleier der Gewalt sei. Und dass heute nicht das Recht, sondern der Belagerungszustand das Fundament der Staaten bildet, ist evident. Meine Herren, wie verträgt sich das Prinzip des Rechts mit dem Prinzip der Gewalt, wie kann der Rechtsgedanke in der Atmosphäre der Kriegspsychologie, um mich vorsichtig auszudrücken, leben?

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Jener Kriegspsychologie, die in jedem einzelnen Teil, Zweig und Trieb eine Verneinung, eine Vernichtung der Grundlagen alles Rechts ist? Sind nicht Kriege als Gewalt nach außen und Belagerungszustand als Gewalt nach innen die konträren Gegensätze, die grundsätzliche Verneinung des Rechts?

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Reißen nicht jene Worte und Lehren: „Gewalt geht vor Recht!" und „Not kennt kein Gebot!" in der Tat alle Dämme des Rechtes nieder?

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, soll ich die Frage aufwerfen, wie es heute mit den Zehn Geboten steht, heute, in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung im Weltkriege?

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Was ist aus dem „Liebe deinen Nächsten" geworden? – Morde deinen Nächsten!

(Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, bei dieser Methode können Sie allerdings das gesamte Weltall in den Bereich Ihrer Betrachtungen ziehen.

(„Sehr richtig!" – Große Heiterkeit.)

Sie können über soziale Dinge, über die Grundlagen und Verhältnisse von Gewalt und Recht an allen andern Stellen besser sprechen als bei der Justizverwaltung. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie bei der Sache bleiben müssen.

(„Sehr richtig!" – Zurufe bei den Sozialdemokraten.)

Liebknecht; Meine Herren, auch die Presse hat bei Betrachtung der Wurzeln der Kriegskriminalität vielfach auf das, wovon ich eben sprach, hingewiesen. Und wie soll man über die heutige Kriminalität sprechen, ohne sie als soziale Erscheinung zu untersuchen?

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Und wie will man zur Zeit des Weltkrieges über die Kriminalität sprechen, wenn man die besonderen sozialen Ursachen des Verbrechens, die der Krieg gezeitigt hat, nicht soll betrachten dürfen? Die Justiz ist nicht bloß eine Angelegenheit der Justizbeamten und nicht bloß eine Angelegenheit von Formalien, sondern eine Angelegenheit des ganzen Volkes,

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

die bis in die tiefsten Tiefen der Interessen des gesamten Volkes hineingreift. Dass das Verbrechen eine soziale Erscheinung ist, eine soziale Krankheit, ist doch heute, glaube ich, ein fast allgemein anerkannter Grundsatz, zu dem man sich früher zuweilen sogar am Ministertische bekannte!

Meine Herren, die Kriegspsychologie bietet in der Tat alle Voraussetzungen für die Vermehrung der Verbrechen. Es wäre sehr erwünscht, gerade hier noch manches scharfe Wort zu sagen, der bürgerlichen Gesellschaft noch manchen Peitschenhieb zu geben,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten. – Lachen.)

aber, meine Herren, der Herr Präsident hindert mich, darüber zu reden, und so bin ich leider genötigt, vieles, was noch gesagt werden müsste, zu verschweigen.

(Wiederholtes Lachen.)

Wenn der Herr Abgeordnete Schenk zu Schweinsberg vor einigen Tagen meinte, dass der Krieg nicht so rasch habe enden dürfen, wie man anfangs meinte, dass dem deutschen Siegeslauf von Gott habe Einhalt geboten werden müssen, damit nicht nach dem Kriege Zustände einreißen wie nach 1871, so meine ich, dass aus einem Kriege wie dem gegenwärtigen keine moralische Wiedergeburt sprießen kann, dass aus Blut keine Unschuld, aus Vergewaltigung keine Gerechtigkeit wachsen kann.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Und mit der Dauer des Krieges wird die erschreckende Rebarbarisierung – auch die Vermehrung des Verbrechens – nur weiter wachsen.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Die Apokalyptischen Reiter brausen auch über das Recht dahin und zerstampfen die Saaten der Gerechtigkeit.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, die Jugendkriminalität ist ein besonders ernstes Kapitel. Sie kann nur im Zusammenhang mit der erhöhten Jugend- und Kindersterblichkeit und der vermehrten Fürsorgeerziehung in ihrer vollen Bedeutung erkannt werden. Aus der Teilstatistik, die in der Kommission gegeben wurde, ersehen wir, dass allein im Kammergerichtsbezirk die Fälle der Fürsorgeerziehung 1913 bis 1915 von 2967 auf 4343 gestiegen sind. Welche Summe von Jammer und Not der kindlichen Seele tritt in diesen Zahlen zutage!

Auch die Jugendkriminalität ist sehr gewachsen, nicht nur in Berlin, das einer der Herren Abgeordneten besonders hervorhob, sondern wohl ziemlich allgemein. Im Jahre 1915 ist gegenüber den Friedensjahren nach den Erhebungen der Zentrale für Jugendfürsorge – leider liegt uns anderes statistisches Material nicht vor – eine Steigerung der Vergehen und Verbrechen von Jugendlichen von 12 bis 14 Jahren teilweise bis zu 100 Prozent zu verzeichnen,

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

also eine Verdoppelung. Dass diese Zahl der Verbrechen und Vergehen der Jugendlichen mit der Dauer des Krieges ständig steigt, hat die Zentrale für Jugendfürsorge mit aller Schärfe betont,

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

desgleichen, dass diese Kriminalitätszunahme sich nicht auf die Jugendlichen von 12 bis 14 Jahren beschränkt, sondern auch in immer stärkerem Grade auf die Jugendlichen von 14 bis 16 und 18 Jahren übergreift. Dabei spielen die Hauptrolle die Notdelikte und die Verwahrlosungsdelikte.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, es ist erforderlich, dass die Statistik, die wir darüber fordern müssen, die Entwicklung der Jugendkriminalität auch zeitlich genau abgrenzt und in Beziehung setzt zu der Steigerung der Lebensmittelpreise und zur Vermehrung der Einberufungen zur Armee. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die durch die ungeheure Lebensmittelteuerung hervorgerufene Not, die vermehrten Einberufungen der Männer, die Frauenarbeit, alle die Dinge, von denen ich vorhin bereits sprach, gerade hier die entscheidende Rolle spielen. Die Auflösung der Familie ist in dieser herrlichen, großen Zeit von dem herrlichen Kapitalismus in der Tat in einem Umfange zustande gebracht, dass man geradezu im weitesten Maße von ihrer Vernichtung sprechen kann.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, die Gefahren dieser brutalen, kapitalistischen Zerstörung der Familie, der ungenügenden Erziehung, der Not und der Unterernährung, des Wohnungswesens, die Gefahren, die die sozialen Verhältnisse in der Arbeit mit sich bringen, zumal nach Aufhebung des Jugend- und Arbeiterinnenschutzes, des Verbots der Nachtarbeit und so fort, alle diese Gefahren tragen dazu bei, die entsetzliche Erscheinung der Jugendkriminalität zu steigern. Und sind nicht die sozialen Schutzgesetze um der Kanonen- und Granatenfabrikation willen zerrissen?

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Von der Jugend des Proletariats heißt es heute wie in jenem melancholischen Liede, das wir als Kinder sangen: „Maikäfer fliege, Dein Vater ist im Kriege!" Hinaus gejagt werden die Kinder der Armen in das soziale Elend, allen Versuchungen und Gefahren werden sie hilflos ausgeliefert, allen gesundheitlichen und moralischen Schädigungen ausgesetzt, die die heutige Gesellschaftsordnung in dieser grauenhaften Kriegszeit mehr als je mit sich bringt; die bisherigen Schutzbestimmungen werden obendrein aufgehoben – im Interesse des massenmordenden Krieges. Wer fragt nach ihnen? Der Staat hat seine Hand von ihnen gezogen. Mit Fürsorgeerziehung und mit Strafgerichten wartet er diesen Massenopfern des Elends, des menschlichen Jammers auf.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Und weiter die moralischen Ursachen, die ich vorhin bereits charakterisierte! Der Widerspruch zwischen dem heutigen Zustande und der christlichen Lehre, wie sie in Friedenszeiten gepredigt wurde, ist unerhört. Die „Moral" auch der bürgerlichen Gesellschaft ist geradezu auf den Kopf gestellt.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten. – Widerspruch rechts.)

Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen! So ist die Verwahrlosung der Jugend die natürliche Folge der Verwahrlosung des ganzen Menschengeschlechts in diesem Kriege.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, Fürsorgeerziehung und Strafgesetzbuch schaffen keine Abhilfe. Man hat freilich noch andere Mittel! Unteroffiziere sollen als Schullehrer Moral einpauken und der Kriminalität wehren! Und auch außerhalb der Schule soll die Militarisierung der Jugendaufsicht Rettung bringen, die Familie wieder einrenken, die Gefährdung der Jugend beseitigen. Alle möglichen Forderungen der äußersten Reaktion schießen üppig in die Halme. Der jüngste Landfrauentag fordert ganz ungeniert die Beseitigung der Freizügigkeit der Jugend.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten. Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, Ihre Vorwürfe haben sich an keiner Stelle gegen die Justizverwaltung gerichtet. Es ist nicht zu ersehen, wie das, was Sie hier ausführten, mit der Justizverwaltung in Einklang gebracht werden könnte. Sie dürfen über die Schaffung des Rechts, über die Anwendung des Rechts, aber nicht über die Grundlagen des ganzen Rechtslebens sprechen. Das ist in diesem Zusammenhange ganz unzulässig.

Ich rufe Sie hiermit zum zweiten Male zur Sache und mache Sie auf die geschäftsordnungsmäßigen Folgen aufmerksam.

(Lebhafter Beifall rechts. – Unruhe bei den Sozialdemokraten.)

Liebknecht: Meine Herren, es war in den Zeiten des Friedens stets möglich, an dieser Stelle der Etatberatung die Ursachen der Kriminalität gründlich zu erörtern,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

und jetzt sollen mir Handschellen angelegt werden! Meine Herren, das ist in der Tat unerträglich! Wie soll man diese furchtbaren Erscheinungen – – –

(Große Unruhe rechts. – Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten. – Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Vor allen Dingen haben Sie zu schweigen, wenn die Glocke ertönt. Ich verbitte mir jede Kritik meiner Geschäftsführung. Die Etatberatung ist allerdings die geeignete Stelle, um alle diese sozialen Dinge zu besprechen, aber nicht der Justizetat. An dieser Stelle dürfen die allgemeinen Grundsätze unseres wirtschaftlichen und sozialen Lebens nicht besprochen werden, sondern sie gehören in die allgemeine Besprechung, und dort sind sie auch immer besprochen worden. Wenn Sie hier von den Anweisungen an die Schulen und davon sprechen, was auf den Versammlungen der Landfrauen geäußert worden ist, so gehört das nicht in die Justizverwaltung. Ich bitte Sie, bei der Sache zu bleiben.

(Zustimmung rechts. – Erneute Unruhe bei den Sozialdemokraten.)

Liebknecht: Meine Herren, nirgends kann Zweifel bestehen, dass ich diese Ausführungen gemacht habe in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Erörterung der Mittel gegen die Vermehrung der Jugendkriminalität. Man kann dabei nicht willkürlich ein Stück herausreißen aus der Gesamtheit der sozialen Schäden. Es ist nicht möglich, die Kriminalität zu erörtern, ohne den Komplex der sozialen Erscheinungen zu untersuchen, aus denen die Kriminalität erwächst, und ohne die möglichen Mittel zu ihrer Verminderung zu behandeln. Den Herrn Justizminister geht es sehr an, und es muss ihn auf das lebhafteste interessieren, welche Mittel vorgeschlagen werden, um die Kriminalität der Bevölkerung, der Jugendlichen, der Frauen herabzudrücken oder ihr Steigen zu verhindern. Es ist – ich behaupte es von neuem – ein Novum, dass in dieser Weise Schranken auferlegt werden.

Ein zweiter Zweig von demselben Stamme des materiellen und seelischen Elends ist die vermehrte Frauenkriminalität. Ihre Ursachen im Einzelnen zu erörtern, hindert mich der Herr Präsident; es ist nach dem bereits Gesagten kaum mehr notwendig. Wie neben der Kriminalität der Jugendlichen die Fürsorgeerziehung steht, so neben der Frauenkriminalität, für die natürlich – bei der weiblichen Jugend – auch die Fürsorgeerziehung, und zwar in hohem Maße, in Betracht kommt, die Prostitution. Die Prostitution, selbst eine Wirkung sozialer Schäden, bildet wiederum eine wichtige Quelle der Kriminalität.

Auch in der Frauenkriminalität spielen die Not- und Verwahrlosungsdelikte eine besondere Rolle. Zu den Notdelikten gehört zumeist auch die Abtreibung, das Verbrechen gegen das keimende Leben. Meine Herren, das Verbrechen gegen das keimende Leben darf nicht unter den Gesichtspunkten der Religiosität und „Moral" betrachtet werden, die vor wenigen Tagen von einigen Vertretern der bürgerlichen Parteien in den Vordergrund gerückt wurden. Der Feldzug der Justiz gegen die Empfängnisverhütung ist ein ernstes Kapitel. Ich muss auch hier scharfe Kritik anlegen. Sie bekämpfen die Empfängnisverhütung, weil in der Verminderung der Bevölkerungszunahme eine Gefahr für die militärische Kraft Deutschlands erblickt wird. Die Strafen für Abtreibung sind in der letzten Zeit deutlich verschärft – aus dem gleichen Grunde. Die militärische Kraft soll durch Strafjustiz und Gefängnis geschützt werden; durch Strafjustiz und Gefängnis sollen die Frauen trotz schwerster Not, uneheliche Mütter usw., gezwungen werden, künftige Soldaten zu gebären! Die bitteren Worte, die dieser Art Justiz gebühren, die das Bajonett im Mutterleibe schützt,

(Große Heiterkeit und lebhafte Bewegung.)

kann ich hier nicht aussprechen.

Meine Herren, man hat sich früher um das Wohl der Jugend, der werdenden und künftigen Generation – ich will auf die Dinge nicht kommen, die der Herr Präsident mir zu sagen verwehrt – herzlich wenig gekümmert, und herzlich wenig auch um die Jugendkriminalität. All das fand ein größeres Interesse erst, als man es unter dem Gesichtspunkt des Militarismus zu betrachten begann

(„Sehr richtig!")

unter dem Gesichtspunkte des Krieges.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Deshalb auch Ihre Empfindlichkeit, wenn diese Fragen mit der Deutlichkeit beleuchtet werden sollen, die notwendig ist, um wenigstens die großen Zusammenhänge zu klären.

Meine Herren, die Strafhöhe bei den Not- und Verwahrlosungsdelikten steht in krassem Gegensatz zu den milden Strafen, die gegen die Nahrungsmittelwucherer,

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

gegen diese Vampire an der Kraft und am Glück des Volkes, verhängt werden.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Sogar von bürgerlicher Seite wird gegen die allzu milde Justiz auf diesem Gebiete Einspruch erhoben. In dem wiederholt erwähnten Erlass eines Generalkommandos – mein Herr Vorredner sprach davon – ist gesagt, dass ohne Ansehen der Person mit Schärfe vorgegangen werden müsse, und zwar fand sich in diesem Erlass, soweit ich unterrichtet bin, auch die Warnung vor der Gefahr, dass die Bevölkerung durch das Missverhältnis der Strafen allzu sehr aufgebracht werde. In der Tat, die Sorge, dass ein allzu deutliches Messen mit verschiedenem Maße Aufregung in die Bevölkerung tragen und damit innere Zustände herbeiführen könnte, die der Regierung gerade jetzt während des Krieges am wenigstens erwünscht sind, diese Sorge ist es, die zu solchen Anwandlungen von Gerechtigkeitsbedürfnis führt!

Die verschiedene Schärfe der Justiz gegenüber den unglücklichen Schachern, die durch Not und soziales Elend in die Justizmühle geraten sind, und gegenüber den gefährlichsten Hyänen des Schlachtfeldes, gegenüber den Sündern aus den „besseren" Schichten, beweist schlagend, dass der Klassencharakter der heutigen Gesellschaft während des Krieges nicht aufgehoben, sondern verschärft worden ist. Und all dies trotz des Burgfriedens, und all dies trotz jenes „Ich kenne keine Parteien mehr" und trotz all der Versuche, mit kleinen Flickreformen an den Grundlagen des Elends und der Kriminalität herumzubasteln. Zu den Hekatomben an Menschenopfern, die im Felde draußen verbluten, zu den Hekatomben von materiellen und geistigen Kulturgütern, die heute in Schutt und Asche liegen, häufen sich Hekatomben von Verwahrlosten und Elenden, die dem Richter anheimfallen, Hekatomben von Frauen und Müttern und – das ist das traurigste – Hekatomben von Kindern und halben Kindern, denen das Brandmal der Fürsorgeerziehung, das Brandmal des Gefängnisses aufgedrückt wird – werdende Menschen, im Keime gebrochen.

Die politische Justiz hat während des Krieges keineswegs aufgehört. Wir können sie freilich nicht in ihrem vollen Umfang erkennen, weil auch hier die statistischen Unterlagen fehlen. Aber selbst die vollkommenste Statistik der Justizverwaltung gäbe hier kein volles Bild, weil gerade die politische Justiz besonders entlastet ist durch andere Methoden der Strafe und der Unschädlichmachung, durch die Einsperrung in die Kaserne, durch die Verschickung in den Schützengraben, durch die Schutzhaft. Es gehört im eminentesten Sinne zur Justizverwaltung, wie die Schutzhaft ausgeübt wird, die eine Verurteilung ohne Verfahren und Urteil darstellt, eine Strafvollstreckung ohne alle Regelung und Rechte und damit einen Rückfall in kulturelle Zustände, die ich hier nicht gebührend charakterisieren darf.

Das Verhältnis zwischen Militärdiktatur und Justiz bedarf einer Untersuchung besonders auf dem Gebiete der politischen Justiz. Wir erleben in immer größerem Umfange Verhaftungen und Haussuchungen, die den Garantien der Strafprozessordnung nicht unterworfen sind.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Politisch „verdächtigen" Personen kommt jetzt gar häufig irgendein Kriminalbeamter auf den Hals, nicht mit dem Auftrag, wegen einer bestimmten Straftat eine bestimmte Sache zu suchen, sondern mit dem Auftrag, alles zu durchsuchen und alles mitzunehmen, was ihm von Belang dünkt. Diese Methode der generellen Haussuchung, gegen die es auch keinerlei Rechtsmittel gibt, zeigt mit vielem anderen, wie tief die Grundlagen der Justiz durch den Belagerungszustand zerrüttet sind.

Das gilt auch von der Schutzhaft, die vielfach ganz unmittelbar in das kriminelle Verfahren eingreift. Die Schutzhäftlinge sind völlig schutzlos. Das Wort „Schutzhaft" sagt das Gegenteil dessen, was die Schutzhaft wirklich ist, es ist ein Widerspruch in sich selbst und zur Wirklichkeit. In der Tat sind die Schutzhäftlinge nicht einmal imstande, die Hilfe eines Anwalts anzurufen. In Berlin werden die Anwälte, die sich um Schutzhäftlinge bemühen, von den Militärbehörden sehr militärisch behandelt und geradezu prinzipiell zurückgewiesen.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Der Antrag eines Berliner Anwaltes, des Rechtsanwalts Weinberg, an die Anwaltskammer, im Interesse des Anwaltsstandes gegen die unwürdige Behandlung einzugreifen, ist von der Anwaltskammer zurückgewiesen worden. Dank dem Belagerungszustand seufzt das deutsche Volk unter dem Verlust aller Rechtsgarantien; Hunderte und Hunderte „Verdächtiger" sitzen und saßen in Schutzhaft, meist monatelang, manche seit Beginn des Krieges; viele Hunderte werden weiter in Schutzhaft geraten. Diese Schutzhaft verdient eine nähere Beleuchtung, die den Herrn Justizminister ganz unmittelbar angeht. Gegen meine Parteigenossen Ochel und Westkamp schwebte vor dem Landgericht Düsseldorf ein Verfahren wegen Verbreitung einer Druckschrift. Dass die Angeschuldigten zunächst in Schutzhaft und erst später in Untersuchungshaft genommen wurden, ist der übliche Anfang. Sie wurden zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Das Gericht hob den Haftbefehl auf. Sofort griff wieder die militärische Schutzhaft ein, und die beiden Delinquenten wurden trotz der gerichtlichen Haftentlassung wieder in das Gefängnis zurückgeführt.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Das Ergebnis war, dass die Verurteilten ihre Revision nicht aufrechterhalten konnten, wenn sie ihre Haft nicht ungemessen ausdehnen wollten. Sie waren gezwungen, ihre Revision zurückzuziehen.

Ein zweiter Fall, der Fall meines Parteigenossen Kastner in Düsseldorf – eine Anklage wegen Verbreitung des Zimmerwalder Manifestes. Am 27. November 1915 wurde er in Schutzhaft gebracht; am 9. Dezember wurde auf Antrag der Militärbehörde Untersuchungshaft verhängt und danach die Schutzhaft aufgehoben; am 2. Februar wurde die Untersuchungshaft vom Gericht aufgehoben; sofort wurde wieder Schutzhaft verhängt, die bis zur Verhandlung dauerte, die am 25. Februar stattfand. Das Ergebnis dieser Verhandlung war Freisprechung.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Aber der Freigesprochene wurde auf Grund verhängter Schutzhaft aus dem Gerichtssaal in das Gefängnis zurück geschleppt.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Nun sehen Sie sich dieses Deutschland an, dieses Preußen, das in den Krieg gezogen ist, um das russische Volk vom Zarismus zu befreien!

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

Im Falle Kastner wurde der Herr Reichskanzler um Hilfe gebeten von einem Anwalt, der im Wahn lebte, zur Zeit des Belagerungszustandes, der Militärdiktatur, der Aufhebung aller Grundrechte könne es Schutz gegen solche Gewaltakte geben. Vergeblich! Auch der Herr Justizminister wird sagen: „Ich bin machtlos." In der Tat! Das Schwert der Justiz liegt in den Händen der Militärgewalt, die Waage der Justiz hält die Militärgewalt, hinter der Binde der Justiz grinst der Militarismus.

Meine Herren, von hohem Interesse ist, wie die militärischen Kommandostellen auf die Staatsanwaltschaften einwirken.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Der übliche Anfang der politischen Prozesse unter dem Burgfrieden ist, dass die Militärbehörde das Belastungsmaterial der Staatsanwaltschaft überreicht, mit der Anweisung, einzuschreiten.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

So steht im Beginn dieser Prozesse heute nicht die Justiz, sondern der Militarismus. Meine Herren, es ist wahrlich keine sehr beneidenswerte Rolle, die die Justiz heute spielt.

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

Justitia fundamentum regnorum? O nein! Militarismus fundamentum regnorum! Militarismus ist die Grundlage des Staates.

Meine Herren, nun einige besondere politische Prozesse. Kennt unsere Justiz keine Parteien mehr? – Doch, meine Herren, sie kennt Parteien! Die Justiz kennt nur dort keine Parteien, wo es tatsächlich keine Parteien mehr gibt, wo die Parteien kapituliert haben vor dem Belagerungszustand, vor dem Kriegszustande, vor der Militärdiktatur. Aber sie kennt noch sehr wohl die Parteien, die Parteien, Parteien der Opposition geblieben sind.

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, so sehen wir, dass neue eigenartige Delikte geradezu erfunden werden.

Früher war die Gleichung „Sozialdemokrat = Staatsfeind" und all das ja sehr geläufig. Heute kann man nicht mehr ohne weiteres „sozialdemokratisch = staatsfeindlich" sagen, und so macht man einen feinen Unterschied, indem man nur eine gewisse Richtung der Sozialdemokratie noch als besondere Partei betrachtet, die die Justiz sehr wohl kennt

(Heiterkeit und Zuruf.)

und sehr gründlich kennt.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, natürlich ist es für diese Richtung sehr rühmlich, von der Justiz noch als Partei gekannt zu werden.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, sehr pikant ist die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft am Landgericht I Berlin vom 2. September 1915 in der Strafsache gegen meinen Parteigenossen Walcher. Angeklagt wird ein Flugblatt, das sich in scharfer Weise gegen die Politik der sozialdemokratischen Fraktionsmehrheit wendet. Diese Fraktionsmehrheit und ihre Politik ist für die Justiz ein ganz besonders geheiligtes Gut.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, auch bei anderen Gelegenheiten ist die Bekämpfung dieser Politik als eine neue Sorte Verbrechen verfolgt und geahndet worden.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Ein besonderes Exempel dafür hier:

Gleichzeitig"

so heißt es wörtlich in der erwähnten Anklageschrift

enthält das Flugblatt aber am Schluss auch eine offene Aufforderung an diejenigen Arbeiter, welche mit der von der Mehrheit der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion gewollten Politik nicht einverstanden sind, die dieser Mehrheit angehörigen Personen unter Gewalttätigkeiten aus der Sozialdemokratie zu entfernen.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Dass hierdurch der öffentliche Frieden gefährdet wird, bedarf keiner weiteren Ausführung."

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

So steht geschrieben in einer Anklageschrift der Staatsanwaltschaft I Berlin. Meine Herren, das wäre in der Tat eine bequeme Manier, mit Hilfe von Staatsanwaltschaft und Gericht den Kampf in unserer Partei zugunsten der Fraktionsmehrheit zu entscheiden!

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Nur wird auf diese Weise das Gegenteil erreicht. Wir können Ihnen nur sehr dankbar sein für solche Leistungen, die zugleich das Wesen des Burgfriedens immer wieder enthüllen und damit die Richtigkeit unserer Politik erweisen.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, vor kurzem stand der „Vorwärts"-Redakteur Meyer auf der Anklagebank. Er war angeklagt wegen Verbreitung einer Schrift gegen den Annexionswahnsinn1, die sich gegen das Treiben der verantwortlichen und unverantwortlichen Annexionshetzer in Deutschland richtet, und wegen einer zweiten Schrift, die da heißt: „Wer hat die Schuld am Krieg?"2 Er war angeklagt, weil er die Wahrheit über die Schuld am Kriege verbreitet hatte, dasselbe, was bis zum 29. Juli 1914 jeder Einzelne in Deutschland sagen durfte und auch Zeitungen der bürgerlichen Parteien gesagt haben,

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

weil in dieser Broschüre mit den Fingern auf die Brandstifter des Weltkrieges hingewiesen wurde.

Meine Herren, Meyer ist freigesprochen worden, das Gericht war zurückhaltender als die Staatsanwaltschaft. Immerhin hatte er mehrere Wochen in Schutzhaft gesessen.

Eine außerordentliche Ausdehnung der Gesetzesinterpretation bei politischen Delikten ist festzustellen. Besonders gilt dies von Aufreizung, Landfriedensbruch und Landesverrat. Aufreizung liegt nach der jetzigen Judikatur und besonders nach der Auffassung vieler Staatsanwaltschaften schon vor, wenn eine Klasse in ungünstigem Lichte hingestellt wird. Es wird gefolgert, dass so gegen diese Klasse Missstimmung erzeugt werden solle und könne und dass so Gewalttätigkeiten herbeigeführt werden sollen und können – in der Tat eine Gesetzesauslegung, die höchst deutlich zeigt, welch böses Gewissen die herrschenden Klassen gegenüber unseren jetzigen Zuständen und dem Weltkrieg haben.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Geradezu zum System hat sich herausgebildet, jede energische Friedensregung kriminell zu verfolgen.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, beim Berliner Polizeipräsidium ist eine eigene Sonderkommission eingerichtet für die wegen Friedenspropaganda Verhafteten.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Aber wir sehen, dass diese Erscheinung nicht nur eine deutsche, sondern eine internationale ist. Der Prozess gegen Kastner in Düsseldorf, von dem ich vorhin sprach, in dem am 25. Februar Termin stattfand, war anhängig gemacht wegen Verbreitung des Ihnen aus der Presse dem Namen nach bekannten Zimmerwalder Friedensmanifestes. Auch in Italien war wegen Verbreitung dieses Friedensmanifestes eine Anzahl meiner Parteifreunde angeklagt: Onarti, Lanzoni, Ferrari. Sie sind von den Mailänder Geschworenen Mitte Februar glatt freigesprochen worden. Meine Herren, in Deutschland, in Düsseldorf, erfolgte auch Freispruch, aber aus einem anderen Grunde: In Italien wurde das Zimmerwalder Manifest an sich nicht als strafbar erachtet;

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

in Düsseldorf wurde nur die Teilnahme an der Verbreitung nicht als erwiesen erachtet.

Meine Herren, ein weiteres Beispiel! In Deutschland, auch in Preußen, ist eine Anzahl von Personen verfolgt worden wegen Verbreitung des Friedensmanifestes, das im vorigen Jahre auf der Internationalen Frauenkonferenz in Bern3 beschlossen worden war. Am bekanntesten ist das Verfahren gegen meine Parteifreundin Clara Zetkin, die lange Zeit in Haft saß. Die Anklage geht hier und in anderen Fällen auf Landesverrat. Und dieser Landesverrat soll verübt worden sein durch die Friedenspropaganda, die durch die Verbreitung des Friedensmanifestes betrieben wurde.

Meine Herren, in Frankreich wurde wegen derselben Dinge meine Parteigenossin Louise Saumoneau4 angeklagt. Sie ist vor kurzem außer Verfolgung gesetzt. In Deutschland schweben die Verfahren noch,

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

und es besteht, soweit ich zu beurteilen vermag, bei der deutschen Justiz keinerlei Neigung, dem guten Beispiele unserer „Feinde" in Frankreich zu folgen.

Meine Herren, so hat sich eine Internationale der Friedensfeinde aufgetan – in Deutschland, in Italien, in Frankreich und sicherlich auch in den anderen kriegführenden Ländern, so bekämpfen die Regierungen aller kriegführenden Länder die Friedenspropaganda; so steht es mit der heutigen Zivilisation, mit der heutigen „christlichen" Kultur!

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, wenn das Landesverrat ist, wenn die Verfechtung des Friedensgedankens Landesverrat ist, wenn die Proklamation des internationalen proletarischen Klassenkampfes gegen den Krieg und die systematische Brechung des Burgfriedens Landesverrat ist, ja, meine Herren, dann wiederhole ich, was bereits an anderer Stelle gesagt wurde: dann ist es eine Ehre, Landesverräter gescholten zu werden.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten. – Lachen rechts.)

Meine Herren, wir, die wir in der Internationale des Proletariats unser Vaterland erblicken, werden uns nie und nimmer durch derartige Anfechtungen der Justiz beirren lassen in dem Kampfe, der unsere Pflicht ist.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Aber begreift die Justizverwaltung denn gar nicht, dass es geradezu der Gipfel der Selbstverhöhnung unserer heutigen Gesellschaftsordnung ist, wenn man die Arbeit für den Frieden, gegen den Völkermord, als Landesverrat kennzeichnet?

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

So einer spricht, ich liebe Gott,

Und hasst doch seine Brüder,

Der treibt mit Gottes Hoheit Spott

Und reißt sie ganz darnieder.

Meine Herren, dessen sollten Sie sich in Ihrer heutigen „christlichen" Gesellschaftsordnung erinnern. Aber die Justizverwaltung spürt keinen Hauch dieses christlichen Geistes.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, gleiches Recht für alle! Wegen Friedensdemonstration und Friedenspropaganda wird man mit Feuer und Schwert verfolgt; Kriegspropaganda, Hetzerei zum Massenmord, das gilt als Pflicht jedes patriotischen Mannes.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, ein ganzes Register von Delikten wird heute von der Justiz nicht verfolgt: Sind nicht die Unternehmer und auch die Behörden, die unter Drohung mit dem Schützengraben die Arbeiter zur Arbeit nötigen,

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

sie hindern, Lohnforderungen zu erheben und zu ihrer Unterstützung in Ausstände zu treten, echte Erpresser? Meine Herren, und begehen nicht diejenigen bösartigste Aufreizung, die alles dran setzen, um dem Volke die Rechte vorzuenthalten, die man ihm beim Kriegsausbruch versprach? Und die, die hungernde Kriegerfrauen öffentlich als Verschwender und Prasser beschimpften, wie das gar oft geschehen ist? Und die Nahrungsmittelverteuerer!

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, Landesverrat verüben diejenigen, die den Krieg angezettelt haben, die imperialistische Eroberungen anstreben, die um kapitalistischer Interessen willen eine Verständigung der Völker verhindern, die das Gegenteil unserer Politik betreiben. Sie sollten, wenn die Justiz überhaupt eingreifen will, verfolgt werden.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, es gibt noch so manche Seite unserer heutigen Zustände, in die die Justiz hineinleuchten müsste, wenn sie von dem Geiste des heiligen, des idealen Rechts beseelt wäre, von dem aus sie sich allein als etwas anderes aufspielen könnte denn als ein Institut der verschleierten Gewalt. Ich brauche nur darauf hinzuweisen, dass heute der Hochverrat ein – fast könnte man sagen hoffähiges – bei hohen Behörden sehr beliebtes und gefördertes Delikt geworden ist, ein Edelverbrechen; dass in Deutschland an gewissen Stellen, besonders in den Gefangenenlagern und in den okkupierten feindlichen Gebieten, geradezu Hochverräter gezüchtet, im Großen fabriziert werden.

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, das geschieht von der deutschen Regierung!

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Hochverrat allerdings gegen andere Staaten. Wegen Hochverrats gegen den Zarismus wurden im Jahre 1904 von der deutschen Justiz deutsche Bürger auf die Anklagebank geschleppt!

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Und heute wird von der Regierung systematisch solcher und anderer Hochverrat betrieben, Züchtung von Revolutionären in den Gefangenenlagern, Züchtung von Landesverrätern, indem man die gefangenen Feinde zum deutschen Kriegsdienst presst oder einfängt.

(Unruhe. – Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, wenn ich recht gehört habe, haben Sie gesagt, dass von der Regierung Hochverrat getrieben wird. Ich rufe Sie wegen dieses ungehörigen Ausdrucks zur Ordnung.

(„Bravo!")

Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass, nachdem Sie zweimal zur Sache und einmal zur Ordnung gerufen worden sind, das Haus in die Lage versetzt werden kann, Ihnen das Wort zu entziehen.

(Zuruf des Abgeordneten Adolph Hoffmann.)

Ich brauche mich ja Herrn Hoffmann gegenüber nicht zu rechtfertigen; ich kann aber auch vorlesen, was hier in der Geschäftsordnung steht:

Ist das eine oder das andere in der nämlichen Rede zweimal ohne Erfolg geschehen, und fährt der Redner fort, sich vom Gegenstande oder von der Ordnung zu entfernen, so kann die Versammlung auf die Anfrage des Präsidenten ohne Debatte beschließen" usw.

Das eine oder das andere!

(Zurufe bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, ich habe die Frage an das Haus noch nicht gestellt. Ich würde mich aber ohne weiteres dazu für berechtigt halten; das Haus wird dann darüber entscheiden.

(„Bravo!" rechts.)

Liebknecht: Meine Herren, hier liegt ein in Amerika viel gesungenes Gedicht vor mir, das Gegenstand eines Strafverfahrens war. Es war in der Wiener „Neuen Freien Presse" mit Zensurerlaubnis abgedruckt, heißt „Das Lied der Mütter gegen den Krieg" und lautet übersetzt folgendermaßen:

Ich habe meinen Sohn zum Krieger nicht erzogen,

Ich zog ihn auf als Stolz und Freude meiner alten Tage.

Wer wagt es, ihm die Waffen in die Hand zu drücken,

Damit er einer anderen Mutter teures Kind erschießt?

Es ist die höchste Zeit, die Waffen fortzuwerfen!

Es könnte niemals einen Krieg mehr geben,

Wenn alle Mütter in die Welt es schreien würden:

Ich habe meinen Sohn zum Krieger nicht erzogen!

Meine Herren, weil er dieses Gedicht in einigen Abzügen an Zivilpersonen abgegeben hatte, ist im vorigen Jahre ein Sozialdemokrat in Freiwaldau zum Tode verurteilt worden,

(Lebhaftes „Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

er wurde allerdings – nachdem er sich sein Grab selbst hatte schaufeln müssen – zu fünfjähriger Freiheitsstrafe begnadigt.

Meine Herren, ich habe vorhin von der Internationale der Justiz gesprochen, die in den verschiedenen Ländern ganz ähnlich gegen die Friedensbestrebungen vorgeht. Aber wenn es auch fast allenthalben besser ist als in Deutschland, es gibt doch ein Land, wo es unendlich schlimmer steht als in Deutschland, wo die Signatur buchstäblich Kerker und Galgen ist, wo kein Parlament seine Stimme erheben kann, wo die Zensur jeden Hilferuf unterdrückt und von wo nur selten ein Notschrei aus der Hölle in zivilisierte Gefilde, sofern es heute noch solche gibt, herüber dringen kann. Meine Herren, dieses Land ist nicht Russland, sondern Österreich!

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

Das muss das deutsche Volk wissen. Es ist mir leider hier nicht möglich, Einzelheiten darüber zu bringen, die ich in Fülle habe.

(Große Unruhe rechts.)

Meine Herren, ich habe im Beginn gesagt: In der kapitalistischen Gesellschaft ist das Recht nur der Schleier der Gewalt. Heute, im Weltkrieg des Kapitalismus, ist dieser Schleier vollends zerrissen. Und wie die Legende vom christlichen Staat vor aller Welt nieder gebrochen ist, so auch die Legende vom Rechtsstaat. Eine der stolzesten Ideologien der bürgerlichen Gesellschaft ist unter den Keulenschlägen des Weltkrieges zertrümmert. Zur blutigen grotesken Fratze ist das Völkerrecht geworden; und wenn ein Mitglied dieses Hauses die Neubearbeitung seines Handbuchs des Völkerrechts dazu benutzt hat, ad usum Delphini nachträglich alle Methoden der deutschen Kriegführung bis zur Erschießung unschuldiger Geiseln als Völkerrecht zu glorifizieren,

(„Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.)

so fügt er zur Zerstörung des Trugs von der Humanisierung der Kriegsraserei noch die Preisgabe der Wissenschaft.

Meine Herren, wie die Wissenschaft, wie die Kunst, die Religion und die Menschlichkeit in dem Vulkanausbruch des Weltkrieges zusammengebrochen ist, so auch die Justiz.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Dem kapitalistischen Staat ist die Maske vom Gesicht gerissen; das Recht hat vor der nackten Gewalt vollends kapituliert.

Von einigen Seiten wurden die Vorgänge in Genf und Lausanne erörtert und gefordert, dass den deutschen Studenten der Jurisprudenz künftig die Befugnis entzogen werde, einen Teil ihres Studiums an diesen Universitäten zu absolvieren. Wenn der Herr Justizminister, der dieser Anregung zu folgen versprach, mit allen neutralen Staaten so verfahren würde, in denen sich unfreundliche Gesinnung gegen Deutschland geltend gemacht hat, würde künftig den deutschen Juristen die ganze Welt außer Preußen und Deutschland versperrt sein. Und wenn die andern Fakultäten dem Beispiel des Herrn Justizministers folgen würden, würde ein Ergebnis erzielt, das die Lobpreiser der kapitalistischen Kultur zu besonderer Begeisterung hinreißen müsste: die Aufhebung jeder kulturellen Gemeinschaft. Und das Stahlbad, das die Justiz im Weltkriege genommen hat, würde sich dann in seiner ganzen heilkräftigen Herrlichkeit offenbaren. Meine Herren, wir aber legen Verwahrung dagegen ein, dass man diese Gelegenheit benutzt, um chauvinistisch gegen einen neutralen Staat zu hetzen, und wir legen Verwahrung dagegen ein,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

dass Folgerungen der Art, wie sie der Herr Justizminister zu ziehen sich bereit erklärt hat, aus einzelnen Vorkommnissen gezogen werden, die entschuldbar genug sind angesichts all jener Exzesse eines wüst aufgestachelten Völkerhasses, der ganz Europa, ja die ganze Welt gegenwärtig schändet.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten. – Zuruf: „Justizetat!")

Ich spreche von Dingen, die in der Kommission beim Justizetat erörtert worden sind, von der Frage, inwieweit die Studenten der Jurisprudenz künftig noch im Auslande sollen studieren dürfen.

Meine Herren, kann man gegenüber all den traurigen Erscheinungen der Kriegskriminalität, von denen ich gesprochen habe, auf die Gnadenerlasse als einen Ansatz der „Neuorientierung" verweisen? Aber die Begnadigungen werden systematisch zur Vermehrung der kämpfenden Truppen genutzt, und man muss auf den Gedanken kommen, dass heute selbst die Gnade zu Kriegszwecken dient.

(„Oho!" und Rufe rechts: „Pfui!")

So muss man gerade heute die Gnadenerlasse mit ganz besonders kritischen Augen betrachten.

Welche Aussichten hat die Justiz für die weitere Zukunft!? Die großen Quellen der Kriegskriminalität werden weiter fließen und immer stärker, je länger der Krieg dauert. Darüber habe ich gesprochen. Und was wird nach dem Kriege sein? Wird nicht die Herabdrückung der gesamten Lebenshaltung der Bevölkerung, die bei den ungeheueren Lasten des Krieges und den schweren wirtschaftlichen Schädigungen unausweichlich kommen wird, dazu führen, dass der Stachel des Elends, die Peitsche der Not, die gegenwärtig die Kriminalität in die Höhe treiben, auch nach dem Kriege ebenso weiterwirken zur Vermehrung der Verbrecher als einer lang andauernden Errungenschaft dieser „großen Zeit"?

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, und die verheerenden Wirkungen der Kriegsmoral, der Kriegspsychologie, der gewalttätigen Neigungen, die in der Bevölkerung angeregt sind, des „Not kennt kein Gebot", des „Gewalt geht vor Recht", werden noch lange über den Krieg hinaus dauern und auf die Kriminalität Einflüsse üben, vor denen Ihnen bangen sollte.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Die Geister, die die heutige Gesellschaftsordnung durch die Entfesselung des Weltkriegs gerufen hat, wird sie so rasch nicht wieder loswerden. Sodom und Gomorrha während des Weltkrieges; Sodom und Gomorrha noch lange nach dem Weltkrieg – es sei denn, die Massen nehmen ihr Geschick in eigne Hand.

Meine Herren, der Klassenkampf wird sich nach dem Kriege verschärfen. Die politische Reaktion wird, wenn nicht alle Zeichen trügen, nicht nur bleiben, sondern zunehmen. Auch der Quell der politischen Justiz wird damit stärker fließen.

Das ist die Aussicht für die Zukunft, die Prognose vom Gesichtspunkt der Kriminalität, der Ruin der europäischen Menschheit und ihrer Zukunft, ein politisches und kulturelles Weißbluten nach dem wirtschaftlichen und physischen Weißbluten.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Für uns ergibt sich auch aus der Betrachtung dieser Seite der heutigen Zustände, dieser partie honteuse der kapitalistischen Gesellschaft, dass wir all unsere Kraft einsetzen müssen, nicht in dem Sinne, wie der Herr Abgeordnete Ranzow vorhin meinte, dass wir vielmehr unsre ganze Kraft einsetzen müssen im Kampfe gegen den Krieg, im internationalen Klassenkampf gegen den Krieg, um den Frieden zu erzwingen durch den Willen der Massen,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

um das internationale Proletariat zum bestimmenden Faktor der künftigen Geschichte zu machen.

Meine Herren, der Notschrei aus den Gefängnissen, aus den Zuchthäusern, aus den Stätten des Elends und der Verwahrlosung, der heute nicht an die Öffentlichkeit dringen kann, wird eines Tages immer deutlicher zu denen gellen, die sich die Ohren heute verstopfen, und wird die Menschheit, wird die Massen mit aufrütteln helfen zu dem Kampf, der der einzige heilige Kampf ist, den wir Sozialdemokraten kennen, zu dem einzig heiligen Kampf gegen den Krieg, für den Frieden, gegen die kapitalistische Gesellschaftsordnung, für den Sozialismus.

(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.)

II

Meine Herren, dass die Maßregelung der Nationalitäten unter dem „Burgfrieden", die eben gerügt wurde, nur vortrefflich in das Gesamtbild hineinpasst, das ich vorhin zu entwerfen versuchte, bedarf keiner besonderen Betonung. Wir haben eine solche Offenbarung des wirklichen echt preußischen Kriegsziels, das angeblich die Befreiung unterdrückter Nationen sein soll, in Preußen-Deutschland nur für selbstverständlich erachtet.

Der Herr Justizminister hat meine Ausführungen zu einem Teil als zu allgemein erachtet, zu einem Teil als zu speziell, und er hat es bald aus diesem, bald aus jenem Grunde für überflüssig erklärt zu antworten; und er hat im Übrigen geglaubt, sich mit der allgemeinen Bemerkung, dass ich mich in Beschimpfungen ergangen hätte, einen bequemen Rückzug sichern zu können.

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, ich habe es unter diesen Umständen nicht nötig, mich gegen die Worte des Herrn Justizministers, die selbst ausreichend in meinem Sinne wirken, zu wenden.

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

Nur in einem Punkte möchte ich den Bemerkungen des Herrn Justizministers entgegentreten, und zwar nicht in Bezug auf die Frage des Rechtes zur Kritik an den Gnadenerlassen, das selbstverständlich gegeben ist, sondern in Bezug auf die Zurückweisung meiner Bemerkungen über die österreichischen Zustände. Der Herr Justizminister suchte den Eindruck zu erwecken, als ob ich mir etwas aus den Fingern gesogen hätte oder als ob ich zugetragene Dinge leichthin glaubte.

Meine Herren, in Österreich üben die Feld- und Stand- und Landwehrgerichte, die auch für alle politischen Delikte gelten, ein Schreckensregiment, wie es in Russland zur schlimmsten Zeit nicht geherrscht hat,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

und es gibt – während Russland seine Duma hat – in Österreich kein Parlament, keine Tribüne, von der ein Wort der Aufklärung, der Anklage an die Öffentlichkeit dringen könnte.

(Große Unruhe rechts.)

Todesurteile sind an der Tagesordnung,

(Stürmische Unterbrechungen und Rufe rechts: „Zur Sache!")

Verurteilungen zu schweren Kerkerstrafen wegen geringfügiger Dinge –

(Stürmische Unterbrechung. – Glocke des Präsidenten.)

Verurteilungen zu lebenslänglichem Kerker ohne Ende.

(Stürmische Rufe rechts: „Zur Sache!" – „Hier ist Preußen, nicht Österreich!")

Ich habe hier das Beweismaterial in Händen! Allein das Landwehrdivisionsgericht in Theresienstadt hat in wenigen Monaten wegen politischer Delikte hunderte von Jahren schweren Kerkers verhängt – auch gegen zahlreiche Jugendliche – und zahlreiche Todesurteile gefällt.

(Stürmische Unterbrechungen und Rufe rechts: „Zur Sache!")

Hier können Sie die Einzelheiten darüber lesen!

(Lebhafte Rufe: „Zur Sache!")

Das Todesurteil, das ich Ihnen vorhin vorlas wegen des Gedichtes, war ein österreichisches.

(Große Unruhe. Rufe: „Was geht uns das an?")

Nun hören Sie, meine Herren! –

(Stürmische Unterbrechungen. – Lebhafte Rufe: „Hier ist Preußen!" – Glocke des Präsidenten.)

Nur noch eine Bemerkung! Mein Parteigenosse Redakteur Josef Kotek aus Proßnitz (Unruhe. Rufe: „In Österreich?") ist wegen einer angeblich staatsfeindlichen Rede, die er – als Zivilist – in Smrzitz vor den Mitgliedern des aufgelösten Konsumvereins gehalten haben soll

(Große Unruhe. – Rufe: „In Österreich?")

am 23. Dezember 1914 zum Tode durch den Strang verurteilt, zum Tode durch Erschießen begnadigt und binnen zwei Stunden erschossen worden, nachdem er sich sein Grab selbst hatte graben müssen.

(Große Unruhe. – Stürmische Rufe: „Hier ist Preußen!")

Meine Herren, das war in Krakau vor dem Landwehrdivisionsgericht –

(Stürmische Unterbrechungen. – Erneute lebhafte Rufe rechts: „Hier ist Preußen!" – Rufe bei den Sozialdemokraten: „Sie wollen die Wahrheit nicht hören!")

Sie wollen die Wahrheit nicht hören! Meine Herren, es ist notwendig, diesem würdigen Bundesgenossen Deutschlands im Kampfe für die „Kultur"

(Rufe: „Zur Sache!")

die Maske vom Gesicht zu reißen vor aller Welt.

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten. – Widerspruch rechts.)

1 „Der Annexionswannsinn", verfasst von Hermann Duncker.

2 Verfasst von Julian Marchlewski (Karski).

3 Vom 26. bis 28. März 1915 fand in Bern eine Internationale Sozialistische Frauenkonferenz statt. Sie war angeregt worden von den Auslandsvertreterinnen der bolschewistischen Frauenorganisationen und einberufen von Clara Zetkin, der Führerin der internationalen proletarischen Frauenbewegung. An der Konferenz nahmen 25 Delegierte aus acht Ländern teil (Deutschland, England, Frankreich, Holland, Italien, Polen, Russland, Schweiz). Der deutschen Delegation gehörten neben Clara Zetkin Lore Agnes (Düsseldorf), Käte Duncker (Berlin), Toni Sender (Frankfurt/Main), Berta Thalheimer (Stuttgart-Cannstatt) und Margarete Wengeis (Berlin) an. Mit großer Mehrheit nahm die Konferenz eine von Clara Zetkin verfasste Resolution über den Kampf der Frauen gegen den Krieg an, in der jedoch keine Abgrenzung vom Opportunismus erfolgte und die deshalb von Lenin kritisiert wurde. Einstimmig beschloss die Konferenz, ein Manifest an die Frauen des werktätigen Volkes zu erlassen, das von einer international zusammengesetzten Kommission ausgearbeitet wurde. (Die Dokumente der Berner Frauenkonferenz siehe Dokumente und Materialien, Reihe II, Bd. 1, S. 119-127. – Siehe auch W. I. Lenin: Werke, Bd. 21, S. 192-196.)

4 Sekretärin des Pariser Aktionskomitees Sozialistischer Frauen für den Frieden und gegen den Chauvinismus.

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