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Karl Liebknecht 19160407 Zur Lage der Kriegsgefangenen

Karl Liebknecht: Zur Lage der Kriegsgefangenen

Reden im Deutschen Reichstag in der zweiten Lesung des Heeresetats

7. April 1916

[Verhandlungen des Reichstags, XIII. Legislaturperiode, II. Session, Bd. 307, Berlin 1916, S. 920-922. Nach Gesammelte Reden und Schriften, Band 8, S. 569-572]

I

Meine Herren, es werden in diesem Kapitel, und zwar in diesem und anderen Titeln, Mittel für Truppenübungsplätze und Einrichtungen gefordert, die auch der Unterbringung und Versorgung von Kriegsgefangenen dienen. Es ist nötig, auf die Lage der Kriegsgefangenen einzugehen.

(Lachen. Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident Dr. Paasche: Herr Abgeordneter, Sie sind im Irrtum. Bei Titel 1 handelt es sich um die Schlussrate eines Magazingebäudes in Ludwigslust.

(Große Heiterkeit.)

In diesem Magazingebäude werden keine Gefangenen untergebracht.

(Erneute Heiterkeit.)

Ich bitte, sich also an den Gegenstand des Titels 1 zu halten!

Liebknecht: Dann stelle ich den geschäftsordnungsmäßigen Antrag, die sämtlichen Titel des Kapitels zu einer gemeinsamen Beratung zu verbinden.

Vizepräsident: Der Antrag liegt vor; ich muss darüber abstimmen lassen. Ich bitte, dass diejenigen Herren, die dem Antrag Dr. Liebknecht auf Verbindung der Diskussion zustimmen wollen, sich von den Plätzen erheben.

(Geschieht.)

Das ist die Minderheit; der Antrag ist abgelehnt.

Sie haben also das Wort zum Titel 1: „Neubau von Magazingebäuden in Ludwigslust." (Große Heiterkeit.)

Liebknecht: Meine Herren, nachdem Sie diesen Antrag abgelehnt haben, bin ich nicht in der Lage, das, was ich auszuführen beabsichtigte, jetzt auszuführen.

(Heiterkeit und Zurufe.)

Ich muss infolgedessen hier auf das Wort verzichten.

II

Hier handelt es sich um solche Truppenübungsplätze, wo auch Kriegsgefangene untergebracht sind. In diesen deutschen Gefangenenlagern werden Kriegsgefangene, Franzosen, Russen und Engländer, nach einem sorgfältig ausgearbeiteten, von der höchsten Behörde genehmigten Plane systematisch zu landesverräterischem Kriegsdienst gegen ihr eigenes Land gepresst.

(Lebhafter Widerspruch.)

Ich habe die Dokumente darüber in meiner Hand! Es wurde vor kurzem in der Presse als ein grober russischer Völkerrechtsbruch bezeichnet

(Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident Dr. Paasche: Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, der Völkerrechtsbruch hat doch mit diesem Titel, der von der Unterkunft und der Ausstattung auf Truppenübungsplätzen handelt, nichts zu tun. Ich bitte Sie, bei der Sache zu bleiben!

Liebknecht: Es handelt sich darum, dass auf diesen Truppenübungsplätzen in der Tat die Propaganda getrieben wird –

(Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, es handelt sich für uns darum, hier über den Etat zu beraten. Der Titel 84 setzt eine Summe von 58.500 Mark aus zur Ergänzung der Unterkunft und der Ausstattung auf Truppenübungsplätzen. Ich bitte Sie, bei diesem Titel zu bleiben und keine grundsätzlichen Fragen völkerrechtlicher Natur zu erörtern.

Liebknecht: Ich werde keine grundsätzlichen Fragen behandeln, sondern nur Tatsachen anführen. Auf diesen Truppenübungsplätzen ist unter anderem eine irische Brigade gebildet worden nach einem Vertrage, den Unterstaatssekretär Zimmermann Ende Dezember 1914 mit Sir Roger Casement, dem englischen „Landesverräter", geschlossen hat. Sein Wortlaut liegt mir vor. Nach diesem Vertrag werden die englischen Kriegsgefangenen

(Rufe: „Zur Sache!")

in den deutschen Gefangenenlagern zum Kriegsdienst gegen England geworben und ausgebildet.

(Glocke des Präsidenten.)

Meine Herren, des weiteren – –

(Glocke des Präsidenten. – Abgeordneter Dr. Liebknecht will weitersprechen.)

Vizepräsident: Herr Abgeordneter, lassen Sie mich aussprechen! Ich glaube, das Haus wird gleich mir die Überzeugung haben, dass das, was Sie ausführen, mit der Unterkunft und der Ausstattung auf Truppenübungsplätzen nicht im Zusammenhange steht.

(„Sehr richtig!")

Sie sind nicht bei der Sache!

Liebknecht: Herr Präsident, ich weise darauf hin, dass diese Unterkunftsräume der Unterkunft auch solcher Gefangenen dienen, von denen ich eben gesprochen habe.

(Rufe: „Für deutsche Truppen!")

Nein, das ist nicht zutreffend, auf diesen Truppenübungsplätzen sind auch Gefangene untergebracht!

(Große Unruhe. – Zuruf: „Er soll doch erst gebaut werden!")

Der Titel heißt: Ergänzung der Unterkunft und Ausstattung.

Meine Herren, die mohammedanischen Kriegsgefangenen aus der französischen, der englischen und der russischen Armee, die Georgier, die Ukrainer usw., werden in diesen Kriegsgefangenenlagern systematisch zum Kriegsdienst gegen den Staat, dem sie angehören, gepresst und eingefangen.

(Glocke des Präsidenten. – Große Unruhe.)

Vizepräsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, ich muss Sie nochmals zur Sache rufen. Sie gehen über die Mahnung, die ich Ihnen erteilt habe, hinweg und sprechen über Dinge, die mit der Ergänzung der „Unterkunft und der Ausstattung auf Truppenübungsplätzen" nicht das Geringste zu tun haben. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass nach der Geschäftsordnung der Präsident, wenn er Sie zweimal zur Sache gerufen hat und Sie sich wieder von der Sache entfernen, das Haus fragen darf, ob es Ihnen das Wort weiter belassen will.

(„Sehr gut!")

Liebknecht: Meine Herren, diese Dinge verdienen wahrlich ein ernstes Interesse; ich protestiere dagegen, dass Sie mich mundtot machen, wenn ich diese Dinge hier zur Sprache bringe, die ein Schandmal für Deutschland sind, für deutsche Kultur – – –

(Stürmische Zurufe. Glocke des Präsidenten.)

Vizepräsident: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, Sie haben nicht mehr das Wort! Ich werde das Haus fragen, nachdem Sie wieder von der Sache abgewichen sind, ob ich Ihnen das Wort weiter lassen soll.

Ich bitte diejenigen Herren, die dem Herrn Abgeordneten Dr. Liebknecht das Wort weiter erteilen wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben.

(Geschieht.)

Das ist die Minderheit. Ich kann Ihnen das Wort nicht weiter erteilen.

(Zurufe des Abgeordneten Dr. Liebknecht. – Erregte Gegenrufe und große Unruhe. – Andauerndes Läuten der Glocke.)

Ich bitte um Ruhe, meine Herren. Der Herr Abgeordnete Dr. Liebknecht hat nicht mehr das Wort.

(Heiterkeit.)

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