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Karl Liebknecht 19180315 Mitteilungen, Briefe und Notizen aus dem Zuchthaus Luckau

Karl Liebknecht: Mitteilungen, Briefe und Notizen aus dem Zuchthaus Luckau

[IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 282/283; Karl Liebknecht: Politische Aufzeichnungen aus seinem Nachlass Geschrieben in den Jahren 1917-1918. Unter Mitarbeit von Sophie Liebknecht herausgegeben, mit einem Vorwort und mit Anmerkungen versehen von Franz Pfemfert, Berlin 1921, S. 92; IML, ZPA, NL 1/65, Bl. 142-145; Die Aktion (Berlin), 9. Jg., Heft 29, 19. Juli 1919, Sp. 483/484; IML, ZPA, NL 1/25, Bl. 151/152; IML, Moskau, ZPA, Fonds 210/VII, Nr. 1460; IML, Moskau, ZPA, Fonds 210/VII, Nr. 1460; IML, Moskau, ZPA, Fonds 210/VII, Nr. 1460; Die Aktion (Berlin), 9. Jg., Heft 29, 19. Juli 1919, Sp. 484; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 326/327; IML, ZPA, NL 1/27, Bl. 203/204; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 353; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 306; Karl Liebknecht: Politische Aufzeichnungen aus seinem Nachlass Geschrieben in den Jahren 1917-1918. Unter Mitarbeit von Sophie Liebknecht herausgegeben, mit einem Vorwort und mit Anmerkungen versehen von Franz Pfemfert, Berlin 1921, S. 54 f., IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 343/344; IML, ZPA, NL 1/27, 131. 207/208; Karl Liebknecht: Politische Aufzeichnungen aus seinem Nachlass Geschrieben in den Jahren 1917-1918. Unter Mitarbeit von Sophie Liebknecht herausgegeben, mit einem Vorwort und mit Anmerkungen versehen von Franz Pfemfert, Berlin 1921, S. 67 f.; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 275/276; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 339/340; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 252/233; IML, ZPA, NL 1/27, Bl. 246/247; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 304; IML, ZPA, NL 1/27, Bl. 219; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 269; Karl Liebknecht: Politische Aufzeichnungen aus seinem Nachlass Geschrieben in den Jahren 1917-1918. Unter Mitarbeit von Sophie Liebknecht herausgegeben, mit einem Vorwort und mit Anmerkungen versehen von Franz Pfemfert, Berlin 1921, S. 62 f., 59-62, 65-67 und 64 f.; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 280; IML, ZPA, NL 1/27, Bl. 267/268; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 161; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 158/159; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 165; IML, ZPA, NL 1/27, Bl. 552; IML, ZPA, NL 1/27, Bl. 543; Die Kommunistische Internationale (Hamburg), Zweiter Jahrgang, 1921, Nr. 15, S. 6; IML, ZPA, NL 1/27, Bl. 136/137; IML, ZPA, NL 1/27, Bl. 127/128. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 9, S. 435-468]

Die Elastizität (das weite Gewissen) der Friedensresolution vom 19. 7. 17 u. der Reichstagsmehrheit.

Erzberger am 27. 2. 18 im Reichstag: Der Friede im Osten liegt im Rahmen der Friedensresolution. Wir können ihn warm begrüßen. (Ähnlich Fortschrittler!!)

Das zerpflückt Reventlow1 in „D[eutsche] Tgsztg.", Nr. 111 (1. 3. 18): „Der Friedensschluss im Osten lässt sich in der Tat bis jetzt kaum mit einem einzigen Punkt der Resolution in Einklang bringen." Erzbergers Bemerkung ist „eine Täuschung der Öffentlichkeit großen Stils" – in Wirklichkeit: „Zusammenbruch der Resolutionspolitik", die Erzb. zu verschleiern sucht.

Verständigung = Räuberfrieden, Erdrosselung, Halsabschneiden, Zerstückelung. Den Verständigungsharmlosen/-narren/-gläubigen/ – die Narrenkappe! Den Verständigungsheuchlern das Brandmal.

Neues zu: „Klassengegensatz über nationalen Gegensatz" oder Klasseninteresse über Patriotismus

,,D[eutsche] Tgsztg.", 27.2.1918: Der Korrespondent der „Tel.-Union" erfährt aus Petersburg: „Besonders kennzeichnend für die Lage in Russland ist die Tatsache, dass diejenigen Elemente, die sich früher durch den größten Hass gegen Deutschland hervorgetan haben, jetzt die größte Sehnsucht nach deutscher Ordnung und deutscher Hilfe haben."

D. Tgsztg.", 2. 3. 18 (in einem Bericht vom 25. 2. aus Walk): Letten, Esten, Juden, Deutsche und überhaupt alle Besitzenden ohne Unterschied der Rasse und Religion stimmten darin überein: „Es war die höchste Zeit, dass die Deutschen kamen", „wobei die Esten vielleicht noch einige Grad wärmer in der Bekundung dieser Meinung sind" als die Deutschen.

Der Berichterstatter hatte den Eindruck: „dass die Scheidewände, die jahrhundertelang im Baltikum bestanden" (zwischen Deutschen, Esten, Letten usw.), „in der Not der Zeit gefallen sind" (zwischen den Besitzenden der verschiedenen Stämme). Estnische Truppen beschützen deutsche Besitzende und stellen sich – zur Abschlachtung des estnischen Proletariats unter deutschen Befehl.

Ullstein-Presse, 5. 3. 18: „Stockholms Tidningen" schreibt zur deutschen Intervention in Finnland und Besetzung der Ålands-Inseln2: „Vom schwedischen Standpunkt muss man jedoch offen und ohne Vorbehalt, abgesehen von all diesem" (nämlich der Zerstörung der großschwedischen Hoffnungen), „zugeben, dass es jedenfalls weit besser ist, wenn der blutige Anarchismus in Finnland mit deutscher Hilfe überwunden wird, als wenn die russischen Waffen siegten und über Recht, Gesetz, Kultur und Demokratie triumphierten."

An Sophie Liebknecht3

Luckau, 10. 3. 18 (am 492. Straftag, 674. Hafttag – Rest 968)

Mein Allerliebstes!

In aller Morgenfrische, am offenen „Fenster", auf dem Zuschneidetisch, dessen Tage bei mir gezählt sind (vgl. unten). Nach einer Nacht voll guter, starker Träume und zahlreicher Notizen im Dunkel – nach meiner Technik u. Manier. Vorläufig nur Spatzengezwitscher. Wie weht so scharf der Märzenwind. Es riecht nach 1871 in Paris u. 1848/49 allerwärts; u. 1917 in Russland (wo jetzt wörtlich gilt: Que veut cette horde d'esclaves, de traîtres, de rois conjurés, das mir heut durch Mark u. Bein summt u. brennt).

Der anliegende Brief an Willi4 handelt vom Schicksal Deines Briefs, das sich aber ganz anders enthüllte: Er war vom Herrn Direktor zurückgehalten – wegen politischer Bemerkungen – die ja – wie Du vergessen zu haben scheinst – unzulässig sind; nach Ausschneidung des Beanstandeten kam ich in den Besitz aller Deiner persönlichen Worte, die so rührend, so warm sind, so unmittelbar, dass sie Dich mir ganz gegeben haben, in meine Arme, so weit wir auch getrennt sind; u. dass sie mich mit Nektar u. Ambrosia gespeist haben u. – wenn Eros noch der Allmächtige ist – unsterblich machen werden. Was aber das Ausgemerzte betrifft, so weißt Du ja, dass mein Urteil von Deinem nur durch die größere Schärfe abweicht. Und dadurch, dass ich es in Handlung umsetze – in auch individuell-innerlich erlösende Tat – wo immer u. solang ich kann. Gedanklich – durch Analyse der Ereignisse zwecks Aufdeckung der Ursachen des Vergangenen, zwecks Klarlegung der Zusammenhänge des Gegenwärtigen, zwecks Ableitung der Prognose für die Zukunft u. Feststellung der Aufgaben für Gegenwart u. Zukunft – die Ereignisse laufend verarbeiten – schon diese Gedankenoperationen des Politikers, die dem Handeln vorangehen, erheben über die Ereignisse, sie geistig bewältigend. Nicht des sub specie aeternitatis bedarf's hier – wirf einen birds eye view über die Geschichte – u. sei's auch nur im Ploetz5 –, u. Du wirst wunderbar gestärkt sein. Die Zwischenspiele dieser Tage werden Dich nicht mehr verwirren; alles Gedröhn nicht betäuben. Wie klein u. erbärmlich, ja, scheint mir, auch lächerlich sind die Menschen – gerade die, die sich am größten dünken. Zwischenspiele, Zwischenspiele u. inzwischen heißt's für jeden, seine Schuldigkeit tun.6

Denk an Napoleons Dutzendrepubliken (zisalpinische, ligurische, römische, helvetische, batavische, parthenopeische usw.) u. seine Staatenfabrik; an König Jérôme u. seinesgleichen mit ihrer kurzen Herrlichkeit. An seine Inkorporationen u. seinen Rheinbund. Die Kultivierungswirkung freilich ist diesmal mehr als problematisch. Nicht revolutionäre Errungenschaften werden exportiert, sondern ihr Gegenteil. Und nichts ist sicherer Episode, als was den Stempel plumper Opposition gegen die Naturgesetze trägt. Unheil genug kann's freilich bringen.

Das Persönlich-Private, das Schicksal Deiner Mutter, Deiner Geschwister, das freilich ist damit nicht abgetan.7 Dass ich Dir jetzt nicht zur Seite stehen kann, in diesen auffressenden Ängsten, geht mir so nahe, greift mir so in die Seele. Alles bewegt mich wie Dich, jede Zeitungsnachricht, die auf ihre Lage Bezug haben kann. Was wird sich dem Auge bieten, wenn sich die Sintflut verläuft, die chaotischen Dünste verziehen? Noch ist nicht einmal an Nachricht zu denken. Ich möcht' Deine Hand halten und Deine Stirn küssen und Dich nicht von mir lassen.

In 3 Tagen ist's ein Jahr – seit Du vor Deiner Fahrt nach Ebenhausen bei mir warst, zum ersten Mal allein. Und schon sind Monat seit Deinem letzten Besuch (27.12.). Bald hab' ich Dich wieder – auf eine Stunde. Rechtzeitige Nachricht. Wirst Du verreisen? Gewiss hast Du's nötig …

Hier gewaltiger Umsturz: Auf Veranlassung des R[eichs-]Wirtsch.-Amts wird die Schusterei in den Strafanstalten eingestellt, obgleich auf Simons (Nürnberg) Wunsch, wie mir scheint, sinnloserweise. Meine Zukunft liegt im Dustern. Hoffentlich nicht Korbflechterei. Vielleicht einige Wochen Interregnum, „Arbeitslosigkeit", die für mich hieße: arbeiten können, was mein Herz begehrt (cum grano salis). Dann würde ich Bücher brauchen. Frag Rosa8 nach dem „grundlegenden" Werk über Kolonialpolitik, von dem sie mir vor 2 Jahren sprach. Das möchte ich – außerdem vgl. Zettel.

Jedenfalls wird sich mein Zustand umwälzen.

Deine „Befreiungshoffnung" ad 1 wäre mir wenig sympathisch; u. wie ich alles Amnestieartige u. gar ein Geplärre darum zum Teufel wünsche, ist bekannt. Entweder – oder. Vorläufig heißt's noch: In die Zuchthäuser! Nicht: Aus den Zuchthäusern!

Mehrings Erkrankung beunruhigt mich sehr. Ich hoffe, die Besserung hat angehalten u. er ist wieder in Ordnung. Sag ihm das u. meine besten, herzlichsten Wünsche u. meine Gratulation zu seiner Landtagsrede9, die ich freilich nicht gelesen habe (mangels Zeitungsbericht), deren – übrigens selbstverständliche – Vortrefflichkeit sich aber aus einer gehässigen Bemerkung der „Deutschen Tgsztg." ergibt. Wenn er freilich auf der Straße so stürmt, dass solche Konflikte u. Karambolagen passieren, so ist's an der Zeit, Freund Franziskus zu bedeuten, dass er nicht 17, sondern 72 Jahr alt ist! Grüße beide sehr. Desgl. alle Freunde. Auch Julek, der ja in Berlin ist, u. die Seinigen; Käte usw.; Mathilde10, die doch wieder gesund ist? und sich schonen soll; Frau Rosenbaum, die Hoffmänner, Hofer u. Ströbel; aber nicht Deinen Nachbarn, den Johann auf dem Reichskutschbock11! Was ist mit Minster?12

Die Onegin-Übersetzung ist im Ganzen recht gewandt; ich kannte keine annähernd so gute; auch die Erläuterungen begrüßenswert. Ich hatte viel Genuss. Nächstens kommt Anna Karenina, Macht der Finsternis (die ich tollerweise nicht kenne), Dämon, Memoiren aus einem Totenhaus, Tote Seelen, Revisor; dann Nadson u. Lermontow u. Nekrassows Gedichte. – M. W. alles in meiner Bibliothek!! Nadson schenktest Du mir! – Sind übrigens des anderen Tolstoi Sachen (z. B. Zar Feodor – vgl. die „Moskauer" Aufführung 1906) ins Deutsche übersetzt? Auch über Byron (meine grüne Ausgabe) möchte ich mich nächstens hermachen. Aber Hauptfach bleibt Geschichte u. Philosophie. Jahrzehnte möcht' ich studieren – ohne aufzusehen Und zugleich frei wirken können – ohne zu rasten. Ich brauche ein verdoppeltes Leben, um ganz Ich sein zu können.

Jüngst nahm ich die Odyssee zur Hand. Die Kunst ist unvergleichlich. Diese klare Gegenständlichkeit, diese leuchtenden Farben, diese reine Natürlichkeit u. dabei doch wie edel stilisiert. Im Großen u. im Kleinen, Alltäglichen – vergleiche den Anfang des 20. Gesangs – Odysseus in der Nacht – u. dann das erwachende Treiben im Hause am Morgen – welche prägnante Kürze – ein vollendetes Genrebild ans andre gereiht – aber alles durchaus in Handlung aufgelöst. Und im 24. Gesang Agamemnons Schilderung von Achills Tod u. der Trauer um ihn (zu Achills Schatten in der Unterwelt):

Dich umringten die Nymphen, des Nereus liebliche Töchter,

Um dir schluchzend den Leib in ambrosische Kleider zu hüllen.

Alle die Musen, die neun, mit silbernem Ton ineinander

Stimmend, klagten um dich, und ringsum weinten die Krieger."

(Nach einer nicht üblen – etwas gekürzten – Übersetzung von Meyer (Verlag Springer, 1905).)

Die Odyssee ist übrigens eine Epopöe, ein Hohelied der Treue, der Treue des Gatten (der selbst Kalypsos Versuchung u. Unsterblichkeitslockung widersteht!) u. der Gattin, des Sohnes u. der Dienstmannen, ja selbst der Tiere (Hund Argos! – 17. Gesang) u. der Treue zur Heimat – d. h. jener angeblich spezifisch deutschen Tugenden, die im Nibelungenlied u. Gudrun nur einseitig in der Form der Dienstmannen- u. Frauentreue ins Großartig-Ungeheure gesteigert sind. Über die alles – außer der Bibel, den griechischen Tragöden, Dante, Shakespeare u. manches von Goethe – überragende Großartigkeit des Nib.-lieds sind wir einig.

Es ist Nachmittag. Gleich muss ich schließen u. abliefern.

Mittags kamen die Zeitungen – all right u. mille mercis …

Wann seh' ich Dich? Sorg für Dich – ich bin versorgt – könnt' ich nur heraus – es reißt mich heraus. -

Leb wohl! Man kommt zum Abholen – alles Beste.

Ich küsse Dich, streichle Deine Schläfen, umarme Dich – Liebste – denk an mich wie ich an Dich – u. halte Dich aufrecht – stark, stolz – u. wären's zehnmal mehr u. ansehnlichere Feinde als heut – wir stehen zusammen – Du u.

Dein Karl

Beim Besuch also das Rüst.Man.13 zur Ansicht mitbringen! …

Das Fazit von Brest

Das Fazit von Brest ist nicht Null, selbst wenn es jetzt zu einem brutalen Unterwerfungsfrieden kommt.

Durch die russischen Delegierten wurde Brest zur weithin vernehmbaren revolutionären Tribüne. Es brachte die Entlarvung der Mittelmächte, die Entlarvung der deutschen Raubgier, Verlogenheit, Hinterlist und Heuchelei. Es hat das Verständigungsgeschwätz der ehrlich Harmlosen ad absurdum geführt. Und ein vernichtendes Verdikt über die deutsche „Mehrheits"-Friedenspolitik gefällt, die nicht sowohl scheinheilig als vielmehr zynisch ist. Es hat in verschiedenen Ländern bedeutsame Massenbewegungen zu entfesseln vermocht. Und sein tragischer Schlussakt – die Interventionen gegen die Revolution, der neue Vormarsch gegen ein demoralisiertes, friedenheischendes Volk, das infame Friedensdiktat, dieser Beginn des nächsten Krieges – hat jede sozialistische Fiber aufgewühlt. Er wird nicht verfehlen, die Völker der Westentente zum leidenschaftlichen Widerstand gegen das deutsche Hunnentum, zum Widerstand bis auf den letzten Blutstropfen aufzupeitschen. Es wird sich zeigen, welche Ernte den heutigen Triumphatoren aus dieser Saat reifen wird. Sie sollen ihrer nicht froh werden. Der Fluch der Welt wird auf ihnen lasten – bis zu ihrem Untergang und solang Menschen ihrer gedenken werden.

Fazit von Brest

Entlarvung, trotz alledem hohes Verdienst. Die Welt weiß nun, wie's steht. Wichtig auch für Urteil über deutsche Mehrheitspolitik – Räuberpolitik à la Petit-André, Henker, Scheinheiligkeit.

Und das Verständigungsgeschwätz ad absurdum geführt. Und revolutionäre Erfolge in den Randgebieten, in öster. u. vor allem Deutschland.

Brest als revol. Tribüne.

Wenn jetzt Frieden, so dazu noch Intervention in Ukr. u. Finnland erschwert.

Die Revolution dauert fort – trotz Frieden; nur verstärkt unmittelbare revolutionäre Beeinflussung durch das hergestellte Verhältnis möglich (vgl. wie jetzt in England! Litwinow!14); da wird nicht nachgelassen, sie sollen ihr blaues Wunder erleben!

Die Lage der ukr. Sowjetregierung nach Anerkennung des Friedens mit Ukr. durch Petersb. Sowjetregierung usw. noch ebenso gut – viell. sogar besser. Wenn Intervention Deutschl.s für Bourgeoisie, so Intervention des russ. u. intern. Prol. für Sowjets.

Br[ester] Frieden. Immerhin so besser, als wenn der deutsche Imper. nach formellem Abbruch der Verhandlungen völlig ungehemmt wäre. Jetzt wird eine Fortsetzung der deutschen Offensive gegen Russl. noch aufreizender wirken als bei Abbruch der Verhandlungen. (Freilich der Ausgang der Verhandlungen an u. für sich nicht so propagandistisch wie ein Abbruch!)

Zum Br[ester] „Frieden"

Ihre [der Bolschewiki] weitere Politik muss zeigen, wie der jetzige Abschluss in Brest abschließend zu bewerten ist. Er darf kein bloßes Ausweichen vor der Übernahme der Verantwortung für Annexionen etc. sein, sondern muss sein eine bloße Etappe in dem unbeirrt weiterlaufenden revolutionären Kampf im Prozess der sozialen Revolutionierung Russlands und der übrigen Welt, der Revolutionierung der übrigen Völker durch Kampf. Beispiel – Wort – Tat!

Militärische Wirkung des Br[ester] „Friedens"

Durch den soz. Charakter der jetzigen russ. Revol., die formell-militärisch „wehrlos" gemacht ist, doch sehr starke Truppen der Mittelmächte im Osten gebunden – vielleicht mehr als bei Fortsetzung des Krieges nach Schema F – Polen! Ukraine! Letten! Esten! Evtl. Finnland und auch somit Russland selbst. U. auch in den schon besetzten Gebieten (da die revol. Stimmung übergreift! Vgl. das besetzte Polen!!).

Zur Schwenkung der Sowjetregierung in der Friedensfrage

Die ursprüngliche Taktik konnte nur bei radikalsten Konsequenzen – bis zur Preisgabe Petersburgs usw. – und zur Eröffnung des revolutionären Kriegs gegen den Eroberer in den Straßen Petersburgs erfolgreich sein. Eine solche Konsequenz war aber nur möglich beim Einverständnis der überwiegenden Masse des russischen Volks, vor allem der Petersburger Bevölkerung. Sich ohne deren Einverständnis ins Innere Russlands flüchten und die Volksmassen ihrem Schicksal überlassen, das war für eine sozialistische Regierung unmöglich. Offenbar ist die Masse vor dieser letzten Konsequenz zurückgeschreckt, sie vermochte nicht mehr zu folgen. Sie hat mehr erduldet und geleistet als alle anderen Völker, über menschliches Maß, über alles, was die Geschichte kennt. Neben den grausigen Kriegsopfern fressende Hungersnot, zerfleischender Bürgerkrieg, wirtschaftliche Auflösung, mit der der sozialistische Wiederaufbau nicht Schritt halten konnte, die Streiche von tausend inneren und äußeren Feinden – jetzt das Halali, der letzte Fangstoß für das gehetzte Wild. Es war zu viel.

Billig ist's, jetzt über die Fehler der Lenin/Trotzki zu Gericht zu sitzen. Weit entfernt, dass der jetzige Ausgang für die Weiterentwicklung schlimmer sei, als ein Einlenken in Brest Anfang Februar gewesen wäre. Das Gegenteil ist der Fall. Ein solches Einlenken hätte das frühere Widerstreben und Sträuben in das böseste Licht gesetzt, die schließliche Nötigung als „vis haud ingrata" erscheinen lassen. Der himmelschreiende Zynismus, die Bestialität des deutschen Schlussauftritts drängt alle Verdächtigungen zurück. Die aufreizende Wirkung wiegt – revolutionär-propagandistisch betrachtet – die kalmierende wenigstens auf.

Die Erdenschwere hat den hohen Flug niedergerissen. Das Versagen des Proletariats – nicht des russischen: das hat seine Schuldigkeit hundertfach getan! – sondern des deutschen Proletariats ist der letzte Grund aller andren Gründe der russischen Katastrophe. Als Märtyrer für die Sünden des deutschen Proletariats kann der russische Sozialismus, das russische Proletariat sein Haupt stolz erheben, auch in seinem tiefsten Fall. Das deutsche Proletariat aber hat seine Ehre im Spiel; es muss alles tun, sie zu retten; seine Ehre und damit sein Geschick und das Geschick des russischen und des Proletariats der ganzen Welt.

Russ. Frieden u. Zuchthaus

Eine eigenartige Feier des russ. Friedensschlusses erlebte ich am 5. 3. Die Zuchthäusler gaben ihren einschlägigen [?] Gefühlen Ausdruck durch das Lied „Lobe den Herren" (am 5. 3. 18).

Ich will ja den kleinen Räubern u. Halsabschneidern nicht zu nahe treten. Ich glaube bemerkt zu haben, dass mancher von ihnen über das Werk der Größten ihrer Zunft, über die Glanzleistung der Hohenzollern u. Habsburger, schamhaft errötete; aber immerhin: In dieser Friedensfeier lag Stil!

[An den Rand geschrieben:]

Räuberfrieden. Erdrosselungs-, Zerstückelungs-, „Verständigungs"-Frieden.

Die Vorgänge im Osten haben den „Verständ."narren die Narrenkappen aufgesetzt.

Die jetzigen Bourgeoisregierungen, ukr. Rada u. in Finnland, zum guten Teil in Deutschland gemacht – ihr „sozialistisches" Gesicht ebenso Berliner Trick!! – u. von deutschem Repräs.geld.

Zu Litauen: vgl. Reventlow15 27. 2. 18 („Deutsche] Tgsztg.", 106):

Die reifenden Früchte des Litauenrummels": „Hätte Erzberger alles gesagt, so würde er haben erzählen müssen, dass die Unabhängigkeitserklärung des litauischen Landesratsbeschlusses u. die Forderung nach Anerkennung durch das Deutsche Reich überhaupt nicht in Litauen, sondern in Berlin gemacht worden ist u. nur von Nichtlitauern." Er spricht weiter von Veranstaltern u. Drahtziehern des jetzigen Litauenrummels in Berlin. Dieser lit. Landesrat bzw. seine deutschen Hintermänner haben die Entschließung durchaus gegen den Willen der zuständ. u. verantwortl. Behörden in Lit. gefasst. – Diese „zuständ. u. verantwortl. Behörden" Reventlows sind natürlich erst recht in Berlin gemacht (u. ihr Wille). Sie haben also Reventlows volles Vertrauen, weil sie auch gegen „Unabhängigkeit" sind. Dabei nennt R. auch Scheidemann und Ledebour ü R. will Abhängigkeit vom Reich, Bündnis …16

Reventlow will's ½ zu Deutschl., ½ zu Russl. haben.

Reventlow: „Der in Deutschland übliche Befreiungsrummel." = „Rummel". „Wie's gemacht wird."

Die „Befreiungs"sehnsucht der „Fremdvölker" zum größten Teil made in Germany – das sonst Heiligste jetzt staatlich zur Drapierung der größten Schurkereien genommen – Mephisto im Priester-Messgewand, das ist die große Mode der Politik, dernier cri de Berlin.

Von Irland – Casement – bekannt; vgl. die Revol. etc. -Propaganda in Deutschland – auch außerhalb der Gefangenenlager: Russen, Finnen etc. (der Besuch des Genossen bei mir). „Liga der Fremdvölker" usw. – geradewegs deutsches Fabrikat. In Gefangenenlagern: Georgier, Ukrainer etc. Über Ukr. vgl. Budgetkommission Reichstag, Mitte Sept. – glatt zugegeben – militär. ausgerüstet fortgeschickt,

Eigenfabrikat u. bestellte Arbeit

Zum russ. „Frieden".

Deutsches Eigenfabrikat sind die Regierungen wie Polens, so der Ukr., Finnl., der baltischen Provinzen, von denen sich die Mittelmächte dann ihre Friedensbedingungen „bewilligen" lassen: Der Räuberhauptmann diktiert mit, lässt sich von seinen Spießgesellen aber das geraubte Gut schenken. Die Friedensschlüsse in diesem Sinn stärkere made in Germany!

Bestellte Arbeit sind die Bittgesuche um „Intervention", sind die „Beschlüsse" von Landesvertretungen, Regierungen usw. über Angliederungen, Thronanerbietungen à la Kurland17 – gegen die man sich heute noch sperrt – um so besser wird die spätere Annahmekomödie wirken (gefallen). Auch Cäsar ließ sich die Krone dreimal anbieten u. lehnte sie dreimal ab – u. nur um so berechtigter traf ihn des Brutus Stahl!

Nessus! Patriotismus u. Klassengegensatz

Der russ. Friede ist das Ergebnis eines Verrats der (kleinruss./ukr., finn., poln. usw.) Bourgeoisie am russ. Volke: aus Angst vor u. aus Hass gegen das revol. Proletariat verübt; der ukrain. Friede u. die Haltung der finnischen, polnischen usw. Bourgeoisie ist dieser Verrat.

Klassengegensatz über Patriotismus: das ist die Praxis der besitz. Klassen; bisher nur die Theorie des Proletariats, bald aber, so hoffen wir, dem Druck der besitz. Kl. weichend, auch seine Praxis.

Fortsetzung des Kriegs gegen Russland nach Friedensschluss

Dem Bruch des russischen Waffenstillstandes durch Deutschland, der dem Überfall auf Belgien zu vergleichen ist, folgt jetzt nach Abschluss des Erdrosselungsfriedens ein Verhalten Deutschlands, das nichts anderes ist als eine Fortsetzung des Krieges. Bei dem Marsch durch das noch keineswegs von Russland abgetrennte Bessarabien und das noch keineswegs von Russland der „Ukraine" überlassene Gebiet östlich des Dnjepr, nach Odessa, von dem dasselbe gilt, ist das unzweideutig! Ebenso bei der ganzen „Intervention" in der Ukraine gegen russische Truppen; soweit diese „Intervention" hilft, strittige Gebiete für die eroberte Ukraine gegen Russland zu erobern, soweit es sich überhaupt um ein Eingreifen in den Krieg zwischen Russland und der Rada-Regierung handelt. Wenn Russland auch die Pflicht auferlegt ist, mit der Ukraine Frieden zu schließen, so ist doch dieser Friede nicht zustande gekommen.

Nicht anders liegt es mit den militärischen Unternehmungen Deutschlands auf Åland und auch in Finnland. Wenn die russische Regierung nach dem Friedensvertrag ihre Truppen aus der Ukraine und Finnland zurückzuziehen hat, so erfordert das, zumal bei dem schwierigen Materialtransport, naturgemäß geraume Zeit; und selbst eine unnötige Verzögerung würde noch keineswegs ein sofortiges Losschlagen, wie es hier geschah, rechtfertigen. Auch die materielle und moralische Unterstützung (vgl. ,,D[eutsche] Tgsztg.", 14. 3. 18 usw.) der polnischen (zur Erleichterung der anderwärts geplanten Amputationen!) und litauischen Bestrebungen, sich über die im Friedensvertrag festgesetzte Linie nach Osten auszudehnen, ist ein kriegerisch-feindlicher Akt – nach Friedensschluss.

Nicht anders der Schlussakt in Livland und Estland. Der Vorstoß aber auf die Murmanbahn soll Russland in Europa die letzte freie Verbindung mit den Westmächten (auch den Neutralen) abschneiden; vergleiche besonders die wiederaufgenommenen wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen zu Amerika und Frankreich. – Auch der „Friede" ist eben ein Machtverhältnis, nur in anderer Erscheinungsform als der Krieg, dem er sich aber selbst in Bezug auf die angewandten Mittel so sehr nähern kann, dass die Grenze vollends verfließt. Auch Friede ist nur ein Wort, dessen Sinn letzthin durch die Gelüste und Möglichkeiten der brutalen Gewalt bestimmt wird.

Weitere Kriegs-Chancen für Russland

Mitte März 1918

I. Dass die Mittelmächte den Krieg gegen Russland trotz der Unterzeichnung des Friedensvertrags ungeniert fortsetzen, ist anderwärts gezeigt (Mitte März 18) (Marsch nach Odessa am augenfälligsten!).

II. Wird der Moskauer Sowjet-Kongress den Frieden ratifizieren?18 Die Frist von 14 Tagen ist verstrichen!

III. Wie würde sich die Fortsetzung des Krieges voraussichtlich gestalten?

a) Wie werden sich die Mittelmächte verhalten?

1. Sie werden in ihrer ukrain., finn., baltischen, polnischen, lit. Haltung fortfahren – d. h. ihre Interventionen fortsetzen.

2. Sie werden das ganze Schwarze-Meer-Gebiet der „Ukr." erobern helfen, Polen u. Lit. erweitern. Livl. u. Estl. unbemäntelt einstecken.

3. Es ist damit zu rechnen, dass sie Kronstadt u Petersb. (Putilow) besetzen.

4. Die Ostsee- u. die Schw.-Meer-Flotte werden sie zu kapern suchen.

5. Ev. auch sonst Vormarsch.

b) Zu a) 1. u. 2. ist nichts Neues; der Marsch bis Don wäre sehr gefährlich. Desgl. zu 5. Desgl. für Mittelmächte Petersburg. Nur Putilow u. Flotte in ihre Hände fallen lassen, bedenklich.

c) Welche Möglichkeiten bestehen für Russland?

1. Militär. Hilfe durch Japan – kaum durchführbar, kaum Neigung, weder bei Japan noch bei Russl.: u. wenn, so sehr gefährlich für Russland.

2. Revol. Verteidigung im Kleinkrieg; in Städten etc. – nach Art der revol. Kämpfe gegen eigene Regierung etc. Das könnte bes. in Petersburg wirksam sein, dessen Besetzung für Deutschl, sehr gefährlich.

3. Flotte: im Schwarzen Meer stärker als die der Mittelmächte! Kampf aufnehmen? Ev. bis Rostow zurückziehen – u. wenn Not, zerstören, desgl. Ostseeflotte äußerstenfalls zerstören: keinesfalls in deutsche Hände; ev. in schwedische Häfen?

4. Eventuell: Petersburg usw. für selbständig. Staat erklären, desgl. andre bes. gefährdete Teile u. von diesen separat ratifizieren lassen? So das Selbstbestim.-Postulat zu einer revolutionären Wirkung erweitern u. realisieren? Aber kaum erfolgreich!

Die Mittelmächte würden neue Bedingungen setzen, noch schärfere, u. alles nehmen.

5. Immerhin bes. wichtig, dass Putilowwerk u. Flotte nicht in deutsche Hände. Aber Putilow ohne Rohstoffe, ob ev. zerstören.

Von Okkupationen, Sicherungen u. Verwandtem

Von „Pacht"-, „Pfand"- u. Ägyptisierungsverhältnissen ganz zu geschweigen.

Wie lange „Besetzungen bis zur Herstellung geordneter Staatszustände" dauern können, lehrt Braunschweig19 u. a., an die vieljährige französische Besetzung deutschen Landes vor hundert Jahren braucht nur erinnert zu werden.

Dass die Besetzung Ålands, Finnlands, Estl. u. Livlands wie der Ukraine (von Polen abgesehen) u. Kurlands zugleich „reale Garantien" gegen diese Gebiete – gegen Rumpf-Russland sind, liegt auf der Hand: Sicherungen für die Erfüllung der bisherigen Zugeständnisse (Zusagen), Bedrohungen bei Nichterfüllung oder „unfreundlicher" Haltung, aber auch Pressionsmittel für weitere, neue Wünsche – gegenüber den „Randstaaten", gegenüber Russland u. allen benachbarten Gebieten. In diesem Sinn sind alle besetzten Gebiete, auch die, deren Verbleiben unter russischer Souveränität u. spätere Rückgabe feierlichst zugestanden ist, Faustpfänder ad infinitum, für die politische u. wirtschaftliche Friedenserfüllung nach deutschem gustum u. alle sonstigen deutschen Begierden (Begehrungen).

Das „Zugeständnis" von dem Bussches u. Erzbergers in Bezug auf Estl. u. Livland20 ist ein erpresserischer Gedanke – schlimmer fast als der sofortige einfache Raub, den die Alldeutschen fordern.

Über Faustpfänder, reale Garantien und Verwandtes

Napoleon hielt Preußen, ohne es zu „annektieren", als Faustpfand bis 1813 „besetzt"; Österreich hielt Bosnien und die Herzegowina 31 Jahre lang „okkupiert" – um sie dann zu „annektieren"; Preußen hat bis zum heutigen Tag noch keinen Frieden mit der hannoverschen oder kurhessischen Regierung geschlossen und doch diese Länder einfach eingesteckt; es ist sogar, wie bekannt, einem Friedensschluss mit beiden Regierungen, den diese suchten, geflissentlich aus dem Wege gegangen, weil es so seine Annexions- und Welfenfonds-Pläne bequemer durchführen konnte. Verweisen wir noch auf die früheren, oft jahrhundertelangen „Pfand"besitze an allerhand Gebieten, auf die „Pacht" von Kiautschou usw., auf den einstmals türkischen Besitz in Nordafrika und seine „völkerrechtlich" wundersamen Schicksale, auf Persien und Afghanistan, auf das deutsch-englische Abkommen über die Teilung der Türkei und der portugiesischen Kolonien21 und den zynischen Kommentar Lichnowskys22 dazu, so genügt diese kleine Probe aus dem unerschöpflichen Material der Geschichte, um sich die für die jetzt faktisch okkupierten Gebiete und sonst tatsächlich geschaffenen „Sicherungen", „reale Garantien", „Faustpfänder" usw. bestehenden Möglichkeiten auszumalen. Man kann versichert sein, dass Deutschland sich den Teufel um Verträge, Formen, Völkerrecht scheren wird; „sei im Besitze, und du bist im Recht"; dass es nichts versäumen wird, um alle politischen, aber auch alle wirtschaftlichen Vorteile (vgl. Ukraine), die ihm irgend erreichbar erscheinen, sich nicht nur vertraglich versprechen zu lassen – daran wird ihm verflucht wenig liegen –, sondern tatsächlich zu verschaffen und mit gepanzerter Faust zu sichern – auch gegen Völker, mit denen es formell im Frieden lebt: Das jetzige Verfahren im Osten gegen Russland und Rumänien wie die ganze bisherige Geschichte Preußens, des zusammen geräubertsten Landes der Welt, predigt das mit tausend Zungen.

März/April 1918.

Zum deutsch-russ. „Friedens"vertrag

1. In diesem Vertrag Russlands Grenzen nach Westen zunächst in Art. …23 so gezogen, dass Livland (außer Riga usw.) u. Estland unter russischer Staatshoheit bleiben.

In Art. … aber Livlands u. Estlands milit. Besetzung („Polizeitruppe") durch Deutschland u. ihre Räumung durch Russland bestimmt. Über die Zukunft dieser Gebiete sagt der Friedensvertrag sonst nichts. Formalrechtliche Interpretation führt zur Annahme, dass sie schlechthin unter russ. Souveränität bleiben u. später von deutschen Truppen geräumt werden müssen. Aber es fehlt die Bestimmung des Zeitpunkts der Räumung; u. Hertling erklärt zwar: Deutschl, wolle Livl. u. Estl. nicht angliedern (?), aber zugleich wird offiziös erklärt, dass sie „selbständige Staaten" werden sollten – u. zur Illustration dieser Selbständigkeit u. des großen Unterschieds in der Stellg. von Kurland, Lit. u. ihnen wird ein gemeinsames Kommissariat für alle diese Gebiete in Berlin eingesetzt. Was soll das? All das zeigt den wirklichen Sinn der differentiellen Behandlung, die wirkliche Absicht, den wirklichen Charakter der künftigen „Selbständigkeit".

Die russische „Westgrenze" ist imaginär, eine hohnvolle Vorspiegelung, eine spöttische Redefigur, eine Infamie. Der entscheidende Punkt ist absichtlich unklar gelassen – durch die deutsche militärische Besetzung u. die Erzwingung der russ. Räumung u. Demobilisation aber einfach de facto im deutschen Annexionssinne erledigt. Die später etwa noch beliebte förmliche Vereinbarung mit Russland bleibt nur noch eine nichtige Formalität.

2. Ganz ähnlich mit Ålands-Inseln, die im deutsch-russ. Vertrag wohl (?) gar nicht erwähnt, aber im deutsch-finnischen – auch deutsche „Servitut" –, den Russland gezwungen wird anzuerkennen, während es gleichzeitig zur Demobilisation gezwungen wird – indessen Finnland, d. h. die finn. Bourgeoisie, nicht zu demobilisieren braucht u. außerdem deutsche Truppenhilfe erhält (Intervention) – gegen Russland u. das finn. Proletariat. Kurz, Russland wird gar nicht über Finnland gehört; einfach ein De-facto-Zustand geschaffen.

Durch die Erzwingung der Zustimmung Russl.s zu deutsch-finn. Frieden, durch die Erzwingung des russ.-finn. Friedens, durch die erzwungene Demobilisation Russlands, während die finn. Bourgeoisie nicht demobilisiert, sondern mobilisiert u. zur Niederwerfung der finn. Revolution (rote Garde) noch die Hilfe der deutschen Intervention erhält, durch all dies alle Aspirationen (territoriale, staatsrechtliche, innerpolitische, soziale) der finnischen Bourgeoisie – auch solche, die im deutsch-russischen u. selbst im deutsch-finnischen gar nicht erwähnt – de facto zugunsten der besitz. Klassen Finnlands gegen Russland entschieden! Die Verträge Firlefanz – selbst diese Verträge!

3. Finnische Stellg. („Freiheit"):

Die deutsche „Servitut" (d. h. Dienstbarkeit Finnlands gegen Deutschl.!) u. Intervention: De-facto-Besetzung auch zum Druck gegen herrsch. Kl. in Finnland! Die ja nicht glauben sollen, dass Deutschl, auch nun ihnen aus Klassensolidarität selbstlos hilft; es nutzt auch diese Gelegenheit u. schafft sich durch Intervention u. Besetzung (Åland) eine De-facto-Position in Finnland auch gegen die Bourg.-Regierung. – Schon verlautet von der Thronkandidatur eines Hohenzollernprinzen – nur nicht blöde! denken die Herrschaften –, u. doch werden sie sich verrechnen – auch in Bezug auf die finn. Bourg.! Auch die kennt Grenze der Nachgiebigkeit u. kann nicht den Zarismus durch deutsche „Servitut" ablösen – ohne ihre eigene Herrschaft in Frage zu stellen.

März/April 1918.

Die Zwecke für Besetzung der Ukraine

(Gründe für das Einrücken in die Ukraine, desgl. Finnland)

Die „Intervention", der friedliche Einmarsch in die Ukraine, erfolgt nicht nur zur Sicherung des Nahrungsmittelraubs, den sie sich von der ukrain. Bourgeoisregierung von Deutschlands Gnaden, d. h. von der eigens zu diesem Zweck von ihnen selbst als „Regierung" kreierten käuflichen Koterie bewilligen ließen, nicht nur zur schnelleren Erzwingung dieser kommandierten Lieferungen, sondern auch zur Verstärkung des Drucks auf Großrussland u. Rumänien; auch nicht nur dazu, sondern auch als Eingriff in die sozialen Kämpfe, u. zw. nicht nur gegen die russ. Bolsch., sondern auch gegen die ukr. Prolet. u. Bauern u. überhaupt die ukr. Volksmassen – insoweit die ukr. „Regierung" u. Bourgeoisie unterstützend; aber auch nicht nur diese, sondern auch gegen die ukrain. Bourgeoisie, gegen die ukr. Pseudo-Regierung, ihre eigne Kreatur, gerichtet: um sie zu fesseln, zu binden, die Abhängigkeit dieser unabhängigen Regierung von Deutschl, durch Begründung einer de facto militärischen Herrschaftsstellung in der Ukr. selbst handgreiflich so eindringlich ad oculos zu demonstrieren – auch der ukr. Bourgeoisie nachdrücklich (deutlich) zum Bewusstsein zu bringen u. so ihre weitere Gefügigkeit zu garantieren – allen Gelüsten nach Extratouren, nach wirkl. Selbständigkeit von vornherein vorzubeugen (im Keime zu ersticken). Ganz à la Finnland!

Fürwahr ein schöner Verständigungsfrieden – selbst der mit der Ukraine u. Finnland.

Und was wetten – bald wird auch der obligate deutsche Prinz als Prätendent – oder zumindesten Aspirant auf den ukrain. Thron – auftauchen, wie der auf den finnisch. Thron der staunenden Welt ja bereits vorgestellt wurde (ist).

März/April 1918.

Die übertroffene Räubermoral!24

Sie schalten u. walten in der „Ukraine" usw. schlimmer, als wenn sie erobertes Land wäre! – Wirtschaftlich – politisch – außen- u. innerpolitisch; sie rauben, würgen, richten, wurzeln sich ein, bestimmen die Schicksale der Territorien, ihre Grenzen – u. nennen das Intervention – gewiss wahren sie schon nicht einmal mehr den Anstand, wenigstens für die gehörigen „Hilferufe" zu sorgen, ob u. inwieweit sie eingreifen [?] – sie präservieren eine generelle Blankovollmacht – von ihrer „Regierung".

Und das alles in „selbständigen" Ländern, gar in „unabhängigen"!

Unerlaubte Selbsthilfe, unerlaubte wohlgemerkt, kann nicht einmal als deckende Formel benutzt werden. Selbst das „alles verstehende Völkerrecht" versagt bei diesen Räuberpraktiken.

März/April 1918.

Von diesem Frieden wird es bei allen Völkern im Osten heißen (wie von dem Tilsiter Frieden25): „Der Frieden … gab uns seine Segnungen nicht. Denn er schlug uns tiefere Wunden als selbst der Krieg", u. „dass des Kaisers Verträge mehr noch wie seine Kriege uns langsam verderben mussten". („An mein Volk".)

März/April 1918.

Zum russ. Frieden

Deutsch-schwedischer Gegensatz – durch die alles erdrückende Vormachtstellung Deutschlands in der Ostsee (absolute Ostseeherrschaft), durch die Ålands-Politik (Besetzung; Verschiebung an Finnland!) – u. durch die finnische Klausel (über Staatsgebiets-Veränderung), die sich auch gegen Schweden richtet, sehr intensiv.

März/April 1918.

Dialektisch-antagonistische Wirkung der Annexionen

Der revolutionierende Einfluss der Fremdvölker, der in Russland, aber auch Österreich u. Türkei, bedeutsam wirkte, wird nun Deutschland erfassen – dem aktionsunfähigen deutschen Proletariat Mores beibringen, es aus dem Schlaf rütteln, peitschen: – Polen – Letten[?] – Belgier – Balkan usw.

März/April 1918.

Wirkung von Brest

Zersetzung der Disziplin („Moral") in den Truppenteilen, die an Ostfront von Russen infiziert – bei Verschickung nach der Westfront dahin getragen: Desertionen im Großen; u. ihre Verteilung, Zersplitterung u. Vermischung mit anderen Truppen kann die Gefahr leicht vergrößern – ja, muss sie von einer gewissen Grenze der Demoralisation ab vergrößern (steigern, erhöhen)!

März/April 1918.

Revolutionierung der Armee

Eine Erhebung, ein Widerstand oder eine sonstige revolutionäre Aktion, auch eine planmäßige passive Resistenz im Heere kann beim Mangel an Erfahrung, Übung, Tradition unter deutschen Verhältnissen schwerlich an der Front selbst organisiert werden; die Zersplitterung, die Schwierigkeit der Verbindung und Verständigung mit den zunächst doch zerstreuten und vereinzelten Gleichgesinnten ist kaum überwindlich, höchstens wo in einem größeren Truppenteil zufällig eine beträchtliche Menge Gleichgesinnter zusammengeführt oder durch besondere Umstände geschaffen sind, liegt es anders.

Die vorbereitende Arbeit dafür muss im Wesentlichen hinter der Front geleistet werden – an der Jugend und dem älteren Ersatz vor der Einziehung, an den Eingezogenen bevor sie nach der Front rücken – an den Frontsoldaten während der Urlaubszeiten; ergänzend durch Korrespondenz.

Natürlich müssen die objektiven Voraussetzungen für solche revolutionären Massenaktionen im Heere vorliegen; begründet in der sozialen, wirtschaftlichen, politischen Gesamtlage, in der Regel nur als eine Teilerscheinung der revolutionären Reife des gesamten Proletariats als Klasse in und außerhalb der Armee, so dass revolutionäre Aktion im Heere und außerhalb des Heeres einander in der Regel bedingen.

Diese Selbstverständlichkeit braucht man jedoch am wenigsten in Deutschland zu betonen, wo die frische Entschluss- und Tatkraft fortwährend durch Erwägungen und Bedenklichkeiten erstickt wird.

März/April 1918.

Bemerkungen über die Wirkung der Revolution auf die kriegerische Kraft des revolutionierten Volkes

Steigt oder sinkt bei einer revolutionären Auseinandersetzung die kriegerische Leistungsfähigkeit des revolutionierten Volkes gegenüber dem äußeren Feinde? Oder bleibt sie dabei unverändert?

Auf diese einfache Frage, die gleich kritisch ist, ob nun die Revolution während eines Krieges oder ein Krieg während der Revolution ausbricht, gibt es keine einfache Antwort; auch die oft gehörte: dass die Revolution jedenfalls die kriegerische Verteidigungskraft stärke oder mindestens nicht herabsetze, ist in der Allgemeinheit falsch.

Es gibt keine einfache Antwort, weil die Frage nur scheinbar einfach ist, in Wirklichkeit aber zahllose Fragen einschließt, deren jede für sich zu beantworten ist.

Was heißt „Revolution"? Was heißt „Krieg"? Was heißt „kriegerische Leistungsfähigkeit"? Was heißt „äußerer Feind"? So viele Distinktionen in diesen verallgemeinernden Sammelbegriffen enthalten sind, so viele verschiedene Materialisationen jeder von ihnen findet, so viel verschiedene Kombinationen davon die realen Einzelfälle bieten – so viel verschiedene Antworten gibt es auf jene Frage …26

Die Sache liegt sehr viel anders, wenn es sich z. B. um eine bürgerliche oder eine proletarische Revolution – oder eine brodelnde Mischung von beiden handelt; wenn sich die um die Herrschaft ringenden gesellschaftlichen Faktoren annähernd die Waage halten oder der revolutionäre Faktor die ihm entgegenstehenden weit überwiegt; wenn der Kampf um die Macht sich rascher oder langsamer vollzieht, wenn er in der Hauptsache zum Abschlusse kommt, ehe der Krieg in die entscheidende Phase tritt oder nicht; wenn die durch die Revolution, die inneren Kämpfe verbrauchten und gebundenen Kräfte größer oder geringer sind. Wohl werden die an der Umwälzung beteiligten gesellschaftlichen Faktoren während ihrer revolutionären Auseinandersetzung in der Regel größere, intensivere, aktivere Kräfte entfalten als sonst; aber wird darum auch die Summe der gesellschaftlichen Kraft größer sein, die gegen den äußeren Feind zu Gebote steht? Heben sich die gesteigerten Kräfte nicht so weit auf, dass diese Summe geringer ist als vorher? Gewiss muss jede wirkliche Revolution, d. h. jede gesellschaftliche Umgestaltung, die gesellschaftliche Fortentwicklung bedeutet, letzten Endes auch zu einer Steigerung der gesamtgesellschaftlichen Kräfte führen; ob aber zur Steigerung der kriegerischen Kräfte, bleibt dahingestellt, und nicht minder: ob und inwieweit diese Steigerung schon während der revolutionären Auseinandersetzung und rechtzeitig eintritt, um im gesetzten Falle gegen den äußeren Feind verwendet werden zu können: Das Zeitmoment spielt gerade im Kriege eine ausschlaggebende Rolle.

Die Sache liegt sehr verschieden je nach der Art der Kriegführung, der Entwicklung der Kriegskunst, der Waffentechnik; und sehr verschieden je nach der Art der sozialen, auch wirtschaftlichen und moralischen Kräfte, die die kriegerische Leistungsfähigkeit auf der konkreten Entwicklungsstufe und im gegebenen Falle ausmachen. Sehr verschieden liegt sie je nach der kriegerischen Leistungsfähigkeit des Kriegsgegners, vor allem aber je nach seinem gesellschaftlichen Charakter und dem daraus folgenden Charakter des Krieges: Davon hängt unter anderem ab, wie die Revolution auf ihn, den Kriegsgegner des revolutionären Volkes, wirkt, ob und wie sie auf ihn übergreift, ja, ob sie nicht den Krieg gegenstandslos macht – wie z. B. die proletarisch-sozialistische Revolution den Krieg der früheren imperialistischen Regierung gegen ein proletarisch-sozialistisches Gemeinwesen schlechthin aufheben würde und auch sonst die Stellung der neuen, revolutionären Regierung zum Kriege eine andere, auch völlig entgegengesetzte sein kann als die der alten.

So ist jene allgemeine Frage in jedem Einzelfall durch zahlreiche Vorfragen zu spezialisieren und zu präzisieren, ehe sie beantwortet werden kann: Um welche Art Revolution handelt es sich? Welchen gesellschaftlichen Faktor bringt sie an Stelle welches anderen zur Herrschaft? Bei welchem Kräfteverhältnis zwischen den konkurrierenden Faktoren, unter welchem Kräfteverbrauch, in welcher Zeitspanne und in welchem Stadium des Krieges vollzieht sich die Umwälzung? Welche Aufgaben verfolgt die neue, revolutionäre Regierung? Welcher Teil ihrer Kräfte wird durch andere Aufgaben als den Krieg gebunden und verbraucht, Aufgaben, deren Erfüllung auch im Kriege elementare Notwendigkeit ist? Wie steht sie zum Kriege, zum äußeren Feind? Welche kriegerischen Kräfte übernimmt die Revolution aus der Vergangenheit, welche entwickelt sie neu, die sie rechtzeitig im Kriege verwenden kann? Welche gesellschaftlichen Gegenkräfte, die ihre sonst für den Krieg verwendbaren Kräfte verzehren oder fesseln und neutralisieren, bleiben aus der Vergangenheit ihr gegenüber bestehen? Welche neuen Gegentendenzen entfesselt sie in der Gesellschaft? Wie beeinflusst sie den äußeren Feind? Welche Momente und Faktoren ruft sie bei ihm gegen sich ins Feld, welche für sich? Wie ist das Verhältnis der so sich ergebenden alten und neuen kriegerischen Kräfte im revolutionären Lande einerseits zu denen im feindlichen Lande andererseits? Und in Bezug auf den Zeitfaktor: Wann entfalten sich die günstigen und die ungünstigen, die kriegskraftstärkenden und die kriegskrafthemmenden Momente und Faktoren im revolutionären und im feindlichen Land? Das heißt: Wie gestaltet sich das Verhältnis der beiderseitigen Kriegskräfte in jedem Augenblick, vor allem in der für den Kriegsverlauf entscheidenden Zeit (wobei der Fall der späteren „Revision" des Kriegsergebnisses durch neue kriegerische oder andere Aktionen außer Betracht bleibt)? Wie liegt das neue, unter dem revolutionären Zustand sich ergebende Verhältnis der beiderseitigen Kriegskräfte im Vergleich zu dem vor der Revolution bestehenden? Diese Vergleichung liefert jeweils die Antwort auf die eingangs gestellte Frage. Kurz zusammengefasst:

Es handelt sich darum, ob das Verhältnis zwischen den kriegerischen Kräften des revolutionären und des feindlichen Landes sich durch die und während der revolutionären Auseinandersetzung zugunsten oder zuungunsten des revolutionären Landes verschiebt, was wiederum davon abhängt, ob einerseits im revolutionären, andererseits im feindlichen Lande die durch die Revolution entfesselten neuen Kriegskräfte zusammen mit den von früher übernommenen gegenüber den alten und neu entfesselten Antikriegskräften gestiegen oder gesunken sind. Wobei unter Kriegskräften alles zu verstehen ist, was dem Kriege dient – außer den materiellen militärischen Mitteln an Menschen und technischem Apparat auch die geistigen und moralischen Kräfte in Armee- und Zivilbevölkerung sowie die wirtschaftlichen und sozialen Kräfte, die für die Kriegführung nötig und nützlich sind.

März/April 1918.

Theoretisches über die Wirkung erfolgloser politischer Aktionen

Verschlechtert eine politische oder wirtschaftliche Aktion, die das Erstrebte von den herrschenden Klassen nicht zu erzwingen vermag, die also, isoliert betrachtet, erfolglos war, die Machtstellung des Angreifers und die Aussichten auf künftige Erreichung des Ziels?

Oft wird es behauptet und zum Anlass ängstlicher Warnungen vor ernsten Kämpfen genommen. Prüfen wir!

Erfolglose Aktionen können nachteilig wirken – aber nur, wenn sie den Angegriffenen zeigen, dass der Angreifer schwächer ist, als sie bis dahin voraussetzten, oder wenn die dem Angreifer nach dem Misslingen der Aktion verbleibenden Kräfte geringer sind als die bis dahin bei ihm mit Recht vorausgesetzten. Dann werden die herrschenden Klassen von nun an eine geringere Macht des Feindes in ihre Berechnung einsetzen als bisher und darnach ihr Verhalten, sei es in der Defensive, sei es in der Offensive, einrichten; sie haben die bisher von ihnen in Rechnung gesetzte feindliche Macht mehr oder weniger als Popanz, die Drohungen, vor denen sie bisher haltmachten oder zurückwichen, mehr oder weniger als hohl erkannt. Aber dieser Nachteil der erfolglosen Aktion ist nur ein scheinbarer. Er bedeutet nur das Zerplatzen einer Seifenblase, die Zerstörung eines Wahns, eine schreckende Gefahr nur für überlebte Parteien und Kastraten der Scheinopposition. Ganz anders, wenn die Einzelaktion trotz ihrer Erfolglosigkeit eine Offenbarung nicht der Schwäche, sondern der Stärke ist, keine falsche Größe zerbricht, sondern wahre Größe zeigt; wenn sie sich nur als Verausgabung eines immer sich erneuernden Kraftüberschusses darstellt; wenn sie den Quell stets wachsender Macht nicht verschüttet, sondern nur um so frischer sprudeln lässt. Dann wird der äußere Verlust zum inneren Gewinn, die Niederlage im einzelnen zum Siege des Ganzen. Die Nachhaltigkeit des Kampfgeistes, der Entschlossenheit, der inneren und äußeren Kraft; die Fähigkeit, besiegt werden zu können und doch nicht vernichtet oder auch nur auf die Dauer geschwächt zu werden, zu fallen und stets wieder aufzustehen zu neuem Kampfe mit immer höherem Mute, mit immer festerer Zuversicht, mit immer größerer Wucht – das ist's, was die Gewähr bietet, dass auch erfolglose Einzelaktionen die Machtstellung des Angreifers, die weiteren Aussichten seines Kampfes nicht verschlechtern.

Und darum brauchen aufstrebende Parteien, aufsteigende Klassen kein kühnes Wagen und Schlagen zu scheuen.

Wenden wir dies auf einen Spezialfall an.

Wenn der Eintritt in die parlamentarische Opposition der einzige Stein ist, den eine Partei – z. B. die Regierungssozialisten – im Brette hat, so kann man begreifen, dass sie ihn zurückhalten möchte, denn mit seinem Ausspielen ist sie sofort – matt gesetzt. Nur schade, dass dies auch der Regierung und jedem nicht auf den Kopf Gefallenen bekannt ist. Woraus folgt, dass sich mit der Drohung des Übergangs zur parlamentarischen Opposition nichts Rechtes erreichen lässt, ja dass die Versuche dazu regelmäßig damit enden, dass die Möchte-gern-Wucherer – geprellt werden. Will man auch nur parlamentarische Erfolge erzielen, so kommt alles darauf an, dass die parlamentarische Opposition nicht der letzte, sondern nur der erste, nicht der stärkste, sondern der schwächste Trumpf, nicht der Schluss, sondern der Anfang ist; dass die Partei eine außerparlamentarische Macht hinter sich hat, die sie, aller Niederlagen ungeachtet, in unerschöpflicher Mannigfaltigkeit und Schlagfertigkeit der Methoden mit stets zunehmender Energie in den Kampf einzuwerfen fähig und entschlossen ist, und dass dies dem Gegner durch die Tat ad oculus demonstriert wird. Anders wird in der politischen – auch in der parlamentarischen! – Arena weder Respekt erworben noch Erfolg erzielt. Jene Taktik aber führt bestenfalls einen Scheidemann zum Posten des Johann auf dem Reichskutschbock.

März/April 1918.

Kriterium der politischen Einzelhandlung

(Ein Punkt aus der politischen Psychologie)

Jede politische Einzelhandlung eines politischen Faktors (Person, Partei, Regierung usw.) ist im Zusammenhang mit seiner sonstigen politischen Haltung als ein unselbständiges Stück seiner Gesamtpolitik zu betrachten. Erst aus diesem Zusammenhang ergibt sich der subjektive und objektive Sinn der Einzelhandlung; erst aus diesem Zusammenhang wird deren wirkliche politische Bedeutung erkennbar.

Eine Rede z. B. des vollkommen gleichen Wortlauts, von Persönlichkeiten verschiedener Gesamtpolitik gehalten, besitzt ganz verschiedenen Sinn und kann sowohl nichtssagende Phrase wie Demagogie, wie heuchlerische Hinterhältigkeit, wie gutgemeinte Selbsttäuschung, wie ernster Willensausdruck sein.

Zur Erläuterung mögen die Wuttkeschen Bemerkungen dienen: von den „gezähmten Böcken im Löwenfell" (d. h. gekauften Oppositionsblättern), die „bei Unbedeutendem" wacker „fort spektakeln"; von der nationalliberalen – heute regierungssozialistischen – Taktik, „einige ihrer Mitglieder auf die Rednerbühne zu schicken, die einen freisinnig tönenden Wortschwall losließen, um in ihrer Menge dem zuzustimmen, was der Freiheit zuwider die Regierung verlangte: Die freisinnigen Reden waren fürs Volk, dessen Masse den Widerspruch zwischen Wort und Tat nicht merkte", und von den politischen Jämmerlingen, „die im Reichstag viel Geschwätz losgelassen (haben), das wie Freimut klang", sich aber, „sobald es galt, ihre Redensarten mit ihrer Abstimmung zu bekräftigen, selber ins Gesicht" schlugen.27

März/April 1918.

Zu Ostfrieden

In Rumänien28 – die Dynastie nicht gestürzt – nicht nur aus dynastischer Solidarität, sondern aus politischer Berechnung: Über dieser Dynastie hängt ein Damoklesschwert – der Hass des Volkes –, je unsicherer sie dasteht, um so widerstandsloser ist sie in die Hände Deutschl. u. Öst.-Ung.s gegeben!

Hurra! Ein Mittel zur dauernden Abhängigmachung des unglücklichen Landes.

März/April 1918.

Deutschlands Intrige gegen die Entstehung eines mächtigen u. wirklich selbständigen Bulgariens u. türkischen Reichs (in gewissem Sinn auch Österreich-Ungarns). – Deutsche Suprematie im Vierbund (Vormachtstellung). – Sie sollen in einem Zustand erhalten werden, in dem sie zur polit. u. wirtsch. Vasallität (Abhängigkeit) von Deutschl, gezwungen sind. – Berlin-Bagdad soll gesichert werden u. dazu ev. auch Mitteleuropa – dazu Bulg. u. Türkei auch schwach genug sein müssen, keinen Widerstand entgegensetzen zu können.

Gegensatz u. Spannung im Vierbund – jetzt manifestiert bei rumän. Friedensverhandlungen.

März/April 1918.

Japan – Deutschl.

Dass Japan durch die militärischen Erfolge Deutschl.s (Vierbunds) – wie Reventlow 7. 5. 18 mit Recht sagt – bes. in Asien entlastet ist – bes. vom engl., aber auch vom franz. u. amerikan. Druck –, bessert keineswegs die Aussichten auf eine Verständigung zwischen Deutschl. u. Japan – im Gegenteil!

Gerade dadurch sind zugleich die Gegensätze/Spannungen/ zu den Ententemächten u. Amerika gemildert, die Gegensätze zu Deutschland verstärkt – u. die Hemmnisse für eine energische Betonung dieser Gegensätze verringert (zum guten Teil geebnet).

März/April 1918.

Deutschland – Japan

Wenn bisher englisch- u. amerikanisch-japanischer Gegensatz (neben dem russischen) der ostasiatischen Lage die Signatur gaben – so wird an deren Stelle jetzt, u. zw. in intensiver Form, der deutsch-japanische treten!

Also deutsch-japanische Verständigung gerade infolge der deutschen Erfolge im Osten verbaut – u. zwischen Engl. u. Japan Ditente29; der japan./amerik. Konflikt freilich kann akut werden u. zum Ausscheiden Japans aus Ent[ente] führen – aber kaum Amer. wird nachgeben – heute! So dass es jetzt nicht zum Klappen kommt!

Der russ./japan. Gegensatz aber, der der aktuellste ist im Kern, nicht bloß dem Vorwand nach, zugleich – im Hintergrund – ein Japan./ deutscher.

März/April 1918.

Die Mobilisation Asiens ein Teil des russ. Problems – Japan – China! und das weitere folgt.

1918.

Unsre Parole

(Nach Brest-Lit. „Frieden")

Ob ungünstig oder nicht, wie man kritisch zu ihm stehen mag: Gleichviel! Für uns bleibt die alte Parole unverändert:

Weiterkämpfen mit allen, mit den äußersten Mitteln, mit allen, mit den äußersten Kräften.

März/April 1918.

Lehren

Parole.

Auch in Deutschl, die soz. Rev. direkt propagieren? Hinweis auf wirtschaftl. u. polit. (Bedeutung u.) Notwendigkeit, Kriegsgewinne, Kriegsanleihe aller Kriegsbetriebe – Mun.- u. Waffenfabriken u. das gesamte Kapital der Kriegs- u. Kriegszielinteressenten –, allen kapitalist. Grundbesitz, alle Fabriken, Bankkapitalien etc. in Gemeinbesitz zu bringen.

Ausrottung der Wurzeln u. Quellen aller Kriegsinteressen u. der polit. Reaktion.

März/April 1918.

Tonne für den Walfisch

Der taktische Sinn des Kühlmann-Spiels der Scheidemänner ist klar: nach außen „Friedensoffensive". Vor allem aber nach innen: die Massen in kritischer Zeit wieder einmal durch eine Kampfes- und Siegesfarce zu unterhalten, abzulenken, zu beruhigen. Kurz: dutzendste Variation des alten Bethmann-Spiels. Natürlich haben auch die herrschenden Klassen heftige Gegensätze untereinander, die auch bei solchen Gelegenheiten und recht ernst ausgefochten werden. Aber im Verhältnis zum Proletariat reduzieren sich diese Gegensätze und Kämpfe auf das oft erörterte Spiel mit verteilten Rollen, das auch eine besondere Detaileigentümlichkeit der dialektischen Entwicklungsform darstellt. Natürlich sind die Kühlmannschen Entgleisungen, so tief sie blicken lassen, auch der Regierungs- usw. Mehrheit scheußlich fatal – oder sollten sie so weit sein, den Acheron selbst bewegen zu wollen, um Schluss machen zu müssen? Das ist nur wenig glaubhaft, darf uns taktisch keinesfalls bestimmen.

März/April 1918.

Prinzipielles

Die Hauptwirkung der Mehrheitspolitik

So wahr es ist, dass die Wirkung aller Agitation ihre Grenze (Schranke) in der aus den objektiven Lebensumständen fließenden Psychologie des Volkskreises findet, auf den sie gerichtet ist – so offenbar ist es, dass die Mehrheitspolitik, u. wenn ihre Träger jetzt auch alle Register der Demagogie lösen würden, das, was sie gegen die Volksmasse gesündigt, nicht wiedergutmachen könnte.

Denn diese Sünde besteht nicht nur – negativ – in der Vernachlässigung einer agitatorischen Pflicht, auch nicht nur – positiv – in der geistigen u. moralischen Missleitung der Massen nach dem Sinn der herrsch. Kl[assen], sondern auch in der eifrigsten u. entscheidenden Bei/Mit/hilfe zur Herstellung solcher objektiven Verhältnisse, die einmal die Machtstellung der herrsch. Gewalten unmittelbar ganz ungeheuerlich befestigt u. verstärkt haben, sodann aber durch den Einfluss dieser objektiven Umstände auf die Psychologie der Massen [diese] gegen alle jetzt unternommenen agitatorischen Einwirkungen zwar nicht feit, aber doch weit weniger empfänglich macht, als sie vordem waren.

März/April 1918.

Schufterle u. Co.

Wie tief sogar seit dem 4. August 1914 die Regier.soz. gesunken sind, lässt sich am Unterschied in der Begründung der ersten u. der letzten Kreditbewilligung wie an einem Pegel ablesen: Damals: die „Vaterlandsverteidigung" – im März 1918 (heute): „Die Verweigerung der Kriegskredite würde zum Zusammenbruch der polit. Leitung u. zur Allmacht des Militärs führen." -

Dem Militär Hunderte von Milliarden bewilligt – um die Allmacht des Militärs zu verhindern, die freilich auch außerdem längst ohne diese Kredite festgefügt dasteht (besteht). Für Hunderte von Milliarden reale Macht dem Militär geben – um ein Feigenblatt einzutauschen, zu erkaufen! Und ev. andre Vorteile, nicht minder Scheinvorteile zu erbetteln, zu erschachern, zu erschleichen.

Übrigens ist im Grunde das Sinken nur scheinbar! Die jetzige Motivierung der Kreditbewilligung war in Wirklichkeit schon der tiefste Kern auch der Motive, die im August 1914 zur Bewilligung geführt haben; besser – der tiefste Kern der Motive, die damals u. jetzt zur Kreditbewilligung führten, ist der gleiche. Nur schamloser sind die Bewilliger geworden. Nur die Schamlosigkeit ist gestiegen. – Und das ist gut so – es muss doch den Massen endlich die Augen öffnen!

1 Ernst Graf zu Reventlow (1869-1943), bis 1899 aktiver Seeoffizier, dann Schriftsteller, marinetechnischer Berater an einigen Zeitungen, z. B. „Berliner Tageblatt", „Kreuz-Zeitung", „Deutsche Tageszeitung"; trat während des ersten Weltkrieges für eine rücksichtslose Kriegführung mit allen Mitteln ein, besonders im U-Boot-Krieg; war Hauptvertreter eines annexionistischen Friedens. Die Red.

2 Im Dezember 1917 hatte die im November gebildete bürgerliche Regierung die Unabhängigkeit des Landes erklärt. Während der Revolution in Finnland Anfang 1918 war diese Regierung aus Helsinki geflohen, organisierte von Vaasa aus die Konterrevolution gegen den neugebildeten Rat der Volksbeauftragten und rief deutsche Truppen zur Unterstützung ins Land. Bereitwillig kam der deutsche Imperialismus diesem Wunsche nach und entsandte im März und April 1918 ein Interventionskorps nach Finnland. Ziel des deutschen Imperialismus war ein von Deutschland abhängiges „Großfinnland" mit Ostkarelien und dem Murmangebiet. Nach dem Sieg der Konterrevolution im Mai 1918 wurde im Herbst ein deutscher Prinz durch den finnischen Landtag zum König „gewählt", war aber nach der Niederlage Deutschlands gezwungen, auf den Thron zu verzichten.

3 Brief ging durch die Zensur der Zuchthausverwaltung. Die Red.

4 Vermutlich Willi Paradies, Schwager Karl Liebknechts. Die Red.

5 Karl Ploetz: Auszug aus der Geschichte. Die Red.

6 Vgl. dazu Karl Liebknechts Notizen über die Versuche der deutschen Imperialisten, das revolutionäre Russland durch die Schaffung konterrevolutionärer Staaten einzukreisen und lebensunfähig zu machen. S. 403-413. Die Red.

7 Mutter und Geschwister von Sophie Liebknecht, der Frau Karl Liebknechts, über deren Schicksal auf Grund des Vormarsches deutscher Truppen nichts bekannt war, lebten in Rostow am Don. Die Red.

8 Rosa Luxemburg. Die Red.

9 Am 19. Januar 1918 hatte Franz Mehring im preußischen Abgeordnetenhaus in der Debatte zum Staatshaushaltsplan 1918 gesprochen. Er war scharf gegen die Ausführungen des Finanzministers, der sich zur Kriegslage geäußert hatte, und gegen die imperialistische Politik der deutschen Delegation in Brest-Litowsk aufgetreten und hatte sich energisch gegen den Missbrauch des Selbstbestimmungsrechts der Völker durch die deutschen Imperialisten gewandt. Gleichzeitig hatte Mehring angeprangert, dass der Krieg allein für die Interessen der herrschenden Klasse und auf Kosten der Massen geführt werde, dass durch Belagerungszustand, Zensur und Schutzhaft kurzer Prozess mit allen staatsbürgerlichen Rechten gemacht worden war.

10 Julian Marchlewski, Käte Duncker, Mathilde Jacob. Die Red.

11 Wahrscheinlich Philipp Scheidemann, der im Juni 1918 zum Vizepräsidenten des Reichstags gewählt wurde. (Siehe auch S. 462.) Die Red.

12 Carl Minster (1873-1942) vertrat die revolutionären Positionen der Gruppe „Internationale"; hatte sich Anfang 1917 durch Flucht nach Holland der Einberufung zum Militärdienst entzogen; gab in Amsterdam die Wochenschrift „Der Kampf" heraus, ander u. a. Wilhelm Pieck mitarbeitete. Die Red.

13 Karl Liebknecht hatte unmittelbar vor Kriegsausbruch ein Manuskript fertiggestellt, das als Teil einer gemeinsamen Arbeit mit dem Franzosen Andre Morizet und dem Engländer Walton Newbold über das internationale Rüstungskapital gedacht war. Karl Liebknecht schrieb am 18. März 1918 an seine Frau, dass sie versuchen solle, entweder Ernst Meyer oder Julian Marchlewski-Karski – mit letzterem habe er schon öfter darüber gesprochen – zu bitten, das „Rüstungsmanuskript" in der vorliegenden Form mit „kurzer Ergänzung auf die neuere Zeit" herauszugeben. Über das Schicksal des „Rüstungsmanuskripts" ist bisher nichts bekannt geworden.

14 M. M. Litwinow (1876-1951), seit 1918 Kollegiumsmitglied des Volkskommissariats für äußere Angelegenheiten der RSFSR. Die Red.

15 Ernst Graf zu Reventlow (1869-1943), bis 1899 aktiver Seeoffizier, dann Schriftsteller, marinetechnischer Berater an einigen Zeitungen, z. B. „Berliner Tageblatt", „Kreuz-Zeitung", „Deutsche Tageszeitung"; trat während des ersten Weltkrieges für eine rücksichtslose Kriegführung mit allen Mitteln ein, besonders im U-Boot-Krieg; war Hauptvertreter eines annexionistischen Friedens. Die Red.

16 Einige Wörter nicht zu entziffern. Die Red.

17 Zu den deutschen Kriegszielen gehörte die Annexion Kurlands und anderer zum zaristischen Russland gehörender baltischer Staaten. Ende 1915 waren ganz Kurland und Litauen von deutschen Truppen besetzt. Von den Plänen, Kurland als preußische Provinz einzugliedern, wurde nach der Februarrevolution 1917 in Russland vorerst Abstand genommen. Das imperialistische Deutschland förderte im Jahre 1917 Pläne einer „freiwilligen" Angliederung Kurlands an Deutschland. Am 8. März 1918 kam der kurländische Landesrat, der sich aus deutschen Junkern und einigen Vertretern des deutschen Bürgertums in Kurland sowie einigen wohlhabenden Letten zusammensetzte, den Wünschen der deutschen Imperialisten nach und fasste den Beschluss, Wilhelm II. die Herzogskrone anzubieten und gleichzeitig um eine enge wirtschaftliche Verbindung mit Deutschland zu bitten. Am 15. März 1918 wurde diese „Bitte" in Berlin überreicht.

18 Am 15. März 1918 ratifizierte der Allrussische Sowjetkongress den Vertrag von Brest-Litowsk. Die Red.

19 Im preußisch-österreichischen Krieg 1866 wurde das Königreich Hannover, dessen König gleichzeitig Herzog von Braunschweig war, von Preußen annektiert. Nach dem Tod König Georgs V. von Hannover (1885) setzte Preußen einen preußischen Prinzen als Regenten in Braunschweig ein. Nach der Heirat des Prinzen Ernst August von Braunschweig-Lüneburg mit der Tochter Kaiser Wilhelms II. und der Thronbesteigung am 1. November 1913 hörte die preußische Regentschaft über Braunschweig auf, Hannover blieb Bundesland.

20 Gemäß dem am 3. März 1918 in Brest-Litowsk geschlossenen Vertrag sollten die von deutschen Truppen besetzten Gebiete Estland und Livland Bestandteile des Sowjetstaates bleiben, von der Sowjetmacht aber geräumt werden, bis eigene Landeseinrichtungen geschaffen worden seien. Solange sollten die deutschen Truppen diese Gebiete besetzt halten. Ohne sich um diesen Vertrag zu kümmern, begann die deutsche Regierung Maßnahmen zum Anschluss dieser Gebiete an das Deutsche Reich zu ergreifen. Gegen diese offenen Annexionsbestrebungen und den offensichtlichen Bruch des Vertrages vom 3. März gewandt, verwies der Zentrumsabgeordnete Matthias Erzberger in der Reichstagssitzung am 22. März auf die Notwendigkeit, die im Vertrag festgelegten Vereinbarungen einzuhalten. Er hob aber gleichzeitig hervor, dass sich aus der Klausel, in diesen Gebieten eigene Landeseinrichtungen zu schaffen, bestimmte Möglichkeiten für deren Entwicklung zugunsten des Deutschen Reiches ergeben könnten. Unterstützt wurde Erzberger in dieser Frage vom Vertreter des Auswärtigen Amtes, Freiherr von dem Bussche-Haddenhausen.

21 1898 wurde die chinesische Regierung gezwungen, die Annexion Kiautschous durch deutsche Marinetruppen zu akzeptieren und das Hafengebiet auf 99 Jahre an Deutschland zu verpachten. – Großbritannien, Frankreich und Italien okkupierten ab 1868 die von der Türkei besetzten Gebiete Nordafrikas. – Persien wurde 1907 in eine russische (Norden) und eine englische (Süden) Einflusssphäre geteilt, während in der mittleren Zone beide imperialistischen Mächte gleiche Rechte ausübten. Trotz erklärter Neutralität wurde Persien im Weltkrieg sowohl von russischen und englischen als auch von türkisch-deutschen Truppen besetzt. – Afghanistan wurde Ende des 19. Jahrhunderts Stück für Stück von Großbritannien okkupiert und im russisch-englischen Vertrag von 1907 schließlich dem englischen Einflussbereich zugesprochen. – 1895 unterbreitete die englische Regierung dem deutschen Kaiser einen Plan über die Aufteilung der Türkei, und 1898 kam es zwischen England und Deutschland zu einem Vertrag über die Aufteilung portugiesischer Kolonien.

22 Karl Max Fürst von Lichnowsky (1860-1928), 1912-1914 deutscher Botschafter in London; verfasste 1916 eine Denkschrift über die Kriegsschuld der deutschen Regierung am ersten Weltkrieg, die unter dem Titel „Meine Londoner Mission 1912-1914" in verschiedenen Auflagen und Ausgaben 1918 in der Schweiz erschien. Die Red.

23 Punkte in der Quelle. – In Artikel VI des Friedensvertrags wurde die Räumung Livlands und Estlands und ihre Besetzung durch deutsche Polizeitruppen festgelegt. Die Red.

24 Als Variante für die Überschrift war noch vorgesehen: „Die Räubermoral übertroffen!" Die Red.

25 Friede von Tilsit zwischen Frankreich und Preußen am 9. Juli 1807. Er enthielt 30 Artikel und verringerte das Gebiet Preußens von 5570 auf 2877 Quadratmeilen. Die Red.

26 Punkte in der Quelle. Die Red,

27 Heinrich Wuttke: Die deutschen Zeitschriften und die Entstehung der öffentlichen Meinung, Zweite Auflage, Leipzig 1875, S. 210/211. Die Red.

28 Am 5. März 1918 wurde zwischen den Mittelmächten und Rumänien der Präliminarfrieden abgeschlossen und am 7. Mai 1918 im Friedensvertrag von Bukarest bestätigt. Ursprünglich hatte die deutsche Regierung gefordert, dass der rumänische König vor Abschluss des Präliminarfriedens das Land verlassen müsse.

29 Karl Liebknecht meint mit Ditente einen Zweibund zwischen England und Japan. Die Red.

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