Karl Liebknecht‎ > ‎1918‎ > ‎

Karl Liebknecht 19180415 Mitteilungen, Briefe und Notizen aus dem Zuchthaus Luckau

Karl Liebknecht: Mitteilungen, Briefe und Notizen aus dem Zuchthaus Luckau

[Karl Liebknecht: Politische Aufzeichnungen aus seinem Nachlass Geschrieben in den Jahren 1917-1918. Unter Mitarbeit von Sophie Liebknecht herausgegeben, mit einem Vorwort und mit Anmerkungen versehen von Franz Pfemfert, Berlin 1921, S. 94 f. 68-75, 75-79, 96-98, 82-85; Jugend-Internationale (Berlin), Nr. 19, März 1920, S. 5; Karl Liebknecht: Politische Aufzeichnungen aus seinem Nachlass Geschrieben in den Jahren 1917-1918. Unter Mitarbeit von Sophie Liebknecht herausgegeben, mit einem Vorwort und mit Anmerkungen versehen von Franz Pfemfert, Berlin 1921, S. 85-89; Die Kommunistische Internationale (Hamburg), Zweiter Jahrgang, 1921, Nr. 15, S. 11 f.; IML, Moskau, ZPA, Fonds 210/VII, Nr. 1191/3; Die Kommunistische Internationale (Hamburg), Zweiter Jahrgang, 1921, Nr. 15, S. 6 f.; Jugend-Internationale (Berlin), Nr. 19, März 1920, S. 6, 5 f. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 9, S. 468-498]

Deutsche Revolutionsfabrik

Agitation in den deutschen Gefangenenlagern – Iren, Mohammedaner, Ukrainer, Georgier (für ukrainische Republik, Kaukasusrepublik usw.). Vgl. jetzt auch Verhandlungen der Budgetkommission des Reichstags Mitte Februar 1918, wo offen zugegeben, dass die so fabrizierten ukrainischen Revolutionäre von Deutschland ausgerüstet und nach der Ukraine geschickt wurden. Was ein Noske billigte (mit ihm die ganzen Regierungssozialisten). Gleiches geschah und geschieht natürlich im Übrigen.

Auch außerhalb der Gefangenenlager wurde derart gearbeitet.

1915 z. B. Finnen zu einer revolutionären Zusammenkunft nach Deutschland gelockt usw.

Jetzt liest man: „Nach einer Stockholmer Meldung sind am 8. 3. in Vaasa drei deutsche Offiziere eingetroffen, die in Deutschland die finnischen Jäger ausgebildet hatten." (Ullstein-Presse 25. 3. 18.)

Es kann sich nach den Daten nur um eine Ausbildung vor Friedensschluss mit Russland und Finnland, ja sogar vor Beginn der Friedensverhandlungen im Osten und vor der russischen Anerkennung eines selbständigen Finnland handeln.

Zur Vorgeschichte des Krieges

Die Memoiren Hammanns, die Denkschrift Lichnowskys1 (von beiden kenne ich nur einen in der Presse veröffentlichten Teil) und Jagows2 Erwiderungen, Pichons Enthüllungen der Bethmannschen Instruktion vom 31. 7. 19143 und wohl auch der (mir leider nur im Zerrspiegel des Dementis zugängliche) Brief Mühlons4 haben die – offizielle und inoffizielle – diplomatische Vorgeschichte des Krieges und einige seiner Wurzeln vollkommener aufgedeckt, als man in diesem Stadium erwarten konnte.

Wir buchen das ungenierte Bekenntnis des Mannes, der in der kritischen Zeit die auswärtige Politik Deutschlands amtlich vertrat, zu dem kapitalistischen Charakter der deutschen Kriegsgründe (Orient(Bagdad) und die dazu gehörige Balkansolidarität mit Österreich), die Identifizierung dieser Gründe mit dem „Prestige" des Reichs und die Schärfe, mit der selber der „Engländer" Jagow betont, um des Bagdad-Geldsache-Prestiges willen zum Kriege bereit gewesen zu sein („heute lassen sich wirtschaftliche und politische Interessen nicht mehr trennen").

Wir begrüßen den laufenden Nachweis der Verständnis-, ja Bündnisbereitschaft Englands, die nach der Bestätigung der drei unmittelbar beteiligten Diplomaten sowohl um 1900 wie zur Haldane-Zeit5, wie kurz vor dem Kriege an Deutschlands Widerstreben gescheitert ist; der Verlauf der Haldane-Verhandlungen (die deutsche Forderung unbedingter englischer Neutralität und die deutsche Zurückweisung der von England angebotenen Neutralität für den Fall eines Angriffs auf Deutschland) bildet in diesem Zusammenhang ein Zeugnis für die englische Friedensliebe wie für die schon damals vorhandenen deutschen Angriffsabsichten.

Erfreulich ist die inhaltliche Bekanntgabe der beiden Verträge mit England („Bagdad" und Afrikaabkommen); doch müssen nach den Andeutungen Kjellens6 noch deutsch-französische Verhandlungen geschwebt haben und bei Kriegsausbruch vor dem Abschluss gestanden haben (über Syrien, Französisch-Guinea und einen lothringischen Grenzstreifen).

Wichtig ist die immer mehr amtlich festgestellte maßgebende Rolle, die die „Anglophoben" bei der Verhinderung dieser Verträge gespielt haben: Der Beweis scheint erbracht, dass diese Kreise (wie wiederholt, z. B. in den „Glossen", behauptet), gerade um die „drohende" deutsch-englische Verständigung zu hintertreiben, im Sommer 1914 den Krieg pressiert und forciert haben.

Die Evidenz ist erbracht, dass die in zwölfter Stunde England gegenüber gezeigte deutsche Verständigungs- (Verträge!) und Friedens- (Neutralitätsgarantie Missverständnis!) bereitschaft bestenfalls der zweimalige plumpe Versuch war, England von der Entente abzusplittern und auf die Seite der Mittelmächte zu ziehen – was einen so überwältigenden Vorteil geboten hätte, dass der Krieg, schon ehe begonnen, auch schon gewonnen gewesen wäre.

Interessant, eine wichtige Unterstreichung und Ergänzung der Offenherzigkeiten des Weißbuches ist das offene Eingeständnis Jagows, dass man die Kriegsgefahr voll überblickte, sich über die Petersburger Haltung und das Eintreten Englands für ein angegriffenes Frankreich nicht täuschte; dass die deutsche Regierung die Botschafterkonferenz7 (und natürlich auch jeden anderen schiedlichen Austragsversuch) ablehnte, weil sie wusste, dass sie vor jedem Forum der Welt eine schwere diplomatische Niederlage erleiden, d. h. ein vernichtendes Verdikt davontragen würde. Bedeutsam die prägnante Feststellung, dass es für die deutsche Regierung nur einen einzigen Ausweg zur Vermeidung des Weltkrieges gab: die „Lokalisierung" des Konflikts, d. h. die Auslieferung der Maus Serbien an die Katze Österreich, d. h. Sieg der Mittelmächte ohne Krieg, d. h. einen Ausweg, der kein Ausweg war, der, wie die deutsche Regierung wusste, gar nicht in Frage kommen konnte, viel weniger noch als eine „Lokalisierung" des Krieges auf Russland und Österreich, die der deutschen Regierung als eine so hirnverbrannte Zumutung erschien, dass sie niemals auch nur erwogen wurde.

Das Kartenhaus des Weltfriedens fiel zusammen, als Deutschland durch Österreich die serbische Karte umwarf; auf die österreichische und serbische fielen unvermeidlich die russische und die deutsche, die französische und die englische. Der Weltfriede war nur ein Kartenhaus; aber der es umstürzte war kein anderer, als der die erste Karte umstieß, d. h. Deutschland und Österreich.

Wo die Linien der deutschen Politik bis zum Kriegsausbruch nicht auf diesen Punkt zu konvergieren, sondern zu divergieren scheinen, handelt es sich um eine optische Täuschung durch taschenspielerische Diplomatengesten oder um die Folge davon, dass in der offiziellen Regierung selbst verschiedene Strömungen und Orientierungen der auswärtigen Politik nebeneinander bestanden, miteinander stritten und sich ablösten, während die sehr viel geraderen Linien der wirklich maßgebenden, inoffiziellen Politik hinter ihnen verborgen blieben, Linien, die man bei Lichnowsky und Jagow und auch Mühion (selbst in dem amtlichen Dementi dazu) deutlich verfolgen kann.

Zweifellos dachten aber Wilhelm II. und Bethmann über eine Verständigung mit England im Grunde nicht viel anders als die unverhüllten Anglophoben; ihre Verständigungsmanöver waren Gekräusel auf den Wellen des Stromes.

Einige Striche dieser Skizze seien näher ausgeführt. 1. Zu Englands „Schuld am Kriege" : Auch Jagows Erklärung in den „Münchner N[euesten] Nachr.", 4. 4. 18, ein schlagendes Plädoyer dagegen; hervorzuheben die frühere Deckung Deutschlands durch die Kombination England nach Osten, Ungarn und Italien gegen Russland; die Förderung von Italiens Anschluss an den Dreibund durch England. Ferner von dem Bussches8 Hinweis gegenüber W. T. B. (vgl. ,,D[eutsche] Tgsztg.", 1. 3. 18) auf den Bericht des englischen Botschafters in Petersburg vom 24. 7. 14 an Grey9, der nicht nur für die reine Verteidigungshaltung Frankreichs spricht, sondern auch dafür, dass Englands Zusicherung der Teilnahme am Kriege nicht entscheidend für Russlands und Frankreichs feste Haltung gegen Deutschland-Österreich war: Dem Botschafter scheint, „dass Frankreich und Russland, selbst wenn wir (England) ablehnen, mit ihnen gemeinsame Sache zu machen, entschlossen sind, sich stark zur Wehr zu setzen". – Hinzu kommen noch die englischen Friedensfühler, die bekanntesten vom September 1914 (Dr. Karl Peters' Erinnerungen) und April 1915 (Dresselhuis, Schücking, von Tepper-Laski), die beweisen, dass England den Krieg, nachdem er ausgebrochen war, möglichst noch im Keim kupieren wollte und seine Verständigungspolitik noch im Kriege fortsetzte.

2. Die „Anglophoben" als Kriegsschürer: Jagow, sagt man, sei vor den Anglophoben aus Besorgnis vor der „öffentlichen Meinung" zurückgewichen. Wenn hier „öffentliche Meinung" etwas anderes sein soll als öffentliche Meinung eben der Anglophoben, so ist es Humbug. Die „öffentliche Meinung" der großen Masse der Bevölkerung war alles andere als anglophobem Gehetz zugänglich, und für diese öffentliche Meinung hatte die deutsche Regierung doch stets eher Hohn und Spott als Rücksicht. Der Phrase entkleidet, heißen Jagows Worte: Die anglophoben Machtfaktoren, deren Kern die Schwerindustrie und deren Protektor der Kronprinz war und ist, zwangen die Regierung zurückzuweichen, sie dirigierten insgeheim die Fäden der auswärtigen Politik, bis ihr Ziel, der Krieg, erreicht war, um sie dann auch vor aller Öffentlichkeit in die Hand zu nehmen. Diese anglophobe Politik darf um so mehr die verborgene und inoffizielle, aber wirkliche deutsche Regierungspolitik genannt werden, als sie nur die direkte, gradlinige Fortsetzung jener von Hammann, Jagow, Lichnowsky aufgezeigten offiziellen Politik war, die bis dahin systematisch die von England ein halbes Menschenalter und länger gemachte Annäherung hintertrieben hatte.

Die Verständigungspolitik Jagows und Lichnowskys, soweit ernstlich gemeint, war eine Abweichung von dieser Geraden, die sich eben gerade darum nicht durchsetzen konnte.

Selbst ein Reventlow10, der Herold der Anglophobie, gibt in den Daumenschrauben des vorliegenden Materials zu, dass England aufrichtig den Frieden gewollt habe, nur aber – so meint er – einen Deutschland verkrüppelnden Frieden; was, aus dem Reventlowschen ins Normaldeutsch übersetzt lautet: Nur eine solche Verständigung mit England wäre für Deutschland erträglich, die die englische See- und Weltherrschaft durch die deutsche ersetzt; eine solche Verständigung war aber unmöglich, folglich war der Krieg mit England deutsches Lebensbedürfnis; die vor dem Kriege geplante Verständigung entsprach jenen Anforderungen nicht, darum musste sie verhindert werden, darum musste der Krieg im Sommer 1914 pressiert und forciert werden.

3. Wilhelm II. und Bethmann versuchten bestenfalls, zwei Eisen ins Feuer zu legen und durch den Köder der plötzlichen Vertragsbereitschaft England vielleicht doch noch vom Kriege abzuhalten, um so zunächst Serbien, Russland und Frankreich und später England in größerer Gemütsruhe erledigen zu können: Diese Vertragsbereitschaft lief in der damaligen Situation bereits auf den Vorschlag an England hinaus, sich bei dem bevorstehenden – nein, bereits ausgebrochenen Konflikt gegen die eigenen Verbündeten auf die Seite Deutschlands zu stellen, also wenn nicht auf das bewusste Jonglieren mit einer erkannten Unmöglichkeit, so auf das Ansinnen eines Kanaillenstreichs, mit dem auch nur entfernt gerechnet zu haben die treudeutschen Rosstäuscher Wilhelm und Bethmann trefflich kennzeichnen würde. Jedenfalls war damals die Verständigung schon längst hintertrieben, und es handelte sich vom Standpunkt der Anglophoben höchstens noch um eine verspätete und unschädliche Freiübung diplomatischer Impotenz.

Ein doppeltes Gegenstück zu diesem überschlauen, aber offenbar gar nicht ernstgemeinten Schachzug bietet der 31. Juli und 1. August: Dass die geforderte Neutralität Frankreichs – und gar noch unter den übrigens schon auf Briey und Longwy zielenden Bedingungen der Instruktion vom 31. Juli – ein schnöder Übergang ins deutsche Lager gewesen wäre, springt in die Augen. Was aber die renommistisch ausposaunte deutsche Bereitwilligkeit betrifft, der englischen Intervention für Frankreich nachzugeben, „falls sich England mit seiner Streitmacht für die unbedingte Neutralität Frankreichs verbürgt", so war eine solche Bürgschaft rein technisch ein Nonsens, eine „unmögliche Bedingung", ihre Bewilligung durch England „wirklich nicht anzunehmen"; vgl. die Bethmann-Instruktion. Sie hätte den kaum verschleierten Anschluss Englands an die Mittelmächte bedeutet (vgl. auch „Berl. Tgbl.", 5. 3. 18, Nr. 118, und die Erklärungen der „Nordd. Allg. Ztg." und Bethmanns zu Pichons Enthüllung).

Die Hauptbedeutung der Bethmann-Instruktion vom 31. 7. 1914 liegt in der Beleuchtung der rücksichtslosen Entschiedenheit, mit der die deutsche Regierung auf den Krieg hinarbeitete und ihn [anzettelte] – womit nun wohl selbst für den ungläubigsten Thomas der Stab über das verlogene Friedenskaiser- und Kanzlerspiel von Ende Juli 1914 gebrochen sein dürfte (von Heuchlern und Verrätern, die jede Niedertracht der Regierung hehlen, rede ich freilich nicht).

4. Zu den Mitteilungen Lichnowskys und Jagows fehlen die genauen Zeitangaben über die Fertigstellung der Verträge (nur vom Afrikavertrag heißt es, er sei im August 1913 paraphiert gewesen, aber die endliche Bereitschaft zu ihrer Vollziehung – „Ende Juli" 1914 – ist freilich schon vielsagend genug!), über das Eingreifen der Anglophoben, über den Meinungsaustausch zwischen Berlin und den Botschaftern in Petersburg und London über die vermutliche russische und englische Haltung im Kriegsfall.

Die letzteren Daten greifen sicher noch in die Zeit vor dem Ultimatum an Serbien zurück, vielleicht sogar in die Zeit vor dem Attentat von Sarajevo. Noch ungezählte Fragen bleiben zu beantworten; das in Aussicht gestellte neue Weißbuch wird sie zu verdunkeln, nicht zu beantworten suchen.

5. Zur „Lokalisierung des Konflikts": Natürlich wünscht jede Partei, dass die Partner der anderen Partei sich nicht einmischen, dass der Konflikt in einem Stadium der eigenen Übermacht „lokalisiert" – dass die Explosion eines Pulverstapels auf einen Pulversack beschränkt werde!

Erklären, dass man in einer solchen „Lokalisierung" den einzigen Ausweg zur Vermeidung des Krieges erblickte, heißt zugeben, dass man den Krieg wollte, wobei es gar nicht der Versicherung Jagows bedarf, dass weder Pourtales11 noch das Auswärtige Amt gewähnt habe, Russland werde nicht eingreifen.

Die deutsche Lokalisierungsdiversion – das waren die „russischen Netze", von denen Jagow redet. Wie sehr diese Diversion von vornherein Vorwand und blauer Dunst war, wie wenig romantisch, wie derb realistisch man in Berlin die Dinge betrachtete, braucht jetzt keines Belegs mehr.

Mit voller Überlegung und allem Raffinement war der Konflikt so angelegt, dass er gar nicht friedlich beigelegt werden konnte. „Das Ultimatum vom 23. Juli 1914 war der Krieg."

Dass dieser Krieg ein deutscher Präventivkrieg sei (vgl. Abstimmungsbegründung vom 2. 12. 1914), ist schon nach dem jetzt zutage gebrachten Material eine für die deutschen Macher noch viel zu günstige Annahme. Tatsächlich ist er ein nackter deutscher Raub- und Eroberungskrieg, von vornherein als solcher inszeniert – ein deutscher Eroberungskrieg größten Stils –, der räuberischste aller Raubkriege.

6. Noch zwei Einzelheiten: a) Festzuhalten sind Lichnowskys Ausführungen zur deutschen Marokkopolitik (Delcasses Verständigungsbotschaft – deutsche Ablehnung auch hier12 usw.), die wirklich nicht so „rätselhaft" war, wie Lichnowsky meint (Erzgruben – Phosphor, Mannesmann usw.). b) Die deutsche Bescheidenheit und Gewissenhaftigkeit noch im Punkt Belgisch-Kongo gegenüber England erklärt sich daraus, dass längst die deutschen Pläne fertig waren, ihn bei Gelegenheit eines Krieges mit Besetzung Belgiens – uralter Generalstabsplan ! – in die Tasche zu stecken. Diesen Bissen glaubte man schon fest genug an der Gabel zu haben.

Die Vergangenheit zu Deutschlands Schuld am Kriege

Kann man sich vom Angeklagten der Tat versehen, ist bei ihm ein Verhalten wie das vorgeworfene in ähnlicher Lage traditionell, so spricht dies für seine heutige Schuld.

Auch bei solcher Prüfung sinkt die Schale der deutschen, d. h. der preußischen Regierung tief, selbst wenn wir die Manöver der letzten zwanzig Bismarckjahre und später beiseite lassen.

Die Fälschung der Emser Depesche ist bekannt und von Bismarck – nach mehr als zwanzig Jahren! – zynisch eingeräumt: Die wahrheitsgemäße Mitteilung über eine harmlose Begegnung zwischen dem Kaiser und Benedetti redigierte Bismarck in eine Lügenmeldung um, die die harmlose Begegnung in einen für den französischen Botschafter äußerst beleidigenden Zusammenstoß verwandelte; die Lügenmeldung veröffentlichte er amtlich: Durch ihre Unwahrhaftigkeit eine doppelte Brüskierung Frankreichs. Der von Bismarck, Moltke, Roon gewollte Krieg war da.

Die preußische Geschichte ist solcher Leistungen voll. 1866 war darin sehr fruchtbar. Einiges greifen wir heraus. Planmäßig wurde die Unwahrheit österreichischer Angriffsabsichten und -vorbereitungen verbreitet und dem preußischen Angriff in den Augen der Bevölkerung der Anschein der Verteidigung gegeben. Das „Wochenblatt des Nationalvereins" bemerkte damals: „Der Bismarcksche Kniff, welcher seit einigen Tagen vorzugsweise im öffentlichen Schwange steht, besteht darin, Preußen als den bedrohten Teil darzustellen, der von Österreich bei den Haaren aus seiner Harmlosigkeit und Friedensliebe herausgerissen wird", und spricht von „Niederträchtigkeit". Das „Pressbüro", die „Schlammbader"13 und das sonstige käufliche Gesindel verrichteten nicht nur in Preußen, sondern selbst in Süddeutschland und Österreich schmutzige Wühlarbeit, um dort die Kriegsstimmung zu schüren, hier den feindlichen Regierungen im eigenen Lande Schwierigkeiten zu bereiten. Dennoch blieb die Begeisterung für den deutschen Bruderkrieg im preußischen Heer gering, ja negativ. Da kam ein Umschwung. Noch war der Krieg nicht ausgebrochen, „als die Breslauer Zeitung einen aus Berlin ihr zugeschickten ,Heerbefehl Benedeks' (des österreichischen Heerführers) abdruckte, dessen im höchsten Grade übermütiger Ton den Kriegern Preußens ins Ohr gellen musste – ein Faustschlag in ihr Angesicht, über den sie ergrimmen mussten. Die Ader des Zorns schwoll ihnen auch an. Nach dem Einmarsch in Böhmen, auf dem ersten Halteplatz lasen die Anführer infolge erhaltenen Befehls ihn ihrer Mannschaft vor … Dieser Heerbefehl war eine Fälschung, eine Fälschung von der ersten bis zur letzten Zeile. Preußische Leser wollen den echten, maßvollen Heerbefehl Benedeks in Schultheß' Europäischem Geschichtskalender 1866, S. 105, nachlesen!"

Als Gablenz14 am 27. Juni 1866 die Preußen aus Trautenau hinauswarf, „wurden Nachrichten ausgestreut, es hätten die Bürger von Trautenau aus ihren Häusern hinterrücks auf die Preußen geschossen, heißes Wasser und siedendes Öl auf sie von oben herunter ausgegossen … Der Bürgermeister von Trautenau Dr. jur. Roth … ließ darüber drucken: ,Wahrlich, eine so ungeschickte, folgenschwere und allgemein geglaubte Lüge würde ich nicht für möglich halten, wenn ich es nicht selbst erlebt hätte.' Die preußische Presse schäumte damals über die Untat der ruchlosen Trautenauer …" Und ein Drittes vom Beginn des Krieges 1870: Als das französische Heer damals „einen matten Angriffsstoß gegen Saarbrücken ausführte, durchlief die Zeitungen die grausige Kunde, es habe diese Stadt eingeäschert, und tief war ihr Eindruck in Deutschland." Alle „empörte derartige barbarische Kriegführung der Franzosen. Doch auch an dieser Nachricht war kein wahres Wort."

Die Menschen wurden indes damals durch den Zeitungslärm dermaßen betäubt und eingenommen, dass selbst verständige Personen widersprechenden, unmittelbar aus Saarbrücken eingezogenen Nachrichten keinen Glauben schenken wollten! Die Barbarei der französischen Kriegführung war zum allgemeinen Gerede gemacht worden.

Die Wiener „Tagespresse" kennzeichnete die preußische Überlieferung so: „Der deutsche Michel wird so lange gekitzelt, bis er sich wie ein betrunkener Matrose gebärdet und Rache dafür verlangt, dass er dem anderen eine Ohrfeige gegeben hat."

Wie windig es um die neutralen Leumundszeugen für die Berliner Politik steht, illustriert folgende Reminiszenz:

Vor 1866 wurden – vom Pressbüro – „auch in nichtdeutsche Zeitungen Aufsätze hineingebracht, teils um Engländern und Franzosen diejenige Ansicht von den Zuständen und Hergängen in Deutschland beizubringen, welche den preußischen Vorhaben günstig war, teils um Übersetzungen dieser Aufsätze in deutsche Blätter als Urteile des Auslandes übergehen zu lassen. Der noch schwankende wie der über die Vorgänge nicht aufgeklärte Mann sollte vernehmen, dass das Ausland ebenso denke wie Berlin …, und von dessen Widersachern eine üble Meinung fassen."

Und nach Nikolsburg?15 „Die (vom Pressbüro) in der auswärtigen Presse untergebrachten Aufsätze waren es vorzugsweise, welche die Wolffsche Telegraphie und der Tross des Pressbüros als des Auslands Stimme unter uns verbreitete" („ins Deutsche zurückübersetzt"). „Man konnte füglich aus der häufigen Anführung eines fremden Blattes und aus der wiederkehrenden Berufung auf dasselbe schließen, welche ,Organe der öffentlichen Meinung' das Pressbüro sich eröffnet hatte" (für die Versorgung durch deutsche „Pressreptile"). Erinnert werden muss auch daran, dass in den (fremden) Hauptstädten mit der Gesandtschaft zusammenhängende oder an ihr angestellte oder ihr zugewiesene Männer dieselben Dienste leisteten als „Pressreptile" (vgl. 1918 Reventlows Angriff gegen die deutsche Gesandtschaft in Stockholm). Nicht, als ob die prostituierten Zeitungen und Politiker eitel Lobschalmeien auf die Bismärckerei geblasen hätten – das hätte den Trug der gekauften Objekte zu offensichtlich gemacht. Der „gezähmte" – wenn auch nicht Löwe, so doch „Bock in Löwenhaut" spektakelte fort und fort bei Unbedeutendem, um in allen verfänglichen und einschneidenden Fragen desto ungenierter und unbemerkter dem Wink von oben zu folgen nach Art der parlamentarischen Scheinopposition, wie sie einst nationalliberale Schande war, heute regierungssozialistischer Ruhm ist; der „Ruhm politischer Jämmerlinge", die „im Reichstag viel Geschwätz loslassen, das wie Freimut klingt" (freisinnig-tönenden Wortschwall „fürs Volk"), „und, sobald es gilt, ihre Redensarten mit ihrer Abstimmung zu bekräftigen, sich selber ins Gesicht schlagen".

Das waren die Mittel, mit denen 1866 und 1870 „ruchlos der Völker Eintracht" zerstört wurde; das waren die „Blasebälge", mit denen 1870 „die unter der Asche etwa noch glimmenden Funken" alten Franzosenhasses aufgeblasen wurden; so sahen damals die Schimpfer und Geiferer und Donnerer gegen den „Erbfeind" aus.*

Und heute? Aus der Giftpflanze von 1870 ist ein Giftbaum geworden, dessen Blüten die Luft verpesten, dessen Geäst das Licht abfängt, dessen Wurzeln dem gesunden Wachstum die Nahrung fort saugen Die Heger und Pfleger aber dieses Baumes sind dieselben, die das Reis pflanzten und pflegten. Und das Urteil gegen das Bismarcksche Korruptionsregiment bildet eine Verstärkung der Anklage gegen das Getriebe der Ära Wilhelms II., ein Getriebe, dessen verbrecherische Gewissenlosigkeit nur von seiner heuchlerischen Scheinheiligkeit überboten wird.

Zum Wesen des jetzigen Krieges

Landwirtschaft und Industrie verschlingen sich gerade auch in Bezug auf die Rohstoffgewinnung immer unlöslicher. Mit Entfaltung der landwirtschaftlichen Technik (Maschinen-, Bau-, Entwässerungs- und Bewässerungswesen usw.) erwerben Metalle, Kohle, Öle und sonstige mineralische Rohprodukte von Tag zu Tag höhere Bedeutung für die Landwirtschaft und das Zwischenbereich der landwirtschaftlichen Nebenbetriebe. In zunehmendem Maße werden bergbaulich gewonnene Rohstoffe im ganzen (Kali!) oder in „Abfällen" (Nebenprodukten, z. B. Phosphor) für die Landwirtschaft verwendbar und unentbehrlich. Und je mehr die Chemie neben die Aneignung der mineralischen Bodenschätze die analytische und synthetische Herstellung von Rohstoffen auch aus dem, was über der Erdoberfläche ist, auch aus nichtmineralischen Substanzen (vgl. Luftstickstoff) stellt, um so mehr tritt außer der Aneignungs- auch die Verarbeitungsindustrie in den Dienst der Gewinnung landwirtschaftlicher Rohstoffe. Die Versorgung der Landwirtschaft mit Elektrizität (als Betriebskraft wie als Äquivalent für Düngemittel, die Mittel zur unmittelbaren Ertragssteigerung) und vieles sonst tritt dazu. Die Landwirtschaft (einschließlich der Forst- und Fischwirtschaft und der weit zurücktretenden Jagd) wiederum liefert nicht nur die Nahrungsmittel, d. h. die Rohstoffe für den menschlichen Körper, und andere unmittelbar der physischen Erhaltung und Vermehrung des Menschengeschlechts dienende Güter, wie der Kleidung (Felle, Leder, Wolle, Baumwolle, Flachs, Hanf, Seide usw.) und der Wohnung (Holz usw.). Zu dieser absolut grundlegenden Funktion der Landwirtschaft für alle menschliche Existenz, auf der sich die elementaren Verarbeitungsgewerbe (Nahrungsmittel-, Bekleidungs-, Bauindustrie) aufbauen, kommt die landwirtschaftliche Erzeugung für die indirekten Bedürfnisse der menschlichen Wirtschaft: tierische und pflanzliche Fasern (z. B. für Taue, Säcke, Papier in seinen zahlreichen Verwendungsformen); Fette für industrielle Zwecke aller Art; Leder; Farbstoffe; Chemikalien; Holz; landwirtschaftlich gezüchtete Tiere als Arbeitsmittel usw.

Die Grenze zwischen Landwirtschaft und Industrie, die niemals eine scharfe und stets nur eine praktische Hypothese war, verwischt sich gerade im Punkte der Rohstoffe mehr und mehr. Wenn die landwirtschaftliche Produktion auch hier zu allen Zeiten entscheidende Bedingung für die übrigen Zweige der menschlichen Wirtschaft war und bleiben wird, solange nicht die synthetische Chemie Ersatz schafft, so ist es ein Kennzeichen der fortschreitenden materiellen Kultur, dass die Autarkie, die Selbstgenügsamkeit der Landwirtschaft, auch im Punkte der Rohstoffe schwindet, dass sie auch in der Rohstoffversorgung immer abhängiger wird nicht nur von der Landwirtschaft anderer Zonen und Klimate, sondern auch von der industriellen Urproduktion. Hierin liegt der ökonomische Hauptgrund für die Bekehrung des landwirtschaftlichen Kapitals von seiner noch kürzlichen Ablehnung der Weltpolitik zur passiven Duldsamkeit und schließlich zum leidenschaftlichen Imperialismus, zur immer vorbehaltlosen Kriegszielsolidarität besonders mit der Schwerindustrie, einer Solidarität, die der heutigen offiziellen Kriegspolitik allenthalben den Stempel aufdrückt.

Andere Gründe der agrarischen Eroberungsbegier sind in anderem Zusammenhang behandelt: der Wunsch nach Verringerung der Kriegslasten für die Besitzenden, die Hoffnung auf gesteigerten Kapitalprofit; die Erwartung, dass die Angliederung geeigneter Gebiete, indem sie die Leistungsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft erhöht, die Fortsetzung der agrarischen Wirtschaftspolitik erleichtern wird; das Verlangen nach dem Junkersukkurs aus dem Baltikum; die Überzeugung, dass ein „deutscher Friede" die innerpolitische Stellung des Junkertums und seiner Trabanten, dass er Militarismus, Polizeiwirtschaft usw. stärken, ein anderer Friede sie gefährden wird; und die nicht weniger gerechtfertigte Auffassung, dass das imperialistische System sich wie nach innen so nach außen nur mit Gewalt aufrechterhalten und weiter durchführen lässt.

Die imperialistische Politik auch der Agrarier ist folgerichtig. Nicht vom Standpunkt irgendeines bürgerlichen oder pseudosozialistischen Reformismus kommt man ihr zu Leibe, sondern nur vom Standpunkte eines ebenso konsequenten Internationalismus. Entweder – oder.

Zum Verhältnis zwischen innerer und äußerer Politik

Wie die äußere Politik in ihren Aufgaben und Zielen nur eine Fortsetzung, eine Verlängerung der inneren Politik bildet, so unterstützen und ergänzen sie sich auch in ihren Mitteln und Methoden. Die äußere Politik benutzt die Mittel und Methoden der inneren und umgekehrt. Seit je haben dynastische Prätendenten bei ihren Konkurrenzkämpfen auch ans Ausland appelliert; nicht nur den Bürgerkrieg, sondern auch den Staatenkrieg verwendet. Und nicht anders, wenn die streitenden Prätendenten statt dynastischer Individuen und ihrer Koterien verschiedene nationale Teile oder soziale Schichten der Bevölkerung sind.

Heute sehen wir, wie sich in der Ukraine, in Finnland, im Baltikum die zarische Interventionssehnsucht von einst als bürgerliche Intervention erfüllt hat; keinen Augenblick haben die besitzenden Klassen gezögert, das Schwert des äußeren Feindes, das noch von ihrem eigenen Blute troff, gegen das Proletariat des eigenen Landes zu rufen: Die Internationale der Ordnung ward zur Wirklichkeit von heute. Auch die besitzlosen Massen riefen und rufen auswärtige Hilfe – aber nicht die Hilfe der fremden Regierungen, sondern die Hilfe der arbeitenden Massen, ihrer Klassengenossen jenseits der Grenzen; und nicht zur militärischen Intervention, sondern zur sozialen Revolution, der Wirklichkeit von morgen. Nicht Staatenkrieg, sondern Klassenkampf ist das Mittel des Proletariats, wie in der auswärtigen Politik, so in der inneren; Klassenkampf im einzelnen Lande und im Auslande für die innere Politik, Klassenkampf im Auslande und im einzelnen Lande für die äußere Politik.

Staatenkrieg – das ist das stärkste Mittel, das die besitzenden Klassen für ihre innere Politik dem Arsenal der auswärtigen entnehmen; Staatenkrieg zur bonapartistischen Ablenkung der eigenen Bevölkerung von der inneren Misere; Staatenkrieg zur materiellen und „moralischen" Befestigung der Herrschaftsstellung im Innern, der Klassenherrschaft; Staatenkrieg zur vorbeugenden Bekämpfung einer künftigen innerpolitischen, im eigenen Lande durch Ausrottung einer kontagiösen gegenwärtigen Gefahr im Ausland und derselbe Fall von der anderen, der intervenierten Seite gesehen: Staatenkrieg als militärische Hilfe des Auslandes, und seien es auch äußere Feinde, gegen die aufsässige eigene Bevölkerung – kriegerische Intervention, die freilich Klassenkampf ist, Klassenkampf in der Form des Krieges – internationalisierter Bürgerkrieg. Für alle diese Möglichkeiten und ihre Kombinationen bietet vornehmlich die europäische Geschichte von 1792 bis 1849 eine Überfülle von Beispielen.

Die Form der kriegerischen Intervention kann auch der proletarische Klassenkampf annehmen: in der Epoche der letzten Entscheidung, nicht zur Oktroyierung, nicht zum gewaltsamen Import der sozialen Revolution in ein dazu noch nicht gereiftes Land, nicht zur mechanisch-künstlichen Herstellung eines Zustandes, dem die organische Gesellschaftsentwicklung noch nicht entspricht, sondern ehe die Herrschaft der Arbeiterklasse noch überall begründet ist: als revolutionäre Intervention für das zur Übernahme der Herrschaft bereits befähigte Proletariat anderer Länder, als Mittel zur rascheren Verallgemeinerung der sozialen Revolution, wenn ihre Stunde gekommen ist.

So schlägt Staatenkrieg in Klassenkampf um – Klassenkampf in Staatenkrieg –: die nachdrücklichste Demonstration der prinzipiellen Einheit, wie von Krieg und kapitalistischem Frieden, so von innerer und äußerer Politik.

Nicht selten sucht der „äußere Feind" für seine Zwecke die sozialen Kämpfe zu fördern. Darf sich das Proletariat seiner Hilfe bedienen? In der Absicht, sich nicht für dessen Zwecke benutzen zu lassen, sondern ihn den Zwecken des Proletariats dienstbar zu machen – als Helfer wider Willen? Nichts könnte kurzsichtiger sein als dieser Plan. Stets wäre der überpfiffige Möchtegern-Betrüger der Geprellte. Stets wäre das Proletariat der Leidtragende. Der Erfolg, den es so etwa erzielen würde, wäre kein Erfolg aus eigener Kraft, kein Erfolg eines revolutionären Beistandes; er würde bald in Schande zusammenbrechen und die revolutionäre Bewegung weiter zurückschleudern, als sie vorher war; jeder Versuch aber, den Erfolg zu behaupten, würde das Proletariat an eine gegenrevolutionäre Macht ausliefern, die es für ihre antiproletarischen Zwecke benutzen und nur auf den Moment warten würde, es vollends niederzutreten. Kein Erfolg also winkt hier, nur Gift und Wunden. Dem Sozialismus sind die geriebenen Methoden der doppelzüngigen Geheimdiplomatie, der hinterhältigen Kabinettspolitik versagt. Sein wertvollster Schatz ist das Vertrauen der Massen in die Ehrlichkeit, Gradlinigkeit, Reinlichkeit seiner Politik. Der Quell dieses Vertrauens ist Offenheit und Eindeutigkeit, innere und äußere Wahrheit und Klarheit.

Grundsätzlich anders als beim Klassenkampf liegt die Benutzung der außenpolitischen Methoden beim nationalen Kampf. Unterdrückte nationale Minderheiten können ihre Ziele nicht wie unterdrückte soziale Schichten durch eine internationale Bewegung erreichen; während aber das Proletariat im Auslande keine Unterstützung finden kann, außer bei seinen Klassengenossen, können den nationalen Minderheiten nicht nur ihre auswärtigen Volksgenossen zur Stütze dienen, sondern auch alle möglichen anderen Machtfaktoren des Auslandes; denn sie alle können je nachdem ein wirkliches und dauerndes Interesse an dem Erfolg der nationalen Bewegung besitzen (vgl. Tschechen!). Gerade diese Vielfältigkeit der in thesi möglichen Mittel birgt aber die schwere Gefahr der Verderbnis, der Verwirrung, der Selbsttäuschung und des Getäuschtwerdens, des verhängnisvollen Vergreifens, der Hinopferung für die Zwecke fremder Heimtücke. Das irische Beispiel ist heute der Katechismus dieser Lehre.

Imperialismus und Krieg oder Sozialismus und Frieden

Was ist der Inhalt der Gegensätze, die bisher zum Kriege trieben und immer wieder treiben werden, solange sie bestehen? Die kapitalistische Weltkonkurrenz zwischen den verschiedenen staatlich zusammengefassten Interessengruppen, zwischen den verschiedenen imperialistischen Systemen um die Reichtümer (Rohstoffe, Arbeitskräfte, Absatzmärkte, Anlagegebiete) der Erde.

Also heben wir diese kapitalistische Konkurrenz auf, machen wir die Reichtümer der Erde zu einer gemeinsamen Angelegenheit der ganzen Menschheit! Ersetzen wir die kapitalistische Gesellschaft, die die Menschheit in Klassen und sich zerfleischende Räuberhorden auseinanderreißt, durch die sozialistische Gesellschaft, die die Menschheit versöhnt und zusammenschließt!

Diese Internationale der Zukunft, die triumphierende, zu schaffen, ist Aufgabe der Internationale der Gegenwart, der kämpfenden Internationale.

Das Mittel dazu ist die soziale Revolution, die allein nicht nur jetzt den Frieden bereiten, sondern auch die künftigen Kriegsursachen ausrotten kann.

Wer das Ziel will, muss das Mittel wollen.

Imperialismus und Krieg – oder Sozialismus und Frieden – kein Drittes gibt's.

Revolutionäre Aussichten für die Zeit nach einem deutschen Frieden

Das Fazit des Krieges wird eine wirtschaftliche Niederlage aller Länder sein, auch der etwa militärisch siegreichen. Der wirtschaftliche Druck wird zur wirtschaftlichen Entfesselung aller Volkskräfte zwingen; er wird auch politisch und wissenschaftlich revolutionäre Tendenzen erzeugen oder steigern. Inwieweit sich diese Tendenzen aber durchsetzen werden, ob und inwieweit sie von widersprechenden Tendenzen aufgehoben, gar in ihr Gegenteil verkehrt werden, das hängt in hohem Grade vom Ausgang des Krieges für jedes Land ab. Bei einem deutschen Siege wird die revolutionäre Chance für Deutschland auf absehbare Zeit nichts weniger als günstig sein und selbst der von vornherein geplante Rückzug der Regierung in der Wahlrechtsfrage ohne großes Risiko vollführt werden können, wenn er nur mit Friedeberg-Hertling-Drewsschem Raffinement maskiert wird.

Nicht nur wird ein „deutscher Frieden" die Folge des Versagens der deutschen Massen sein, ihrer revolutionären Impotenz in der Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch eine wesentliche Ursache für ihre künftige revolutionäre Impotenz; nicht nur infolge der kolossalen Steigerung der militärischen, politischen, wirtschaftlichen Macht der herrschenden Klassen; nicht nur wegen der verblödenden und benebelnden Siegeslümmelei und patriotischen Demagogie, sondern auch, weil die herrschenden Klassen der Arbeiterschaft (oder doch wichtigen Teilen davon) in der besonders kritischen Übergangsperiode die wirtschaftlichen Korruptionsvorteile der Kriegszeit hier und da lassen werden, ihr auch allerhand politische und soziale Anästhetika einspritzen, allerhand Blender und Köder bieten können und werden – Scheinvorteile zwar nur, die die Herrschaft des Imperialismus nur befestigen, aber eben dadurch, dass sie dem oberflächlichen Blick überzeugend genug als wirkliche Vorteile erscheinen, so den Massen imponieren, sie korrumpieren und von ihrer revolutionären Mission abhalten – bis dem narkotischen Rausch das Erwachen im grauen Elend folgt.

Und noch eins: Wir verwerfen einen Würgefrieden, wie er jetzt im Osten geschlossen ist, wir verwerfen einen deutschen Frieden und sagen ihm Fehde bis aufs Blut an, auch weil er die für die Arbeiterklasse, für den Sozialismus verhängnisvollste Wirkung des Krieges in die Zeit des „Friedens" hinüberrettet, weil er den Völkerhass verewigt, verschärft und damit der Wiederentfaltung der internationalen proletarischen Solidarität, dieser Grundlage aller Grundlagen, dieser Voraussetzung aller Voraussetzungen für die Befreiung der Arbeiterklasse, einen neuen Felsblock in die Wege rollt. Ebendieser Umstand bildet für die herrschenden Klassen, die im Trüben des Völkerhasses fischen, einen besonderen sozialen Profit. Je schärfer die nationalen Gegensätze, die internationalen Spannungen nach dem Kriege bleiben, um so größere Schwierigkeiten für die Erneuerung der sozialistischen Internationale, aber auch für die Wiederaufrichtung der „sozialistischen Nationalen", der revolutionären Klassenbewegung des Proletariats in jedem einzelnen Lande: ein Vorteil, der den deutschen Gewalthabern allein schon die wirtschaftlichen und politischen Nachteile eines solchen Spannungszustandes nach dem Kriege aufwiegen mag – ein Grund, der ihnen den brutalsten „Schwertfrieden" um so erwünschter, um so willkommener macht. Aber nicht nur die deutschen Imperialisten sind es, die von einem „deutschen Frieden" profitieren – sondern auch ihr pseudo-proletarisches Widerspiel, die Regierungssozialisten, die davon leben, dass das Proletariat sich nicht revolutionär entwickelt; deren Lebenselement eben jene stumpfe, dumpfe Anpassung an die bestehenden Zustände ist, die ein deutscher Sieg so mächtig fördert; deren Interesse die Begünstigung alles dessen fordert, was den sozialistischen Aufstieg, die revolutionäre Bewegung hindert: Sind sie doch selbst zugleich ein soziales Hinderungsmittel und ein soziales Hinderungsprodukt.

Breiteste Massen des deutschen Proletariats denken, wie es scheint, nicht daran, jetzt, wo die Schuftigkeit der Regierungssozialisten augenfälliger und ärger ist als je, ihnen die tausendfach verdienten Fußtritte zu geben. Im Gegenteil: Der Zuzug zu den Unabhängigen scheint geringer zu sein als je: Die Regierungssozialisten segeln mit dem guten Winde der deutschen Siege. Die Massen sind verwirrt, verdutzt, betäubt, trunken, nicht empört. Ihre politische Haltung richtet sich – das predigt eine alte Lehre – in erster Linie nicht nach Theorien und Prinzipien, sondern nach ihrer politischen und sozialen Gesamtlage. Wenn diese ihnen Dialektik einpaukt, Verständnis für die sozialistischen Grundsätze und für die revolutionären Notwendigkeiten, so werden sie folgen; nur wenige sind's, deren Handeln durch theoretische Erkenntnis ihrer historischen Aufgaben bestimmt wird. Fehlt die einpaukende und stimulierende Kraft der politischen und sozialen Lage, wirkt diese sogar ablenkend, verwirrend, blendend, einschläfernd – nichts für Schwankende! –, ist erfolgreicher als der Erfolg – selbst der eines Feindes! –, so fehlt zumeist auch die Einsicht in diese Lage, ihre verborgenen Erfordernisse und stummen Gebote.

Auch wo die theoretische Erkenntnis vorhanden, ist dann in der Regel die Fähigkeit und Entschlossenheit zu vermissen, sie zur Tat zu machen, die auch die Stumpfen aufscheucht und mit fortreißt.

So ist in Deutschland vor allem bei einem deutschen Frieden eine Periode der politischen und sozialen Versumpfung des Proletariats zu erwarten – bis die Tatsachen, bis die soziale und politische Gesamtlage, bis die Peitsche der Not und der Unterdrückung den Massen wieder Erkenntnis, Klassenbewusstsein, Aktionsfähigkeit beibringen. Bis dahin aber gilt's für uns, nicht rastend die Hände in den Schoß zu legen, sondern mit verdreifachter Kraft zu arbeiten, damit das Wiedererwachen des Proletariats beschleunigt werde. Dabei wird der revolutionierende Einfluss der nun in die deutschen Finger geratenen Fremdvölker, der bisher in Russland, aber auch in der Türkei und Österreich so bedeutsam wirkte und nun Deutschland von innen erfassen wird, ein starker Hebel sein.

Die auswärtige Politik des Sozialismus

Der internationale Sozialismus kann seinem sozialistischen und seinem internationalen Wesen nach (d. h. als Sozialismus und Internationalismus) einen Widerspruch zwischen seiner inneren und äußeren Politik durchaus nicht kennen und ertragen. Homogenität und Kontinuität seiner inneren und äußeren Politik sind ihm unbedingte Postulate. Von beiden fordert er den gleichen sozialistischen, internationalen, revolutionären Geist.

Die Aufgabe der vom klassenbewussten Proletariat getragenen sozialistischen Politik ist: Förderung der gesellschaftlichen Entwicklung in der Richtung zur sozialistischen Gesellschaftsordnung usw. durch das Mittel der proletarischen Klassenbewegung, die im Momente der Peripetie den Charakter der sozialen Revolution im engeren Sinne annimmt. Die soziale Revolution ist nur möglich bei erlangter Reife eines ausschlaggebenden Teils der Menschheit für die sozialistische Gesellschaftsordnung. Diese Reife aber ist die Überreife der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, die Vollendung ihrer gesellschaftlichen Entwicklungsaufgabe.

Folgt daraus, wie oberflächliche Schematiker zuweilen meinen, dass die sozialistische Politik die kapitalistische Entwicklung fördern müsse, um so die Entstehung der Voraussetzungen für die soziale Revolution zu beschleunigen?

Jene Reife der Gesellschaft ist keine absolute Größe, sondern eine relative, und zwar auch in wirtschaftlich-technischer Hinsicht. Wann die Gesellschaft für die sozialistische Ordnung reif ist, hängt nicht nur vom Grade ihrer wirtschaftlichen Entfaltung ab, sondern von ihrer gesamten sozialen Entwicklung im weitesten Sinne, vor allem auch von dem Grade, den das Bewusstsein, die Einsicht, der Wille, die Entschluss- und Aktionskraft des Proletariats erreicht hat, von der geistigen, moralischen, psychischen Stufe der arbeitenden Massen.

Sowenig dieser – psychische – Faktor nun willkürlich aus blauer Luft erzeugt werden kann, sondern von den gesamten jeweiligen Lebensbedingungen der Massen bedingt wird, sowenig ist er jeweils eine starre, durch außermenschliche oder auch nur außergesellschaftliche Mächte fest bestimmte Größe. Zu den psychischen Kräften des Menschen gehört auch die Fähigkeit der psychischen Eigenbewegung in gewissen Grenzen, die Fähigkeit, die gegebenen psychischen Kräfte durch systematische Einwirkung in diesen Grenzen zu steigern. Das gilt von der Gesellschaft wie vom Individuum – vergleiche die Erziehung. Und so sehr auch diese Fähigkeit in ihnen ob und wie objektiv bedingt und bestimmt ist, so sind die Menschen darum nicht gehindert, sie in den gegebenen Grenzen auszuüben. Ist die Freiheit der Prüfung, der Entschließung und der Tat, die der einzelne Mensch und die verschiedenen Menschengruppen hierbei zu betätigen meinen, vom Standpunkt der Gesellschaftspsychologie betrachtet auch nur ebenso eingebildet wie die individuelle Willensfreiheit vom Standpunkt des einzelnen, so bleibt infolge des Selbstbewusstseins und der ganzen psychischen, geistigen Artung des Menschen für die Auswirkung der wenn auch objektiv gebundenen menschlichen Seelenkräfte im weitesten Sinne kein anderer Weg, als eben der über das Zusammen-, Gegeneinander- und Wechselwirken der verschiedenen sich selbständig dünkenden Individuen und Gruppen. In diesem verschlungenen, von Selbsttäuschungen wimmelnden Prozess, in dem sich die gesamtgesellschaftliche Psychologie und aus ihr die materielle gesellschaftliche Betätigung entfaltet, hat ein jeder alle Kräfte und Impulse zu betätigen, deren er für sich selbst und in Bezug auf andere fähig ist; so trägt er an seinem Teil zur Verwirklichung des objektiv bedingten und bestimmten Lebensprozesses der Gesamtgesellschaft bei.

Jenen psychischen Faktor zur Beschleunigung der Möglichkeit der sozialistischen Gesellschaft zu stärken, das ist die spezifische Aufgabe der sozialistischen Politik – ihre revolutionäre Aufgabe. Durch die Erfüllung dieser Aufgabe hilft sie die Voraussetzungen schaffen, um die Keime und Bedingungen der sozialistischen Gesellschaft innerhalb der kapitalistischen Gesellschaftsordnung besonders in politischer und wirtschaftlicher Beziehung systematisch auszubilden. So wirkt sie dialektisch dahin, dass der Zeitpunkt der Reife der Gesellschaft möglichst nahe gerückt werde.

Das vom Kapitalismus gesagt: Je mehr Triumphator, um so mehr eigener Totengräber, dieser richtige Kern der „Katastrophentheorie" ist nur richtig infolge der sich nicht nur im gleichen Verhältnis, sondern in noch rascherer Proportion steigernden Gegenwirkung. Und nicht die Unterstützung des kapitalistischen Triumphs oder seine korybantische Begleitung à la Lensch16, sondern diese Gegenwirkung, das ist unsere, ist des kämpfenden Proletariats Aufgabe.

In der Frage der Entfaltung des Kapitalismus, in seinem kapitalistischen Wesen verhält sich die sozialistische Politik rein kritisch. Aber auch diese Kritik ist schöpferisch, indem sie die noch beherrschten, für die sozialistische Bewegung verwendbaren Kräfte, die noch latenten Elemente der sozialistischen Entwicklung herausarbeitet und pflegt.

Die auswärtige Politik des Sozialismus ist nicht nur die Verlängerung seiner inneren Politik über die vom sozialistischen Standpunkt zufälligen Landesgrenzen. Sie ist mehr als die irgendeines anderen Gesellschaftsprinzips in Idee und Praxis identisch mit seiner inneren Politik. Seine äußere wie seine innere Politik sind gleicherweise aus der Wurzel der internationalen sozialen Gegensätze, der Klasseninteressen des internationalen Proletariats, von dem das nationale nur ein unselbständiger Splitter ist, des internationalen Klassenkampfs, von dem der nationale nur ein unselbständiger Teilvorgang ist; sie sind nur Spezialanwendungen der ihrem Wesen nach internationalen Grundsätze des Sozialismus auf die konkreten Formen, in denen die Klassengegensätze im Einzelnen und im Allgemeinen, örtlich oder überall erscheinen, auf die konkreten Bedingungen für den Klassenkampf, die sich speziell im Innern der einzelnen Staaten oder generell über die Staatsgrenzen hinaus zeigen.

Aus dem Primat des internationalen Gesichtspunktes über den nationalen folgt grundsätzlich auch der Primat der äußeren Politik über die innere. So bildet die innere Politik des Sozialismus nur einen Spezialfall seiner äußeren. Und was der Imperialismus in einem entgegengesetzten Sinne von sich sagt, gilt unbedingt vom Sozialismus: „Sieg nach innen und Sieg nach außen bedingen einander."

Die Ziele der auswärtigen Politik des Sozialismus müssen sozialistische sein; ebenso ihre Mittel. Sie erstrebt Förderung der gesellschaftlichen Entwicklung in der Richtung zur sozialistischen Gesellschaftsordnung, die international sein muss. Diese Förderung erfolgt durch Entfaltung aller im sozialistischen Sinne geeigneten gesellschaftlichen Kräfte – der sozialistischen Kräfte der Arbeiterklasse, die noch auf dem Boden der kapitalistischen Gesellschaft dem Kapitalismus entgegengesetzt werden. Sie erfolgt aber auch durch Einwirkung auf die Machtentwicklung des Kapitalismus selbst: Insofern die sozialistische Bewegung die Art und Energie der Macht, die sie jeweils entgegen wirft, nach der Größe der entgegenstehenden imperialistischen Macht und dem Grade ihrer antisozialistischen Gefährlichkeit verschieden bemisst, um so auch eine möglichst gleichzeitige Reife der wichtigsten kapitalistischen Gebiete für die sozialistische Umgestaltung zu sichern. Die Mittel der auswärtigen Politik des Sozialismus sind die verschiedenen Formen und Methoden des revolutionären Klassenkampfes.

Sowenig wie eines der inneren gibt es ein sozialistisches Mittel der auswärtigen Politik des Sozialismus, das außerhalb des Klassenkampfes liegen könnte.

Zu den Steuervorlagen

Dass die Regierung jetzt, gerade jetzt und gerade diese Steuern fordert, zeigt, wie stark sie sich fühlt, wenigstens bei der Einbringung fühlte; wie sicher sie ist, wenigstens war, den Massen auch diese Provokation bieten zu können, ohne den deutschen Siegeslauf zu gefährden. Und wenn die Vorlage die trotz aller Papiermastkuren ausgehungerte Reichskasse speisen soll, so soll sie doch in erster Linie Stimmung für die Forderung einer Kriegsentschädigung großen Kalibers und für das Programm der Vaterlandspartei machen. Durch diese Steuerbastonade hofft man der Bevölkerung das nötige Verständnis für die Schmerzhaftigkeit der Kriegslasten beizubringen und den „einmütigen Schrei" nach Abwälzung auf die Feinde zu entlocken.

Gern schrieb ich noch etwas zu der deutschen Marinesache.

Durch die jammervolle Haltung der Haase-Genossen, die sich statt wuchtigsten Gegenangriffs, statt politischer Gegenoffensive größten Stils in eine elende Verteidigungsposition zurückzogen und mit Advokatenkniffen kniffen, die trotz einiger konventioneller Worte die heldenmütigen Vorkämpfer der deutschen Revolution in der Marine und ihre Ideale preisgaben17 und die russische Revolution „mit Sympathie begrüßten" wie einen lahmen Hund und kitschig als das größte Ereignis des Jahrhunderts bezeichneten, statt von der Reichstagstribüne zur deutschen Revolution, zur politischen Aktion der deutschen Massen aufzurufen, aufzurütteln – durch diese traurige Haltung der radikalsten Opposition des Reichstags ist die Stellung des deutschen Imperialismus verstärkt, auch wenn Michaelis schließlich über diesen Zwirnsfaden gestolpert ist18; ja um so mehr: denn die Ausschiffung dieses selbst von der „Deutschen Tageszeitung" schließlich ganz offen unmöglich genannten Mannes, der nicht einmal als Kulisse zu gebrauchen war, diese Ausschiffung und nicht minder das Kabinett Hertling bedeuten nur eben eine Sanierung der deutschen imperialistischen Regierung. Und kann es einen glänzenderen Erfolg für diese Regierung geben, als dass die Haase-Genossen zum Objekt der Solidarität, ja der Barmherzigkeit für die Scheidemann und Genossen, bis zum Objekt der Sympathie eines Müller-Meiningen19, Naumann20 e tutti quanti herabgesunken sind?

Ledebours lahme Drohung mit dem Massenstreik für die blaue Zukunft und in die weite Welt der Internationale hinein kann dieses Ergebnis nicht ändern, eher es unterstreichen: Mangel an Initiative, an Entschlossenheit, an Kraft, an allem!

An Sophie Liebknecht21

1. In Anliegendem, wie auch sonst, sind manche Dinge mehrfach berührt oder schon früher behandelte nochmals berührt unter ergänzenden Gesichtspunkten: 2. Th. aus der Entstehungsart zu erklären, 2. Th. aus dem Wunsche, für die praktische Verwendung eine möglichste Auswahl zu geben.22

2. Ich glaube mich jetzt bestimmt zu entsinnen, dass ich das Rüst.-Man23 in einer der ledernen Anwaltsmappen schon 1914 oder 1915 durch … fortbringen ließ.

3. Mit dem am 5. mitgebrachten Manuskript warst Du etwas unvorsichtig! Warum kein Kuvert? Wegen des ersten Eindrucks bei Kontrolle hätte eine minder verfängliche Seite zuoberst liegen sollen.

Dieses Manuskript war das in der Aufstellung aus dem Untersuchungsgefängnis als „Wissenschaftl. Arbeit" oder „Institut" „Karl 1945“24 bezeichnete. Ich bin in Unruhe, ob die übrigen damals bezeichneten Manuskripte und Materialien, die Du je in besondere Pakete mit einer genau angegebenen Aufschrift zu packen versprachst und später gepackt zu haben versichertest, auch wirklich gepackt sind?

4. Und werde … immer wieder besorgt, ob da meine jetzigen Sachen (seit Anfang 1917) auch wirklich gut mundiert, kontrolliert und verwahrt sind? Das ist viel wichtiger als meine körperliche Gesundheit. Geht mir auch diese Arbeit, dieses Baumaterial, Halbfabrikat für einen größeren Plan, wie so viel bis jetzt, verloren, so beeinträchtigt mich das draußen viel mehr, als eine physische Schwächung [es] könnte. Ich kann nicht existieren, ohne etwas Ordentliches vorwärts und zustande gebracht zu haben. Das ist die Voraussetzung zu dem für die Existenz notwendigen Minimum an Selbstgefühl. Also bitte, bitte! (Studien)

5. Avis über Erledigung!

6. Was mir auf dem Herzen lag u. ich am 5. 4. doch vergaß, war die Frage nach Deinen Studien u. Vorträgen. Warum bin ich darüber so im dunkel ? In Briefen fragte ich immer wieder!

7. Abschrift der am 5. 4. gegebenen Reimereien tu bitte zu den übrigen. Dazu auch aus einer größeren Sache die Zeilen (an die Richter gerichtet!):

Sprecht euren Spruch, ich bin bereit! Doch schon ist euer Schlag zunichte! Ich sinke in die Dunkelheit – Die Völker steigen auf zum Lichte!"

8. Zur Hauptsache: Die Nachricht über L.25 ist bös, das Böseste seit 1916. Und nicht helfen, nicht mal raten zu können! Und nicht mal an ein Rauskommen denken zu können, bei dem man etwas Rechtes nützen könnte u. nicht sofort wieder gepackt würde! Hat man sich um die Wohnung gekümmert? Es war ein Archiv angelegt (1916). Weiß wer davon? Wo was? Es soll nicht verlorengehen! Wer ist sein Anwalt? – Er muss auch im Gefängnis mit Nahrung usw. versorgt werden. Ich grüße ihn.

9. Aktion – Aktion! Ist gar nichts möglich? Es muss aber! Und darf nicht nachgelassen, sondern nur verschärft werden. Gerade jetzt. Jetzt gerade. Auch Spart[acus] muss weiterleben: Nun gerade!

Ich bitte Fr.26 u. jeden anderen: Nun gerade! (Vielleicht können sie einen oder den anderen Vers des am 5. Mitgegebenen „Besiegt, nicht überwunden" für Sp. gebrauchen? Wenn Du's nicht für blamabel hältst, reg's vielleicht an! Aber ganz nach Deinem Urteil – ich hab ja keine Fühlung: jedenfalls anonym!) Hauptsache Aktion, Aktion, Aktion! Trotz des Westens – gerade wegen des Westens.

10. Ich lese von der Verhaftung von Pfeiffer27 u. Agnes in Düsseldorf!28 Wie steht's mit Minster?29 und Eisner?30 Ist Luise Zietz31 frei?

Der erste Mai!! Hie Anleihe! Das Wahlrecht, das doch täglich aktueller wird!!!! Wo blieb März-Streik, frag' ich nochmals! Habt Ihr Punkt[iertes]32 nicht gelesen? Das darf nie versäumt werden!!

Wegen Bobs Reise tauchen schwere Bedenken auf: Die Lage Hollands ist sehr kritisch – über Nacht kann es in den Krieg geraten u. seine Küste ein Hauptkriegsschauplatz werden. Die Klärung wird sich aber wohl bis Ende April – Bobs Reisetermin – vollziehen. Unbedingt müssen wir uns noch vorher verständigen.

Kannst Du denn mein Geschreibsel lesen? Wenn nicht, so musst Du mir's geradeheraus sagen!!

Die Zeitungen, die Ihr mitbringt, bekomme ich doch stets erst am Sonntag. Bringt daher künftig keine mit. Ich habe den Nachteil, dass mir diesmal die Freitagabend- u. Sonnabendfrüh - No. No. fehlen, die Ihr sonst immer mitschickt. Jede No. weiter voran ist für mich von Wert.

Versäume doch – trotz des Stadtgeruchs – den Wüllnerschen Manfred nicht. Wüllner ist gewaltig u. dieser Manfred um so kongenialer, als er um verwandter Erlebnisse willen Vergessenheit – forgetfulness, oblivion, self-oblivion – sucht. Es ist Unsinn, Manfred als Faust- u. Hamlet-Pfropfreis aufzufassen. Es ist das persönlichste, allereigenste von allen Byronschen Werken; ein reines, fast zu individuelles Selbstbekenntnis, eine symbolisch dramatische Gestaltung des Seelenzustands, in den ihn das Verhältnis zu seiner Schwester gebracht hatte. Die Hinweise sind ja deutlich genug. Aber alles ist zu solcher Erhabenheit u. schließlich doch Allgemeingültigkeit gesteigert, dass es ein gleich ergreifendes menschliches Dokument schwerlich gibt.

Nur fürchte ich, gibt's keine gute Übersetzung? Die Schumannsche Musik wird Dich auch packen. Ich glaube, auch Helmi sollte es versuchen!

Küsse, Küsse, Küsse – Dein „Karlouschenka" (richtig?)

Sobald Brief an Deine Mutter33…, gib Nachricht. Welche Erleichterung, dass ihr Brief kam! Wie glücklich bin ich für Dich!

Küsse den Kindern. Grüße alle Freunde – u. Kopf hoch, unbeirrt, weiter geschritten

Wenn Du etwas trotz aller Bemühungen nicht sicher entziffern kannst, so heb's äußerstenfalls im Manuskript auf (den betreffenden Passus!); das darf aber nur der allerletzte Ausweg sein – aus vielen Gründen – ich bitte Dich!

Einige Bemerkungen zu: „Unsere Aufgaben"

1. Jugend! Jugend! Jetzt und in Zukunft nicht alles tun, die Jugend für uns, für die Internationale, zu gewinnen, sie unlöslich in sie hinein zu schmelzen, wäre ein verhängnisvoller Fehler, der die Zukunft unserer Bewegung in Frage stellen kann. Die Jugend den Regierungssozialisten und ihrem korrumpierenden, verrottenden Einfluss überlassen wäre schlimmer als der Verlust der parlamentarischen Mandate. Die Jugendfrage ist für uns eine Lebensfrage, ja, die Lebensfrage.

2. Intelligenzen. Für Wissenschaft, Organisation, Propaganda sind Intelligenzen unentbehrlich; ohne sie ist keine Presse, keine Literatur möglich. Intelligenzen aus Arbeiterkreisen oder Ideologen. Die Aufklärung der Massen, die Art ihrer Organisation, der auf Selbstbewusstsein und Eigeninitiative der Massen gerichtete Geist der Bewegung werden den festesten Damm gegen das Eindringen und den Einfluss unzuverlässiger Elemente bilden. – Nicht durch kleinlich-borniertes a-limine-Misstrauen neue, frische Kräfte abschrecken, sondern durch kühne, freie, begeisterte Tat, durch den Schwung der Bewegung, durch klare Entschlossenheit und stählerne Festigkeit im Kampf, durch die Grenzenlosigkeit des Opfermuts, kurz, durch den leidenschaftlichen Idealismus, die unbeirrte Grundsatztreue, die Tüchtigkeit der Leistungen die edelsten Geister an uns reißen und an uns fesseln, das gilt's.

Die Notwendigkeit der sozialen Revolution

Die Wahl, die Entscheidung, vor der das Proletariat heute steht, ist nicht soziale Revolution oder Fortsetzung des jetzigen Krieges, sondern soziale Revolution oder Fortsetzung dieses Krieges und daran anschließend eine ganze Periode weiterer Weltkriege, deren Konturen sich heute bereits am Horizont abzuzeichnen beginnen – hinter dem Dampf des jetzigen Blutmeeres und dem Qualm der europäischen Verwüstung. In diesem heranbrausenden Malstrom wird die Internationale des Sozialismus kein rettendes Eiland bilden wie einst im Deutsch-Französischen, wie im Russisch-Japanischen Kriege; sie ist im heutigen Kriege zum Tummelplatz des nationalen Chauvinismus geschändet. Auch aus dieser Schmach kann nur die soziale Revolution erretten.

Aufruf

Erhebt euch, ihr Schläfer! Kurzsichtiges Volk! Machst du nicht heute dem Imperialismus den Garaus, bevor die Gewalthaber ihr Ziel erreicht haben, so wird der jetzige Krieg nur die Ouvertüre zu einer ganzen Epoche furchtbarer Weltkriege sein.

Und meinst du, die Opfer, die dir heute die soziale Revolution auferlegen würde, vermeiden zu können? Diese Revolution muss doch kommen, soll die Menschheit nicht zugrunde gehen. Und du musst sie doch vollbringen. Und du musst die Opfer dazu hingeben – Opfer, aus denen der Menschheit Segen sprießt. Und die Mühen und Opfer werden nicht kleiner, sondern größer sein, wenn du sie verschiebst; wenn du sie nicht heute, während dieses Krieges, entschlossen auf dich nimmst. Nur eine Vermehrung des Unheils ist es, die dein Zaudern heran zögert

1 Otto Hammann (geb. 1852), 1916 Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt; gab 1918 zwei Bände Erinnerungen, „Der neue Kurs" und „Zur Vorgeschichte des Weltkrieges", heraus. – Siehe S. 450, Fußnote 1. Die Red.

2 Gottlieb von Jagow (geb. 1863), 1913-1916 Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Die Red.

3 Stephan Pichon, 1907-1911,1913 und 1917-1920 französischer Außenminister, hatte in einer Rede am 1. März 1918 an der Pariser Sorbonne den Inhalt eines Telegramms Bethmann Hollwegs vom 31. Juli 1914 wiedergegeben, in dem der deutsche Botschafter in Paris angewiesen worden war, im Falle der Neutralität Frankreichs von der französischen Regierung die Übergabe der Festungen Toul und Verdun als Garantie zu verlangen. Nach Beendigung des Krieges sollten diese Festungen zurückgegeben werden.

4 J. W. Mühion, 1907 im Auswärtigen Amt tätig, 1908 bei der Friedrich Krupp AG Mitglied des Direktoriums, lebte seit 1916 in der Schweiz. Ende Juli 1914 versandte er ein „Rundschreiben", in dem er aus Äußerungen des Direktors der Deutschen Bank, Dr. Helfferich, und Krupps den Schluss gezogen hatte, dass es der deutschen Regierung im Juli 1914 an Friedenswillen gefehlt habe. Dieser „Brief" wurde am 16. März 1918 im Hauptausschuss des deutschen Reichstags behandelt.

5 Richard Burdon Haidane (1856-1928), 1905-1912 und 1914 englischer Kriegsminister, 1912-1915 Lord-Kanzler, 1912-1915 Mitglied des Kriegsrates; suchte 1912 mit Deutschland eine Absprache über den Flottenbau herbeizuführen. Die Red.

6 Vgl. Rudolf Kjellen: Die politischen Probleme des Weltkriegs, S. 26-28, 31-34. Die Red.

7 Am Tage nach der Überreichung des österreichischen Ultimatums an Serbien, am 24. Juli 1914, schlug die englische Regierung durch ihren Außenminister, Sir Edward Grey, die Einberufung einer Konferenz mit Vertretern aus England, Frankreich, Deutschland und Italien vor, um zu erörtern, wie die Krise beigelegt werden könne und welche Mittel und Wege zu wählen wären.

8 Freiherr Hilmar von dem Bussche-Haddenhausen (geb. 1867) Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt. Die Red.

9 Edward Grey (1862-1933), 1905-1916 englischer Außenminister. Die Red,

10 Ernst Graf zu Reventlow (1869-1943), bis 1899 aktiver Seeoffizier, dann Schriftsteller, marinetechnischer Berater an einigen Zeitungen, z. B. „Berliner Tageblatt", „Kreuz-Zeitung", „Deutsche Tageszeitung"; trat während des ersten Weltkrieges für eine rücksichtslose Kriegführung mit allen Mitteln ein, besonders im U-Boot-Krieg; war Hauptvertreter eines annexionistischen Friedens. Die Red.

11 Friedrich Graf von Pourtales (1853-1928), 1907-1914 deutscher Botschafter in Petersburg. Die Red,

12 Während der Marokkokrise 1905 hatte der französische Außenminister Delcasse den deutsch-englischen Gegensatz geschickt ausgenutzt, um die deutschen Expansionsvorhaben in Marokko abzuwehren und zugleich das französisch-englische Bündnis zu stärken. Er schlug nämlich der deutschen Regierung vor, den Gedanken einer Konferenz aller an Marokko interessierten Mächte fallen zulassen und sich mit Frankreich direkt zu verständigen, eventuell gegen Abtretung eines Flottenstützpunktes an der marokkanischen Küste. Die englischen Imperialisten, die einen deutschen Flottenstützpunkt unweit von Gibraltar befürchteten, versuchten diese Verständigung zu verhindern und sagten Frankreich aktive – auch militärische – Unterstützung gegen das Vorgehen des deutschen Imperialismus in Marokko zu. Die deutsche Diplomatie nahm die Angebote Delcasses für Zeichen der Schwäche, lehnte sie ab und verstärkte den Druck gegen den französischen Imperialismus. Sie erreichte zwar mit der Einberufung der von ihr vorgesehenen Konferenz Anfang 1906 nach Algeciras und mit der Demissionierung Delcasses einen gewissen Erfolg, trug aber gleichzeitig zur weiteren Festigung des englisch-französischen Bündnisses und zur eigenen Isolierung bei.

13 Bezeichnung für die Mitarbeiter des Mitte des 19. Jahrhunderts in Berlin gegründeten Pressbüros, das aus dem sog. Reptilienfonds Bismarcks finanziert wurde. Die Red.

14 Ludwig Freiherr von Gablenz (1814-1874), österreichischer General. Die Red.

15 In Nikolsburg wurde am 26. Juli 1866 der Vorfriede zwischen Österreich und Preußen unterzeichnet, der Österreich aus dem zukünftigen deutschen Staatsverband ausschloss. Die Red.

* Obige Reminiszenzen sind dem Buche eines deutschen Professors entnommen, der nicht zur Leibgarde der Hohenzollern gehörte, dem Buch des weiland Leipziger Geschichtsprofessors Heinrich Wuttke über „Die deutschen Zeitschriften und die Entstehung der öffentlichen Meinung" (1866 in erster, 1875 in zweiter Auflage), einem Werke voll wertvollen Materials über die Zeitgeschichte im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts, das heute fast erschütternd wirkt: So sah es in Deutschland vor 40, 50 Jahren aus; – anderthalb Menschenalter haben sich die anständigen Leute, haben sich die Besten der deutschen Arbeiterklasse unter tausend Opfern um Besserung bemüht; jetzt stehen wir vor einem Scheiterhaufen zerschlagener Hoffnungen. Was ehedem morsch war, ist heute vollends verfault. So weit ist dieser Fäulnisprozess gediehen, dass sogar die Empfindungsfähigkeit dafür im Volke weithin abgestorben ist; und wo sie noch besteht, kann sie sich kaum noch äußern. Denn die Sprache selbst ist verfault und verdorben; sie versagt dem Heilungswerk, da der ehrliche Sinn aus ihr entwichen ist; da ihre guten, klaren, heilsamen Worte zu täuschenden Gefäßen für abscheuliche, trübe, schädliche Einträufelungen geworden sind. Das also ist der Fortschritt in einem halben Jahrhundert! Schier möchte man verzweifeln.

16 Paul Lensch (1875-1926) vertrat vor dem ersten Weltkrieg die Politik der Linken in der deutschen Sozialdemokratie, schwenkte aber nach dem 4. August 1914 auf sozialchauvinistische Positionen um und bekannte sich zur Kriegspolitik der herrschenden Klasse. Die Red.

17 Am 2. August 1917 hatten Matrosen und Heizer des Kriegsschiffes „Prinzregent Luitpold" den Dienst verweigert und das Schiff verlassen. Diese Aktion war Höhepunkt der revolutionären Matrosenbewegung 1917. Ehe der Aufstand sich jedoch ausbreiten konnte, gelang es der Reaktion, die Bewegung brutal niederzuschlagen. Die Führer der USPD, nach deren Vorstellungen die Matrosen zu handeln geglaubt hatten und mit denen sie z. T. in persönlichen Kontakt getreten waren, distanzierten sich im Reichstag von dem Aufstand und den Zielen der Matrosen.

18 Georg Michaelis, Reichskanzler seit 14. Juli 1917, war am 31. Oktober 1917 zurückgetreten, weil sich die Mehrheitsparteien im Reichstag gegen seine Forderung, gegen die USPD ein Ausnahmegesetz zu erlassen, gewandt hatten. Sein Nachfolger war Georg Graf von Hertling. Die Red

19 Ernst Müller (1866-1944), Abgeordneter der Freisinnigen Volkspartei im Reichstag. Die Red.

20 Friedrich Naumann (1860-1919) begründete vor allem im ersten Weltkrieg die Eroberungspolitik des deutschen Imperialismus mit der Forderung nach einem „Mitteleuropa" unter deutscher Vorherrschaft. Die Red,

21 Mit Schreibmaschine angefertigte Abschrift mit der Bemerkung von Sophie Liebknecht: „Kassiber aus Luckau. Original fehlt." – Alle Punkte in der Quelle. Die Red.

22 Was damit gemeint ist, konnte nicht festgestellt werden. Die Red.

23 Karl Liebknecht hatte unmittelbar vor Kriegsausbruch ein Manuskript fertiggestellt, das als Teil einer gemeinsamen Arbeit mit dem Franzosen Andre Morizet und dem Engländer Walton Newbold über das internationale Rüstungskapital gedacht war. Karl Liebknecht schrieb am 18. März 1918 an seine Frau, dass sie versuchen solle, entweder Ernst Meyer oder Julian Marchlewski-Karski – mit letzterem habe er schon öfter darüber gesprochen – zu bitten, das „Rüstungsmanuskript" in der vorliegenden Form mit „kurzer Ergänzung auf die neuere Zeit" herauszugeben. Über das Schicksal des „Rüstungsmanuskripts" ist bisher nichts bekannt geworden.

24 Karl Liebknecht meint damit ein Manuskript, das bisher nicht aufgefunden werden konnte. Über dessen Charakter hat er sich aber mehrfach geäußert. So schrieb er z. B. am 8. Oktober 1915 an seine Frau: „In 5/4 Stunden Antreten zur Arbeit. Vorher noch Kartoffelschälen für morgen. Und für mich arbeiten – an einem Exposé für ein ,Intern. Sozialist. Institut'. Fast fertig damit, wenn natürlich auch stark extemporiert in der Disposition u. voller Unvollkommenheit. Aber zögern gibt's jetzt nicht." (Karl Liebknecht: Gesammelte Reden …, Bd. VIII, S. 325.) Am 7. Juli 1918 schrieb er: „Den Plan eines sozialistischen Forschungsinstituts entwarf ich im Herbst 1915 im Felde… Damals dachte ich an die Schweiz und leitete die Anregung dahin." (Karl Liebknecht: Briefe aus dem Felde, aus der Untersuchungshaft und aus dem Zuchthaus, Berlin-Wilmersdorf 1919, S. 118.)

25 Bezieht sich auf Leo Jogiches, der am 24. März 1918 verhaftet worden war. Die Red.

26 Franz Mehring. Die Red.

27 Hans Pfeiffer (1895-1968), aktiv in der Spartakusgruppe in Berlin tätig, nach dem Januarstreik 1918 verhaftet. Die Red.

28 Lore Agnes (1876-1953), Mitglied der USPD; wegen ihrer Antikriegsarbeit während des ersten Weltkriegs von den deutschen Militärbehörden verfolgt. Die Red.

29 Carl Minster (1873-1942) vertrat die revolutionären Positionen der Gruppe „Internationale"; hatte sich Anfang 1917 durch Flucht nach Holland der Einberufung zum Militärdienst entzogen; gab in Amsterdam die Wochenschrift „Der Kampf" heraus, an der u. a. Wilhelm Pieck mitarbeitete. Die Red.

30 Kurt Eisner (1867-1919), führender Vertreter der USPD in München; war am 31. Januar 1918 wegen seiner aktiven Betätigung für den Januarstreik in München verhaftet worden; wurde am 14. Oktober 1918 aus der Haft entlassen; beteiligte sich sofort an der Vorbereitung der Revolution. Die Red.

31 Luise Zietz (1865-1922) gehörte 1917 zu den Begründern der USPD, war Mitglied in deren Vorstand bis 1922. Die Red.

32 Punktieren war eine Methode Karl Liebknechts, geheime Nachrichten aus dem Zuchthaus zu schmuggeln. Sophie Liebknecht bemerkte dazu: „Mein Mann schickte entweder die ,Deutsche Tageszeitung' oder die Beilage zu dieser Zeitung an uns zurück und punktierte mit Bleistift auf einer verabredeten Seite nach einem bestimmten System (nach welchem, weiß ich nicht mehr). Besonders geschickt im Entziffern war Karls kleine Tochter Vera (damals 11 bis 12 Jahre alt), die sich immer nach Empfang der Zeitungen sofort auf ihren Platz begab und zu entziffern begann." (IML, ZPA, NL 1/65, Bl. 162/163.)

33 Mutter und Geschwister von Sophie Liebknecht, der Frau Karl Liebknechts, lebten in Rostow am Don. Über ihr Schicksal nach dem Einmarsch deutscher Truppen in der Ukraine war zunächst nichts bekannt.

Kommentare